Vielleicht ist es für Sie etwas überraschend: Ich bin nicht zur AKW-Gegnerin geworden durch die Anti-AKW-Bewegung oder Erlebnisse 1977 in Brokdorf. Dort war ich nicht dabei. Nein, die HEW haben dafür gesorgt. Ein kleines Beispiel soll das verdeutlichen: die Verstrickung von Atomlobbyinteressen, Politik bis in die Schulpolitik hinein, um Akzeptanz für diese gefährliche und risikoreiche Energieform zu erschleichen.
Ich betone das besonders, weil gerade unsere Jugendlichen hier sitzen, die nicht von Harrisburg und Tschernobyl betroffen waren, die zu jung sind. Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass es um Sicherheit geht und nicht um Gefühle.
Die HEW waren Sponsor nicht nur von Hochglanzbroschüren, die im Unterricht in den Klassen 9 und 10 zum Thema Radioaktivität und Kernenergie verpflichtend einzusetzen waren, sondern sie waren auch zuständig für den Inhalt dieser Broschüren und die Lehrerfortbildung. Hauptziel damals: Die AKWs seien sicher. Versuche mit Alphastrahlern im Unterricht waren vorgeschrieben und sollten zeigen, wie gut man sich vor Strahlen schützen könne, was alles möglich sei. Die HEW zahlte Busausflüge für uns Physiklehrerinnen,
um deutlich zu machen, wie sicher AKWs seien und welchen Blödsinn regenerative Energie darstelle. Wir wurden nach Pellworm gekarrt, um zu zeigen, dass Photovoltaik nur Spielzeug sei und Kernenergie die wahre Lösung. Das war zwischen 1977 und Anfang der Achtzigerjahre.
Ich habe natürlich mehr und mehr – wohl wissend, da ich inzwischen die Störfalllisten von Brunsbüttel bekommen hatte – diese Veranstaltungen des Landesinstitutes – früher hieß es "Institut für Lehrerfortbildung" – boykottiert. Ich habe rebelliert. Ich habe natürlich auch angefangen, meinen Schülern vom Super-GAU zu erzählen, abgesehen davon, dass Brunsbüttel dann sechs Jahre stillgelegt war – von wegen der angeblichen Wirtschaftlichkeit. Ich weigerte mich dann auch, die Versuche mit Alphastrahlern in der Schule durchzuführen. Wir bekamen dann ja auch noch diese unsäglichen, verdummenden Katastrophenschutzpläne von Fessenheim. In dem Aufruf zur Evakuierung wurde zum Beispiel mitgeteilt, mitgeführte Sachen seien staubdicht zu verpacken, zum Beispiel in verschnürten Plastiktüten. Welche Verdummung wurde damals betrieben! "Duck and cover", Sie erinnern sich.
Nein, Atomkraftwerke waren und sind nicht sicher. Heute, um diese Uhrzeit vor zwanzig Jahren, lag ich in der Frauenklinik Finkenau. Morgen wird mein Sohn 20. Was sich da abspielte, was das bedeutete, will ich hier nicht vertiefen, Herr Engels, denn es geht hier nicht um Gefühle. Es war aber damals der Super-GAU eingetreten. Interessanterweise hat die Schulbehörde ein paar Monate nach Tschernobyl veranlasst, dass alle radioaktiven Präparate in der Sekundarstufe 1 aus der Schule entfernt werden.
Störfall nach Störfall wurde damals medienöffentlich. Gott sei Dank wurde er damals noch medienöffentlich. Ich darf zitieren:
"13.12.88 Störfall im AKW Würgassen. Biblis B abgeschaltet 15.12. 16.12.88 Leck im Atommeiler Biblis B gemeldet. Störfall in Brokdorf 16.12."
Und so weiter. Damals war es noch öffentlich. Jetzt haben wir die Situation, dass diese schlimmen Vorfälle der letzten Jahre vertuscht worden sind. Herr Maaß hat Paks
angesprochen. Ich habe Ihnen einige Beispiele genannt. Nach Tschernobyl waren wir uns alle einig: Nach zehn Jahren sollte der Ausstieg gelingen. Nach 20 Jahren stehen wir hier und Vattenfall kündigt an, ein neues AKW zu bauen. 20 Jahre vergeudet?
Wir werden weiter kämpfen. Ich werde weiter kämpfen. Wir müssen es. Es gibt nämlich keine guten West-AKWs. Es gibt nur gefährliche AKWs.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir müssen in den nächsten Monaten und Jahren existenzielle Entscheidungen auf dem Gebiet der Vorsorge und der Energiepolitik treffen.
Ich finde es nicht gut, Kollegen von der Opposition, wenn Sie dabei mit der Angst der Menschen spielen. Das ist nicht in Ordnung.
Die Analyse zu Tschernobyl – d'accord, keine Frage. Aber sie auf die Fragen zu übertragen, die heutzutage anstehen, geht zu weit.
