Protocol of the Session on February 22, 2006

das ist doch immer ganz putzig bei der CDU, da braucht man nur zu sagen, der Bürgermeister sieht gut aus, ist lieb und nett und schon ist die CDU wie aus dem Häuschen. Ich habe immer das Gefühl, dass das ein bisschen Ihr Politikverständnis ist –,

(Beifall bei Gesine Dräger SPD, Jens Kerstan und Christa Goetsch, beide GAL)

sondern er ist auch ein weiser Ratgeber, wie wir im "Tagesspiegel" erfahren konnten.

(Wolfhard Ploog CDU: Richtig!)

Er prophezeite, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei Merkels Schicksalsfrage. Das war nicht nur weise, sondern gleichermaßen geschickt. Herr von Beust spielt also den Ball Arbeitslosigkeit der Bundesregierung zu. Er hat natürlich Recht, dass wir die Arbeitslosigkeit nicht hier in Hamburg werden lösen können. Trotzdem gucken wir mal in die Große Anfrage. Wir haben hier nicht nur 100 000 Arbeitslose, sondern von diesen 100 000 Arbeitslosen sind 70 000, das heißt 70 Prozent Kunden der ARGE oder wir können auch sagen, dass ungefähr 10 Prozent aller Hamburger Kunden der ARGE sind.

In dem Interview von Herrn von Beust stellt er gleichermaßen selbst in Zweifel, dass der ersehnte Wirtschaftsaufschwung die Arbeitsmarktprobleme lösen würde. Soweit Herr von Beust. Mehr erfahren wir zu diesem Thema leider nicht von ihm. Wir können mal versuchen, ein bisschen weiter zu denken. Dann bleibt natürlich zu fragen, welche Antwort der Senat auf die strukturelle Arbeitslosigkeit hat.

Hier sind wir beim eigentlichen Thema, nämlich Hartz IV, SGB II. Hartz IV, SGB II bietet zumindest Gestaltungsmöglichkeiten, um diese strukturelle Arbeitslosigkeit aufzufangen oder umzusetzen. Nur leider – und das wird auch deutlich – hat die CDU, hat Hamburg diese Chance nicht aufgegriffen oder zumindest nicht umgesetzt.

Woran hapert es eigentlich? Zwei ganz große Bereiche. Erstens hapert es an der organisatorischen Umsetzung. Das geht vom Telefon bis zum Personaleinsatz und es fehlt zweitens an der eigentlichen Steuerung, einer Zielorientierung, die diesen Auftrag ernst nimmt, Hartz IV in Hamburg zu gestalten, tatsächlich umzusetzen.

Ich versuche, die Kritik an drei Punkten etwas systematischer darzustellen.

Erstens: Die ARGE arbeitet kontinuierlich, gleichermaßen bürokratisch. Es wird nämlich weiterhin verwaltet statt vermittelt und betreut. Ein Beleg dafür ist, dass von 230 Millionen Euro, die für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung standen, nur circa 40 Prozent innerhalb eines Jahres umgesetzt worden sind.

Zweitens: Der Einsatz der Mittel folgt einer ganz einsamen Entscheidung, nämlich alle Mittel werden in EinEuro-Maßnahmen umgesetzt. Da ist Hamburg tatsächlich Spitze. 10 000 Stück stehen davon zur Verfügung. An einem Punkt möchte ich das deutlich machen, der gestern und heute noch einmal in der Presse aufgenommen worden ist: Da werden tatsächlich Ein-Euro-Kräfte eingesetzt, um den Müll aufzusammeln, den die Streikenden hier liegengelassen haben. Hier werden die Arbeitslosen gegen diejenigen, die streiken, in Gegensatz gesetzt. Ich erwarte von der BWA, dass Sie das schnellstmöglichst unterbindet.

(Beifall bei der GAL und bei Gesine Dräger SPD)

Kommen wir zur Systematik zurück. Es werden diese Mittel für Ein-Euro-Maßnahmen eingesetzt, sie werden einseitig eingesetzt. Bei Hartz IV geht es doch darum, diese Integrationsmaßnahmen am individuellen Bedarf der Einzelnen zu orientieren. Dieser individuelle Bedarf wird überhaupt nicht berücksichtigt, zum Beispiel blieben bei den geförderten Ausbildungsmaßnahmen für Jugendliche 600 Plätze völlig ungenutzt.

Meine dritte Kritik daran – wen wundert es –: Die Integrationsmaßnahmen greifen nicht. Wir hatten im letzten Jahr einen Anstieg der Arbeitslosigkeit von 9,6 Prozent, bei den unter 20-Jährigen von über 20 Prozent und bei den Schwerbehinderten von über 29 Prozent.

