Demokratie ist – jedenfalls nach dem Grundgesetz der Hamburgischen Verfassung und dem Staatsrechtsverständnis aller westlichen Demokratien –, wenn die Wahlen frei, geheim, gleich und direkt sind. Das sind die vier Kriterien. Die werden eingehalten. Der Streit geht in der Tat darum, wie ich diese demokratische Wahl organisiere, wobei wir alle wissen, dass in vielen und wahrscheinlich in den meisten Teilen der Welt diese vier Kriterien nicht eingehalten werden. Jedenfalls für Deutschland und Hamburg ist für mich klar: Seit mehr als 50 Jahren sind diese Kriterien nicht nur eingehalten worden, sondern auch von niemandem bestritten, dass sie eingehalten worden sind. Deswegen ist eine Positionierung einer Initiative, sie böte etwas Demokratischeres an, für mich als Demokraten eher eine Form von vorsichtiger Beleidigung. Das geht so auch wieder nicht, sosehr ich das Recht der Initiative verteidige, dies zu tun.
Deswegen, meine ich, sollte ich noch einmal versuchen, kurz etwas zu den Wahlrechtsvorschlägen zu sagen. Die Bürgerschaft hat beschlossen – und Herr Ehlers, da bin ich mit Ihnen ausdrücklich einer Meinung –, dass die nächste Wahl der Bürgerschaft nach dem 29. Februar nach neuen Wahlverfahren stattfinden wird, in jedem Fall demokratisch. Vielleicht gewinnt – was ich sehr hoffe – die Mehrheitsinitiative der Hamburgischen Bürgerschaft. Mehrheitsinitiative heißt hier ja, rund 90 Prozent der Kolleginnen und Kollegen bieten diesen Entwurf, der heute als Entwurf beschlossen werden soll, den Wählerinnen und Wählern, den Abstimmungsberechtigten, um korrekt zu sein, an. Die Initiative hat einen für mich sehr komplizierten Vorschlag, nämlich merkwürdigerweise 17 Wahlkreise für 71 Direktkandidaten, also rund 4,3 Direktkandidaten im Durchschnitt. Ich glaube, unsere Wählerinnen und Wähler verbinden mit dem Wort „Direktkandidat“ nicht vier bis fünf,
Ich meine, die deutschen Wählerinnen und Wähler selbst verbinden mit dem Begriff Wahlkreisabgeordneter oder -abgeordnete eine Person, die dort direkt mit der relativen Mehrheit gewählt worden ist und sie, die Wählerinnen und Wähler, im Parlament vertritt. Wer ein neues Konstrukt, ein sehr kompliziertes, auch mit zwei Listen, mit vier bis fünf so genannten Direktabgeordneten will, zugleich noch eine Liste, wo jeweils fünf Stimmen abgegeben werden können, dazu noch eine Art Parteienliste, wo auch fünf Stimmen abgegeben werden sollen, ob das – und Herr Ehlers hat das ja ausgeführt – einfach, klar und nachvollziehbar ist. Wenn ich daran erinnere, dass selbst vor Bundestagswahlen, nachdem 50 Jahre nach dem Modus gewählt worden ist, über drei Viertel nicht wissen, was die wichtige Stimme ist
Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir wollen in der großen Mehrheit das Bundestagswahlrecht alles in allem auf Hamburg mit 50 Wahlkreisen übertragen, mit Erst- und Zweitstimme, mit der Möglichkeit, den Wahlkreis zu gewinnen. Dies ist jedenfalls sehr nachvollziehbar. Wir müssen da nicht einmal mehr zwei verschiedene Dinge erklären, zum Beispiel, dass die Stimme für die Bezirksversammlung keine Zweitstimme ist. Auch diese Probleme hatten wir durchaus.
Ich will damit sagen: Wahlrecht so klar wie möglich. Ich glaube, wir machen mit diesem Wahlrecht, das Bundestagswahlrecht alles in allem auf Hamburger Verhältnisse zu übertragen, dem Bürger ein gutes, ein klares und verständliches Angebot. Insoweit bitte ich Sie dazu um Zustimmung. Aber ich bin auch deswegen für dieses Wahlrecht – wie die Mehrheit der Bürgerschaft –, das nicht nur klar sein soll für die Abstimmung, für die Wahl und für das Ergebnis in der Bürgerschaft, sondern auch für die Regierungsbildung. Aber es gibt noch etwas anderes. Ein Wahlrecht muss den Wählerinnen und Wählern auch eine Entscheidung abverlangen. Wahl heißt nicht nur, irgendetwas ankreuzen, sondern entscheiden und das Recht der Initiative lässt die Entscheidung über die vielfältigen Stimmen zerbröseln. Wie will ich eigentlich nach einer Wahlperiode herausbekommen, wie sich mein Wahlkreisabgeordneter gemacht hat? Wenn ich fünf Stimmen habe verteilen können und mich vielleicht nicht für eine Person entschieden habe und von meinen fünf Direktkandidaten drei in der Regierung und zwei in der Opposition sind, was ist da eigentlich los? Es kommen dort aus meiner Vorstellung große Merkwürdigkeiten. Die Wählerinnen und Wähler müssen nach einer Wahlperiode für den Fall, dass ein Mitglied der Bürgerschaft wieder kandidiert, doch eine Leistungsbilanz machen können.
