Protocol of the Session on June 26, 2003

Das Wort hat der Abgeordnete Kerstan.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe ist ein ganz zentraler Punkt der Agenda 2010. Sie war in den letzten Monaten sowohl bei den Sozialdemokraten als auch bei den Grünen ein sehr heiß diskutierter Punkt. Es hat darüber große Debatten gegeben, auf welchem Anspruchsniveau das stattfinden soll, wie das Ganze ausgestaltet werden soll. Die Sache ist inzwischen entschieden.

Jetzt habe ich von Ihnen diesen Antrag auf den Tisch bekommen und dachte, das ist ja interessant, dass die Union auch einmal Vorschläge macht, wie sie mit diesem Vorschlag weiter umgeht und wie das umgesetzt werden soll. Ich musste feststellen, dass das Einzige, was dieser Antrag beinhaltet, ist, dass die Union begriffen hat, was die Bundesregierung schon längst beschlossen hat.

(Beifall bei der SPD – Werner Dobritz SPD: Und was Herr Peiner schon in den Haushalt eingestellt hat! – Rolf Gerhard Rutter Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Was die Bundesregierung beschließen will!)

Das ist natürlich äußerst beeindruckend, weil Sie gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik meistens nicht auf der Höhe der Zeit sind. Aber die Frage, um die es jetzt geht, ist gar nicht, ob das vom Bund finanziert werden soll. Das ist längst beschlossen. Es hat dazu einen Parteitag der SPD gegeben, es hat einen Parteitag der Grünen dazu gegeben. Das ist beschlossen.

(Rose-Felicitas Pauly: Ich denke, es wird im Par- lament beschlossen!)

Die Frage ist jetzt, wie man das organisiert, denn diese Organisation ist äußerst schwierig. Es ist nämlich nicht nur damit getan, dass die Finanzierung umgestellt wird, sondern es geht jetzt darum, diese Synergien, die Sie immer versuchen, hier zu beschwören, auch wirklich zu heben. Diese Synergien, das habe ich jetzt verstanden, verstehen Sie so: Der Bund finanziert nicht nur die Leistungshöhe – das sind auf Hamburger Gebiet bis zu 500 Millionen Euro –, sondern die Synergie sieht Ihrer Meinung nach so aus, dass das Land nicht nur die Finanzierung der Leistungen abgibt, sondern auch alle aktiven Leistungen abgibt. Und das ist dann die Synergie, dass Hamburg komplett entlastet wird, mit dem Thema gar nichts mehr zu tun hat und der Bund dann noch zusätzliche 100 Millionen Euro übernimmt. Meine Damen und Herren, das ist allerdings ein recht einfacher Weg. Das ist ein Wunschzettel an den Weihnachtsmann, was doch der Weihnachtsmann bitte schön noch alles finanziert. Das ist die Flucht aus der Verantwortung und das werden wir nicht mitmachen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Denn die Frage, um die es jetzt geht, denn es geht ja nicht nur um die Arbeitsvermittlung, sondern im Zuge dieser schwer vermittelbaren Arbeitslosen soll es eine One-Stop-Agency geben. Dort bekommen die ehemaligen Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfeempfänger die Leistungen ausbezahlt und andererseits sollen sie aber auch auf den Ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Dort sind auch sehr viele Leistungen involviert, die bisher ausschließlich die Kommune betrieben hat, nämlich unter anderem Schuldnerberatung, Suchtberatung, Hilfen zur Erziehung, Wohnungssuche und Ähnliches.

Wenn Sie sich jetzt einmal angucken, wie ein solches Job-Center aussieht, zum Beispiel das JobCenter in Köln. Dort sind 80 Menschen, die mit diesen sozialen Dienstleistungen beschäftigt sind und nur 17 Arbeitsvermittler aus der Bundesanstalt. Was Sie hier vorschlagen, ist, dass der Bund diese 80 Stellen, die bisher die Kommune finanziert, zusätzlich auch noch finanziert und die Stadt oder die Kommune gar nichts mehr finanziert.

