Ein Fall einer Abschiebung zu diesem Zeitpunkt – also 1 Prozent aller Fälle – ist im vergangenen Jahr vorgekommen. Das zeigt, dass der Senat beziehungsweise das Ausländeramt vernünftig vorgeht und lange abwägt, bevor so etwas geschieht.
Vielen Dank. Da Sie auch die Zahl benutzen, möchte ich Folgendes fragen: Ist Ihnen bekannt, dass im Bericht eindeutig steht, dass keine Statistik geführt wird? Woher haben Sie also die Sicherheit bei dieser Zahl.
Es handelt sich in der Tat um eine Schätzung. Sie waren wie ich in der Sitzung dabei, als der Senatsvertreter erklärt hat, welche Fälle ihm bekannt sind,
und am Wort des dort sitzenden Senatsvertreters, der, wie Sie wissen, kein Politiker und auch kein politischer Beamter ist, sondern ein normaler Beamter, der dort täglich seine gute Arbeit macht, habe ich nicht zu zweifeln.
Weil ein Charterflugzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt abfliegt, ist es vertretbarer, in der Nachtzeit zu klingeln, damit eine Familie – seien es zwei Stunden, seien es vier Stunden, sicherlich kann man im Einzelfall immer wieder neu darüber diskutieren, welche Zeit angemessen ist – immerhin eine Vorbereitungszeit hat, um ihre Sachen zu packen und die Kinder darauf vorzubereiten. Die Alternative wäre, entweder es geht sofort los oder – das ist ja von Ihnen im Ausschuss diskutiert worden – eine Festsetzung in der Wohnung am Abend vorher. Ich glaube nicht, dass wir damit besser fahren würden.
Die Duldungsfristen, die ausgesprochen sind, sind in jedem Fall bedingt. Auch das muss man am Anfang einmal sagen. In der in diesem konkreten Fall ausgesprochenen Duldung fand sich, wie in jeder Duldung, der Hinweis, dass sie jederzeit widerruflich ist. Eine Familie oder ein Individuum, das von einer Abschiebung betroffen ist, weiß, dass es abgeschoben werden wird.
Es hat vorher Ausreiseverfügungen gegeben, es hat vorher Aufforderungen gegeben auszureisen. Dem wurde nicht
nachgekommen. Es ist nun einmal die zwingende Folge, dass danach die Abschiebung erfolgt. Es ist – zugegeben – ein unglückliches Verfahren, wenn ein Abschiebetermin feststeht, eine übermäßig lange Duldung auszusprechen. Das wurde von der Behörde auch so erkannt. Im Ausschuss haben wir darüber gesprochen, dass hier eine Änderung der Praxis erfolgt und nicht mehr die offensichtlich standardisiert vorgegebenen vier Wochen für solche Fälle Verwendung finden. Das ist ein sachgerechtes Ergebnis, das auch möglich war, weil man über einen konkreten Einzelfall im Eingabenausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen des Datenschutzes reden konnte, was man sonst möglicherweise nicht erzielt hätte. Deswegen empfiehlt auch die FDP-Fraktion, den Ausschussbericht entsprechend anzunehmen.
Herr Ploog, Sie wissen, ich schätze Sie sehr als Vorsitzenden des Eingabenausschusses. Dennoch möchte ich Ihnen heute in einigen Punkten, die Sie eben dargelegt haben, widersprechen.
Erstens zur Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzung: Wir hatten einen Vermerk der Bürgerschaftskanzlei vorliegen, dass sehr wohl eine Interpretation unserer Geschäftsordnung dahin gehend zulässig wäre zu sagen, dass dieser vorliegende Antrag per se öffentlich verhandelt werden sollte und dass es eines Antrags bedurft hätte, ihn nichtöffentlich zu verhandeln. Von dieser Möglichkeit haben Sie Gebrauch gemacht. Insofern ist das alles im Prinzip rechtens, aber es zeigt, womit wir hier ganz oft ein Problem haben: mehrere Juristen und noch viel mehr Alternativen und Antwortmöglichkeiten. Dann ist es natürlich für Menschen wie mich, die keine Juristen sind, in so einem Ausschuss manchmal nicht ganz leicht, sich Gehör zu verschaffen und die Dinge, wie es eigentlich meine Aufgabe ist, nach Menschlichkeit und Gerechtigkeit noch über die Rechtsprechung hinaus zu betrachten.
(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Über die Rechtsprechung hinaus, das ist sehr bedenklich!)
Nein, das ist nicht bedenklich. Man darf über die Rechtsprechung hinaus nachdenken, weil jedes Gesetz letztlich nur ein Nachziehen von Entwicklungen einer Gesellschaft ist.
Wenn wir finden, dass wir über die Rechtsprechung, die wir haben, gesellschaftlich-kulturell hinausgehen, können wir versuchen, in diese Richtung unsere Rechtsprechung zu
(Beifall bei der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Die Gesetze können Sie verändern! Die Behörde kann aber nicht über die Gesetze hinaus entscheiden!)