Nur dann macht es Sinn. Man muss sich also fragen, ob diese Person das Angekündigte umgesetzt hat und wenn ja, wie viel oder hatte die Person große Defizite? Danach könnte ich mir als nicht parteigebundener Mensch auf jeden Fall eine Entscheidung gut vorstellen. Ich hoffe, dass Bürgerinnen und Bürger dies auch bei den Wahlen so tun werden.
Ich möchte noch etwas zitieren, was hierzu sehr gut passt. Frau Professor Nölle hat heute in der „FAZ“ unter anderem etwas über Politikverdrossenheit geschrieben. In den letzten Sätzen heißt es:
„Immer häufiger hört man: ‚Man weiß ja gar nicht mehr, was man wählen soll.’ Nach 30 Jahren eingehender Berichterstattung über Skandale in der Politik hat das Ansehen des Amtes des Bundeskanzlers wie auch zahlreicher anderer Institutionen Schaden genommen. Die öffentliche Geringschätzung der Politik untergräbt die Fundamente der Demokratie.“
Ich glaube nicht, dass man die Verdrossenheit mit politischen Institutionen – auch wir gehören dazu – durch ein kompliziertes, kaum durchschaubares Wahlrecht beseitigen kann. Davon bin ich allerdings überzeugt. Könnte man das, könnte man über das andere Wahlrecht durchaus mit mir reden, denn das ist ein Ziel.
Gestatten Sie mir noch eine Minute. Mir geht es ein bisschen ähnlich wie Herrn Ehlers, aber ich versuche erst noch einmal einen Ausblick und dann einen Rückblick. Der Ausblick ist kurz, meine Kolleginnen und Kollegen.
Ich glaube, wir alle wollen dieses Wahlrecht, aber – und das ist meine Voraussage – in zehn Jahren wird hier in diesem Hause die Abstimmung über den Berufspolitiker stattfinden. Möglicherweise wollen Sie das. Ich stelle nur für die Zeit, die ich hier war, fest, dass wir zwar am Nachmittag und Abend getagt haben, aber niemand hat uns bestritten, dass wir professionell gehandelt haben. Das ist wahr und dazu gibt es auch zwei Gutachten, die allerdings schon zwölf Jahre alt sind, wo uns das von kritischen Politologen der hamburgischen Universität testiert worden ist. Aber ich möchte, jedenfalls für die letzten 15 Jahre, dreieinhalb Leuten für die gemeinsame politische Arbeit danken, niemandem aus meiner Fraktion. Ich glaube, das können wir am anderen Ort zu einer anderen Zeit noch tun. Aber, ich denke, es gehört auch zur Arbeit dieses Hauses, dass man sich für die Zusammenarbeit mit ein paar Leuten bedankt. Ich mache das alphabetisch, damit keine Verdächtigungen aufkommen.
Zunächst danke ich Jan Ehlers für das Gelingen der Verfassungsreform, aber auch für den jetzigen Entwurf der Wahlrechtsreform, das Verdienst, immer auch für eine breite Mehrheit für das Gelingen gesorgt zu haben.
Zweitens danke ich Ingo Kleist, bei dem man das nicht so gemerkt hat, aber ohne Ingo Kleist und seine ständige Bereitschaft, Herrn Ehlers und mich wieder zusammenzubringen, hätte die Parlamentsreform auch nicht geklappt.
Drittens danke ich Elisabeth Kiausch. Ich möchte daran erinnern, Frau Kiausch, dass wir vor drei Jahren eine bürgerschaftliche Enquete, die wir beide sogar als Vorsitzende betrieben haben, zum ersten Mal in der hamburgischen Parlamentsgeschichte vorgelegt haben. Ich glaube, mehr Personen hätten dies lesen sollen. Aber vieles, was zu Finanzausgleich und Föderalismus drinsteht, ist in diesen Tagen wieder hoch aktuell.
