Protocol of the Session on November 24, 2004

(Unruhe im Hause – Glocke)

Frau Dr. Hilgers, Entschuldigung, aber ich habe das eben ernst gemeint mit der Auflösung der Diskutierclubs. Vielleicht wäre es ganz sinnvoll, wenn wir bei dem wichtigen Thema alle zuhören würden. Frau Dr. Hilgers, Sie haben das Wort.

Die Sozialsenatorin teilte uns am Donnerstag in einer Pressekonferenz mit, wie viel oder besser gesagt, wie wenig Geld ihr die Kindertagesbetreuung in den nächsten beiden Jahren wert ist. Obwohl mehr Kinder länger betreut werden sollen, neue Ansprüche verwirklicht werden sollen, soll der KitaEtat, sollen die Standards der Kinderbetreuung massiv gesenkt werden. Wie soll das funktionieren, Herr Peiner, Frau Schnieber-Jastram, wenn – wie wir heute gehört haben – die Stadt wachsen soll, wenn Neubürgerinnen und Neubürger den Länderfinanzausgleich stützen sollen? Das geht nicht zusammen.

Der Bericht des Familienausschusses aus der heute vorliegenden Drucksache 18/1197 dokumentiert die unabweisbaren Folgen der CDU-Politik für die Kinderbetreuung. Das ist ausreichend belegt. Sie könnten daraus dazulernen. Das tun Sie aber nicht. Es beginnt parlamentarisch mit intensiven Beratungen zum Lenkungsgruppenbericht, geht weiter mit Expertenanhörungen zur Lage in den Kitas und zum Einführungsgesetz und umfasst auch die dazugehörige Senatsanhörung. Allein die dazugehörigen Wortprotokolle umfassen 200 Seiten, die schriftlichen Stellungnahmen, die uns zugegangen sind, noch einmal 200 Seiten, an Gutachten gibt es dazu vier, summa summarum über 500 Seiten.

Es gab aber auch zwei große Demonstrationen. Es gab Petitionen, es gibt neue, vielfältige Elterninitiativen und es gibt große Sorgen in der Stadt. Aber was schert Sie das? Sie selber informieren uns und die interessierte Öffentlichkeit nicht. Das Gutachten von Professor Bernzen, das die Rechtmäßigkeit Ihres Einführungsgesetzes zum Kinderbetreuungsgesetz infrage stellt, geht uns drei Wochen nach Verabschiedung dieses Gesetzes zu. Sie sprechen davon, dass Hamburg überhöhte Standards in der Kindertagesbetreuung habe, liefern aber keine Basisdaten, anhand derer Ihre Vergleiche objektiv bewertet werden könnten.

Heute geben Sie uns Ihre ersten Bundesvergleichserhebungsversuche, die nach erster Übersicht keineswegs irgend etwas doll Überhöhtes in Hamburg nachweisen. Sie, Herr Meister – Frau Senatorin redet ja nicht gern, auch nicht im Ausschuss –

(Michael Neumann SPD: Sprachlos!)

weichen wiederholt vorgebrachten konkreten Fragen im Ausschuss durch halbstündige Philosophiererei aus – nachzulesen –, Sie mauern. Genug Text, genug Wissen, genug Erfahrungsberichte, genug Protest. Da sollte man annehmen, dass die Behörde schlauer wird. Wird sie aber nicht. Das hat sie uns letzte Woche Donnerstag mit ihrer eilig einberufenen Pressekonferenz bewiesen, denn diese Behörde setzt die mit diesem Bericht gut dokumentierten Grundfehler aus dem Jahre 2003 fort. Einstieg in

