Protocol of the Session on September 27, 2006

Die Entwicklung der Betreuungssituation in den benachteiligten Quartieren ist eindeutig schlechter. Herr von Frankenberg, den Spott über die Frage der Betrachtung von Einzelfällen und von Tendenzen können Sie sich sparen. Im Sonderausschuss, Herr von Frankenberg, waren Sie bei dem Thema schon etwas weiter. Es kommt nämlich darauf an, hier konkrete Erfahrungen in den politischen Prozess einfließen zu lassen, nämlich solche, die man bei Besuchen vor Ort macht und sich auch zu vergewissern – und dazu gehören Zahlen –, welches Ausmaß dieses Problem hat.

(Beifall bei der SPD – Unruhe im Hause – Glocke)

Frau Dr. Hilgers, ich wollte Ihnen den Beifall nicht nehmen, sondern Ihnen helfen. Ich sage heute Abend zum dritten Mal, dass ich es erstaunlich finde, dass sowenig anwesende Abgeordnete einen solchen Lärmpegel erzielen können. Es wäre gut, wenn Sie sich draußen unterhalten und diejenigen, die weiter zuhören mögen, drinnen bleiben. Frau Dr. Hilgers, bitte.

Herr von Frankenberg, Frau Senatorin, Sie können sich hier durch Ablenkungen, durch Spott, durch Rumpsychologisieren nicht aus der Verantwortung stehlen, dass Sie die Kinder, die Familien in diesen Quartieren im Stich lassen. So ist es und nicht anders.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Blömeke GAL)

Um es kurz und knapp zu sagen, Sie spalten die Kinder und ihre Familien ab und in Ihrer Suppe ist nicht ein einzelnes Haar, sondern ein ganzes Wollknäuel, was diese Frage angeht.

(Beifall bei der SPD – Oh-Rufe von der CDU)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, kommen wir zu Abstimmung.

Zunächst stelle ich fest, dass die Große Anfrage, Drucksache 18/4671 besprochen worden ist.

Wer stimmt einer nachträglichen Überweisung dieser Drucksache an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss zu, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das Überweisungsbegehren ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer den gemeinsamen Antrag von SPD- und GALFraktion aus der Drucksache 18/4980 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21, dem Antrag der GAL-Fraktion: FORMEL Vielfalt – öffentlichen Dienst für Migrantinnen und Migranten öffnen! Offensive für interkulturelle Öffnung starten.

[Antrag der Fraktion der GAL: FORMEL Vielfalt – öffentlichen Dienst für Migrantinnen und Migranten öffnen! Offensive für Interkulturelle Öffnung starten – Drucksache 18/4979 –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Güçlü, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach jahrelangem Stillstand ist endlich Bewegung in die integrationspolitische Debatte in Hamburg gekommen und Sie, meine Damen und Herren auf der Senatsbank, scheinen endlich erkannt zu haben, dass Integrationspolitik tatsächlich viel mehr ist als ein exotisches Randthema. Integrationspolitik betrifft uns alle und unsere ganze Gesellschaft, unser Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und natürlich auch den Freizeitbereich. Ich kann mit Freude feststellen, dass der Senat hier tatsächlich zu einer Erkenntnis gekommen ist, nämlich dass die Zukunft der wachsenden Stadt ganz maßgeblich davon abhängt, ob die Integrationspolitik hier

vor Ort gelingt, denn anders, meine Damen und Herren, sind die vollmundigen Ankündigungen und punktuellen Initiativen dieses Senats nicht zu erklären.

So hat der Bürgermeister im April dieses Jahres sein Programm zur Schaffung von 1000 Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Migrantinnen und Migranten beschlossen. Im Juni ist uns dann nach langem Warten ein Integrationskonzept angekündigt worden, das die GAL übrigens schon seit Beginn der Legislaturperiode gefordert hat. Dazu hat jetzt im August endlich der Integrationskongress stattgefunden. "Geht doch" kann ich dazu nur sagen. Aber auch dazu hatten wir Sie vor zwei Jahren mit einem Antrag aufgefordert, den die CDU-Fraktion, bei der die Bänke jetzt wieder leer sind, abgelehnt hat.

