Protocol of the Session on November 16, 2006

Auch in Niedersachsen ist die Einrichtung einer Geschlossenen Unterbringung auf Eis gelegt worden, weil sich keine Träger fanden. Und in Mecklenburg-Vorpommern ist es besonders schön. Dort hat sich nach unserer Information bei der SPD überhaupt keine Mehrheit für eine Geschlossene Unterbringung gefunden. So sieht die Initiative mit den Nordstaaten aus.

Ich bin sowieso der Meinung, dass die SPD hier dem Irrglauben unterliegt, dass man nur ein neues Haus bauen müsse, was größer und schöner ist als die Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße, und dann funktioniert die Geschlossene Unterbringung schon. Nein, das ist falsch.

(Beifall bei der GAL)

Entscheidend ist doch nicht das "Wo", sondern das "Wie". Das soll heißen, entscheidend ist nicht die äußere Hülle und die Architektur, Herr Böwer, sondern das Konzept, mit dem die Einrichtung betrieben wird. Aber zum Konzept schweigt sich die SPD-Fraktion ebenfalls aus. Hier muss ich Kollege Hesse recht geben.

Hierbei wird allerdings nach drei Jahren Geschlossener Unterbringung deutlich – keine Sorge, Herr Hesse, Sie brauchen nicht enttäuscht sein, denn jetzt kommen die Punkte, die Sie hören wollen, wenn Sie zuhören – dass das Konzept nicht aufgeht. Die Geschlossene Unterbringung ist weder eine geeignete, noch eine für die Jugendhilfe wünschenswerte Maßnahme, um gewaltbereite und delinquente Jugendliche zu betreuen. Sie zwingt nämlich die Jugendlichen in das geschlossene System, anstatt sie zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu befähigen. Und das ist eigentlich unser Ziel.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Dort, wo Erzieher gleichzeitig die Schlüsselgewalt haben und die Schließer einer Einrichtung sind, kann kein Vertrauen entstehen. Jugendliche, die eingesperrt werden, nutzen ihre ganze Energie, um zu überlegen, wie sie wieder herauskommen. Das macht sie pädagogisch nicht erreichbar und das Problem haben wir in der Feuerbergstraße.

(Lydia Fischer CDU: Die These ist sehr umstritten! – Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Die gemeinsame Unterbringung mehrerer straffälliger Jugendlicher in einer Einrichtung begünstigt eher die Lebensläufe im kriminellen Milieu, anstatt sie zu beenden. Daher ist diese Zusammenballung nicht von Vorteil.

So ist es auch überhaupt nicht verwunderlich, dass nahezu – hören Sie gut zu – die Hälfte aller Jugendlichen nach ihrer Entlassung wieder straffällig werden. Das ist wahrlich keine Erfolgsbilanz. Es ist zudem noch wissenschaftlich erwiesen, dass eine Geschlossene Unterbringung Gewalthierarchien, Aggressionen und Bandenbildung fördert, anstatt sie zu bekämpfen.

Die Erfahrungen der Hamburger Geschlossenen Unterbringung sollten wirklich jeden Jugendpolitiker zu der Einsicht führen, dass ein Konzept des Wegsperrens und des Einsperrens als Jugendhilfemaßnahme nicht aufgeht.

(Beifall bei der GAL)

Ich würde Ihnen gern einen Satz nennen, hinter dem wir Grünen wirklich stehen: "Nicht Zwang und Einschluss führen zum Erfolg, sondern langer Atem, Vertrauen und Verlässlichkeit". Das schließt Verbindlichkeit und konsequentes Handeln überhaupt nicht aus. Der Antrag der SPD, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen der SPD, ist – wie ich ihn sehe – weder Fisch noch Fleisch und ist in sich widersprüchlich.

(Klaus-Peter Hesse CDU: So ist es!)

