Protocol of the Session on June 4, 2003

Das Wort erhält der Abgeordnete Rumpf.

(Erhard Pumm SPD: Jetzt kommt endlich ein Rechtsanwalt!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte ist ein bisschen absurd, die wir hier führen. Sie ist deswegen absurd, weil die SPD sich letztlich als Robin Hood der Bürgerbeteiligung aufspielt. Als das Bürgerbegehren in den Bezirken 1998 durch ein Volksbegehren eingeführt wurde, waren Sie strikt dagegen. Sie haben sogar Ihren Mitgliedern Konsequenzen angedroht, wenn sie sich in diese Listen eintragen, und jetzt machen Sie sich zum Fürsprecher der Bürgerbeteiligung in den Bezirken.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren! Es ist warm, echauffieren Sie sich bitte nicht.

Dann geben Sie an, es hätte eine Fülle von Begehren gegeben, seit diese Regierung an der Macht sei. Zwölf hat Herr Maier vorgerechnet, nicht signifikant mehr als zu Ihrer Zeit. Es ist völlig absurd, im Grunde genommen macht es überhaupt keinen Sinn, sich mit Ihnen weiterhin über Bürgerbeteiligung zu unterhalten, solange Sie keinen Parteitagsbeschluss haben, der sagt, das finden wir gut.

(Beifall bei der FDP und der Partei Rechts- staatlicher Offensive – Dr. Andrea Hilgers SPD: Was ist das für ein Argument!)

Bei der GAL sieht das alles etwas anders aus. Die GAL hat sich damals sehr für diese Bürgerbegehren auf Bezirksebene eingesetzt und ebenfalls Unterschriften gesammelt, auch für das Volksbegehren. Trotzdem war es – wir haben es heute schon erwähnt – ein Senator der GAL, der als erster gegen ein laufendes Bürgerbegehren evoziert hat. Er hat auch heute wieder gesagt, sie hätten damals in der gesamten Bürgerschaft das Wort der Freien und Hansestadt gegenüber den Investoren wahren müssen. Herr Maier, ich weiß, dass Ihnen das damals nicht leicht gefallen ist, und Sie würden ehrlicher sein, wenn Sie sagen würden, mit einem anderen Koalitions

partner hätten wir vielleicht damals eine andere Lösung gefunden.

(Dr. Willfried Maier GAL: Nein, das war unsere Entscheidung!)

Dann haben Sie das Beispiel in den Walddörfern angeführt. Sie wissen ganz genau, dass der momentane Bebauungsplan für die Walddörfer exakt dem entspricht, was die große Koalition in Wandsbek damals beschlossen hat, was von Ihrem Senat nicht gewollt war, und zwar nicht, weil Sie dort ein Naturschutzgebiet haben wollten, sondern weil die SPD ganz andere Pläne mit diesen Gebieten hatte, nämlich eine großzügige Zubetonierung.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Das haben Sie falsch verstanden, Herr Maier!)

Jetzt hinzugehen und sich auf die Seite der Wohldorfer Initiative zu stellen, ist mehr als fragwürdig.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Dann muss man sich doch einmal die Frage stellen, worüber wir hier eigentlich reden. Herr Kusch wurde angesprochen, der, wie der Senat mittlerweile beschlossen hat, eine freiwillige Selbstverpflichtung vorgeschlagen hat, dass der Senat sich, wenn ein Bürgerbegehren angeleiert wird, innerhalb von vier Wochen entscheiden muss, zu evozieren oder nicht. Das ist eine freiwillige Selbstverpflichtung, die die Bürgerbeteiligung vor Ort stärkt und nicht schwächt, denn wir verhindern damit, dass der Senat erst einmal abwartet, ob aus der Bürgerbeteiligung vielleicht irgendetwas wird, ob es zu einem Bürgerbegehren kommt, ob sie Erfolg hat, und nicht erst dann evoziert, sondern es gleich tun muss. Es entspricht einem Beschluss, den die FDP auf ihrem letzten Parteitag zur Stärkung der Bürgerbeteiligung gefasst hat.

Man kann durchaus darüber nachdenken, ob wir noch einen Schritt weitergehen und sagen, wenn der Senat evoziert, muss mit den Stimmen, die vielleicht schon gesammelt worden sind, irgendetwas passieren. Da es dann auf Landesebene angehoben wird, bliebe noch ein Volksbegehren und man könnte zum Beispiel darüber nachdenken, die Stimmen, die für ein Bürgerbegehren auf Bezirksebene gesammelt worden sind, auf ein Volksbegehren anzurechnen, wenn die Initiative das will. Aber es ist schon sehr merkwürdig, in der freiwilligen Selbstverpflichtung eine Schwächung der Bürgerbeteiligung zu sehen.