Meine Damen und Herren, ich kann zwar verstehen, da Sie in Ihren finanziellen Nöten nicht wissen, wie Sie Ihren Haushalt sanieren wollen, dass Sie jetzt noch mehr Hilfen vom Bund benötigen, aber das ist wirklich ein ziemlich blauäugiger Ansatz und das ist ein verantwortungsloser Ansatz und den werden wir nicht mitgehen.

Von daher geht es jetzt im Wesentlichen darum, wie man ein solches Job-Center organisiert. Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, jetzt lassen Sie uns nicht nur über die Finanzierung reden, aber letztendlich reden Sie in Ihrem Antrag ausschließlich über die Finanzierung. Darüber, wie ein solches Jobcenter finanziert werden soll, sagen Sie keinen einzigen Ton. Neulich hat es dazu eine Veranstaltung des Diakonischen Werkes gegeben. Dort sind alle arbeitsmarktpolitischen Sprecher der Fraktionen eingeladen worden. Von der Regierungskoalition ist keiner gekommen.

(Heidemarie Scherweit-Müller SPD: Herr Rutter, da hätten Sie mal hingehen sollen!)

Dann wurde die Behörde für Soziales und Familie aufgefordert, in diesem fließenden Prozess einmal Stellung zu beziehen, wie Hamburg sich das vorstellt, wie man ein solches Job-Center ausgestalten soll. Es ist kein Behördenvertreter erschienen. Die Behörde hat erklärt, nein, solange der Bund nicht sagt, was er machen soll, wissen wir auch nicht, wie das gehen soll. Das heißt, dieser Senat hat nicht nur kein Konzept, sondern möchte auch gar keins haben. Sie wollen sich komplett einer Aufgabe entledigen, die Bürger dieser Stadt betreffen. Meine Damen und Herren, das ist sehr arg durchsichtig, das ist verantwortungslos, so kann man das beim besten Willen nicht tun.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Michael Fuchs CDU: Stimmt doch gar nicht, was Sie da sagen!)

Von daher finde ich den Zusatzantrag der SPD sinnvoll, der festschreibt, dass es auch in Zukunft die Leistungen, die die Kommune betrifft, geben wird, und das ist nicht nur ABM. Das sind eine ganze Reihe sozialer Dienste, die auch weiterhin sinnvoll nur zusammen mit der Arbeitsvermittlung integriert werden müssen. Wie das passieren muss, darüber finden zum Glück auf Bundes- und Landesebene Debatten statt. Sie verweigern sich dieser Debatte. Ich finde das sehr bedauerlich. Aber letztendlich, so wie wir auch die Zusammenlegung durchgesetzt haben, werden wir auch durchsetzen, dass es dort einen vernünftigen Weg geben wird. Ich teile allerdings nicht ganz die Hoffnung der SPD, dass jetzt der Bund auch bei der Gewerbesteuer große Lasten übernehmen kann. Wenn Sie sich einmal überlegen, um welches Volumen es jetzt insgesamt geht.

(Werner Dobritz SPD: Darum geht es nicht! Haben wir nicht gesagt!)

Der Bund übernimmt 500 Millionen Euro des Haushaltes der Freien und Hansestadt Hamburg im Bereich der Sozialhilfe. Dann wird es natürlich auch im Zuge der Auftei

lung der Leistungen und der Arbeitsteilungen in einzelnen Teilen eine Gegenfinanzierung geben und auch geben müssen, wenn man nicht ausschließlich beim Bund eine auf Schulden finanzierte Umschichtung haben will, die letztendlich nur zulasten unserer Kinder geht. Von daher geht es darum, jetzt ein vernünftiges Konzept auf den Tisch zu legen, eine vernünftige Organisationsstruktur zu entwickeln, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in die Verantwortung nimmt. Wir sind bereit, diese Debatte zu führen. Bisher haben Sie diese Debatte verweigert. Dieser Antrag bietet überhaupt nichts und ich hoffe, dass dort in Zukunft sowohl von den Regierungsfraktionen als auch vom Senat ein bisschen mehr konstruktiver Ansatz zum Wohle der Hansestadt und auch der hier betroffenen Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfänger kommt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Schinnenburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen mal einige fahrlässige Falschaussagen, insbesondere falsche Interpretationen von Frau Dräger, richtig stellen. Sie haben ernsthaft gesagt, wir haben Ihnen in Hamburg eine gute Arbeitsmarktpolitik hinterlassen. Diese Worte muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Sie wissen doch ganz genau, dass unglaublich viel Geld ausgegeben wurde. Wenn wir überhaupt etwas über Ergebnisse des Zweiten Arbeitsmarkts wissen, ist das erstens eine unglaublich schlechte Vermittlungs- und Erfolgsquote, denn in den meisten Fällen war es unter Ihrer Regierungszeit nicht einmal nachvollziehbar, was die für Leistungen erbracht haben. Es war eine schlichte Geldverschwendung, die Sie da betrieben haben, aber es hat den allermeisten Menschen überhaupt nichts genutzt.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das ist doch zynisch! – Petra Brinkmann SPD und Farid Müller GAL: Aber wir hatten weniger Arbeitslose!)