das Gutscheinsystem ohne ausreichende Finanzierung zusätzlicher Plätze ab Donnerstag – wie wir nun wissen – zu verschärften Bedingungen für das Jahr 2005. Klar wird, dass diese Behörde, dieser Senat, der teilzeitanwesende Bürgermeister, dem Kita-Kompromiss zugestimmt und gleichzeitig in derselben Minute nach einer Möglichkeit gesucht haben, ihn zu umgehen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Herr Meister – meistens redet ja sonst keiner in der Ausschusssitzung – tönt in der Senatsanhörung im Ausschuss: Hätten wir das gewusst, wie viel das alles kostet, hätten wir dem Kompromiss nicht zugestimmt. Ich kann nur festhalten, dass Sie es gewusst und in diesem Wissen zugestimmt haben. Sie haben deshalb das Einführungsgesetz zum Kinderbetreuungsgesetz gemacht, weil Sie dieses Kinderbetreuungsgesetz von Anfang an nicht umsetzen wollten und das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Michael Neumann SPD: Unglaublich!)

Sie haben seit Einführung des Gutscheinsystems im Jahre 2003 billigend in Kauf genommen – auch das können Sie nachlesen –, dass Kita-Plätze aus schlechter gestellten in besser gestellte Stadtteile verlagert wurden. Sie haben sich die Einführung dieses Gutscheinsystems im Jahre 2003 durch Betreuungsentzug bei denjenigen Kindern erkauft, die Betreuung aus sozialen, pädagogischen oder Sprachförderungs-Gesichtspunkten brauchen. Das war Absicht, wie in der Senatsanhörung deutlich wurde.

Genau wie Sie sich den Systemwechsel 2003 finanziert haben, wollen Sie jetzt auch ab Januar 2005 vorgehen. Der Einstieg in die Fünf-Stunden-Garantie, die Sicherung der Plätze für Berufstätige und die Notwendigkeit, mehr Kinder zu betreuen, soll durch massive Standardabsenkungen zulasten der Kinder und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finanziert werden. Sie starten mit Ihrem nicht ausreichenden Budget einen offenen Feldversuch für die Mitarbeiterinnen und Kinder ab Januar 2005. Sie haben mit dem Einführungsgesetz zum KiBeG und der Pressekonferenz von Donnerstag die jahrzehntelang geübte Verhandlungskultur zwischen öffentlichen und Freien Trägern der Jugendhilfe in Hamburg verlassen. Sie haben sowieso nicht mit allen Anbietern von Kinderbetreuung in Hamburg gesprochen, sondern einzig mit der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände, die Ihnen im Übrigen ein sehr weites Entgegenkommen gezeigt hat. Was ist das überhaupt für ein Stil, Frau Senatorin, aus laufenden Verhandlungen heraus zu verordnen und dann auch noch in der Pressekonferenz zu sagen, wenn es in weiteren Verhandlungen – fraglich, ob es die gibt – zu einem höheren Etat kommt, dann soll der aber bitte aus höheren Elternbeiträgen gezahlt werden. Ich wette hier und heute mit Ihnen, dass Sie noch im nächsten Jahr die Elternbeiträge erhöhen werden. Sie versuchen das jetzt schon.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ihre Schuld, Ihre fehlende Bereitschaft, Prioritäten beim Thema Kita zu setzen, auf diejenigen abzuwälzen, die diese Leistungen für die Stadt erbringen, ist billig und erpresserisch. Gleichzeitig verantworten Sie jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen über Ihren rechtlich bedenklichen Verordnungskurs.