Zur Initiative von Herrn Wellinghausen: Ursprünglich hat es beim Volksbegehren die Regelung gegeben, dass in dem Moment, wo die Initiative erfolgreich war und es zu einem Volksbegehren kam, die Bürger eine Benachrichtigungskarte bekommen sollten.

(Dr. Willfried Maier GAL: Genau!)

Diese Benachrichtigungskarte haben Sie wieder abgeschafft und jetzt erzählen Sie uns, dass das, was Herr Wellinghausen vorschlägt, eine Beeinträchtigung der Volksbeteiligung sei. Das macht überhaupt keinen Sinn. – Danke.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort erhält Senator Dr. Kusch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man sich mit den Themen beschäftigt, die von der Opposition angemeldet wurden – "Bitte keine Bürgerbeteiligung?", "Bürgerinnen und Bürger stören beim Regieren" –, dann erlauben Sie mir die Frage, wie lange es noch dauert, bis Sie das Thema "Verantwortung des Senats für die schwüle Hitze der letzten Tage" anmelden.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Albern!)

Sie haben ein Thema aufgegriffen, das nicht nur von dem, was der Senat mitgeteilt hat, meilenweit entfernt ist, sondern damit gar nichts zu tun hat. Der Senat hat mitgeteilt, dass er in einer Selbstbindung Fristen kürzer einhält, als er gesetzlich verpflichtet ist, und Sie machen sich darüber Gedanken, ob wir Bürgerbeteiligung respektieren, aushebeln oder wie auch immer. Ich will zu zwei Punkten Stellung nehmen.

Herr Maier, Sie werfen uns vor, dass wir das Gesetz nicht lesen; es könnte sein, dass Sie die Zeitung nicht gelesen haben. Im Februar hat der Senat beschlossen, Bebauungspläne in Wandsbek zu evozieren, und Sie teilen uns hier mit, es gebe keine Evokation im Bebauungsplanverfahren. Mit einer solchen Argumentation kommen Sie nicht weiter. Die damalige Senatsevokation war Anlass für eine öffentliche Erörterung, ob der Senat Bürgerbeteiligungen respektiert oder nicht. Der Senat hat auf diese öffentliche Diskussion geantwortet und sonst nichts. Wir haben mit dem Senatsbeschluss die Gesetzes- und Rechtslage nicht geändert, sondern in einer klarstellenden Geste klar gemacht, dass die Bürger, die sich an einem Bürgerbegehren beteiligen, so früh, wie es uns administrativ möglich ist, die politische Weichenstellung des Senats erfahren, um nicht durch allzu langes Warten erst spät, und zwar aus Bürgersicht viel zu spät, damit konfrontiert zu werden, was der Senat im Rahmen seiner Rechtspflichten tut.

Ich kann darauf hinweisen, dass es nicht nur ein Evokationsrecht des Senats gibt, sondern auch die Pflicht des Senats, das Gesamtwohl der Freien und Hansestadt Hamburg im Auge zu behalten. Es kann sein, dass ein Bürgerbegehren genauso wie ein Beschluss einer Bezirksversammlung aus bezirklicher, aus örtlicher Sicht nachvollziehbar und verständlich ist und trotzdem aus Sicht der Verantwortung für die ganze Freie und Hansestadt Hamburg fehlerhaft und deshalb durch Mehrheitsbeschluss zu evozieren oder sonst wie auszuhebeln ist, wie Sie es gelegentlich formulieren.

Bei der Bebauung in Altona ist es schon interessant, dass die Bürgerschaft mit einer anderen Mehrheitszusammensetzung genau das gemacht hat, was Sie uns jetzt vorwerfen, nämlich den Bürgerwillen durch Bürgerschaftsbeschluss und einen zuvor vom Senat herbeigeführten Beschluss – also gemeinsam von Senat und damals rotgrün dominierter Bürgerschaft – ausgehebelt hat.

(Antje Möller GAL: Der Unterschied zwischen Se- nat und Bürgerschaft ist Ihnen aber schon klar!)

