Protocol of the Session on June 8, 2005

Na, Herr Ahlhaus, was ist denn jetzt aus dieser Einlassung vom letzten Jahr geworden? Da sind Sie wohl von der Wirklichkeit eingeholt worden.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Blömeke und Jens Kerstan, beide GAL)

Und da ich es nicht besser formulieren kann, erlaube ich mir, hierzu aus einem "Welt"-Leserbrief Ihres schlechten Gewissens in Sachen Innerer Sicherheit – die Rede ist von Ihrem Neu-Parteigänger und ehemaligen Innensenator und ehemaligen Chef, Herr Nagel, nämlich dem Senator a. D. Dirk Nockemann – zu zitieren, der nämlich in der "Welt" am 7. April 2005 zum Rückzieher in Sachen Telefonüberwachung zu sagen hatte:

"Nun kommt der Rückzieher mit der Begründung auf ein laufendes Verfahren vor dem Verfassungsgericht. Dieses Verfahren aber war aber den Experten der Innenbehörde seit Monaten bekannt. Hielten sie es in Bezug auf den Gesetzentwurf für ein Hindernis, wäre es grob fahrlässig gewesen, den Entwurf mit dieser Regelung in die Abstimmung zu geben. War die Abwägung hingegen zugunsten der nun gestoppten Regelung ausgefallen, wäre der Rückzieher peinlicher Dilletantismus."

Dem ist ausnahmsweise, selbst angesichts Herrn Nockemanns, nichts hinzuzufügen.

Für uns war immer klar, dass wir in die Telekommunikation eingreifen können, wenn es um die Abwehr von Lebensgefahr geht, aber zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung nicht. Deshalb legen Sie hier und heute Ihre übersteigerten Überwachungsphantasien ad acta und beerdigen Sie diesen Punkt. Nehmen sie endgültig davon Abstand, was die Telefonüberwachung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung angeht.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Christoph Ahlhaus CDU: Sie haben das immer noch nicht verstanden!)

Das wird Ihnen das Verfassungsgericht ja noch einmal schwarz auf weiß geben und dann werden Sie endgültig zur Einsicht kommen.

Zur Frage der Videoüberwachung: Darüber haben wir auch intensiv gestritten und diskutiert, da nämlich Ihr Gesetzentwurf die Videoüberwachung faktisch der ganzen Stadt erlaubt, denn an jedem Ort in der Stadt werden mindestens zwei Straftaten begangen und das ist Ihr gesetzlicher Maßstab. Das ist quasi an jeder Straßenkreuzung der Fall. Dies haben wir und der Datenschutzbeauftragte Ihnen nachweisen können. Die Kollegin Spethmann hatte dann noch gesagt, na, mal gucken, ob wir da noch eine Präzisierung vorlegen. Wo ist denn diese Präzisierung? Es ist weiterhin das an dieser Stelle uferlose Gesetz. Das verstehe ich deshalb nicht, weil wir uns ja im Prinzip darüber einig sind, dass wir an wenigen, ausgewählten Kriminalitätsbrennpunkten im Rahmen eines Gesamtkonzeptes die Videoüberwachung wollen. Aber warum schreiben Sie das nicht in das Gesetz, sondern erlauben faktisch big brother in der ganzen Stadt? Das geht eindeutig zu weit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Christoph Ahlhaus CDU: Sagen Sie doch, dass Sie nicht mehr Sicherheit in der Stadt wollen!)

Ein weiteres Stichwort: der finale Rettungsschuss. Es ist sicherlich gut, dass wir als SPD und CDU, von einigen Formulierungsdetails abgesehen, einig sind, dass wir dieses unter strikten Voraussetzungen regeln wollen und müssen. Das ist natürlich der schwerste Eingriff überhaupt, den man sich vorstellen kann, den wir heute hier in der Bürgerschaft mit beschließen. Dazu eine Anmerkung an die GAL-Fraktion: Wir finden es sehr schade, dass sich die GAL von den rechtstaatlichen Argumenten, die alle dafür sprechen, dieses auch wirklich im Gesetz zu regeln, nicht hat überzeugen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Die Frage ist, ob Sie jetzt gleich noch weiterklatschen, denn jetzt geht es um die Frage, wie der Innensenator dazu steht.