Ich möchte an dieser Stelle einen kleinen Auszug der Rede des Bürgermeisters – er ist inzwischen leider nicht mehr da – anlässlich der Eröffnung des Integrationskongresses wiedergeben. Ich zitiere:

"Integration ist eine der wichtigsten Herausforderungen für unsere Zukunft. Integration darf nicht auf Sprachförderung reduziert werden. Es geht hier vor allem um Integration in Ausbildung und Arbeit."

Recht hat er. Ich glaube, es wird Zeit, dass nach all den Ankündigungen endlich Ergebnisse sichtbar werden, denn noch immer, meine Damen und Herren, sind wir weit davon entfernt, dass Migrantinnen und Migranten auch tatsächlich gleiche Teilhabechancen und Berufschancen haben. Ich werde Ihnen das nachher auch mit Zahlen belegen.

Das liegt natürlich in erster Linie daran, dass über Jahre versäumt wurde, Strukturen im Bildungs- und Ausbildungssystem aufzubrechen und zu verändern. Dazu haben wir gemeinsam zahlreiche Debatten geführt und traurigerweise hat die CDU-Fraktion hier immer noch nicht die ideologischen Scheuklappen abgelegt.

Aber ich möchte Ihnen noch einmal eines in Erinnerung rufen: Fehlende oder schlechte Schulabschlüsse – und davon sind Migrantinnen und Migranten überproportional hoch betroffen – führen fast zwangsläufig zu schlechten Perspektiven auf dem Ausbildungsmarkt und sind oft der nächste Schritt in die Arbeitslosigkeit. Ist man erst einmal im Teufelskreis, gibt es kaum ein Entrinnen. Hier sprechen die Zahlen Bände, meine Damen und Herren. Die Arbeitslosigkeit von Migrantinnen und Migranten in Hamburg liegt derzeit bei 24 Prozent gegenüber 11 Prozent bei den Einheimischen, sie ist also mehr als doppelt so hoch. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei dieser Gruppe sogar noch höher, nämlich bei 27 Prozent. Ich möchte hier ganz deutlich betonen, dass beide Daten nur Menschen mit der ausländischen Staatsangehörigkeit erfassen. Das heißt, wenn wir das Kriterium mit Migrationshintergrund zugrunde legen würden, dürften diese ohnehin hohen Zahlen noch viel erschreckend höher sein. Wir wissen, dass 37 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Hamburg ohne abgeschlossene Berufsausbildung bleiben. An diese Baustelle, meine Damen und Herren, müssen wir ran, wenn wir nicht an dem Ast sägen wollen, auf dem wir alle sitzen.

(Beifall bei der GAL und bei Jan Quast SPD)

Aber neben echten Reformen im Bildungssystem brauchen wir auch endlich ein Umdenken in unserer Einstellungspolitik. Hier ist vor allem der öffentliche Dienst ein wichtiger Bereich. Auch hier macht ein Blick auf die Zah

len den dringenden Handlungsbedarf mehr als deutlich. Nach jüngsten Angaben des Mikrozensus und auch der Angaben vom Statistikamt Nord wissen wir, dass in Hamburg jeder Vierte oder jede Vierte einen Migrationshintergrund hat. Das sind genau 27 Prozent. Bei den unter 18-Jährigen hat jedes zweite Kind beziehungsweise jeder zweite Jugendliche ebenfalls einen Migrationshintergrund. Ich meine, sie bilden unsere Zukunft und haben ein Recht auf eine gute Zukunft.

(Beifall bei der GAL)

Genau das sind übrigens Zahlen, meine Damen und Herren auf der Senatsbank, vor denen Sie viel zu lange die Augen verschlossen haben und diese Vielfalt spiegelt sich noch immer viel zu dürftig auch im öffentlichen Dienst wider. Seit der Großen Anfrage von uns, die wir hier auch schon einmal gemeinsam debattiert haben, wissen wir, dass derzeit nur 1,8 Prozent Menschen mit ausländischem Pass in Hamburg im öffentlichen Dienst beschäftigt sind beziehungsweise sich in der Ausbildung befinden. Wenn man sich den Bereich der Schulen anguckt, ist das noch viel dramatischer. So kommen wir gerade mal auf 1 Prozent Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund. So viel zum Stichwort Vorbildfunktion.

