Protocol of the Session on May 29, 2002

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Wer wünscht das Wort? – Frau Cords, bitte.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich frage Sie mal: Kennen Sie eigentlich den Unterschied zwischen gefühlter und gemessener Temperatur? So kommen mir manchmal die Empfindungen vor, wenn die Leute etwas über Erschließungskosten hören. Die Erschließungskosten werden als zu hoch, zu undurchsichtig, als nicht gerechtfertigt oder als nicht nachvollziehbar empfunden. Wer ein erschlossenes Grundstück oder eine Wohnung erwirbt, hat diese Kosten nicht vor Augen. Mieter bezahlen Erschließungskosten im Rah

men ihrer Mieten, verteilt über viele Jahre. Also bewegen diese Kosten direkt nur Grundbesitzer, die ihre Grundstücke selbst bebauen wollen, und das ist eine relativ kleine Gruppe.

Zugegeben, nicht alle diese Rechnungslegungen sind transparent zu vermitteln. Ich empfehle Ihnen trotzdem, sich dieses Gesetzesexemplar einmal anzuschauen. Dieses führt immer wieder zu Kritik, Misstrauen und Unbehagen, wenn die Gebührenbescheide für die Sielbaubeiträge den Grundstückseigentümern oder Bauherrn ins Haus flattern. Wenn dann noch die Straßenerschließungskosten hinzu kommen, meint mancher Grundstücksbesitzer zum Sozialhilfeempfänger werden zu müssen. Man kann sich darüber streiten, ob die bis heute gültige Gebührenzusammensetzung voll gerechtfertigt ist und ob sie dem wirklichen Grundstücksnutzwert mit einem komfortablen, leistungsfähigen Sielanschluss in voller Höhe entspricht.

Mit der jetzt gültigen Regelung wird aber durchaus einer unterschiedlich intensiven Sielnutzung durch die Grundstücksbewohner Rechnung getragen. Dieses heutige Bemessungssystem besteht aus dem Grundbetrag, Sielbaubeitrag mit Begrenzung der Frontmeterzahl und eventuellen Beitragszuschlägen, gestaffelt nach der Geschosszahl. Das hat beispielsweise für Besitzer großer Grundstücke mit nur einem Wohnhaus einen Vorteil und wurde durchaus in Anspruch genommen; nicht so, wie Sie sagen.

Ob aber der Vorschlag, den die Koalition in Ihrem Antrag anspricht, ausschließlich von Weisheit und Gerechtigkeit getragen ist, soll hier nicht bewertet werden. Die Koalition beauftragt mit diesem Antrag nun den Senat, die Sielbaubeiträge auf eine andere Berechnungsgrundlage zu stellen. Wir sind gespannt, was der Senat vorlegen wird.

Lassen Sie mich aber noch einen Gedanken zur Veränderung von Gebühren äußern. In den letzten Jahren wurden nach der jetzt gültigen Gebührenregelung circa 180 000 besielte Grundstücke in Hamburg abgerechnet. Zur Zeit stehen noch 1200 Grundstücke zur Besielung an. Nach welchen neuen Grundlagen sollen diese abgerechnet werden? Wie werden laufende Bauanträge beschieden werden? Bei veränderten Erhebungsgrundlagen, wie Sie das möchten, werden sich auch die Gebühren pro Sielanschluss verändern. Zu wessen Lasten werden die Gebühren verschoben? Auf wen werden die Kosten verteilt? Bitte, alles aufkommensneutral und gerecht.

Die Forderung an den Senat, die Neufassung aufkommensneutral zu gestalten, betrachten wir jetzt schon mal mit großer Skepsis. Wir möchten dem Senat eine weitere grundsätzliche Überprüfung des Sielabgabengesetzes empfehlen. Der Rechnungshof hatte in der Vergangenheit gefordert, eine veränderte Bewertung und Gewichtung der Sielbaukosten für private Grundstücke unter Einbeziehung der übergeordneten Funktion der Sielanschlüsse für das hamburgische Stadtgebiet vorzunehmen. Die Schlussfolgerung des Rechnungshofes war sogar, dass eine Absenkung der Sielbaubeiträge in Erwägung gezogen werden sollte.

