Protocol of the Session on October 29, 2003

Da war man sich also noch gar nicht sicher, was der Wert einer Kampagne ist. Und die Bundesanstalt für Straßenwesen stellt dagegen ganz eindeutig fest, dass Kampagnen durchaus geeignet sind, mit vergleichsweise geringem Mitteleinsatz kurzfristig Erfolge zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu erzielen – das erleben wir hier –, aber dann warnt die Bundesanstalt im Weiteren, die Erfolge durch Baumaßnahmen und ernsthaft verschärfte Kontrollen seien dagegen dauerhafter. Wir müssen also befürchten, dass sich dieser Erfolg der Kampagne sehr schnell abschleifen wird.

Der Senat interpretiert übrigens die Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen unter dem Titel "Verkehrssicherheitsmaßnahmen für Kinder" so, dass Maßnahmen im Bereich Verkehrserziehung mehrheitlich im Vordergrund stünden, und listet dann die verkehrserzieherischen Maßnahmen in Hamburg auf. Tatsächlich müssen wir feststellen, was die Polizei und die Schulbehörde im Bereich Verkehrserziehung in Hamburg leisten, das ist auf bundesweit hoch anerkanntem Niveau, und da lässt sich in der Tat gar nicht viel mehr machen. Der einzige Vorschlag, der dazu von der planerischen Seite kommt, ist der, die Förderung von Psychomotorik an Schulen zu verbessern, denn die Bundesanstalt führt hierzu aus:

"Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder aus Gründen ihrer motorischen Entwicklung gar nicht fähig sind, sich verkehrsgerecht zu verhalten. Hinzu kommt,"

und jetzt hören Sie bitte genau zu –

"dass die derzeitige Verkehrssituation die Ausbildung verkehrsnotwendiger motorischer Fähigkeiten massiv einschränkt. Kinder können sich aufgrund des Straßenverkehrs weniger frei und ungezwungen bewegen, als dies für ihren Entwicklungsstand angemessen wäre. Durch diese fehlende Bewegung sind sie jedoch als Verkehrsteilnehmerinnen noch gefährdeter."

Deswegen schlägt die Bundesanstalt eine Bewegungswerkstatt an Schulen vor, die tägliche Bewegungszeiten, bewegte Pausen und eine so genannte Motopädagogik einführt.

Das ist doch mal ein Weg, wie wir in der Verkehrserziehung noch einen Schritt weitergehen können über das hinaus, was hier sehr erfolgreich läuft. Aber das Thema Verkehrserziehung wird alleine nicht richten können, was durch die Beschleunigungspolitik des Senats auf anderer Seite wieder umgekippt wird, denn die BASt kommt in ihrer Studie auch zu dem gegenteiligen Schluss der Senatsantwort. Hier heißt es:

"Als eine mögliche Neuausrichtung der Verkehrssicherheitsarbeit wurde in Experteninterviews eine stärkere Betonung des Engineering, also der verkehrsplanerischen und verkehrstechnischen Maßnahmen, und überdies eine erhöhte Verkehrsüberwachung und kontrolle angeregt, deren Möglichkeiten noch nicht hinreichend genutzt werden."

Hier geht der Hamburger Senat mit seinen Appellen an das Verantwortungsbewusstsein der Autofahrerinnen leider den ganz falschen Weg. Er zeigt ihnen immer nur auf, dass über Verbesserungen des Verkehrsflusses und Abbau von so genannten Verkehrsschikanen der Anspruch von Autofahrerinnen doch berechtigt sei, schneller durch die Stadt fahren zu wollen. Ganz im Gegenteil ist es doch aber so, dass wir eine Strategie brauchen, die vier Dinge sicherstellt:

Erstens müssen Kinder im Straßenverkehr besser gesehen werden. Zweitens brauchen wir mehr gesicherte Querungshilfen über Straßen in dieser Stadt, das heißt mehr Zebrastreifen und auch mehr baulich gesicherte Querungen. Drittens müssen Fuß- und Radwege in Hamburg überall dauerhaft davor gesichert werden, dass sie als Parkplätze missbraucht werden, und viertens müssen Autofahrerinnen disziplinierter fahren.

(Beifall bei der GAL und bei Holger Kahlbohm SPD – Rolf Gerhard Rutter Partei Rechtsstaatli- cher Offensive: Von der Straßenverkehrsordnung haben die noch nichts gehört!)