Ich kann die Mängelliste noch weiterführen, zum Beispiel dass die ARGE zu den kundenunfreundlichsten Behörden in Hamburg gehört, dass sie zu wenig Personal hat, keine Fallmanager, keine Weiterbildung, dass es keine Beiräte gibt und so weiter. Mir ist klar, dass wir als Rechtfertigung gleich – Frau Hochheim guckt schon auf ihre Unterlagen – von der CDU vernehmen werden, dass die zentralistische Steuerung der Bundesagentur schuld sei oder die Software oder die bisherige Konstellation in der Trägerversammlung der ARGE.

Meine Damen und Herren, das will ich gar nicht bestreiten und das ist irgendwie alles richtig. Die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur hat sich bisher als tatsächlich sehr schwerfällig erwiesen und ist zu einer blockierenden Konkurrenzsituation ausgeartet. Aber wie wir wissen, ist es nur die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte heißt, dass bis jetzt schon die BWA hauptverantwortlich zuständig dafür war, den wichtigsten Teil von Hartz IV umzusetzen, nämlich die Integrationsmaßnahmen.

Nun steuert die BWA die Mehrheit in der Trägerversammlung der ARGE an und das ist im Grundsatz sicherlich richtig, denn die Zusammenarbeit mit der BA als Partner

auf Augenhöhe hat sich als Illusion erwiesen. Für die größte ARGE in Deutschland bestünde eine zweite Chance, den eigentlichen Aufgaben jetzt gerecht zu werden. Diese eigentlichen Aufgaben spitzen sich in der Frage zu, welche Antwort der Senat auf die strukturelle Arbeitslosigkeit hat und welche Ziele daraus für die Steuerung der ARGE abgeleitet werden.

Neue Arbeitsplätze durch Wirtschaftsförderung, wobei schon deutlich geworden ist, dass Wirtschaftsaufschwung, Wirtschaftswachstum nicht alleine ausreicht, um diese 100 000 Arbeitslosen tatsächlich in Arbeit zu bringen. 0,6 Prozent mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Hamburg können einfach nicht die Antwort darauf sein. Wir müssen diese Wirtschaftsförderung ergänzen und dazu drei Punkte, mit denen diese ergänzt werden sollten.

Erstens bedeutet es, diese so genannte mis-matchSituation aufzulösen, der entgegenzutreten, indem Sie Angebot und Nachfrage tatsächlich aufeinander beziehen. Das heißt konkret, dass Sie stärker in Weiter- und Ausbildung investieren müssen. 140 Millionen Euro werden in diesem Jahr an den Bund zurückgeschickt, weil diese Chance in Hamburg nicht genutzt wurde.

(Farid Müller GAL: Buh!)

Zweitens geht es darum – und das muss endlich akzeptiert werden –, einen zweiten Arbeitsmarkt zu gestalten, nicht einen zweiten Arbeitsmarkt als Parkmöglichkeit, als Parkplatz, sondern als Sprungbrett für jeden Einzelnen, um wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen und gleichermaßen die soziale Infrastruktur, die in der Stadt immer weiter abgebaut wurde, wieder mit zu stärken.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Drittens geht es darum, in der konkreten Steuerung der Arbeitsmarktpolitik jetzt endlich den zweiten Schritt nach dem ersten zu tun und diese Dezentralisierung, die hier schon in Ansätzen umgesetzt wurde, voranzubringen. Es geht darum, die ARGE dann funktionsfähig zu machen, wenn sie mit den Akteuren vor Ort tatsächlich kooperiert oder verbunden ist. Es geht nicht um eine zentralistische Steuerung, denn die Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben sich vor Ort, die ergeben sich aus den Stadtteilen heraus. Die können nicht zentral durch 10 000 Ein-EuroMaßnahmen gesteuert werden, die dann in irgendwelchen Massenveranstaltungen ausgegeben werden, sondern die müssen sich aus dem Stadtteil heraus entwickeln.

Meine Damen und Herren! Es gibt eine zentrale Botschaft, wenn ich nicht mehr vermitteln kann, aber diese eine zentrale Botschaft: Arbeitsmarktpolitik ist nicht nur Wirtschaftspolitik, sondern Arbeitsmarktpolitik ist auch mit Sozialpolitik und das bitte ich, in Ihrem politischen Ansatz mit zu akzeptieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es reicht nicht aus, dass sich der Wirtschaftssenator und der Bürgermeister bei den Empfängen der Wachstumsbranchen die Hand reichen, sondern Sie müssen sich auch in den Statteilen umtun, mit den Arbeitslosen beschäftigen, die nicht den sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

