Protocol of the Session on November 9, 2005

(Zuruf von Dirk Kienscherf SPD – Glocke)

Herr Vorsitzender, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.

(Dirk Kienscherf SPD: Bloß nicht auf die Sache eingehen!)

Sie wollen keine Zwischenfrage zulassen?

Im Übrigen heißt der hinter Ihnen sitzende Vorsitzende in diesem Haus Präsident.

(Heiterkeit bei der SPD und der GAL)

Danke, Herr Präsident, für die Richtigstellung.

Mir ist an dieser Stelle wichtig, dass es eine fünfstündige Betreuung – teilweise mit Mittagessen – gibt. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Ansatzpunkt für die Drei- bis Sechsjährigen.

(Beifall bei der CDU)

In Stadtteilen mit sozialen Problemlagen ist dieses fünfstündige Angebot von besonderer Bedeutung. Nach Aussagen der Behörde für Soziales und Familie haben mehr als 60 Prozent dieses Angebot angenommen. Ich glaube, dass das in sozialen Brennpunkten von großer Bedeutung ist.

Aus meiner Sicht – das wurde mir bei meinen bisherigen Aktivitäten immer wieder gesagt – ist für die sozialen Brennpunkte ein ganz zentraler Punkt entscheidend: Wie kommen wir an die Informationen heran, dass Kinder bei der Ernährung mehr Unterstützung bedürfen? Das kann man durch Mitarbeiterinnen der Kindertagesbetreuungseinrichtungen und der Schulen erreichen. Ich glaube, da muss angesetzt werden, um an diese Informationen zu gelangen.

(Beifall bei der CDU)

Ein weiterer Baustein – den möchte ich an dieser Stelle nicht vergessen – ist die Art und Weise, wie wir mit dem

Thema Bildung im Rahmen der Vorschule beziehungsweise der Kita umgehen. Auch dort hat die Behörde für Soziales und Familie entsprechende Schwerpunkte gesetzt. Ich glaube, dass dies im Zusammenhang mit PISA ein ganz wichtiger Ansatzpunkt ist. Ich kann nur sagen, dass das der richtige Weg für die Kinder und Jugendlichen ist.

Herr Präsident, ich komme zum Ende.

Im Ergebnis bleibt daher für den Kita-Bereich festzuhalten:

Erstens: Es gibt wesentlich mehr betreute Kinder in Hamburg.

Zweitens: Wir haben den bundesweiten Rechtsanspruch umgesetzt. Das haben Sie auch nicht geschafft.

Drittens: Die Startchancen für Kinder durch Bildungsempfehlungen werden verbessert.

Insofern gehen wir den Weg weiter und sind der festen Überzeugung, dass das richtig ist. – Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Grund.

Meine Damen und Herren!

(Bernd Reinert CDU: So drücken Sie sich um das Problem Vorsitzender – Präsident!)

Frau Senatorin Schnieber-Jastram hat schon Recht, denn es wird im Zusammenhang von Kindern und Armut viel Geld ausgegeben. Das ist richtig. Immerhin ist es so, dass von 230 000 Kindern in dieser Stadt fast 50 000 von der einen oder anderen Art von Sozialhilfeleistungen abhängig sind. Das sind viele Kinder und das kostet viel Geld.

Obwohl wir einen beachtlichen Rang – nämlich den sechsten Platz –

(Karen Koop CDU: Vierter Platz eigentlich!)

in der Armutsstatistik im Bundesgebiet einnehmen und schlechter als Brandenburg und Thüringen dastehen, können wir trotzdem darauf nicht stolz sein, dass es so viele Familien in der Stadt gibt, die auf soziale Hilfeleistungen angewiesen sind.

Mich hat die Diskussion insoweit nachdenklich gestimmt, als wir nun wirklich wissen, dass Armut kein Problem ist, das von heute auf morgen vom Himmel fällt. Welche Ursachen gibt es für die Armut? Ich will es noch einmal sagen.

Es geht um niedrigste Einkommen, um Krankheit, Unfälle und um fremde Herkunft, also Migration. Es geht um Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung und es geht vor allem natürlich auch um Bildungsdefizite. Das sind die wesentlichen Ursachen. Das wird uns jedenfalls von den Menschen gesagt, die sich ernsthaft mit dem Thema Entwicklung von Armut in Hamburg auseinandersetzen.

Wir Sozialpolitiker kritisieren, dass sich dieser Senat seit Jahren beharrlich weigert, sich mit den Ursachen und Entwicklungen von Armut in dieser Stadt auseinander zu setzen, weil es ihm unangenehm ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Petra Brinkmann SPD: So ist es!)

Das kritisieren wir.

Ich will auch nicht den Eindruck erwecken – das wäre auch ziemlich lächerlich –, dass das Armutsproblem das Problem des Senats sei; das ist Unsinn.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Da sind Sie der ers- te Redner der Opposition! Vielen Dank!)

Meine Damen und Herren! Es ist doch bekannt, dass Armut auch in dieser Stadt über Generationen hinweg vererbt wird, dass Großväter die Armut an ihre Kinder und diese wiederum an die Enkelkinder der Großväter weitergeben. Wir erleben, dass aus diesem endlosen Kreis von Armut eine Befreiung kaum möglich ist. Das aber wäre die vornehmste Aufgabe von Politik, dass wir diesen elenden geschlossenen Kreis von Armut durchbrechen und denjenigen, die definitiv keine Verantwortung für ihre Armut haben, nämlich den Kindern, die Chance zum Ausstieg aus diesem Teufelskreis ermöglichen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Nun können wir gemeinsam darüber streiten, welcher Weg richtig ist. Wir haben dazu möglicherweise unterschiedliche Konzepte. Aber ich will Ihnen ganz deutlich sagen:

Ich bin der Auffassung, dass der, der die Vorschule teuer macht, der es für sozial schwache, arme und benachteiligte Familien schwieriger macht, ihre Kinder in Kindergärten unterzubringen – Zwischenbemerkung: 30 Prozent der Ganztagsbetreuungsplätze für die Kinder in den Kindertagesstätten auf der Veddel wurden gerade gestrichen –, der eine solche Politik macht und dafür sorgt, dass die Schulbücher Geld kosten und sagt, wer studieren will, müsse künftig Gebühren bezahlen,

(Robert Heinemann CDU: Und wer bezahlt die Schulbücher für die Armen?)

an die Eltern ein Signal gibt, das heißt: Sie werden es nicht raffen, selbst wenn man Angebote macht und dies alles unterstützen will. Es sollen Unterstützungen und Freistellungen gegeben werden, aber am Ende wird das von den Eltern als Problemberg gesehen, vor dem sie kapitulieren.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Die SPD-Fraktion hat am vergangenen Montag in Kirchdorf eine Gesamtschule besucht. Dort hatte ich ein besonderes Erlebnis. Der Leiter der Gesamtschule hat berichtet, dass diese Schule 1100 Kinder habe. Es seien circa 900 Familien quasi mit ihren Kindern in dieser Gesamtschule vertreten. Wenn die Gesamtschule die Eltern einlädt, dann kommen 25 von 900.

Hier stellt sich die Frage: Wie kann es uns gemeinsam gelingen, nicht nur Ansprüche an die Schule zu stellen und zu sagen, die Probleme der mangelnde Erziehung in den Familien zu ersetzen, sondern sie auch in die Lage versetzen, diese Probleme zu lösen?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Gegenwärtig haben wir es gemeinsam nicht geschafft.

Ich möchte Sie – uns alle – gern einladen, an diesem Problem gemeinsam zu arbeiten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)