Noch klarer: Vor Ihrem Entwurf hatten die Wählerinnen und Wähler zehn Stimmen. Nach Ihrem Entwurf haben sie sechs Stimmen. Ich finde, zumindest schon daran kann man schon sehr deutlich erkennen, dass Sie hier wirklich in die Kernbereiche des Wahlrechts eingegriffen haben.
Sie haben eine leere Hülle von dem Wahlrecht durch den Volksentscheid übrig gelassen. So lassen Sie zwar den Wählern in den Wahlkreisen formal noch fünf Stimmen, aber Sie haben diese Relevanzschwelle eingebaut, die nach allen Erkenntnissen der Wahlrechtsforschung dazu führen wird, dass auf der Liste hinten platzierte Bewerber eben nicht mehr nach vorn kommen werden. Insofern haben Sie aus dem Wahlrecht in den Wahlkreisen eine Wahlrechtsspielwiese gemacht. Seien Sie so ehrlich und sprechen es hier aus. Es wird an dieser Stelle nicht mehr das sein, was der Volksentscheid beschlossen hat. Das sollte der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden.
Wenn man ins Kleingedruckte schaut, kommen andere Sachen dazu, nämlich die Einflussfaktoren. Sie haben überall, wo sich vielleicht Wahlkreisergebnisse auf die Landesliste und die Mandatsverteilung im Parlament
auswirken können, eine Korrekturklausel eingebaut, sodass immer dann, wenn sich dadurch Veränderungen ergäben, die Bürgerschaft aufgestockt wird, damit letztlich nur die Landeslistenstimmen das Entscheidende sind. Sie sollten aber der Ehrlichkeit halber hier auch sagen, dass in Wahrheit das Wahlkreisrechtssystem, so wie es hier formuliert worden ist, zu einer bloßen Spielwiese verkommt.
Der Gipfel ist aus Sicht der Opposition Ihre BerlusconiKlausel im Paragraphen 5: Eine Partei, die die absolute Mehrheit der Stimmen für die Landesliste erhält, erhalte durch eine – wohlgemerkt rechtlich unbegrenzte – Heraufsetzung der Sitzzahl automatisch auch die Mehrheit der Mandate. Da soll so lange aufgefüllt werden, bis es passt. Sie versuchen, das gegen alle Widerstände der Opposition noch in diesen Entwurf hinein zu schmuggeln. Das zeigt, dass Ihnen die Arroganz der Macht und der absoluten Mehrheit schon mehr als zu Kopfe gestiegen ist. Das ist unanständig.
Aberwitzig ist es aber auch bei den Bezirksversammlungswahlen, wo Sie sagen, dort hätten Sie mit den Bezirkswahlkreisen noch etwas Bürgernähe eingebaut. Ich schaue die Kollegin Hochheim an, da sich dort ja ein gewisser Kuhhandel abgespielt hat. Eigentlich wollten Sie keine Bezirkswahlkreise mehr, aber damit auch der hier versammelte Ortsverein Wandsbek zustimmt, durften es noch ein paar Bezirkswahlkreise sein, aber auch nicht so viele und bitte nur so groß, dass es nachher in Wahrheit niemand merkt. Es war ein Kuhhandel aufkosten der Demokratie, was Sie dort noch ins Gesetz mit hinein geschrieben haben.
Man muss auch dort schauen, was dies für Folgen hat. Es hat vielleicht noch niemand so richtig durchblickt, was Sie im Detail vorschlagen. Es heißt zum Beispiel, dass der Bezirk Bergedorf wegen dessen geringer Größe genau einen Wahlkreis bekommt.
Da müssen Sie nur einmal schauen. Dort wird nämlich die Situation entstehen, dass man im Bezirk Bergedorf einen Stimmzettel für die Bezirksliste, den gesamten Bezirk Bergedorf, hat, wo man nicht kumulieren und panaschieren darf, und es einen Stimmzettel für den Wahlkreis Bergedorf gibt, der räumlich identisch ist, auf dem man kumulieren und panaschieren darf. Das ist doch aberwitzig.
Deshalb bleibt es dabei: Ihr Gesetz ist moralischer Verfassungsbruch. Ihr Gesetz ist obendrein inhaltlich Murks. Ziehen Sie deshalb nicht nur das Verfahren zurück, sondern auch diesen Entwurf. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Voet van Vormizeele, mit welcher Verachtung Sie heute hier
mit Volksentscheiden umgegangen sind, werden wir zur Kenntnis nehmen und das wird dieses Haus sicherlich auch nach draußen tragen,
denn wir haben die Volksgesetzgebung zusammen beschlossen, auch wenn Sie sich heute nicht mehr daran erinnern mögen. Sie mögen nicht dabei gewesen sein, aber es war hier Konsens: Dieses ist auch ein Instrument, wenn das Volk anderer Meinung ist als die Parlamentsmehrheit. Das war hier, beim Wahlrecht, der Fall. Das Volk hat entschieden, dass dieses Wahlrecht hier gelten soll. Wenn Sie an Quoren oder Legitimation herumdeuteln, wie viele Menschen denn teilgenommen hätten, will ich Ihnen nur einmal Ihre Mehrheit in Erinnerung rufen. Sie haben gerade einmal 37 Prozent der Wahlberechtigten hinter sich. An der Wahl des Europaparlaments haben hier in Hamburg 36 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Wenn es nach Ihnen ginge, dürften Sie hier gar nicht mehr regieren.
