Protocol of the Session on September 27, 2006

Ja, klar, das wollen Sie nicht hören. Aber das muss ich Ihnen, glaube ich, noch einmal auftischen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Welche Partei war es denn, deretwegen 1993 eine Bürgerschaftswahl wiederholt werden musste, und zwar wegen schwerwiegender Verstöße gegen die Grundsätze der innerparteilichen Demokratie? Das waren Sie. Das lastet auch noch in dieser Diskussion auf Ihren Schultern.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es lohnt sich wirklich, wenn Sie jetzt einmal anfangen, sich wieder in solche Sachen einzulesen. Schauen Sie sich das Urteil vom Hamburgischen Verfassungsgericht von 1993 noch einmal an.

(Viviane Spethmann CDU: Das tun wir die ganze Zeit!)

Da steht zum Beispiel:

"Es liegen schwere, teilweise sehr schwere und seit Langem eingefahrene Verstöße gegen Wahlrechtsgrundsatz Artikel 38 Grundgesetz und das Gebot innerparteilicher Demokratie nach Artikel 21 des Grundgesetzes vor."

Dann der wirklich tolle Satz:

"Das von der CDU entsprechend ihrer Satzung praktizierte Verfahren bei der Aufstellung der Kandidaten für die Bürgerschaftswahl war keine Wahl im Sinne des Bürgerschaftswahlgesetzes."

So ist diese Partei vorgegangen und die will sich heute zum Macher in Sachen Wahlrecht aufschwingen. Das ist wirklich schlimm.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Zurufe von der CDU)

Wenn Sie jetzt von der Seite rufen: "Thema, Thema", dann kann man nur sagen: Schauen Sie doch einmal in den Wahlrechtsentwurf der Initiative. Der ist teilweise sehr wohl eine Reaktion auf Ihr Gebaren in den Neunzigerjahren. An einigen Stellen, zum Beispiel in Paragraf 24, steht es noch einmal. Es ist eine Reaktion darauf und es formuliert Mindestanforderungen an innerparteiliche Demokratie bei der Kandidatenaufstellung.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Die bleiben erhal- ten!)

Das mag ja sein, aber es ist trotzdem perfide, dass Sie dieses Gesetz mit der Axt angehen, wenn dieses Gesetz tatsächlich eine Reaktion auf Ihre Verstöße gegen Demokratie ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Besonders interessant ist, dass Sie damals vor dem Verfassungsgericht argumentiert haben: Es geht bei der ganzen Wahl eigentlich nur um die Spitzenkandidaten und um die Wahlprogramme und der Rest der Liste und wie die Kandidaten im Einzelnen aufgestellt und gewählt werden,

(Wilfried Buss SPD: Das ist doch völlig egal!)

interessiert das Wahlvolk gar nicht.

"Dieses Argument",

so hat das Verfassungsgericht 1993, offenbar in weiser Voraussicht, dass sich aus dieser Sache noch einmal etwas entwickeln könnte, durchaus prophetisch ausgeführt,

"bedeutet schlicht und ergreifend eine Missachtung des Wahlvolkes, also des Souveräns in einer Demokratie."

Das hat Ihnen das Verfassungsgericht schon 1993 ins Stammbuch geschrieben. Das sollten Sie sich heute noch einmal hinter die Ohren schreiben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Insofern kann man nur sagen: Die Missachtung des Souveräns hat bei Ihnen eine lange Tradition. Sie ist mittlerweile zu Ihrem Markenzeichen geworden. Sie haben aus dem Desaster 1993 nichts gelernt, dafür sollten Sie sich schlicht schämen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Jetzt maßen Sie sich an, beim Thema Wahlen und Demokratie wieder einmal alles besser zu wissen als alle anderen Parteien, besser als die gesamte veröffentlichte Meinung in dieser Stadt, besser als praktisch alle Institutionen in dieser Stadt, sogar besser als die Ihnen an vielen Stellen durchaus zugetanen Bürgervereine – die Patriotische Gesellschaft, nicht wirklich ein Hort der Sozialdemokratie. Das sollte Ihnen alles zu denken geben, aber Sie wissen es trotzdem besser als alle zusammen. Auch der Vorgang 1993 – ich glaube die Höchststrafe, die eine Partei bekommen kann, ist dass wegen Demokratieverstößen eine Wahl wiederholt wird – veranlasst Sie nicht zum Nachdenken. Deshalb kommt von uns ganz klar die Botschaft: Sie haben moralisch das Recht verloren, den Volksentscheid zum Wahlrecht zu kippen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir Sozialdemokraten setzen darauf, dass Ihnen der damalige Satz des Hamburgischen Verfassungsgerichts noch teuer zu stehen kommen wird. Ich zitiere:

"Die große Mehrheit der wahlberechtigten Bürger wählt nur solche Personen, deren demokratische Glaubwürdigkeit außer Zweifel steht."

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Jetzt hat Herr Müller das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete von der CDU! Herr Dressel, Sie haben bei Ihrer Erinnerung an 1993 eines vergessen: Der Rechtsanwalt der damaligen CDU war Herr Ole von Beust, der verloren hat.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU! Auf Ihren Schultern liegt heute eine große Verantwortung und ich meine das anders als Ihr Fraktionsvorsitzender das ausgeführt hat. Sie entscheiden heute nicht weniger als über den künftigen Weg des Verfassungsstaates Hamburg und auch nicht weniger als über Ihre künftigen Koalitionspartner, wie man den heutigen gleichlautenden Vereinbarungen und Verlautbarungen der Parteien in Hamburg entnehmen konnte. Sie entscheiden heute, ob Sie Ihrem Gewissen folgen sollen. Sie wissen das alles selbst, Sie haben das lang genug diskutiert, auch am letzten Montag. Dieses Zögern zeichnet Sie durchaus aus, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, denn dieses Zögern ist ein Beleg für Ihre politischen Skrupel.