Das ist die erste Bemerkung, meine Damen und Herren.

Der zweite, noch viel wichtigere Punkt ist, dass Sie doch schon wieder mit den finanziellen Spielräumen für Hamburg angefangen haben. Es mag sein, dass in diesem vergleichsweise kleinen Bereich – wir warten mal ab – die Bundesregierung vielleicht gewisse finanzielle Spielräume für die Länder und Kommunen erbringen wird, aber generell hat doch diese Bundesregierung zu verantworten, dass die finanziellen Spielräume in dieser Stadt katastrophal eingebrochen sind. Das haben Sie doch zu verantworten. Sie kennen die Zahlen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Sie haben uns einen drastischen Einbruch bei den Steuereinnahmen herbeigeführt. Allein 500 Millionen Euro durch die letzten beiden Steuerschätzungen. Das sind Summen. Das ist sogar noch viel mehr als das Geld, das Sie beim Zweiten Arbeitsmarkt verschwendet haben. Das zu Frau Dräger.

Als FDP freuen wir uns natürlich sehr, dass eine uralte FDP-Forderung, nämlich die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, nun auch von der rot

grünen Regierung übernommen wird. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurden wir dafür noch als sozial kalt kritisiert nach dem Motto: Oh, die armen Arbeitslosenhilfeempfänger werden jetzt herabgestuft. Nun auf einmal haben Sie es eingesehen. Das begrüßen wir natürlich außerordentlich, das ist immerhin ein kleiner positiver Aspekt in dem Reförmchen der Agenda 2010.

In der Übergangszeit, in der die FDP noch nicht die absolute Mehrheit hat, müssen wir immer warten, dass andere Parteien unsere klugen Programme mit uns umsetzen. Das ist das Problem dabei.

(Jens Kerstan GAL: 16 Jahre lang!)

Meine Damen und Herren, die Zusammenlegung ist also, wie gesagt, auf jeden Fall in unserem Sinne und es wurde ja schon erwähnt, dass der Teufel wie so oft im Detail stecke, möglicherweise noch mit anderen Tieren. Der Teufel heißt in diesem Falle in der Tat "Finanzierung und Organisation". Dazu ist hier schon einiges Richtiges gesagt worden. Ich will das hier im Sinne der Kürze der Debatte ein wenig abkürzen. Die FDP tritt ebenfalls für ein einheitliches, bundesweites Leistungsrecht für alle Langzeitarbeitslosen in der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit ein. Das ist auch unsere Auffassung. Allerdings muss man bei der Gelegenheit auch immer beachten: Eines darf nicht passieren. Es geht nicht nur um die Finanzierung, es geht auch darum, dass endlich "Alles in einer Hand" durchgesetzt wird. Das ist der oberste Grundsatz, der auch neben der Finanzierung wichtig ist, damit eben diese Verschiebebahnhöfe und die Ineffizienzen – eine Behörde weiß nicht, was die andere tut – verhindert werden.

Bisher haben wir aber noch viel zu wenig über den aktiven Einsatz für die Eingliederung geredet. Hier wird immer gesagt, dafür müssten wir Geld ausgeben. Meine Damen und Herren, es geht um andere Dinge. Die Vermittlung, die Qualifikation der Langzeitarbeitslosen muss verbessert werden, eben nicht so, wie Sie es in Hamburg gemacht haben, sondern besser. Die Vermittlung muss auch bundesweit passieren. Es kann nicht sein, dass nur in Hamburg in diesem Bereich geforscht wird, ob es Stellen gibt, sondern es muss bundesweit passieren. Das Sozialgesetzbuch III muss vereinfacht und entbürokratisiert werden und natürlich müssen Programme wie das Ein-Euro-Programm ausgedehnt werden.