Sie nehmen weiter billigend in Kauf, dass die Hamburger Anbieter von Kindertagesbetreuung jetzt schon aus Tarifverträgen aussteigen und gegebenenfalls sogar Einrichtungen schließen müssen. Ihr so genanntes Angebot von 321 Millionen Euro, gepaart mit einer tiefgreifenden Standardabsenkung, führt zu einem Verlust von wahrscheinlich über 1000 pädagogischen Kräften im Kindertagesbereich. Die Städtische Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten kommt in eine Notlage. Die Qualität, die Vielfalt und auch die Quantität des Hamburger Angebots sind bei allen Anbietern in Gefahr. Damit treiben Sie dann auch noch die bessergestellten Eltern aus der Kinderbetreuung heraus. Vielleicht wollen Sie das. Dann sparen Sie noch mehr. Sie leugnen die Aufgaben, die für eine moderne Kinderbetreuung in der Metropole Hamburg notwendig sind. Bei den Hochhäusern will sich der Senat gerne mit Chikago messen, bei der Kindertagesbetreuung ist es eher die gemütliche Kleinstadt Norderstedt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Sie, werte CDU-Fraktion, nur in Teilen vorhanden, werden in den nächsten zwei Jahren noch oft an diesen Herbst des ersten Doppelhaushaltes denken. Wären Sie jetzt mutiger, könnten Sie sich und den Familien der Stadt viel Ärger und Verdruss ersparen. Aber wer zu spät kommt, den bestrafen die Eltern dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Weinberg.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Maier, Sie hatten vorhin gefragt, warum wir eigentlich das Thema Länderfinanzausgleich und wegbrechende Steuerausgaben beziehungsweise Mehrausgaben für Hamburg anmelden. Genau deshalb, weil es jetzt das Thema Kita gibt und das zusammengehört für diese Stadt.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ach, jetzt verstehe ich das! – Zuruf von Petra Brinkmann SPD)

Die Finanzierung und die finanziellen Voraussetzungen gehören mit dem zusammen, was finanzierbar ist. Frau Brinkmann, deswegen haben wir das Thema angemeldet.

(Beifall bei der CDU)

Damit es auch deutlich wird, dass derjenige, der etwas fordert und der die Musik bestellt, auch dafür zu zahlen hat. Ich möchte auf einige Punkte von Frau Dr. Hilgers eingehen.

Frau Dr. Hilgers, Sie haben mich vollkommen an Ihrer Seite, wenn es darum geht, mehr Geld, wenn es denn vorhanden wäre – das ist für mich die Klammer, die bei Ihnen vielleicht noch nicht so ist –, auszugeben. Aber ich möchte diese Zahlen und die Formulierung, wir würden im Kita-Bereich massiv einsparen, etwas relativieren. Wie waren denn die Zahlen vorher, 2003 und die Jahre davor. Da lag der Haushaltsansatz bei rund 300 Millionen Euro. Man muss eines sagen: Auch im bundesdeutschen Vergleich waren sie für die Einzelbetreuung des Kindes sehr, sehr hoch, aber es hat in der Konsequenz dazu geführt, dass wir eine sehr gute Kindertagesbetreuung in Hamburg haben und hatten.

Dann gab es die Einführung des Kita-Gutscheinsystems mit all den Besonderheiten, die wir hier monatelang dis

kutiert haben und es gab die Nachforderung von 40 Millionen Euro in diesem Bereich. Der Haushaltsansatz von 2003 über 40 Millionen Euro ist ja zunächst einmal nicht massiv verändert worden. Wenn man in den Haushalt für das Jahr 2005 hineinguckt, stehen da, glaube ich, 289 Millionen Euro. Da stimme ich mit Ihnen überein, dass das natürlich für die Kindertagesbetreuung, insbesondere im Hinblick auf die neuen Aufgaben, zu wenig ist. Aber das Ergebnis von jetzt 321 Millionen Euro ist, wenn ich richtig rechne, ungefähr 30 Millionen Euro mehr als im Haushaltsansatz enthalten sind. Das heißt, 321 Millionen Euro, wenn Sie es genau berechnen, ist eine Steigerung, selbst, wenn Sie die Kinder, die mehr zu versorgen sind abrechnen, von rund 5 Prozent im Vergleich zum Jahre 2003/2002. Das ist so. Das kann man rechnerisch nachweisen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das ist Zahlenspielerei, Herr Weinberg! Dazwischen ist was passiert!)