Die Kritik, die uns dann auch immer wieder vonseiten der CDU-Fraktion entgegengebracht wird, dass die Zahlen weitaus höher sein dürften, weil hier statistisch nur Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit erfasst sind, ist inzwischen auch widerlegt. So zeigt der Bericht des Unterausschusses öffentlicher Dienst und Personalwirtschaft sehr deutlich, dass wir in Hamburg, selbst wenn hier ein Migrationshintergrund erfasst wird, sowohl, was den Ausbildungsbereich als auch, was den Beschäftigungsbereich anbelangt, nicht über 5 Prozent hinauskommen. Ich finde, das ist ein Witz und ein Armutszeugnis für eine Stadt, die sich weltoffen gibt, in der die Senatorinnen und Senatoren immer wieder betonen, jeder und jede hätte hier die gleichen Chancen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es zeigt vor allem eines, nämlich dass dieser Senat mit seiner Integrationspolitik gescheitert ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Der öffentliche Dienst hat eine ganz wichtige Vorbildfunktion, insbesondere bei der beruflichen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Gerade Institutionen mit Kundenkontakt spielen eine ganz entscheidende Rolle bei der Identifikation von Migrantinnen und Migranten mit dieser Stadt und mit einem Leben hier bei uns. Daher kann es nur eine ganz deutliche Forderung geben: Der öffentliche Dienst muss verstärkt um Menschen mit Migrationshintergrund werben und das Ziel muss sein, die Ausbildungs- und Beschäftigungsquote deutlich zu erhöhen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Als Zielmarke wollen wir dabei einen Anteil erreichen, der dem Anteil dieser Gruppe in der Bevölkerung entspricht und nicht bei 5 Prozent verbleiben. Wir wissen aber auch, dass das nicht von jetzt auf gleich erfolgen kann, weil dafür die notwendigen Weichenstellungen gerade im Bildungssystem fehlen. Aber wir müssen jetzt damit beginnen, durch Aufklärung und Information vor allem junge

Menschen mit Migrationshintergrund für eine Ausbildung im öffentlichen Bereich zu interessieren und zu gewinnen. Aber dafür brauchen wir natürlich neue Instrumente, meine Damen und Herren. Wir brauchen kulturfaire Auswahlverfahren, kulturfaire Einstellungstests und vor allem Kompetenzfeststellungsverfahren, die endlich auch einmal zusätzliche Potenziale, wie Mehrsprachigkeit, aber auch die Kulturkenntnis angemessen berücksichtigen, ja sogar als zusätzliche Qualifikation anerkennen. Hier in Hamburg gibt es durchaus ESF-Projekte, die seit Jahren daran arbeiten, diese kulturfairen Kompetenzfeststellungsverfahren zu erarbeiten. MIGRACHECK ist dafür ein Beispiel.

Es gibt dafür noch ein anderes interessantes Beispiel. Auch das haben wir hier einmal kurz angerissen. In Hamburg wird im Rahmen der Polizeiausbildung genau mit diesen Instrumenten, meine Damen und Herren, schon seit Jahren sehr erfolgreich gearbeitet. Hier wird mit kulturfairen Einstellungstests, aber auch mit zusätzlichen Punkten für nachgewiesene zusätzliche Qualifikation, wie Mehrsprachigkeit und Kulturkenntnis sehr erfolgreich erreicht, dass Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Bereich ausgebildet werden. Immerhin haben wir hier eine Zahl von 150 Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund. Ich finde, das ist ein Erfolgsmodell. Die Frage, die ich hier schon einmal gestellt habe, warum dieses Erfolgsmodell nicht auch auf andere Bereiche des öffentlichen Dienstes übertragen werden kann, ist bis heute vom Senat nicht beantwortet worden. Ich möchte hier noch einmal deutlich sagen: Das ist auch keine Leistung dieses Senats, weil das Modell bei der Landespolizeischule ein Modell ist, das noch unter dem SPD-Senat aufgelegt wurde und das es seit 1993 gibt. Das mag Ihnen vielleicht nicht passen, aber es ist so.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmal ein Beispiel aus den USA geben. Ich habe mich im April selbst vor Ort nach Integrationsmodellen umschauen können. Gerade der Bereich interkulturelle Öffnung, der öffentliche Dienst, die Verwaltung und vor allem das Bildungssystem hat mich dabei sehr interessiert.