Wir haben im Innenausschuss sehr intensiv über die Frage gesprochen. Da haben Sie, Herr Nagel, leider offenbart, dass Sie da Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht richtig kennen. Uns war immer klar – und das steht an dieser Stelle in der Gesetzesbegründung –, dass es nur funktioniert, wenn der Polizist in Ausübung seiner Gewissensentscheidung der Letztentscheidende in der Frage des finalen Rettungsschusses ist. An dieser Stelle, Herr Nagel, haben Sie für reichlich Verwirrung gesorgt. Auch Ihre Relativierung danach hat wenig überzeugt. Deshalb möchte ich für die SPD-Fraktion die deutliche Mahnung aussprechen: Wir erwarten von Ihnen, Herr Nagel, dass Sie sich an die gesetzliche Wertung zu der Gewissensentscheidung des Polizisten halten. Eine polizeiliche Befehlskette in diesen Fällen, wo es um Leben oder Tod geht, verbietet sich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Stichworte Unterbindungsgewahrsam und Aufenthaltsverbot: Beide Instrumente sind richtig und wichtig – wir haben sie auch in unseren beiden Entwürfen drin –, aber bitte in der richtigen Dosierung. Warum müssen wir denn da ohne einen realen Bezug in Grenzbereiche vordringen? Sie haben Polizeihaft von 14 Tagen vorgeschlagen, ohne wirklich Fälle benennen zu können, wo das tatsäch

lich notwendig sei. Das war der Senat in einer Anfrage nicht in der Lage darzulegen. Dann ist da noch der interessante Punkt, dass der Senat selbst in seinem ursprünglichen Entwurf zehn Tage vorgeschlagen hatte.

Der weitere Punkt: das Aufenthaltsverbot. Ein Jahr wird von Ihnen vorgeschlagen, während die Behörde selbst sechs Monate vorgeschlagen hat. Diese Vorschriften zeigen eindeutig, dass bei Ihnen zum Schluss nur noch die Hardliner die Feder geführt haben. Die Liberalität in dieser Stadt ist an dieser Stelle auf der Strecke geblieben.

Nicht alle Punkte kann und will ich ansprechen, aber diese Details mussten genannt werden. Positiv kann man sagen – das hat der Kollege Ahlhaus auch ausgeführt –, dass dies sicherlich eines der am intensivsten beratenen Gesetze ist, die wir in dieser Legislatur bewegen werden. Das ist sicherlich auch ein positiver Punkt für das Parlament. Negativ ist allerdings zu bemerken, dass die Bereitschaft zum Konsens fehlte. Dazu gucke ich noch einmal den Kollegen Warnholz an: Sie hatten vor der Bürgerschaftswahl vorgeschlagen zu sagen, das sei ein Thema, das so wichtig ist, das alle Bürgerinnen und Bürger und die Polizei betrifft, dass es hier im Konsens verabredet werden soll. Leider war dann später im Innenausschuss von dieser breiten Bereitschaft zum Konsens nichts mehr zu sehen.

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Ihre Argumente waren nicht überzeugend!)

Es wäre wichtig gewesen, bei solch einer sensiblen Materie einen überparteilichen Konsens herbeizuführen. Das hätte dem Gesetz auch sehr gut angestanden. Wenn jetzt doch bei Ihrer Einlassung und dem, was Sie hier gesagt haben, die Einseitigkeit im Vordergrund steht, kann man sich ja noch einmal den Punkt Gewaltschutzinitiative angucken. Auch da haben wir einen Vorschlag gemacht. Dazu hatten Sie dann auch nichts weiter zu sagen. Das haben Sie ohne stichhaltige Begründung abgelehnt.

(Zuruf von Viviane Spethmann CDU)

Dazu können Sie ja gleich noch einmal etwas sagen, Frau Spethmann.

Da war für uns jedenfalls klar, dass Opferschutz und Gewaltschutz – das ist ja bei Ihnen nichts Neues – leider bei diesem Senat nur in Sonntagsreden vorkommt.

Zum Abschluss noch zu unserem sozialdemokratischen Alternativentwurf. Er liegt ja in aktualisierter Fassung hier vor. Er markiert ganz deutlich – und das kann man auf jeder der 26 Seiten ablesen – den Kurswechsel der SPD bei der Inneren Sicherheit.

(Viviane Spethmann CDU: Alles halbherzig!)

Das ist nicht halbherzig, sondern er untermauert das an bestimmten Punkten. Sie können es ja einmal mit Positionierungen vergleichen, die von der SPD in früheren Jahren vorgenommen worden sind. Da werden Sie sehen, hier hat der Kurswechsel in der Inneren Sicherheit stattgefunden. Deshalb sind wir als SPD-Fraktion stolz, dass wir diesen Entwurf eingebracht haben.

(Beifall bei der SPD)

Denn unser Entwurf – und das leistet Ihr Entwurf nämlich nicht – verbindet Freiheit und Sicherheit. Er sorgt dafür, dass die Bedürfnisse der Polizei und der Bürger auch mit der Liberalität unserer Stadt in Einklang gebracht werden.