Was bei Ihnen noch gar keine Rolle spielt, ist die vernünftige Abwägung. Sie sehen ja alles immer sehr einseitig. Der Standortfaktor Strom kam bei Ihnen natürlich überhaupt nicht zum Tragen. Ich muss Sie immer wieder daran erinnern, dass 660 000 Arbeitsplätze in Deutschland direkt von der Stromerzeugung abhängig sind. In der chemischen Industrie sind es etwa 195 000, bei Stahl 213 000. Hier in Hamburg sind 33 000 Arbeitsplätze direkt davon abhängig. Das sind Industrien wie Stahl oder Airbus. Ich bin schon gespannt, wenn Sie – insbesondere Sie Kollegen von der SPD – gleich wieder Sonntagsreden bei der Airbus-Debatte halten werden, ob Sie dann auch erwähnen werden, wie wichtig die Stromerzeugung, natürlich auch die finanzierbare Stromerzeugung, für Airbus sein werde.
Sie kennen doch eigentlich alle den Kraftwerksbestand in Deutschland. Sie wissen doch um die Grafiken, die wir alle vor Augen haben, dass man bis 2020 von 90 Gigawatt auf ungefähr 30 Gigawatt kommen wird, dabei wäre der Kernkraftanteil, wenn sich nichts ändern würde, schon gegen Null gefahren. Wir haben hier bei uns in Hamburg einen Zubaubedarf von 40 000 Megawatt. Das führt derzeit erst einmal ins Chaos. Der Ausfall in Norddeutschland – damit wir uns das noch einmal vor Augen führen –
wird sieben Kohlekraftwerke und zwölf andere Kraftwerke betragen. Das bedeutet, dass wir einen Energieaufwand von 12 000 Megawatt zu ersetzen haben.
Frau Schaal, wenn Sie sagen, das Senatsprogramm führe in eine falsche Richtung, kann ich das nicht nachvollziehen. Es setzt auf eine verbesserte Energieeffizienz
und natürlich auch auf nicht fossile Energiequellen. Das Programm gibt also hier in Hamburg schon einmal den richtigen Kurs vor. Wir werden es aber nicht schaffen, bis 2020 – das hat der Kollege Engels schon angedeutet – die Lücke wirtschaftlich akzeptabel mit erneuerbarer Energie zu schließen.
Ganz nebenbei bemerkt, wird unser Umweltministerium hier nicht abgewickelt. Die Behörde ist so stark wie nie,
Strom kommt heute nicht aus der Steckdose. Strom ist global. Strom wird an Energiebörsen vermarktet. Wir haben heute, in der modernen Welt, einfach keinen Einfluss mehr darauf, ob und woher unser Strom kommt. Er kann konventionell sein, er kann mit Kernkraft erzeugt sein, er kann sauber sein, er kann aber auch gefährlich sein. Wir, Sie haben keinen Einfluss darauf.
Deswegen hat es mich gefreut, dass gerade Vertreter der erneuerbaren Energieformen keine Renaissance der Kohle wollen, sondern auf eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke setzen.
Herr Maaß, Herr Vahrenholt, einer der Vorreiter dieser Ideen, ist ja nun nicht CDU-verdächtig. Ihm kann man glauben. Seinen Weg kann man gehen.
Ich fand interessant, dass in der letzten "FAZ am Sonntag" sogar ein Greenpeace-Gründer neuerdings zum Atombefürworter mutierte. Die Begründung kann man nachvollziehen oder nicht: Jährlich 5000 Kumpel würden beim Kohleabbau sterben. Es zeigt aber, dass wir vernünftig abwägen müssen und nicht so eindeutig denken können
und uns nicht so einseitig äußern können. Mir ist bewusst, dass dies natürlich in vorderem Maße Bundespolitik ist und ich hier eher die reine CDU-Lehre vertrete, weil unser Koalitionspartner in Berlin derzeit auch noch anderer Auffassung ist, aber das Bessere ist immer der Feind des Guten. Eine Bewusstseinsbildung bei der SPD in den nächsten Jahren wird hier Not tun und vielleicht auch noch zu einer Veränderung führen.
Wenn man es auch den Punkt bringen will: Wer Tschernobyl wirklich verhindern will, muss die Laufzeit sauberer Kernkraftwerke auch verlängern können. – Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Mattner, der letzte Satz hat wirklich der Unlogik Ihres Beitrages die Krone aufgesetzt. Erstens kann man Tschernobyl – Gott sei es geklagt – nicht mehr verhindern. Das Leid hat dort bereits Platz in einer inzwischen total verwüsteten Landschaft mit all den Folgen, die hier schon beschrieben worden sind, gefunden. Wer
einen weiteren GAU verhindern will, muss nicht auch noch dafür sorgen, dass Kernkraftwerke länger laufen, sondern der muss dafür sorgen, dass dieser Alptraum bald ein Ende hat.
Sie haben einen sehr richtigen Satz gesagt: Wir stünden vor einer existenziellen Entscheidung in Deutschland. Mein Eindruck ist, werte Kollegen von der CDU, dass Sie sich genau davor am liebsten drücken möchten, dass Sie nämlich in einer Situation, in der entschlossenes Handeln, Innovation, Erneuerung gefragt sind, sich nach hinten orientieren und rückwärtsgewandt argumentieren, weil Sie nicht die Kraft besitzen, zu Neuem überzugehen und das ist die eigentliche Gefahr.