Dafür dürfen wir uns nicht im Vorwege der wirkungsvollsten Instrumente berauben, sondern sollten gemeinsam an einer Strategieentwicklung arbeiten, die eben nicht die wirklichen Mittel im Vorhinein politisch ausschließt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wer wünscht das Wort? – Herr Reinert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Lühmann, das war genau die erwartete Rede. Insofern konnte ich mich auch problemlos hierauf einstellen.

Wenn Sie nun das Ganze wiederum so darstellen, als sei das Auto etwas, was in Hamburg eigentlich menschliches Leben so gut wie unmöglich mache,

(Heike Opitz GAL: Ach, hören Sie doch mal zu!)

dann sind wir auf der üblichen Schiene. Natürlich schränkt das Auto die ungehinderte Mobilität von Kindern ein, es schränkt auch die ungehinderte Mobilität von Erwachsenen ein,

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Aber es erweitert sie auch!)

aber ebenso ermöglicht das Auto überhaupt erst Mobilität und für diese Stadt in vielen Fällen überhaupt erst ein Erreichen notwendiger Ziele und wirtschaftliches Handeln.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive)

Wenn Sie sagen, dass in Hamburg die Zahl der Verkehrsunfälle mit Kindern deutlich höher liegt als in anderen Städten, muss ich Ihnen Recht geben. Die Zahlen stimmen. Ob der aktuelle Trend mit dem Rückgang auch tatsächlich ein dauerhafter ist,

(Jörg Lühmann GAL: Ich hoffe das!)

können wir nur hoffen, aber wir alle können nicht fest davon ausgehen. Tatsache ist aber auch – Sie haben gerade Berlin als Vergleich herangezogen –, dass Hamburg eine deutlich höhere Kfz-Dichte pro 1000 Einwohner hat, als das in Berlin der Fall ist. Sie können nicht einfach nur Einwohnerzahlen mit Unfällen vergleichen. Sie müssen hier auch die Zahl der Kfz mit einkalkulieren.

(Jörg Lühmann GAL: Also könnte die Zahl der Kfz etwas bedeuten!)

Lieber Herr Lühmann, ich bestreite Ihnen gar nicht, dass es Unfälle zwischen Kindern und Kfz gibt. Ich bestreite auch nicht, dass daran in vielen Fällen unaufmerksame Autofahrer schuld sind und in anderen Fällen überforderte Kinder. Aber wenn es überforderte Kinder sind, dann, glaube ich, ist es oft auch ein Versäumnis der Eltern, ihre Kinder auf die Situation richtig vorzubereiten,

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive – Antje Möller GAL: Das ist nicht Ihr Ernst!)

wenn Sie gerade die Gruppe der Zwölf- bis Sechzehnjährigen angesprochen haben.

(Antje Möller GAL: Wer ist denn stärker?)

Als jemand, der es von vielen Schülern auf dem Wege zur Schule kennt, der es leider auch ein bisschen von den eigenen Kindern kennt, kann ich sagen, dass die Kinder in der fünften und sechsten Klasse sich weitgehend entsprechend den Vorschriften verhalten. Ab Klasse 7 wird dann auch mit dem Fahrrad Rallye gefahren, und da will man doch mal sehen, wer bei Rot noch am besten über die Ampel kommt.

(Jens Kerstan GAL: Ja, so sind Kinder!)

Meine Damen und Herren, so sind Kinder. Wollen Sie deswegen die Autos abschaffen? Dann sagen Sie es in aller Deutlichkeit. Wir müssen wieder – und dieser Senat hat auch das Entscheidende getan – die Zahl der Verkehrslehrer in dieser Stadt erhöhen.

(Antje Möller GAL: Die können auch nicht so schnell laufen!)

Sie haben sie um 15 Stellen abgesenkt

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive)

in Zusammenarbeit mit ihrem damaligen Koalitionspartner. Wir stocken wieder auf. Fünf Kräfte sind speziell für den Einsatz in Kindertagesstätten vorgesehen. In den neuen Bildungsrahmenplänen für die schulische Erziehung spielt ebenfalls die Verkehrserziehung eine eigenständige Rolle und auch dieses sollten Sie beachten. Sie haben ansonsten aus der Antwort zu der Großen Anfrage entnommen, dass es wirklich ein vielfältiges Maßnahmenbündel ist, welches der Senat ergreift. Das geht über Beschilderungsmaßnahmen, über die Wettbewerbe, über Bewusstseinsbildung und eben auch über Kontrollen – da gebe ich Ihnen absolut Recht – im Verkehrsbereich.