Sie kritisieren auf der einen Seite die zu niedrige Belegung in der Feuerbergstraße mit durchschnittlich vier Jugendlichen und fordern im Vorwege dennoch zwölf Plätze in einer neuen Einrichtung. Das passt nicht zusammen. Sie bekennen, dass auch der Senat feststellt, dass selbst eine langfristige Betreuung Jugendlicher in der Geschlossenen Unterbringung nicht dazu führt, dass diese seltener straffällig werden, und halten dennoch an diesem Auslaufmodell Geschlossene Unterbringung fest. Das passt nicht zusammen.

Ich gebe Ihnen recht, die Feuerbergstraße ist verbrannt, aber ein Neubau ist keine Lösung, denn ein geschlossenes Heim bleibt ein geschlossenes Heim, egal, wo es auch immer steht.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Die einzig wahre Alternative zu einer Geschlossenen Unterbringung ist – die Lösung ist einfach – der Verzicht auf Mauern, Zäune und abgeschlossene Türen. Es ist höchste Zeit, sich von dieser erfolglosen Erziehung in geschlossenen Heimen zu verabschieden.

(Zuruf von Stefanie Strasburger CDU)

Was brauchen wir stattdessen, Frau Strasburger? Was will die GAL? Ich habe es oft genug gesagt und wiederhole es gern noch einmal. Wir wollen straffällige und gefährdete Jugendliche nicht einsperren, sondern in intensiv betreuten Wohngruppen unterbringen.

(Stefanie Strasburger CDU: Das gab es doch die- ses Jahr! Das ist doch gescheitert!)

Wer intensiv betreute Wohngruppen mit Kuschelpädagogik – wie Herr Hesse immer gern zitiert – gleichsetzt, nur weil es dort keine Mauern und Zäune gibt, derjenige hat die Jugendhilfe nicht verstanden,

(Beifall bei der GAL)

denn Konsequenz und Verbindlichkeit setzen gute Pädagogen voraus und sind nicht von geschlossenen Türen abhängig.

(Zurufe von der CDU)

Mauern und Zäune haben in der Jugendhilfe keinen Platz. Sie sind ein Element der Justiz und der Haftanstalten.

(Beifall bei der GAL)

In unserem Modell der intensiv betreuten Wohngruppen soll die Betreuung der Jugendlichen nach verbindlichen Regeln erfolgen, einen klar strukturierten Tagesablauf und eine rund um die Uhr-Betreuung haben. Das Personal für diese schwierige Aufgabe darf ausschließlich aus pädagogisch qualifizierten Mitarbeitern bestehen, im Verhältnis von einem Jugendlichen zu einem Betreuer.

So, jetzt höre ich vielleicht wieder oder dieses Mal nicht, dass das alles viel zu teuer ist. Wer das glaubt, denjenigen möchte ich darauf hinweisen, dass der Platz eines Jugendlichen in der Feuerbergstraße 1000 Euro am Tag kostet. Im Monat sind das 31 000 Euro. Hiermit kann man sich eine 1 : 1-Betreuung in einer intensiv betreuten Wohngruppe leisten.

Ganz wichtig ist zusätzliches, qualifiziertes Personal, das in Krisensituationen schnell hinzugezogen werden kann, da wir es hier natürlich auch mit psychisch belasteten Jugendlichen zu tun haben. Daher müssen wir Psychiater

und Psychologen in Krisensituationen schnell heranziehen können. Zu diesem qualifizierten Personal gehören keine Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen, die zu dieser Zeit unter diesem Senat Jugendliche in der Geschlossenen Unterbringung bewachen und, obwohl sie ausgebildete U-Bahn-Wachen sind, über keinerlei pädagogische Qualifizierungen verfügen.

Die Unterbringung ist nur das eine Standbein der Jugendhilfe. Was wir zusätzlich wollen, ist, die Kooperation der beteiligten Akteure zu verbessern. Das ist wichtig, um eine rechtzeitige und schnelle Intervention bei den Kindern und Jugendlichen zu erreichen. Was wollen wir hierfür und wie bekommen wir das hin? Wir wollen sogenannte Clearing-Stellen einrichten.

