Protocol of the Session on January 28, 2004

Das Wort bekommt die Abgeordnete Brinkmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wenn es schon sehr spät ist und wir uns kaum noch konzentrieren können, ist das kein Grund, dieses Thema in die Lächerlichkeit zu ziehen. Dieses Thema ist eigentlich viel zu ernst, als dass wir damit hier so umgehen können.

(Beifall bei der SPD, der GAL, bei Richard Braak Ronald-Schill-Fraktion und bei Rolf Gerhard Rutter Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Aber durch Ihre Ausführungen, Herr Braak, ist es leider so gekommen.

Dieser Antrag ist wieder von dem Misstrauen gegenüber den Sozialhilfebeziehenden geprägt. Anstatt Hilfe anzubieten, die die Menschen aus der Sozialhilfe herausbringt, wird auch bei diesem Antrag nur darüber nachgedacht, wie die Leistungen gekürzt werden können. Aber das ist nicht verwunderlich, da sich die Ronald-SchillFraktion wohl noch zu der Regierungskoalition zählt und diese den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern in den letzten zwei Jahren nur Misstrauen statt Hilfe entgegengebracht hat.

Sieht man sich die einzelnen Punkte des Antrags der Ronald-Schill-Fraktion an, so kann man die geballte Ahnungslosigkeit dieser Fraktion feststellen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

In aller Sachlichkeit: Sie wollen in Ihrem Antrag über 120 000 Sozialhilfeempfänger in einer zentralen Kartei erfassen? Die Sozialhilfebeziehenden werden seit langem in allen sieben Bezirken durch das PROSAVerfahren erfasst. Die Bezirke sind auch für die Gewährung der Leistungen zuständig. Warum wollen Sie hier Zentralismus und Bürokratie schaffen? Und wie kommen Sie überhaupt auf die Zahl von über 120 000? Wollen Sie alle Kinder, alle chronisch Kranken, alle Pflegeheimbewohner, alle Rentner jetzt in Arbeit bringen?

(Michael Fuchs CDU: Nee, das müssen die in Ber- lin machen!)

Selbst die Behörde für Soziales und Familie schätzt die Zahl der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger nur auf etwa 30 000. Sie wollen Vermerke über die Leistungsfähigkeit der Einzelnen anfertigen. Über die, die vermittelt werden können, sind berufliche Qualifikationen bekannt. Aber dieser Senat ist noch nicht einmal in der Lage, alle ihm bekannten arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen zu beschäftigen. Das „Ein-EuroProgramm“ ist viel zu klein ausgelegt. Bei einer Abbruchquote von 60 Prozent weiß der Senat nicht einmal, was die Leute hinterher machen und wo sie geblieben sind. Wenn der Senat wenigstens die Erfassten in Arbeit bringen würde, wäre schon einiges erreicht.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: So wie das bei Ihnen war!)

Ja, wir hatten größere Erfolge, wenn Sie sich mal die Statistik ansehen würden. Dieser Senat wollte die Bezirke stärken, passiert ist genau das Gegenteil. Wie aus meiner Kleinen Anfrage letzte Woche eindeutig hervorgeht, ist die Zahl der Sachbearbeiter der Grundsicherungs- und Sozialämter von gut 822 im Juni 2000 auf 794 im Dezember 2003 gesunken. Gleichzeitig ist aber die Zahl der Sozialhilfeempfänger angestiegen. Und das ganz deutlich. Weniger Sachbearbeiter haben mehr Sozialhilfebeziehende zu betreuen und schaffen es daher nicht mehr, sich um Einzelne zu kümmern und sie in Arbeit zu vermitteln.

Die Sozialsenatorin ist zur Entwicklung dieser Vermittlungszahlen nicht einmal auskunftsfähig und sie weiß genau, warum das so besser ist. Aus meiner Kleinen Anfrage geht auch deutlich hervor, dass sich der Senat mit dem letzten Antrag der Regierungsfraktionen, nämlich die „Institutionalisierung eines Bedarfprüfdienstes in den Bezirken zur ständigen Überprüfung der rechtmäßigen

Gewährung von Sozialhilfe“ überhaupt noch nicht befasst hat. Bevor hier immer neue Anträge gestellt werden, sollten die Regierungsfraktionen erst einmal abwarten, dass der Senat ihre letzten Anträge abarbeitet.