Ich persönlich habe noch meine Zweifel, was Rotgrün wirklich machen wird. Ich habe erst einmal die entsprechende Veröffentlichung gelesen. Es wird derzeit vollmundig versprochen. Wenn ich mir die Haushaltsprobleme von Herrn Eichel angucke, habe ich das unbestimmte Gefühl, da sei noch Gefahr im Verzug, aber wir sind ja sehr gespannt.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch sagen, in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 14. März hat er in der Tat zugesagt, die Kommunen von der Zahlung zu entlasten. Herr Bundeskanzler, wir werden Sie an dieses Versprechen erinnern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat der Abgeordnete Dobritz.

(Rolf Kruse CDU: Muss das sein?)

– Guten Tag, Herr Kruse!

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich aus zwei Gründen gemeldet: Ich habe das Gefühl, Herr Dr. Mattner und Herr Rutter, Sie haben Ihre Reden zu einem Zeitpunkt geschrieben, als der Senat noch nicht seinen Haushalt 2004 und seine Finanzplanung bis 2007 beschlossen hat. Sie erzählen immer, dass die Gefahr bestehe, dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe eine jährliche Belastung von 100 Millionen Euro auf den Hamburger Haushalt zukomme. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Hamburger Senat davon ausgeht, dass es diese Zusatzbelastung gar nicht gibt, weil er nämlich die Zusage des Bundes im Haushalt realisiert. So hat der Senat beschlossen, ab 2005, 2006 über die Bundesratsinitiative einen Ertrag und eine Einnahme von jährlich 85 Millionen Euro aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in den Hamburger Haushalt einzustellen. Also sage ich Ihnen: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück. Der ist obsolet.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Dr. Andreas Mattner CDU: Dann ist Ihrer auch ob- solet!)

Nein, unserer ist deshalb nicht obsolet – das möchte ich Ihnen sagen –, weil unter dem Betreff nicht nur "verantwortliche Aufgabenteilung in der Arbeitsmarktpolitik" steht, sondern auch "Stärkung der Finanzkraft der Kommunen durch eine solide Gemeindefinanzreform".

Und da, meine Damen und Herren, drücken Sie sich um Ihren Dissens in der Koalition herum. Herr Dr. Peiner sagt glasklar, welches Modell er bei der Gemeindefinanzreform und der Stärkung der Gewerbesteuer wolle. Wir stimmen Herrn Dr. Peiner ausdrücklich zu. Das Modell des Deutschen Städtetages ist unser Modell.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber das Modell Ihres kleinsten Koalitionspartners ist die Abschaffung der Gewerbesteuer und das würde einen desolaten Zustand in Hamburg erzeugen. Insofern müssen Sie in der Formulierung einer Position der Stärkung der Gemeindefinanzreform zueinander finden. Nicht wir haben einen Dissens. Wir haben nicht mit dem Hamburger Finanzsenator einen Dissens, wir haben nicht mit dem Hamburger Bürgermeister einen Dissens, sondern Sie haben in Ihrer Koalition einen Dissens. Darum geht es. Unser Angebot, in Berlin gemeinsam für eine Gemeindefinanzreform im Sinne für Hamburg zu kämpfen, heißt, dass Sie eine gemeinsame Position finden, nicht wir.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat der Abgeordnete Rutter.

Herr Dobritz, in einem Punkt muss ich Ihnen Recht geben. Unser Senat macht immer noch den Fehler, den Zusagen der Bundesregierung zu glauben. Wir stellen nur die Dinge ein, die wirklich gesichert sind, aber es sind diese Dinge im Moment eben noch nicht gesichert, weil sie bei Ihnen noch nicht ausgegoren sind. Das ist ja das Problem.

Und, Herr Kerstan, an Ihre Adresse vielleicht noch einmal: Ich erinnere an einen Kanzler Schröder, der 1998 mit dem Versprechen angetreten ist,