Nun ist mir zwischenzeitlich zu Ohren gekommen, dass es innerhalb der Koalition durchaus unterschiedliche Ansichten zu diesem Antrag gibt. Ich weiß, dass der Senat zurzeit eine Veränderung des Sielbaugesetzes berät. Ich hoffe nur, dass wir an diesen Beratungen noch einmal teilnehmen können, und deshalb beantragen wir eine Beratung im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

(Vizepräsident Farid Müller)

Das Wort erhält der Abgeordnete Reinert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Cords, um auf Ihren vorletzten Punkt zu kommen. Sie hoffen, dass Sie an den Beratungen des Senats beteiligt werden. Wir hoffen, dass es noch viele Jahre dauern wird, bevor das wieder der Fall ist.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Ich kann auch nichts dafür, wenn mir hier die Vorlagen geliefert werden; dann muss ich eben so reagieren.

Mit diesem Antrag wollen die Koalitionsfraktionen die Kostenbelastung durch den Sielbau unter die Lupe nehmen

(Vizepräsidentin Rose-Felicitas Pauly übernimmt den Vorsitz.)

und das System der Bemessung der Sielbaubeiträge und damit auch ihre Höhe auf den Prüfstand stellen, denn der jetzige Zustand ist vor allem eigenheimfeindlich.

Von meinen Vorrednern ist darauf hingewiesen worden, wie das gegenwärtig berechnet wird, nämlich nach der Straßenfrontlänge. Das kann für zwei gleich große Grundstücke bedeuten, dass das eine mit einem Einfamilienhaus bebaut werden darf. Für 25 Meter Straßenfront bezahlen Sie, noch in D-Mark gerechnet, 14 875 D-Mark. Wenn Sie auf demselben Grundstück ein fünfgeschossiges Gebäude mit zehn Wohnungen bauen, zahlen Sie 17 850 D-Mark, also nicht einmal 3000 Mark Differenz. Anders gerechnet: Bauen Sie das Mehrfamilienhaus, bezahlen Sie den Nutzen, der aus dem Siel erwächst, mit 1750 Mark pro Wohnung, beim Einfamilienhaus mit 15 000 Mark pro Wohnung. Und da, liebe Frau Cords, ist es kein Wunder, wenn Sie dann sagen, es sei eine relativ kleine Gruppe von Menschen in Hamburg, die ihre Grundstücke selbst bebauten. Leider ist es so und das ist auch eine Folge Ihrer verfehlten Politik.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Hätten wir in Hamburg eine eigenheimfreundlichere Politik betrieben, dann stünde Hamburg finanziell erheblich besser da.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Die hohen Grundstückspreise in Hamburg sind eine Tatsache, wir können nicht mit den niedrigen Grundstückspreisen im engeren und weiteren Umland konkurrieren, aber bei den staatlichen Gebühren müssen wir sehen, dass wir im Konkurrenzwettbewerb mit dem Umland mithalten können, und das ist mit der jetzigen Regelung auf gar keinen Fall gewährleistet. Wenn wir gute Steuerzahler in der Stadt halten wollen und wenn wir die wachsende Stadt wollen, dann ist es dringend nötig, an diese überhöhten staatlichen Gebühren heranzugehen, um die Abwanderung zu stoppen und den Trend wieder umzukehren.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat Herr Maaß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir werden diesen Antrag aus drei Gründen ab

lehnen, denn er führt zu einem Gesetz, das erstens sozial schwächere Hamburgerinnen und Hamburger benachteiligt, zweitens für die Verschwendung von knappem Bauland Anreize setzen wird und drittens für Hunderttausende Hamburgerinnen und Hamburger, die bereits nach dem alten Recht gebaut haben, schlicht ungerecht ist.

Zum geltenden Recht, das wir beibehalten wollen: Es wurden bereits 150 000 Grundstücke nach dem alten Recht angeschlossen und abgerechnet, also eben nach der Frontlänge, sprich der Größe des Grundstücks im Regelfall, es sei denn, es gibt trapezförmige Grundstücke, aber davon kann man nicht ausgehen, Herr Rutter. Und nach der Rechtsprechung ist es auch rechtmäßig, dass so abgerechnet wird, denn das Recht der Erschließungsbeiträge ist vom Grundsatz der gerechten Lastenverteilung geprägt und die bemisst sich genau danach, wer dafür verantwortlich ist, dass die Kosten entstehen. Die Kosten für den Bau eines Siels hängen ganz maßgeblich von der Länge des Siels ab, also von der Länge der Leitungen.

(Bernd Reinert CDU: Und vom Durchmesser!)

Das dürfte Ihnen auch bekannt vorkommen mit der langen Leitung, aber das verursacht sozusagen die Kosten. Deswegen ist es doch auch sinnvoll, dass nach diesem Ansatzpunkt abgerechnet wird, und diese Grundsätze sollten aus meiner Sicht grundsätzlich beibehalten werden.

