Protocol of the Session on February 22, 2006

Ich habe mich deshalb sehr darüber gefreut, Herr Buss, dass die SPD in den letzten Jahren diese Neuorientierung in der Bildungspolitik im Grundsatz unterstützt hat, bei viel Kritik im Detail – völlig klar. Frau Ernst, Sie haben dazu einen großen Beitrag geleistet. So schrieben Sie schon im Juli 2002 in einem Papier, auch der Hamburger SPD sei es nicht gelungen, jeden Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Hamburger Schulen auszuräumen. Soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen und die Gewährleistung der Leistung unserer Schülerinnen und Schüler seien kein Gegensätze. Vor Leistungsorientierung müsse sich deshalb niemand fürchten. Sie müsse aber an unseren Schulen gefordert und gefördert werden. Genau.

(Beifall bei Wilfried Buss SPD)

Das sehen wir ganz genauso. Das ist völlig richtig. Als es jetzt um die Einrichtung der Enquete-Kommission ging, habe ich mich sehr darüber gefreut, dass sich die SPD dazu durchgerungen hat, ein – von Ausnahmen abgesehen – doch sehr konstruktives Team zusammenzustellen. Ich freue mich darüber, da ich die Ansicht vieler Experten teile, dass wir im Bildungsbereich die ideologischen und parteipolitischen Grabenkämpfe beenden müssen. Ich hatte gemeinsam mit der Bildungssenatorin signalisiert, dass wir bereit sind, unseren Anteil hier zu leisten. So weit, so gut.

Es gab aber leider neben diesen ermutigenden Signalen, die uns erreicht haben, eine ganze Zeit schon Anzeichen, dass zumindest der linke Flügel Ihrer Partei die Rolle rückwärts probieren möchte. Man merkt es unter anderem daran, dass Rosemarie Raab wieder aus der Versenkung auftauchte. Sie schrieb einmal in der "taz", hielt eine Bewerbungsrede in der Bildungsbehörde und immer wieder konnten wir in der Bürgerschaft erleben, dass Frau Ernst erst hü sagte und dann Herr Lein oder Frau Boeddinghaus kamen und das Hott hinterherschickten.

(Dirk Kienscherf SPD: Das stimmt nicht!)

Es schien in den letzten Tagen so, als ob sich das Hott in der SPD durchgesetzt habe. Frau Ernst musste nicht nur in die zweite Reihe rücken, sondern wurde auch noch als bildungspolitische Sprecherin abgesägt.

(Wilfried Buss SPD: Davon träumen Sie doch!)

Dann hatten wir über die Medien erfahren, wen Sie als Nachfolger vorgeschlagen hatte. Wenn man auf die Homepage der GEW ging,

(Wilfried Buss SPD: Thema!)

konnte man dort eine kleine Beschreibung von einer interessanten Veranstaltung lesen, an der ich teilgenommen hatte. Von dort stammt das Zitat. Dort steht,

"Sabine Boeddinghaus, Bürgerschaftsabgeordnete der SPD, warb ebenfalls für die Gemeinschaftsschule, wobei sie berichtete, dass die Diskussion in der SPD nicht abgeschlossen sei.

(Wilfried Buss SPD: Thema! Das hat mit PISA nichts zu tun!)

Bildungsdünkel seien (nicht nur in der SPD) immer noch vorhanden, viele möchten nicht, dass ihre Kinder mit den 'Schmuddelkindern' in eine Klasse gehen."

Da war Sie wieder, die ganz tiefe Mottenkiste der Siebziger- und Achtzigerjahre mit ihren inzwischen noch verstaubteren Argumenten samt der Kritik am Klassenfeind in den eigenen Reihen. Das war doch etwas richtig Schönes.

(Zuruf von Dr. Mathias Petersen SPD)

Lieber Herr Petersen, Frau Boeddinghaus hätte auch Ihnen das Klassendenken dann schon noch ausgetrieben.

Aber dann kam über das Wochenende plötzlich von irgendwoher noch ein wenig Vernunft über die SPD.

(Jan Peter Riecken SPD: Toll, was Sie alles wis- sen!)

Lieber Herr Buss, auch wenn Sie noch nicht dort angekommen sind, wo Frau Ernst bereits angekommen ist, freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen und auf einen konstruktiven Dialog.

Zwei Probleme bleiben aber noch: Zum einen sitzen Sie, Herr Buss – und das ist wirklich ein Problem – nicht in der Enquete-Kommission zu den Konsequenzen aus PISA,

(Zurufe von der SPD: Doch, doch!)

mit denen wir uns hier beschäftigen. Und Sie wollen heute zu PISA reden? Sie werden schnell merken, dass das auf Dauer so nicht funktioniert.

Zum anderen haben Sie in der SPD – zumindest Teile Ihrer Partei – immer noch nicht aufgegeben und wollen rechtzeitig, bevor die Enquete-Kommission zu den Konsequenzen aus PISA ihre Arbeit beendet, ihre Partei doch noch Richtung Einheitsschule trimmen. Wenn ich nur in Wahlkampftaktik denken würde, würde ich Sie ermutigen wollen. Fordern Sie ruhig die Einheitsschule, stoßen Sie fast 70 Prozent der Hamburger Eltern vor den Kopf. Ich glaube, dann würde sich Herr Petersen einmal freuen, wenn er wieder 19 Prozent der Stimmen bekäme.