Kommen wir aber zu einer Debatte, die von der Opposition heute nicht mit Diffamierungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit begonnen wird, sondern wir steigen in eine konstruktive Debatte ein. Herr Dressel hat es getan und wir werden es hier fortsetzen. Letztes Mal, in der Aktuellen Stunde, hatten wir ja nur Ihre Pressemitteilung. Nun liegt der Gesetzentwurf vor. Er ist ziemlich schrecklich. Er ist schrecklicher als das, was Sie uns bisher durch Parteitagsbeschlüsse, durch Äußerungen in den Medien mitgeteilt haben.
Schauen wir uns einmal die Landeslisten an. Die Landeslisten wären danach dicht. Da würde wieder der Parteiklüngel regieren, das Einstimmenwahlrecht. Die Begründung ist, die Handlungsfähigkeit müsse hergestellt werden. Wenn ich mir beim Thema Wahlrecht aber die Handlungsfähigkeit Ihrer Fraktion ansehe – seit einem Jahr reden Sie von diesem Thema. Dann hat irgendwann die Partei entschieden. Dann gab es Streit bei Ihnen in der Fraktion. Dann gab es einen Kompromiss. Dann gab es wieder Streit, ein anderer Kreisverband sagte, so mache er das nicht mit. Dann legen Sie uns einen Fahrplan vor, der das Gesetz innerhalb von knapp vier Wochen durchs Parlament peitschen sollte, und legen die Anhörung auch noch im ersten Schritt auf den Start der WM. Dann kommen Sie gestern und ziehen alles mit der Ankündigung wieder zurück, die Abstimmung komme erst nach der Sommerpause. Wenn bei Ihnen Handlungsfähigkeit so definiert wird, möchte ich nicht wissen, was bei Ihnen Handlungsunfähigkeit ist.
Als weiteres Argument – das ist besonders schön – führen Sie an, die Experten würden bei dem Wahlrecht, das das Volk gewählt hat, unter die Räder kommen. Sie wollen also, dass Ihre Experten vor dem Einfluss des Wählers geschützt werden. Betrachten wir doch einmal die CDU-Fraktion und schauen, welche Experten es dort gibt. Heute haben wir schon einen kleinen Genuss von Herrn Engels bekommen, dem Umweltexperten. Dazu will ich nichts weiter sagen, die Debatte haben wir alle noch in Erinnerung.
Es gibt bei Ihnen auch Experten, die sich noch nicht ein einziges Mal zu Wort gemeldet haben. Dann haben wir Experten, die seit Jahren schweigen, und wir haben Experten, die vor Jahren eine Jungfernrede gehalten haben und so überwältigt waren, dass sie nicht wieder geredet haben. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie als Partei die bessere Auswahl für Ihre Kandidaten auf die Beine bringen können als das Volk. Ihnen geht es um etwas ganz anderes.
Kommen wir nun zu den Wahlkreislisten. Das ist das Schönste. Dort wird die Fata Morgana noch aufrechterhalten: Man habe fünf Stimmen, man könne auswählen, panaschieren, kumulieren, es gebe viele Kandidatinnen. Sie haben doch schon gleich mit der Auflösung einer kleinen Klausel im Wahlrecht gesagt, dass Sie gar nicht mehr so viel Kandidaten aufstellen wollten, höchstens einen oder zwei, so viele, wie Sie wahrscheinlich auch durch den Wahlkreis bekommen.
Wenn Ihnen dann im Laufe der Legislaturperiode der Bürgerschaftsabgeordnete abhanden kommt, haben Sie ja noch Ihre Landesliste mit den vielen Experten. Die müsse dann greifen.
Dann gibt es noch die Relevanzschwelle, wenn nun gar nichts mehr hilft und tatsächlich in einem Wahlkreis doch noch drei CDU-Kandidaten auf die Wahlkreisliste kommen und der Bürger etwas Auswahl bei Ihnen vorgegaukelt bekommt. Dann muss dieser Kandidat oder diese Kandidatin zwischen 3000 und 4000 Stimmen mehr erhalten, als der Kandidat vorab. Bei Ihren Strukturen, wie Sie Wahlkampf machen, wissen Sie selbst, dass dies äußerst selten eintreten wird. Da werden Sie schon einen so populären Kandidaten auf Platz drei oder zwei setzen, dass es ein Unfall sein muss, wenn das vom Volk korrigiert werden sollte.
Mit anderen Worten: Sie stellen das wieder her, was vor dem Volksentscheid war. Es gibt keinen Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Zusammensetzung dieses Parlamentes. An sich zählt nur noch die Parteistimme. Alles andere ist vorgetäuscht.