Und mit der halben Person habe ich den Abgeordneten Dr. Schmidt gemeint, weil er ja nicht mehr im Parlament ist. Er hat immer dafür gesorgt, dass in allen Debatten über Verfassungsreform und Wahlrechtsreform eine fruchtbare, gedankenreiche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Ich wünsche Ihnen, soweit Sie wieder dabei sein werden, aber natürlich auch allen anderen, alles
Herr Kruse, Sie haben fast eine Punktlandung gemacht; die CDU hat noch eine Restredezeit von 29 Sekunden. Aber es gab Fraktionen, die schon vorher signalisiert hatten, Ihnen zusätzliche Redezeit zu übertragen, wenn sich kein Widerspruch im Haus erhoben hätte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das neue Wahlrecht wird den Bürgern größere Einwirkungsmöglichkeiten auf das politische Leben dieser Stadt geben. Meine Vorredner haben bereits sehr ausführlich und beinahe emotional auf das Verfahren, das die Initiative vorschlägt, hingewiesen; ich schließe mich dem an. Ein allzu kompliziertes Verfahren wird am Ende niemandem wirklich nützen.
Die Wähler haben bereits heute Schwierigkeiten, ihre Wahlentscheidungen allein nach Parteien zu differenzieren. Das geht so weit, dass Wähler heute ihre Wahlentscheidungen schon davon abhängig machen, ob ein Krieg bevorsteht oder eine Flut die Oder heimsucht. Wie soll also gleichzeitig die Wahl zwischen drei oder fünf Kandidaten getroffen werden, die auch noch vor der Haustür um eine Stimme kämpfen.
Unsere Partei und Fraktion hat sich von Anfang an für mehr Bürgernähe und Bürgerbeteiligung eingesetzt. Wir können deshalb das neue Wahlverfahren nur begrüßen als einen kleinen, aber immerhin einen Schritt zu mehr Bürgerbeteiligung. Vielleicht besteht sogar die Chance, dass die Wahlkreisabgeordneten sich stärker um die Belange ihres Wahlkreises, also ihrer Stadtteile vor Ort, kümmern. Weiterhin wird es aber sicherlich faule Abgeordnete geben, wie es jetzt auch fleißige gibt. Wir haben bereits jetzt viele Abgeordnete, die sich auch vor Ort um die kommunalen Belange kümmern, und das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Notwendigkeit, deswegen eine Wahl in drei oder fünf Kandidaten aufzusplittern, besteht nicht. Insbesondere für Stadtteile im Hamburger Osten wie Billstedt besteht auch mit diesen Wahlkreisabgeordneten die Chance, dass auch von dort wieder einmal ein Abgeordneter in die Bürgerschaft entsandt wird. Wir haben ein gewisses Regulativ zu den Listenwahlen, die noch starr sind und bisher selten Veränderungen hervorgebracht haben. Die entscheidende Komponente ist, dass die Einwirkungsmöglichkeit auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments größer wird. 50 Wahlkreise sind dafür die richtige Zahl, 17 zu wenig, 60 zu viel.
Das neue Wahlrecht ist auch geeignet, mehr Akzeptanz für das erfolgreiche Modell der parlamentarischen Demokratie zu schaffen. Das Parteiensystem ist, wie Sie wissen, faktisch auf so genannte große etablierte Parteien beschränkt. Umso wichtiger ist es, dass vor Ort auch der Kontakt der Abgeordneten anderer Parteien zu den Bürgern hergestellt werden kann.
Zwei Grundsätze sind für die vornehmste Aufgabe der Parteiendemokratie herausragend. Es ist zum einen der Grundsatz der innerparteilichen Demokratie, das heißt, die Art und Weise, wie in den Parteien das Personal für die parlamentarische Vertretung ausgewählt wird, und zum anderen die Wahl durch das Wahlverfahren, eben die Wahl der Abgeordneten, die durch diese Parteien den Wählern vorgeschlagen wurden. Ein persönliches Kennenlernen der Abgeordneten war bisher aus verschiedensten Gründen den Wählern immer schwer bis unmöglich. Zum einen bestehen keine ausreichenden Gelegenheiten und zum anderen besteht bei den Bürgern auch nicht immer das Interesse, auch politisch Unbekannte kennen lernen zu wollen.