Ob man das Wort "aushebeln" zu Recht an dieser Stelle benutzt, kann ich nicht beurteilen, weil ich damals noch

A C

B D

nicht in Hamburg gelebt habe. Nur, dies war genau das, was Sie uns jetzt vorwerfen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Was Sie zu den Überlegungen des Landesabstimmungsleiters gesagt haben, geht in einer ganz erstaunlichen Weise an der Substanz der Überlegung von Herrn Wellinghausen vorbei. Dass die Überlegung legitim ist und aus der Sicht des Landesabstimmungsleiters sogar ein Gebot im Sinne von Volksinitiativen, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir die Fehlerquote von Unterschriftenlisten auf ein erträgliches Maß reduzieren, zeigt doch, wenn 10 bis 15 Prozent aller Unterschriften nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, dass das Verfahren verbesserungsbedürftig ist. Dass der Landesabstimmungsleiter sich darüber Gedanken macht, wie und auf welche Weise man das Verfahren verbessern kann, ist nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Meine Damen und Herren! Sie haben im Übrigen übersehen, dass der Senat sich im Zusammenhang mit seiner Selbstbindung in keiner Weise Gedanken darüber gemacht hat, weil er sie sich gar nicht machen konnte, wie er bei künftigen Bürgerbegehren und bei bezirklichen Entscheidungen in Sachen Bauleitplanung zu verfahren gedenkt. Jede einzelne Entscheidung ist eine Einzelfallentscheidung. Deshalb kann der Vorwurf, der Senat wolle generell irgendwelche Bürgerbeteiligungen aushebeln, gar nicht richtig sein, weil er eine Bürgerbeteiligung, die er nicht kennt, weil er Bebauungspläne, von deren Inhalt er noch gar keine Kenntnis hat, nicht mit zukünftiger Wirkung jetzt schon aushebeln, an sich ziehen, evozieren oder sonst wie zur eigenen Sache machen kann. Ihre Vorwürfe sind ohne jede Substanz und ich habe den Eindruck, dass Sie möglicherweise angesichts gewisser parlamentarischer Ebbe im Moment nichts Besseres wissen, als zum Trittbrettfahrer außerparlamentarischer Initiativen zu werden.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Oh-Rufe bei der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Maier.

Herr Senator Kusch, der Februar-Beschluss, den Sie im Senat zur Evokation gefasst haben, hat nur die rechtliche Wirkung, dass Sie jetzt zum Chef des Verwaltungsverfahrens in Wandsbek geworden sind; über das Recht zum Beschluss des B-Plans ist damit überhaupt noch nichts gesagt. Nicht mehr die Bezirksamtsleitung Wandsbek steuert jetzt das Verwaltungsverfahren, sondern die Baubehörde, der Senat. Die Angelegenheit, die die Sache zum Gesetz macht, liegt immer in einem Parlament, entweder in der Bezirksversammlung oder aber in der Bürgerschaft. Insofern haben CDU und GAL zu Beginn der letzten Legislaturperiode die Evokation abgeschafft. Vorher hatte der Senat das Recht, eine solche Sache an sich zu ziehen und zu entscheiden; das kann er gegenwärtig nicht mehr. Deswegen ist das auch ein gutes Gesetz, das wir damals gemeinsam geschaffen haben.

(Beifall bei der GAL und bei Petra Brinkmann SPD)

Jetzt sagen Sie, Sie würden gesamtstädtische Interessen, die wachsende Stadt vertreten und man könne doch nicht die Bürger lokal dazwischenfunken lassen. Diese Stadt ist in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stärker gewachsen,

(Ingo Egloff SPD: 75 000!)

als Sie es in den nächsten zehn Jahren hinbekommen werden, nämlich um 150 000. Gucken Sie sich doch einmal die Ergebnisse Ihrer ersten zwei Jahre an. In Wahrnehmung des Wachstums und der Wachstumsprobleme, Herr Reinert, haben Sie dem Volksgesetzgebungsverfahren mit den lokalen Rechten zugestimmt. Jetzt wollen Sie es abschaffen, weil Sie plötzlich derjenige sind, der es durchführen muss.

(Bernd Reinert CDU: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)

Da hinkt überhaupt nichts, das ist völlig eindeutig.

Die Stadt ist in den Neunzigerjahren stärker gewachsen als sie gegenwärtig wächst. Wir haben in Wahrnehmung der Probleme dennoch diese lokalen Verfahren zum Bürgerbegehren geschaffen, weil uns nämlich eines damals klar war: Eine Vielzahl von Häusern bilden eine Siedlung, aber Bürger machen eine Stadt. Das hat der alte Rousseau einmal gesagt.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Darum sind uns aktive Bürgerinnen und Bürger unendlich viel wichtiger als die eine oder andere zusätzliche Baumaßnahme an diesem oder jenem Ort.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Sönksen?

– Nein, dafür sind fünf Minuten zu kurz und seine Fragen auch nicht interessant genug.