In diesen Clearing-Stellen, die wir pro Bezirk einrichten wollen, sollen die Allgemeinen Sozialen Dienste, die freien und öffentlichen Träger der Jugendhilfe, die Psychiatrie, die Familiengerichte, die Schulen und die Polizei gebündelt werden. Alle zusammen vernetzt sorgen dann dafür, dass für jeden auffälligen Jugendlichen in kürzester Zeit eine dem Einzelfall angemessene Hilfe gefunden wird.

Sie schütteln den Kopf und das hört sich auch für einige Ohren wahrscheinlich sehr unspektakulär an. Hier gebe ich Ihnen recht. Aber dieses Modell ist wirksam, wie ein langjähriges Modellprojekt in Schleswig-Holstein unter Begleitung des Deutschen Jugendinstituts bewiesen hat. Jugendhilfe benötigt auch nicht immer die vielen Negativschlagzeilen und die vielen Maßnahmen. Jugendhilfe geschieht manches Mal durch eine Kooperation sehr viel wirksamer, als durch Ihre Einrichtung einer Geschlossenen Unterbringung, die Negativschlagzeilen macht, weil sie nicht funktioniert.

Kooperation spart Arbeit und Geld. In der Jugendhilfe ist die Kooperation das A und O einer erfolgreichen Arbeit. Gepaart mit den intensiv betreuten Wohngruppen und dem zugegebenermaßen – was in Hamburg noch fehlt – zusätzlichen Angebot für Jugendliche mit schweren psychiatrischen Auffälligkeiten, stellt es genau die Form der Jugendhilfe dar, die wir Grünen wollen. Halt geben, verbindlich handeln und intensiv betreuen. Dann ersetzt eine kooperierende Jugendhilfe die Geschlossene Unterbringung.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Frau Dr. Hilgers.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Hesse, das war die falsche Rede. Auf jeden Fall war es keine Entgegnung auf die Rede meines Kollegen Böwer.

(Beifall bei der SPD)

Es war zutiefst widersprüchlich, denn wie kann Herr Böwer populistisch sein, wenn er Ihr CDU-Papier in weiten Teilen zustimmend kommentiert. Das will mir nicht so ganz einleuchten.

(Zuruf von Klaus-Peter Hesse CDU)

Ein Dissens, Herr Kollege Hesse, war und ist zwischen der CDU-Fraktion und der Senatorin erkennbar. Gegenüber der Behördenvorstellung hat die CDU-Fraktion das

Notwendige an Korrekturen vorgenommen. Das ist gut so und bleibt hier festzuhalten.

Sie bringen oft das falsche Argument vor, dass die Arbeit der Opposition im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss das Vorgehen in der Geschlossenen Unterbringung behindert. Erst dieser Untersuchungsausschuss hat dafür gesorgt, zumindest halbwegs rechtsmäßige Zustände dort herzustellen, Kollege Hesse.

(Beifall bei der SPD)

Einen Punkt finde ich ziemlich daneben. Uns hier vorzuwerfen, dass wir kein Interesse an diesen Jugendlichen hätten, ist nach den vielen gemeinsamen Beratungen im Fachausschuss eine Frechheit, für die ich von Ihnen eine Entschuldigung bei den Kollegen der Jugendhilfepolitik erwarte.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Da laden Sie mal den Kollegen Neumann ein! – Beifall bei der SPD)

Also, Kollege, herunterkommen, hören, was gesagt wird, die fachliche Debatte ernst nehmen, unserem Antrag zustimmen und sich auf die sichere Seite gegenüber Ihrer Behörde begeben. Wir haben zweimal bei der Behörde nachgefragt, was sie von Ihrem Positionspapier hält und ob sie es umsetzt. Sie hat sich nicht damit befasst. Doppelt gemoppelt hilft, der Antrag liegt vor. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Hören Sie auf, so platt herumzupolemisieren und stimmen Sie zu.

(Beifall bei der SPD)