Sie glauben tatsächlich – dieses Argument haben Sie auch in der Begründung vorgebracht –, wenige Wähler könnten Ihre Listen durcheinander bringen, deshalb brauche man diese 30-prozentige Relevanzschwelle. Ich glaube, dass dann wesentlich weniger Ihrer Parteigänger die Wahlkreislisten bestimmen als Bürger diese möglicherweise durcheinander bringen. Die Legitimation dafür liegt beim Bürger und nicht bei Ihnen in irgendwelchen Parteizirkeln.
Dann haben Sie hier erklärt, es sei völlig unverständlich, was der Volksgesetzgeber hier getan hätte, nämlich die Bezirkswahlen von den Bürgerschaftswahlen zu trennen.
Ich kann es Ihnen genau sagen: Im Volksgesetz stand, man wolle damit die Bezirkspolitik stärken, damit sie die Bezirke im Wahlkampf eine eigenständige politische Rolle spielen können. Wie Sie alle wissen, ist es für die Bezirk
politik, wenn die Wahl zur Bezirksversammlung gleichzeitig mit der Bürgerschaftswahl stattfindet, sehr schwierig, ihre Themen nach vorn zu bringen. Seit Monaten arbeiten wir hier in einem Sondersausschuss, in dem wir die Kompetenzen der Bezirke stärken wollen und wahrscheinlich in einigen Wochen auch beschließen werden. Was soll dies eigentlich alles? Wollen Sie nun eigenständige Bezirke, die etwas zu sagen haben, die den Bürgern vor Ort die Aufgaben und Probleme aus der Hand nehmen und ihnen bei den Straßen- und Verkehrsproblemen helfen, ihr Lebensumfeld wieder geregelt zu bekommen? Oder sagen Sie nun, April, April, das sei alles gar nicht so gemeint gewesen, letztlich mache das alles wie gehabt das Bezirksamt und unsere Bezirksabgeordneten würden in einem Aufwasch bei der Bürgerschaftswahl mit gewählt? Ich glaube, Sie haben eher Angst vor dem Votum der Hamburgerinnen und Hamburger, wenn einmal nur die Bezirke gewählt würden und nicht der Bürgermeister. Das ist der wahre Grund. Sie haben Angst davor, dass Sie mit Ihrer Partei so abschmieren wie bei der Bundestagswahl. Deshalb, Herr Voet van Vormizeele, reden Sie hier nicht von eigenen Interessen. Sie sind derjenige, der mit absoluter Mehrheit nur die eigenen Interessen im Blick hat. Das ist politisch verwerflich. Sie werden dafür auch die Quittung erhalten, wenn Sie dies so durchziehen.
Ich komme zu der viel erwähnten Berlusconi-Klausel, die ich jetzt gern die von-Beust-Klausel nennen möchte. Wir haben die Situation, dass eine Partei, deren Fraktion die absolute Mehrheit besitzt, meint, sie könne diese durch das neue Wahlrecht verlieren. Auch wenn sie es in den Grundfesten erschüttert und im Grunde genommen abschafft, hat sie immer noch Angst. Sie hat Angst davor, dass demnächst Abgeordnete einziehen könnten, deren Partei nicht die Fünf-Prozent-Hürde bei der Landesliste genommen hat oder gar nicht angetreten ist. Diese Abgeordneten könnten aus dieser Sicht dann ihre knappe absolute Mehrheit gefährden. Deswegen bauen Sie eine Ausgleichsklausel ein, damit Sie in jedem Fall – egal, wer hier einzieht –, wenn Sie die absolute Mehrheit der Stimmen bei der Landesliste bekommen, noch weitere Mandate erhalten, damit bloß diese Einzelabgeordneten Ihre Mehrheit nicht gefährden. Das Verwerfliche an dieser Klausel ist, dass sie nur Ihnen nützt. Sie nützt keiner Mehrheitskoalition. Wenn die Mehrheitskoalition durch Einzelabgeordnete die Mehrheit in diesem Parlament verlieren würde, müsste sie sich eine neue Mehrheit suchen. Sie bauen hier eine Klausel ein, die nur einer Partei nützt, nämlich der, die das Wahlrecht momentan manipuliert.
(Beifall bei der GAL und der SPD – Kai Voet van Vormizeele CDU: Trickserei und völliger Quatsch! – Bernd Reinert CDU: Es wird wieder eine Partei werden, die die absolute Mehrheit hat!)
Dies ist erstens verfassungsrechtlich bedenklich – das werden wir prüfen lassen – und zweitens stinkt es politisch zum Himmel. Wir hätten uns alle gewünscht, die Sozialdemokraten auch, dass Sie endlich einmal das Volk in dieser Stadt respektieren, dass Sie uns das Wahlrecht einmal ausprobieren lassen. Aber stattdessen versuchen Sie, das Wahlrecht in seinen Grundfesten zu erschüttern und den Menschen vorzugaukeln, egal, was Sie in dieser Stadt entscheiden, es sei Ihnen egal, Sie seien dagegen. Sie wüssten besser, was für die Wähler gut sei. Wir werden es im weiteren Verfahren noch erleben: Die Verbitte
rung der Menschen draußen ist groß, dass mit Ihrem Willen so in dieser Stadt umgegangen wird. Das haben Sie nicht verdient. – Vielen Dank.