Was wären aber die Folgen eines neuen Gesetzes? Erstens würden diejenigen, die auf einem Grundstück nur einen Haushalt unterbringen, weniger zahlen und diejenigen, die auf einem Grundstück mehrere Haushalte unterbringen, also verdichtet bauen, letztendlich mehr zahlen. Sprich: Die Besitzer eines Einfamilienhauses mit großem Garten werden entlastet und die Mieter von Etagenwohnungen werden finanziell belastet, weil die Beiträge langfristig auf sie umgelegt werden.

Deswegen ist das eine Flächenverschwendung, für die hier Anreize gesetzt werden. Verdichtetes Bauen wird teurer, sozial Schwache werden belastet, Reiche werden entlastet. Und was werden diejenigen – darauf müssen wir auch einmal zurückkommen –, die in den letzten Jahrzehnten nach dem alten Recht gebaut haben – das sind 150 000 Grundstücke –, denn bitte sagen, wenn für die restlichen 1000 Grundstücke, die noch erschlossen werden sollen, sozusagen das Recht vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Es werden neue Rechtsunsicherheiten verursacht, die einen Haufen von Bürokratie verursachen, die wahrscheinlich auch noch große Rechtsstreite verursachen werden, anstatt jetzt für diese 1000 Grundstücke doch bitte bei der bewährten Rechtsgrundlage zu bleiben und auf diesen Bürokratismus zu verzichten.

(Bernd Reinert CDU: Besser spät eine vernünftige Regelung als nie!)

Deswegen ist diese Änderung nicht, wie Herr Rutter sagt, ein Ausfluss von gesundem Menschenverstand, sondern einfach grober Unfug.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Rumpf.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich verstehe den Aufschrei nicht so ganz. Ich darf Ihnen den Antrag vielleicht noch einmal vorlesen:

„Der Senat wird beauftragt, der Bürgerschaft bis zum 30. September 2002 den Entwurf einer aufkommensneutralen Neufassung von Paragraph 3 und Paragraph 7 Sielabgabengesetz vorzulegen.“

(Rolf-Dieter Klooß SPD: Aufkommensneutral!)

Sie können dann noch aufschreien, wenn Sie das Ding sehen. Sie müssen das doch nicht tun, solange wir nur diesen Auftrag erteilen.

(Christian Maaß GAL: Ja, wenn der Auftrag schon Quatsch ist!)

Nein, der Auftrag ist kein Quatsch, Herr Maaß. Die Beiträge werden dadurch auch nicht ungerecht, denn in dem Moment, wo man Mehrfamilienhäuser baut, wird der Sielbaubeitrag wieder aufgeteilt und ist dann natürlich immer noch niedriger als bei einem Einfamilienhaus. Das ist ein schlichtes Rechenexempel, ich weiß nicht, wie man darauf nicht kommen kann.

(Rolf Kruse CDU: So weit geht es bei ihnen nicht!)

Ja, wahrscheinlich.

In anderen Bundesländern sind diese Abgaben in der Regel durch Satzungen geregelt. Da finden sich in der Tat von Gemeinde zu Gemeinde innerhalb eines Bundeslandes die lustigsten und widersprüchlichsten oder auch sinnvollsten Regelungen. Das Schönste oder meines Erachtens Effektivste, was ich bislang bezahlen durfte, war schlicht die Abrechnung nach dem tatsächlichen Aufwand, das heißt, die Gemeinde hat den Anschluss gelegt und dann abgerechnet, wie viel es wirklich gekostet hat, und das hat sie mir per Beitragsbescheid in Rechnung gestellt. Das war im Grunde genommen sehr einfach, ist in Hamburg aber aufgrund der Drucksiele etwas schwieriger zu realisieren. Deswegen ist der Auftrag auch bestimmt in Ordnung.

Diese doch sehr starke Bemessung nach der Frontmeterlänge entspricht im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben, durchaus nicht so sehr der höchstrichterlichen Rechtsprechung, weil sie nur dann als gegeben oder rechtmäßig hingenommen wird – Satzungen sind häufig Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung –, wenn die Bebauung einigermaßen homogen ist. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass nach Frontmetermaßstäben abgerechnet wird, und genau diese homogene Bebauung haben wir in Hamburg gerade nicht.

Von daher ist der vorliegende Antrag eigentlich nur die notwendige Berichtigung und der Senat kann, Frau Cords, um auf Ihren Vorschlag zurückzukommen, natürlich auch den Vorschlag des Rechnungshofs in seinen Entwurf mit einarbeiten. Wie ich ihn kenne, wird er das tun. Wir brauchen den Antrag dazu nicht zu überweisen, sondern können ihn heute hier schlicht und ergreifend beschließen. – Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)