Die Grünen haben Hartz IV auch deshalb zugestimmt, weil es bedeuten sollte, Arbeitslose nicht mehr nur zu alimentieren, sondern deren Chancen auf gesellschaftli

che Teilhabe zu erhöhen. Mit der Anfrage ist deutlich geworden, dass der Hamburger Senat alles tut, um genau das nicht zuzulassen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und bei Gesine Dräger SPD)

Frau Dr. Hochheim hat jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Schon am Debattentitel erkennt man, dass CDU und GAL grundverschiedene Ansätze in der Arbeitsmarktpolitik haben. Wir von der CDU wissen, dass man der Langzeitarbeitslosigkeit nur mit langfristigen Lösungsansätzen beikommen kann. Die Grünen wissen dies vielleicht auch, setzen aber heute Abend ganz bewusst lieber auf Halbzeitwahlkampfpolemik.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Der Debattentitel "Hartz IV Reform: Hat Hamburg seine Chancen vertan?" soll provozieren und nicht zur Versachlichung der Debatte beitragen.

(Antje Möller GAL: Dahinter ist ein Fragezeichen!)

Hartz IV gilt bekannterweise als Jahrhundertreform. Die Umsetzung von Hartz IV nach nicht einmal 14 Monaten derart infrage zu stellen, ist abwegig. Gesetzesvorhaben mit einer solchen Tragweite bedürfen längerer Umsetzungszeiträume.

(Gesine Dräger SPD: Das merken wir uns!)

Das sollten Sie sich auch merken, Frau Dräger.

Hartz IV ist von seinem Ansatz ein Reformpaket, das weiterentwickelt werden soll und muss. Nicht ohne Grund werden auf Bundesebene immer wieder neue Reformvorschläge diskutiert. Die Effektivität der Hamburger Arbeitsmarktpolitik hängt auch entscheidend mit von der Bundesebene ab. Wenn Frau Köncke den Bürgermeister zitiert, dass er auf die Bundesebene verweist, dann hat der Bürgermeister vollkommen Recht damit. Selbstverständlich hängt die Arbeitsmarktpolitik entscheidend von der Bundesebene ab.

(Beifall bei der CDU)

Doch der Berliner Richtungsstreit ist leider immer noch nicht entschieden. Kombilohnmodell und Lockerung des Kündigungsschutzes kontra althergebrachtem Zweiten Arbeitsmarkt, wie Frau Köncke es möchte, und hohe soziale Absicherung. Teile der SPD dürfen sich in der großen Koalition auf Bundesebene nicht zu einem Hemmschuh entwickeln; auch nicht die GAL.

Wir müssen in der Arbeitsmarktpolitik einen neuen Weg beschreiten und diesen hat die Union in ihrem richtigen Vorschlag im Leitmotiv "Sozial ist, was Arbeit schafft" zusammengefasst. Hier, Frau Köncke, erkennt man, dass Arbeitsmarktpolitik im Sinne der CDU ein Teil der Sozial- und Wirtschaftspolitik ist.

Nach diesem Leitmotiv "Sozial ist, was Arbeit schafft" kann sich die Arbeitsmarktlage in Hamburg mehr als sehen lassen. Während die Zahl der Erwerbstätigen bundesweit zurückgeht, kann Hamburg dagegen einen Zuwachs von 0,8 Prozent im Jahr 2005 verzeichnen.

(Ingo Egloff SPD: Und vorher haben wir 35 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse verloren!)

Das klingt im ersten Augenblick wenig, entspricht aber 8000 Menschen, die wieder eine Arbeit gefunden haben. Mit diesem Ergebnis ist Hamburg absolute Spitze bei der Zunahme der Erwerbstätigen. Dies muss hier auch einmal gesagt werden. Wir wollen schließlich nicht immer nur pessimistisch in die Welt blicken, wie Sie es von der Opposition heute gerne tun wollen. Wirtschaftliche Aufschwünge hängen schließlich auch von der Stimmung ab und mit dem reinen Schlechtreden der ersten Erfolge erreicht man gar nichts.

Hamburg hat genauso wie jede andere deutsche Metropole ein Problem mit der Langzeitarbeitslosigkeit. Diese gehört zu dem größten politischen Problem unserer Zeit, ein Problem, das sich über Jahrzehnte aufgebaut hat und nicht kurzfristig gelöst werden kann. Deshalb sollte es gemeinschaftliches Ziel der Politik von Regierung und Opposition sein, das Thema Langzeitarbeitslosigkeit von kurzfristigen Wahlperioden und Wahlkämpfen zu entkoppeln.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU – Farid Müller GAL: Was machen die denn da!)

Dann könnte offener diskutiert werden und der Politikerreflex, den man heute auch wieder gesehen hat, die Langzeitarbeitslosigkeit ausschließlich in die Verantwortung des jeweiligen politischen Gegners legen zu wollen, würde damit entfallen.

(Zuruf von Jörg Lühmann GAL)