Diesen vernünftigen Ausgleich haben Sie nicht hingekriegt. Ihnen ging es nur darum, den CDU-internen Wettlauf um das schärfste Polizeigesetz zu gewinnen. Das kann nicht der Maßstab sein.

Herr Nagel, ein Punkt noch zum Schluss: Wie sagten Sie so schön verräterisch am 11. November 2004, als wir hier auch schon einmal über das Polizeigesetz diskutiert haben, auf den Zuruf meines Kollegen Neumann:

"Natürlich knackig, anders machen wir es nicht".

Wirklich seriöse, ausgewogene Innenpolitik sieht anders aus. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Möller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Ahlhaus, es ist jedes Mal wieder interessant, auf welche Art und Weise hier von der CDU die sicherheitspolitische Debatte geführt wird. Sie lassen sich überhaupt nicht auf das Thema ein, weder mit fachlichen Argumenten, noch treten Sie in die Auseinandersetzung mit den Argumenten, die von der SPD oder auch von uns vorgetragen werden. Sie sagen, die GAL habe ein ideologisches Problem oder, wechselweise, keine Ahnung vom Thema. Sie sagen, die SPD habe bei dem, was gut war, abgeschrieben, bei den anderen Sachen nicht. Aber auf das, was eigentlich unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist, als Parlament, nämlich hier im Rahmen unserer Arbeit die Abwägungen vorzunehmen zwischen den – um es abstrakt zu sagen – Rechtsgütern, die geschützt, und denen, die eingeschränkt werden müssen, gehen Sie nicht ein. Das zeichnet Ihre Politik aus. Das ist auch das Fatale an Ihrer Politik.

(Beifall bei der GAL und bei Dr. Andreas Dressel SPD)

Wir als Parlament dürfen uns eben genau nicht darauf verlassen, dass die Exekutive, in diesem Fall also die Polizei, im Rahmen weit gefasster Gesetze diese Abwägung vornimmt. Das ist unsere ureigene Aufgabe.

(Christoph Ahlhaus CDU: Sie haben Angst vor der Polizei!)

Ich habe keine Angst vor unserer Polizei, Herr Ahlhaus, ich habe hier die Aufgabe und die Pflicht als Parlamentarierin, die Abwägung vorzunehmen, und das verweigern Sie doch.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Es ist so lächerlich, dass Sie nie Kurve weg davon kriegen, zu sagen, die GAL habe im Prinzip Angst vor der Polizei und traue ihr auch nichts zu, während wir schon längst über politische Verantwortung reden und auch über politische Willkür. Da habe ich allerdings ganz große Sorgen. Die Möglichkeit, durch politische Willkür und politische Vorgaben die sachlichen Notwendigkeiten, die sich aufgrund der Entwicklung von Straftaten hier in Hamburg tatsächlich für Änderungen des Gesetzes ergeben könnten, lassen sie nämlich weg. Der politischen Willkür öffnen Sie Tür und Tor mit diesem Gesetz. Das ist das Problem.

(Beifall bei der GAL)

Sie sagen, Zitat von eben,

"der Schutz der Daten des Straftäters"

sei uns, so werfen Sie es uns vor,

"mehr wert … als die Sicherheit unserer Bürger".

Nach diesem Gesetz sind wir erst einmal grundsätzlich alle verdächtig. Sie haben völlig die Balance von persönlicher Freiheit und öffentlicher Sicherheit nach rechts gekippt. Sie haben ohne jeden Beleg für sachliche und fachliche – aus polizeilicher Sicht, wohlgemerkt – Notwendigkeit von Gesetzesverschärfung hier eine Gesetzesnovellierung in Gang gesetzt, in einem langen Verfahren, und dann an genau derselben Stelle enden lassen, an der wir sie angefangen haben, nämlich an der Verweigerung der Auseinandersetzung über die Abwägung der Rechtsgüter. Das ist das Problem. Sie sind keinen Schritt weiter gegangen. Der größte Teil der Daten – das muss man sich immer wieder deutlich machen –, die die Polizei erfasst und erfassen wird, betreffen völlig unbeteiligte Personen. Das Argument ist eben hierbei nicht, wer nichts zur verbergen habe, mache das doch auch alles nichts aus, sondern das rechtsstaatliche Argument ist ein ganz anderes: Es geht den Staat und in diesem Fall die Polizei nichts an, wo ich wann bin und warum schon gar nicht. Das sind die Grundlagen unseres Rechtsstaates, die Sie völlig verdrehen, wenn Sie mit dem Argument der Gefahrenabwehr oder mit diesem ominösen Datum "11. September 2001" das Vorgehen gegen Jedermann als grundsätzliches Recht auch noch durch dieses Parlament bestätigt sehen wollen.

(Beifall bei der GAL)