Das unwürdige Hickhack, das sich Ihre Führung um das Wahlrecht geleistet hat, zeigt, wie unsicher Sie selbst in der Führung der CDU sind, bei dem, was da jetzt auf Sie zukommt.

Herr Reinert und Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Lassen Sie sich nicht täuschen, denn die Nachrückerregelung stand ganz gewiss nicht im Mittelpunkt der Sorge Ihrer CDU-Führung. Ob sie wirklich verfassungsrechtlich bedenklich oder gar – widrig ist – das hat Herr Dressel schon gesagt –, hätten Sie schon 2004 klären lassen können. Sie hatten damals keine Zweifel. Das war nicht der zentrale Punkt. Wir wissen alle, worum es heute geht. Meine Fraktion hat ernst genommen, dass wir mit dem Bezirkswahltermin ein Übergangsproblem haben, hervorgerufen durch die vorgezogene Bürgerschaftswahl Ihres Bürgermeisters. Wir haben vor einem Jahr ein Verfassungsgutachten vorgelegt, wie wir dieses Problem lösen können. Erzählen Sie uns nicht, dass Sie mit uns über wahre Probleme diskutieren wollten. Sie schicken hier Themen vor, die nichts mit dem Kern Ihrer Änderungen zu tun haben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Kollegen! Es ist die Eigenart von Parteien, so viel Macht wie möglich anzuhäufen. Richard von Weizsäcker, einer der am meisten angesehenen regierenden Bürgermeister und Präsidenten dieses Landes, hat 1992 gesagt, dass der Parteienstaat Macht versessen auf den Wahlsieg ist. Das ist alles nichts Neues. Es muss aber nicht das Schicksal der Hamburger CDU sein, als besonders Macht versessen zu gelten. Sie haben heute dieses Schicksal in der Hand, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Wenn Sie aber heute für Ihr Wahlrecht stimmen, ist für jedes Kind in dieser Stadt völlig klar, wie Macht versessen diese Hamburger CDU ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie haben aber eine Alternative, Sie, die frei gewählten Abgeordneten dieser Stadt: Sie können Nein sagen. Sie können damit Schaden von Ihrer Partei abwenden, aber viel wichtiger: Sie können Schaden von dieser Stadt abwenden. Wenn Sie das Volkswahlrecht heute beiseite wischen wie ein altes Stück Papier, dann wird die Folge sein, dass sich die Menschen von der Politik abwenden, auch von Ihnen. Es gibt meiner Ansicht nach heute schon viel zu viele Menschen, die sich abwenden. Die letzten Wahlen haben das gezeigt. Die Protestparteien und auch die rechten Parteien haben wieder mehr Zulauf. Wir müssen da auch gar nicht nach Mecklenburg-Vorpommern schauen. Wir haben hier unsere eigenen Erfahrungen gemacht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Sie Herrn Schill und die ganze Partei und alles, was noch daran hängt, irgendwie aus Ihrem Gedächtnis verbannen. Es ist wohl gelöscht.

Meine Damen und Herren! Zu den Krokodilstränen von Herrn Reinert, es könnten wegen der 5-Prozent-Hürde in den Bezirken rechtsradikale Parteien, rechte Parteien oder Protestparteien einziehen, muss ich sagen, dass ich das Gefühl habe, dass Sie völlig vergessen haben, was Sie hier tun. Durch Ihr CDU-Wahlgesetz brauchen wir nicht die Befürchtung zu haben, dass vielleicht Rechte in die Bezirksversammlung kommen. Ich habe die Sorge, dass es durch Ihre heutige Entscheidung für die NPD überhaupt kein Problem sein wird, die 5-Prozent-Hürde in

der Bürgerschaft zu überschreiten. Das ist unsere Sorge, die uns hier bewegen müsste, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es ist doch gerade mal fünf Jahre her, dass die Menschen in dieser Stadt aus Frust vor einer ergrauten Regierungspartei und einer konzeptionslosen Opposition scharenweise zu den Rechten übergelaufen sind.

Meine Damen und Herren! Dieser Volksentscheid, mit dem die Hamburgerinnen und Hamburger sich selbst ein neues Wahlrecht gegeben haben, war auch eine direkte Reaktion auf diese Wahl, auf dieses Erlebnis der Stadt mit der Schill-Partei.

Meine Damen und Herren! Der Bürgermeister hat vollmundig eine Regierungserklärung abgegeben – dann im Übrigen mit seinen 18,5 Prozent aller Wahlberechtigten, mit denen er damals in 2001 gewählt wurde –, dass sich die Menschen hier engagieren sollen. Sie sollen mitmachen, sie sollen sich beteiligen. Aber offenbar will er nicht, dass sie auch mit entscheiden.

Meine Damen und Herren! Das Engagement der Menschen, das Sie hier immer in Sonntagsreden loben, sollten Sie respektieren und würdigen und hier und heute nicht mit solch einer unglaublichen Arroganz, wie Sie, Herr Reinert, herabschauen und von notwendigen Korrekturen sprechen. Wo sind wir denn? Das Volk hat mit dem Volksentscheid eine notwendige Korrektur am Parteiwillen in dieser Stadt vorgenommen. Das ist doch die Wahrheit, die wir zu beobachten haben. Das hat Herr Petersen sehr genau dargelegt. Das ist der Fakt in dieser Stadt und Sie wollen es nicht hinnehmen.