Wenn dieses neue Wahlrecht also mit Leben erfüllt werden soll – das sollte es –, dann liegt es an den Abgeordneten, an den Wahlkreisbewerbern, aber auch an den Bürgern, sich dieser Aufgabe zu stellen, aufeinander zuzugehen. Es sollte aber auch Interesse bei den Abgeordneten vorhanden sein, sich den Wählern vorzustellen, sich um sie zu kümmern, und umgekehrt sollten die Bürger ein Interesse daran haben, einmal mit den Wahlkreisbewerbern ins Gespräch zu kommen. Leider ist das nicht selbstverständlich, denn bereits die Bundestagswahlkreiskandidaten zeigen uns, dass der Bürger keineswegs daran interessiert ist, in großem Umfange diese Bundestagswahlkreiskandidaten überhaupt kennen zu lernen. Die Stimme wird abgegeben nach Parteipräferenz und selten nimmt der Bürger gleichzeitig die Wahl zwischen verschiedenen Persönlichkeiten vor, die sich ihm im Wahlkreis präsentieren.
Wenn das neue Wahlrecht also in dieser Hinsicht Verbesserung schaffen will, dann muss hier seitens der Bürgerschaft und vielleicht auch seitens anderer Institutionen das Interesse geweckt werden, dass hier ein wirklich demokratischeres und besseres Verfahren Platz findet und man ganz neue Möglichkeiten hat. Das Demokratisierungspotenzial soll voll ausgeschöpft werden. Dieses neue Wahlrecht ist ein kleiner Schritt, wenngleich ich mir vorstellen kann, dass hier noch mehr und weitergehendere Schritte möglich wären.
Die Funktionsfähigkeit des Wahlverfahrens muss dabei immer Kriterium sein und meine Vorredner haben ausgeführt, wo die Grenzen für die Funktionsfähigkeit der Wahl und auch bei der Aufnahmefähigkeit der Wähler sind. Die vornehmste Aufgabe der Demokratie ist somit die Auswahl der Personen und hierfür gibt es neue Möglichkeiten. Es ist gut, dass im Verfassungsausschuss ein grundsätzlicher großer Konsens gefunden wurde, und es ist gut, dass deutlich geworden ist, dass das Modell der Initiative in praktischer Hinsicht verbesserungswürdig ist.
Wir wollen das neue Wahlrecht auf eine breite Basis und Zustimmung aller beteiligten Bürger und des Parlaments stellen und ich verspreche mir von diesem Wahlrecht, das jetzt durch das Parlament vorgeschlagen wird, einen ersten Schritt, aber ich verspreche mir auch, dass dies nicht der letzte Schritt sein wird. Es wurde bereits angedeutet, dass weitere Schritte folgen könnten. Dazu wünsche ich dem Parlament die Bereitschaft zu einer offenen und mutigen Diskussion, denn Demokratie muss ständig weiterentwickelt werden, man darf nicht stehen bleiben und muss alles tun, damit die Bürgerbeteiligung in Deutschland und in Hamburg nicht nur ein leeres Wort in Sonntagsreden bleibt, sondern letztlich auch ein bisschen
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Große Koalitionen muss man mit großer Vorsicht genießen, sehr große Koalitionen mit sehr großer Vorsicht.
Wenn sich mitten im heißesten Wahlkampf fast alle Parteien zusammenfinden, wenn die CDU plötzlich mit allen Schill-Parteien an einem Tisch sitzt und auch noch SPD und FDP daran Platz nehmen,
dann gilt es, genau hinzusehen. Das gilt erst recht, wenn es um das wichtigste demokratische Recht überhaupt, um das Wahlrecht geht. Es geht letztlich um die Frage, wer über die Zusammensetzung dieses Parlamentes bestimmt. Wir alle sind über Wahllisten in die Bürgerschaft gewählt worden. Wer soll in Zukunft die Zusammensetzung dieser Listen bestimmen? Sollen das, wie bisher, die Parteien alleine tun oder gestatten wir diese Freiheit auch den Wählerinnen und Wählern? Nach dem Willen der Initiative für ein faires Wahlrecht – und ich begrüße ganz herzlich die Initiatoren – sollen die Wählerinnen und Wähler zukünftig selbst entscheiden, wer Abgeordneter wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage ist doch ganz einfach: Lassen wir die Menschen in Hamburg entscheiden, wer in die Bürgerschaft kommt oder wer draußen bleiben muss? Die GAL sagt ja.
Wir wollen mehr Demokratie wagen. Die Menschen sollen mehr zu entscheiden haben, als nur über die Abstimmung über eine von den Parteien vorgefertigte Liste. Sagen Sie nicht, es sei zu kompliziert. Wer will denn heute noch Paketentscheidungen? Würden Sie ein Auto kaufen, bei dem Sie nicht darüber entscheiden können, ob es ein Schiebedach hat und weniger Verbrauch? Würden Sie eine Pizza bestellen, wenn es hieße, den Pizzabäcker können Sie aussuchen, aber die Pizza, die kommt, die können Sie nicht bestimmen?