Nein, das sind 5 Prozent. Diese Stadt muss diese 32 Millionen Euro mehr aufbringen und 21 Millionen Euro mehr als 2003. Dazwischen ist gar nichts, sondern das ist eine Summe, die feststeht. Rechnerisch sind das 5 Prozent mehr. Dass das Kita-Gutscheinsystem ein besonderer systemischer Ansatz ist, der auch mehr Geld verlangt, ist auch klar. Aber die Frage ist, ob es bei der Finanzierung der Kindertagesbetreuung durchaus vertretbar ist, dieses anzunehmen und da komme ich zu Ihrem zweiten Ansatz.

Sie haben gesagt, dass das dazu führen würde, dass die Standards im Kindertagesbereich – Zitat – "massiv gesenkt werden". Ja, die Standards verändern sich.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Massiv!)

Zum Beispiel die Krippengröße von 12 auf 13 Kinder, im Elementarbereich von 20 auf 22 Kinder. Diese Frage muss man sich stellen. Ist im Hinblick darauf, dass wir ab dem 1. Januar 2005 für alle Berufstätigen eine Kindertagesbetreuung und die von allen geforderte fünfte Stunde auf die Beine stellen, möglicherweise eine Veränderung der Standards von 12 auf 13 beziehungsweise von 20 auf 22 oder 20 auf 24 im Hortbereich vertretbar?

(Doris Mandel SPD: Auf 27!)

Da kann ich nur Wissenschaftler zitieren, die gerade im Hinblick auf die Frequenzen im Schulbereich gesagt haben, dass ein minimaler Anstieg durchaus vertretbar sei. Das hat der Professor gesagt, der damals die Geschichte bei den Kitas vorgestellt hat. Ich glaube, dass es sicherlich wünschenswert wäre, dass man diese Standards längerfristig bis 2008 – und das bleibt auch nach wie vor Ziel der CDU-Fraktion – verändert und positiv gestaltet.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Vertrösterei!)

Nur, dieses große Ziel ab 1. Januar 2005 zu "gefährden", das werden wir nicht mitmachen. Wenn ich einmal darauf verweisen darf, weil Sie gerade von den großen Demonstrationen und Elterninitiativen gesprochen haben:

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja!)

Ich würde es mir nie erlauben, Elterninitiativen in irgendeiner Weise zu kritisieren. Aber wenn ich mir dieses Plakat angucke – das kennen Sie sicherlich auch –,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja!)

dann kann man über die Kreativität ja streiten, aber dieses Plakat und so etwas zu machen, halte ich für höchst unseriös. Schauen Sie sich dieses Bild bitte einmal genau an.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es ist diffamierend, und zwar nicht für die CDUFraktion, sondern für die Erzieherinnen und Erzieher in dieser Stadt, die die Kindertagesbetreuung auf die Beine stellen. Dann frage ich auch ganz ehrlich: Welche Eltern waren denn das und welche Elterninitiativen sind denn das? Noch einmal: Wir bekommen ab 1. Januar 2005 mehr Kinder ins System, nämlich 1500 Kinder. Das sind die Kinder von Berufstätigen, eine alte Forderung, nicht nur der CDU-Fraktion.

(Zuruf von Dr. Andrea Hilgers SPD)

Frau Dr. Hilgers, Sie können sich gleich zu Wort melden, dann können Sie hier alles noch einmal vertreten.

Wenn Sie von der SPD sagen, es wäre nicht gerecht, dass man das jetzt in Richtung der Starken verschiebt – so haben Sie es formuliert – und dass die Schwachen darunter leiden müssten, dann kann ich nur sagen, dass das das Ergebnis des Kompromisses ist.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Nein! Das ist falsch! Das stimmt nicht!)

Der Bürgermeister hat diesen Kompromiss nicht umgangen. Sie haben sich bei der Frage der Finanzierung von vornherein verweigert, sich daran zu beteiligen. Dann können Sie uns jetzt nicht vorwerfen, dass wir diesen Kompromiss möglicherweise mit den Gruppen in dieser Stadt auf die Reihe bringen.