Mein Fazit: Dieser Antrag ist bürokratisch, teuer, unsinnig und zentralistisch. Dieser Antrag ist genau, wie Schill selbst, überflüssig.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Verena Lappe GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Rutter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vom Grundsatz her sind wir durchaus der Meinung, dass jeder, der eine Leistung erhält, auch bereit sein muss, für diese Leistung etwas zu tun. Wir sind nicht der Meinung, dass wir einfach sagen müssen, man muss Ansprüche nur anmelden und begründen. Ansprüche muss man auch erwerben. Dass es natürlich Leute gibt, die das nicht können, und dass denen geholfen werden muss, darüber gibt es auch bei uns gar keinen Zweifel. Aber vom Grundsatz her sind wir erst einmal der Meinung, dass wir eine Leistung fordern sollen, wenn die Leute Leistung von anderen nehmen wollen.

Es ist in der Vergangenheit viel Geld ausgegeben worden und ich bin sicher, dass es nicht immer in die richtigen Kanäle gegangen ist. Ich bin auch sicher, dass wir die richtigen Maßnahmen inzwischen eingeleitet haben und dass diese richtigen Maßnahmen nach und nach greifen. Das ist ein etwas längerer Weg, aber der ist beschritten worden. Ich denke, dass die Ergebnisse schon jetzt sehr gut sichtbar sind. Ich beobachte das auch schon aus den Augenwinkeln, wo ich ehrenamtlich tätig bin.

Geld hat offenbar in der Vergangenheit nie eine Rolle gespielt. Der LBK zeigt das heute noch. Geld ist keine Frage, das haben wir ja.

Aber, Herr Braak, beim besten Willen, so kann man das doch nicht machen. Keine Leistung ohne Zuweisung an städtische Einrichtungen. Wenn mir jemand sagen kann, dass er gerade 120 000 Arbeitsstellen in der Tasche hat, dann soll er sich bei mir melden. Dann werden wir zusammen die Bundesanstalt für Arbeit aufsuchen und Herr Steil in Hamburg wird ganz glücklich sein, wenn er 120 000 Stellen gemeldet bekommt. Die Sachen müssen doch verwaltet werden, lieber Herr Braak. Und noch weiter, was für eine Verwaltung dafür notwendig ist, kann man sich doch vorstellen. Das Parkinson’sche Gesetz sagt ja, dass eine Verwaltung ab einer bestimmten Größe ausschließlich mit sich selbst ausgelastet ist. Genau das passiert bei der Gelegenheit. Darum sollten wir das vermeiden, bitte schön.

(Vereinzelter Beifall bei der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive – Dr. Willfried Maier GAL: Was macht die Sozialbehörde!)

Wir sollten vom Grundsatz her sagen: Natürlich erwarten wir auch Gegenleistung für das, was wir leisten, aber in dieser Form können wir uns wahrhaftig nicht dem Antrag anschließen, beim besten Willen nicht.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Dr. Freudenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Das ist der gruselige Kern des ersten und hoffentlich auch letzten Antrags, den die Ronald-Schill-Fraktion uns vorlegt. Herr Braak, Sie haben uns eben freundlicherweise etwas zur Entstehungsgeschichte dieses Antrags und auch zum Innenleben der Koalition erzählt. Danke, das war interessant.

(Dr. Michael Freytag CDU: Das stimmt aber nicht!)

In Hamburg leben über 120 000 Menschen, die von Sozialhilfe und Grundsicherung abhängig sind. Etwa ein Viertel, also etwa 30 000 Sozialhilfeempfänger- und -empfängerinnen, gelten als erwerbsfähig und auf diese sind das Programm und das Prinzip „Fördern und Fordern“ ausgerichtet. Dabei ist immer das Ziel, diese Menschen in den Ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln und ihnen eine Perspektive zu eröffnen. Darüber sind wir uns, die demokratischen, im Bundestag vertretenen Parteien einig,

(Petra Brinkmann SPD: Richtig!)

auch wenn es über die Ausgestaltung viele Diskussionen und Streit gibt. Aber das Prinzip ist richtig. Aber was jetzt mit diesem Antrag vorliegt, das steht wirklich weit außerhalb dieses Konsenses. Das ist hier sehr deutlich geworden.