In Charleton, North Carolina, wird ganz gezielt schon seit Jahren bei der Gruppe der eingewanderten Menschen um Personen geworben, um sie im Bereich der Verwaltung und auch im Bildungssystem einzustellen. Dafür hat man sich interessante Modelle und Instrumente überlegt. Eines, das ich besonders interessant finde, ist, dass es dort, wenn denn die Menschen eingestellt sind, ob im Rahmen der Ausbildung oder bereits als Beschäftigte, Gehaltszulagen gibt, meine Damen und Herren. 5 Prozent Gehaltszulage für jede weitere Sprache neben der englischen oder amerikanischen Sprache. Ich finde, das macht deutlich, dass wir hier von zusätzlichen Qualifikationen reden, die wir in Hamburg weitgehend ungeachtet lassen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es ist für mich auch nicht glaubwürdig, wenn unser Bürgermeister von einem Arbeitgeberverband zum anderen läuft, wenn er zu den Unternehmern, zu türkischen Unternehmensverbänden läuft und immer wieder appelliert: Bildet doch bitte Jugendliche mit Migrationshintergrund aus, stellt sie bitte ein. Das ist sicher soweit nicht falsch, aber es ist dann falsch, wenn er sich nicht gleichzeitig an die eigene Nase fasst, meine Damen und Herren, weil wir als Politiker den öffentlichen Dienst steuern und hier

politische Vorgaben machen können. Solange das nicht erfolgt, bleiben auch diese Appelle nur Rhetorik.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

In Hochglanzbroschüren dieses Senats wird immer wieder damit geprahlt, dass Hamburg eine weltoffene Stadt ist, eine Stadt, in der Menschen aus 180 Nationen leben, eine Stadt, in der über 200 Sprachen gesprochen werden. Soweit, so richtig. Aber die Frage ist doch: Was machen wir daraus? Inwieweit heben wir diese Schätze? Inwieweit nutzen wir sie? Ich glaube, hier wird ganz deutlich, dass wir endlich von einem Defizitansatz wegkommen müssen, der immer nur den Blick auf die Mängel richtet, auf das, was bei Migranten fehlt, hin zu einem Blick, der für die Potenziale, für die Fähigkeiten geschärft ist, die sie zusätzlich mitbringen.

Auch an dieser Stelle möchte ich den Bürgermeister noch einmal zitieren – und das kann man ruhig machen, wenn er mal etwas Richtiges sagt –, ebenfalls aus derselben Rede bei der Eröffnung des Integrationskongresses. Ich zitiere:

"Wir brauchen die Zuwanderer auch für die Entwicklung unserer Wirtschaft. Studien aus den USA haben gezeigt, dass die Städte mit der stärksten Zuwanderung und der zugleich besten Integration die höchsten Wachstumsraten aufweisen."

Ja, Recht hat der Bürgermeister, meine Damen und Herren. Ich kann nur feststellen, dass er unser Konzept zur kreativen Stadt gelesen und anscheinend auch verstanden hat. Aber auch hier stellt sich die Frage: Was machen Sie daraus, wenn Sie diese Potenziale nicht nutzen?

(Beifall bei Manuel Sarrazin GAL)

Ich meine, man sollte zwar nicht alles am wirtschaftlichen Erfolg messen, aber das scheint hier die Sprache zu sein, und zwar die einzige Sprache, die diesen Senat zum Handeln bewegt. Ich vermute, der Bürgermeister sitzt schon auf dem Podium der Medieninitiative "Jetzt los! Jobs für Einwandererkinder". Ich meine, wenn Sie hier viele Anträge nicht verzögert hätten, hätte er dort endlich auch mal Erfolge verkünden können, statt wieder nur Sonntagsreden zu halten und keine Ergebnisse präsentieren zu können, weil anscheinend auch keiner nach Ergebnissen fragt.

Meine Fraktion und ich sagen ganz deutlich: Jetzt los, für eine Offensive für interkulturelle Öffnung. Wir wollen mehr Migrantinnen und Migranten im öffentlichen Dienst und wir meinen, dass damit endlich auch die gesellschaftliche Realität in allen Institutionen abgebildet werden kann, und wir hoffen auf Ihre Unterstützung für unseren Antrag. – Danke.