Diese hoch philosophischen und politischen Diskussionen mögen Ihnen zu viel sein. Darf ich jetzt wieder zu den Punkten kommen, die diesen Antrag und diese Vorlage angehen?
Zweitens: Herr Ploog, Sie haben gesagt, bei den Flugzeiten gebe es Sachzwänge. Selbstverständlich sind Flugzeiten planbar, wenn man es will.
(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Sie haben keine Ahnung, Frau Dr. Lappe! Von der Praxis wissen Sie nichts!)
Weiterhin haben Sie gesagt, die Petenten seien nicht unvorbereitet gewesen. Das mag in gewisser Weise richtig sein, aber wenn man ein paar Stunden vorher eine Duldung bekommt, geht man nicht davon aus, dass man in der Nacht abgeschoben wird. So viel zur Täuschung.
Zur Freiwilligkeit. Es wurde in der Debatte im Eingabenausschuss deutlich, dass Familien sich potenziell immer besonders dem Verdacht aussetzen, dass sie nicht freiwillig ausreisen wollen. Diesen Verdacht finde ich verheerend, aber mir konnte im Ausschuss auch nicht erklärt werden, warum bei dieser Familie der Verdacht nahe lag, sie wolle nicht freiwillig gehen. Es konnte im Ausschuss nicht erklärt werden, warum es nicht möglich war, der Familie einen Termin zu geben und sie dann ausreisen zu lassen. Sie haben gesagt, solche Fälle sind die Ausnahme. Das stimmt. Aber wir wollen in Hamburg – dazu stehen wir weiterhin – auch diese Ausnahmen nicht, insbesondere dann, wenn es sich um Familien handelt.
(Beifall bei der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie wollen ja gar nicht abschieben!)
Nun noch ein paar Worte zu Herrn Polles Ausführungen. Auch wir haben, als wir diese Debatte angemeldet haben, an die Eingaben dieser Kinder gedacht. Dabei sind uns ein paar Sachen aufgefallen, die für die Mitglieder des Eingabenausschusses vor allem in Bezug auf das Vertrauen in die Korrektheit der Angaben, die wir von der Ausländerbehörde bekommen, sehr problematisch sind. Das betrifft zum einen die Vollständigkeit der Angaben, weil ich im Nachhinein feststellen muss, dass Gerichtsurteile nicht angemessen mit berücksichtigt worden sind, oder manipulierend, weil Straftaten der Petenten behauptet wurden, die in keiner Weise zutreffen und dann auch wieder zurückgenommen werden mussten. Aber der Ruf der Petenten ist erst einmal ruiniert. Das halte ich für Manipulieren. So etwas darf nicht vorkommen
Das Nächste ist, dass die Ausländerbehörde mit Sicherheit eine Rechtsauffassung vertritt, die wir nicht immer teilen.
Dies trifft insbesondere in einem Punkt zu, in dem es darum geht, dass das Ausländerrecht, das vermeintlich Vorrang
vor allen anderen Rechten hat, auch bei Kindern uneingeschränkten Vorrang hat. Sie haben an dem Gerichtsurteil gesehen, aus dem Herr Polle zitiert hat, dass es auch unter den Juristen Deutschlands nicht einhellig ist. Es gibt unterschiedliche Auffassungen und es besteht für mich kein Grund, dass der Eingabenausschuss sich auf eine Seite dieser Auffassung ziehen lässt, die einseitig mit der behaftet ist, die die Ausländerbehörde vertritt.
(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das ist aber eine vertretbare Auffassung!)
Der Eingabenausschuss hätte die Möglichkeit gehabt, im Prinzip so zu entscheiden, wie das Familiengericht es jetzt auch getan hat. Wir hätten einen Aufschub gewähren können, wie die SPD das vorgeschlagen hat. Wir hätten abwarten können, bis eine gesicherte Rückführung möglich ist. Und „gesichert“ heißt, dass sie in eine verlässliche Obhut kommen. Das scheint sehr schwer, wenn überhaupt möglich. Wir verstoßen damit nach Ihrer Auffassung vielleicht gegen das Ausländergesetz, aber es gibt zum Beispiel auch noch die UN-Kinderkonvention, es gibt das KJHG.
Es gibt auch rechtliche Möglichkeiten, die Dinge, die uns vorliegen, anders zu interpretieren, als die Ausländerbehörde es tut. Für uns ist es oft sehr schwierig, das zu beurteilen, aber ich würde mir wünschen, dass wir uns in zweifelhaften Fällen wie diesem – und das fand ich im Ausschuss sehr einhellig – mehr Zeit nehmen, uns das genauer anzusehen und uns nicht unter Druck setzen zu lassen, weil die Ausländerbehörde behauptet, die Abschiebung stehe kurz bevor und die wolle sie durchführen. Das sollten wir nicht tun.