(Beifall bei der GAL)

Entweder Sie haben keine Ahnung von den Zahlen oder Sie bringen alle Gruppen durcheinander. Das könnte man denken, aber das glaube ich nicht. Ich glaube, dieser Antrag ist Ausdruck Ihrer entsetzlichen Gesinnung. Das haben Sie eben deutlich gemacht.

(Uwe Grund SPD: Beides!)

Es ist vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen deutschen Sozialgeschichte unverantwortlich und unverständlich, dass Sie in diesem Parlament so daherreden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Schauen wir uns also diesen Antrag an, er ist lesenswert. Dort steht, dass Sie eine Zentralkartei einrichten wollen, die explizit alle 120 000 Hilfeempfänger erfassen und Vermerke über die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen enthalten soll. Dann fordern Sie, dass alle städtischen Einrichtungen ihren Bedarf an Hilfskräften melden sollen, vielleicht also auch das Amt für Straßenbau, wenn es irgendwelche großen Projekte gibt. Alle Hilfeempfänger sollen diesen Einrichtungen zugewiesen werden und Sie fordern, dass Auszahlungen nur noch vorgenommen werden, wenn von den Hilfeempfängern auch Tätigkeitsnachweise erbracht werden. Es soll also das Prinzip gelten: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Ich kann nicht verstehen, dass Sie hier so etwas fordern. Sie wissen alle, was im Dritten Reich mit den so genannten nutzlosen Essern, den Arbeitsscheuen, passiert ist.

Wir müssen uns noch einmal die Zahlen ansehen. Von den 120 000 Hilfeempfängern sind über 34 000 Kinder unter 15 Jahren und 6000 Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren. Wir sind der Meinung, Kinder und auch Jugendliche sollen in die Schule gehen und jetzt nicht auch noch für ihre Brötchen oder Brotkanten arbeiten.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Gleiche gilt für die 12 000 Grundsicherungsempfänger. Sie sind entweder über 65 Jahre alt oder aufgrund ihrer Behinderung nicht erwerbsfähig. Ich verstehe nicht, was Sie damit wollen.

Als nicht erwerbsfähig gelten bisher in unserem Konsens allein erziehende Mütter kleiner Kinder, chronisch Kranke und auch schwer Suchtkranke. Wollen Sie auch für diese Menschen einen Arbeitsdienst einführen? Das soll ja heilen, wenn man dann muss.

Dieser Antrag ist elendig. Sie haben das Bundessozialhilfegesetz nicht verstanden und es wird Zeit, dass Sie hier den Saal räumen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Schinnenburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich nur sehr kurz zu diesem Antrag reden, entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Parlamentarismus, auf die Substanz geht man auch mit der entsprechenden Redelänge ein.

Nun hat es aber doch Frau Brinkmann herausgefordert, einige Worte nicht zum Antrag oder nicht zu Herrn Braak zu sagen, sondern zu ihr.

Was Sie hier vorgeführt haben, ist wieder einmal der Versuch, die Täter zu entlasten. Ihre Bundesregierung ist Schuld, dass wir mehr Sozialhilfeempfänger haben. Sie haben eine schlechte Wirtschaftspolitik gemacht, mit der sich Hamburg herumärgern muss und worunter viele Menschen leiden.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der Ronald-Schill- Fraktion)

Sie haben es zu verantworten, dass in Hamburg – lange Zeit, ein bisschen immer noch – nicht genügend Effizienz bei der Sozialhilfe Raum greift.

Nun fängt die Sozialsenatorin an, das Stück für Stück zu ändern, und jedes Mal, wenn sie mit einem Einsparvorschlag kommt, kommt immer der Hammer mit der sozialen Kälte. Frau Brinkmann, Sie müssen wirklich still sein, der neue Senat, Frau Senatorin Schnieber-Jastram und die ehemalige Koalition haben hier erste Schritte gemacht. Aus meiner Sicht sind weitere notwendig. Sie haben das Übel maßgeblich mitverursacht und Sie sollten wenigstens still sein, wenn andere sich darum bemühen, das zu ändern. Das erst einmal zur Klärung.