Aber der Preis dafür wäre zu hoch, denn wir tragen hier gemeinsam die Verantwortung dafür, dass Hamburgs Schülerinnen und Schüler künftig unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft deutlich bessere PISAErgebnisse erzielen. Dafür brauchen wir keine Grabenkämpfe, sondern pragmatische und gemeinsame Lösungen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Buss.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Heinemann, das war ja, wenn man so will, eigentlich unter Ihrem Niveau. Aber ich habe mir überlegt, dass Sie ja auf einem dieser schlimmen Gymnasien Abitur gemacht haben.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Trauma!)

Sie müssen dort in einem ganz fürchterlichen Gemeinschaftskurs gewesen sein, in dem man auch Klassen

kampfreden gelernt hat oder so etwas. Ich fand das sehr beeindruckend. Vor allen Dingen fand ich es sehr beeindruckend, wie wichtig Sie unsere Personalentscheidungen in diesem Bereich nehmen. Das ist zwar auf der einen Seite schmeichelhaft, aber es ist auf der anderen sehr auffällig, dass dies fast das Einzige ist, das Ihnen einfällt, wenn es darum geht, die Konsequenzen aus den PISA-Studien 2000 und 2003 – wir müssen ja beide zusammennehmen –

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

zu ziehen und auf deren Inhalt einzugehen.

Da Sie das Thema Leistungsfeindlichkeit ansprechen: Dort werden doch Legenden gestrickt, Herr Heinemann, die Sie in Ihrer Partei natürlich so gern haben möchten.

(Robert Heinemann CDU: Ich habe Ihre Kultusmi- nisterin zitiert!)

Sie reißen die alten Gräben wieder auf, um davon abzulenken, dass Sie nichts in dieser Frage tun, und versuchen – aus welchen taktischen Gründen auch immer –, diese entsprechenden Dinge wieder hoch zu holen, als ob wir leistungsfeindlich gewesen wären.

(Robert Heinemann CDU: Ich war nie gegen Leis- tung!)

Das war überhaupt nicht der Fall, sondern damals ging es um andere Inhalte. Jetzt geht es um die Inhalte, die in der Tat von Frau Ernst und mir seit 2001 nach vorn gebracht worden sind. Da ist es so, dass Sie, Herr Heinemann, und Frau Dinges-Dierig die Verantwortung in diesem Bereich haben. Dazu habe ich heute fast nichts von Ihnen gehört.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Blömeke GAL)

Ein Letztes dazu: Wenn Sie in Ihrer Rede die entsprechenden Bemerkungen zu unserem konstruktiven Team für die Enquete-Kommission machen müssen, schmeichelt uns das natürlich. Ich gebe es einmal zurück: Wie sieht denn Ihr Team aus? Ich erinnere ich mich nur an die entsprechende Kritik, die schon von bildungspolitischer Seite gekommen ist. Da wäre ich als bildungspolitischer Sprecher vor Scham im Boden versunken, ganz ehrlich, mein lieber Herr Kollege.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

So viel zur Polemik. Jetzt kommen wir zur Sache. Das ist das, was mir in dieser Arbeit am wichtigsten ist. Bisher hatte ich geglaubt, es sei auch Ihnen so wichtig.

Drei Ergebnisse möchte ich versuchen zu nennen: Ein erstes Ergebnis, das wir in den Beratungen festgestellt haben, war, dass auch die Senatorin einsieht, dass die Risikogruppe seit der Studie "PISA 2000" – und jetzt 2003 wieder bestätigt – nicht kleiner geworden ist. Das ist ein erstes und sehr wichtiges Ergebnis. In der Tat ist es deswegen richtig – das ist das Positive daran –, dass auch Ihre Fraktion schließlich einer Enquete-Kommission zugestimmt hat, die sich ganz besonders der Frage widmet, wie wir hier herangehen können. Da hätte ich heute schon von Ihnen eine zielgerichtete Antwort erwartet. Sie tun nämlich nichts dagegen, außer dass Sie diese Punkte wiederholen, die Sie haben: den Verweis auf die Sprachförderung und diese Geschichte mit der Überprüfung der Viereinhalbjährigen.

(Robert Heinemann CDU: Das haben Sie 44 Jahre nicht geschafft!)

Doch. Dazu gibt es gleich klare Antworten.

Nur, Herr Heinemann, die Kinder, die heute in der Schule sind, haben nichts von diesen Maßnahmen, im Wesentlichen jedenfalls nicht, außer ein bisschen hinsichtlich der Sprachförderung, die Sie jetzt anbieten. Was wir aber …

(Robert Heinemann CDU: Wir regieren doch erst seit 2001!)

Sie können ja gleich noch einmal in der zweiten Runde nach vorn kommen, wenn es Sie so bewegt.

Das Entscheidende für die CDU, das wir als Opposition kritisieren müssen, ist doch, dass Sie nichts für diejenigen tun, die bereits im System Schule sind. Das wäre als Konsequenz aus PISA 2000 und 2003 entscheidend.

(Beifall bei der SPD)