(Vizepräsidentin Rose-Felicitas Pauly übernimmt den Vorsitz.)

Ja, es gilt manchmal wirklich der Leninsche Grundsatz, dass Kontrolle besser ist als Vertrauen. Kontrolle ist notwendig, und gerade dieser Bereich im Umfeld von Schulen, von Kindertagesstätten, ist einer der Schwerpunktbereiche für derartige Kontrollen. Das heißt, wir arbeiten daran. Die Zahlen sind jetzt gerade etwas besser ausgefallen. Es würde mich sehr, sehr freuen, wenn wir einen dauerhaften Trend zur Zahlenverbesserung feststellen könnten. Ich glaube, dass wir auf jeden Fall auf dem richtigen Wege sind.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat nun Herr Kahlbohm.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Reinert, ich glaube, Sie haben Herrn Lühmann da gründlich missverstanden.

(Dietrich Wersich CDU: Nee, das glaube ich nicht! – Antje Müller GAL: Das wollte er!)

Seine Rede ging nicht gegen das Auto, sondern darum, Verkehrsverhältnisse für alle Menschen hier in Hamburg zu erreichen, die für alle Verkehrsteilnehmer verträglich sind. Um das Thema geht es.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ausgangspunkt ist, dass wir 2002 mit 1109 Kindern eine Steigerung um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr haben, eine ganz unerträgliche Zahl. Das zeigt auch der Vergleich und da kann man nichts schönrechnen. Insofern ist es verkehrt, das versuchen zu relativieren, und eigentlich doch anerkennenswert, dass man gleich darauf reagiert hat und mit Sondermaßnahmen der Verkehrserziehung versucht hat, hier gegenzuarbeiten.

Besondere Gefahrensituationen für Kinder sind vor allen Dingen Kreuzungen und Einmündungen. 448 von 886 Unfällen, also gut die Hälfte, ereigneten sich in diesem Bereich, und zwar in Sichtbarrieren. Kinder, die ja deutlich kleiner sind und deshalb von Autofahrern häufig auch leicht übersehen werden können, können ja auch selber den Verkehr nicht so überblicken, und deshalb ist das ein besonderer, ganz gefährlicher Unfallschwerpunkt.

Der Senat hat bei der Diskussion dieser neuen und erschreckenden Zahlen auf Verkehrsprojekte an Grundschulen unter dem Motto "Kind und Umwelt im Verkehr" verwiesen und er hat – ich habe das bereits gesagt – mit der Aktion "Rücksicht auf Kinder... kommt an" reagiert; das ist lobenswert. Die bisherige Entwicklung danach lässt hoffen, dass die Zahlen jetzt etwas weniger erschreckend sind.

Wenn das aber so bleiben und vielleicht noch besser werden soll, ist es allerdings erforderlich, sich ständig und dauerhaft darum zu bemühen. Dazu gehören ein regelmäßiger Verkehrsunterricht und eine regelmäßige Überwachung des Verkehrs. Beides sind ständige Aufgaben und dürfen nicht nur im Rahmen zeitlich begrenzter Aktionen oder partiell durchgeführt werden.

Besonders gefährlich für die schwächsten Verkehrsteilnehmer ist aber eine zu hohe Geschwindigkeit der Autofahrer, und bei diesem Thema hat der Senat noch erheblichen Nachholbedarf. Es ist lobenswert, dass der neue Innensenator die Politik Schills, die als Ermunterung zum Rasen verstanden werden musste und von vielen auch so verstanden und praktiziert worden ist, teilweise zurückgenommen hat. Diese Politik, die Herr Schill eingeführt hat, hat sich nur noch durch Anhebung der Geschwindigkeitsgrenzen ausgezeichnet, und, was eigentlich ein Skandal als solcher ist – Herr Schill hat das nicht mehr so erfahren müssen, da er aus anderen Gründen zurückgetreten ist –, durch die klammheimliche Anhebung der Toleranzgrenzen beim Blitzen. Es ist wirklich unglaublich gewesen, was er sich da geleistet hat.