Protocol of the Session on May 10, 2001

(Karen Koop CDU)

grieren, aber das von Ihnen erwähnte Projekt ist nicht ein Projekt im traditionellen Erwerbsarbeitsmarkt,

(Karen Koop CDU: Das habe ich auch nicht ge- meint!)

sondern es gibt ein Modell B, das heißt, man darf für 150 DM zusätzlich bestimmte Tätigkeiten ausführen, und Sie sagten, es gebe da auch sehr interessante Tätigkeiten. Ich weiß nicht, ob die interessant sind, mit Erwerbsarbeit haben sie jedenfalls wenig zu tun. Ich nenne einmal einige aus dem Projekt TAURIS: Schulwegbetreuung, Erfassungstätigkeiten in der Bibliothek, Wartung von Sportanlagen, Unterstützung des sozialen Möbeldienstes und ähnliches. Wir können uns natürlich trefflich darüber streiten, ob das eine perspektivische, in die Zukunft gerichtete arbeitsmarktpolitische Ausrichtung ist. Es ist eine Facette, um Menschen, die länger in der Sozialhilfe sind, möglicherweise wieder an Arbeit heranzuführen. Aber die Auswertungen des Projekts TAURIS zeigen – das kritisieren Kirchen, Wohlfahrtsverbände und auch sehr viele Politiker und Politikerinnen dort in der Region –, daß die Teilnahme am Erwerbsleben und die Nähe zur Armut immer größer geworden ist und eine Integration in eine Art normale Erwerbstätigkeit durch dieses Projekt nicht stattfinden kann; das muß man noch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei Andrea Franken GAL)

Deshalb macht es für uns wenig Sinn, ein solches Projekt in Hamburg zu etablieren, unter anderem auch deshalb – Herr Pumm hat es schon gesagt –, weil man das eine nicht mit dem anderen vergleichen kann. Wir haben in Hamburg eine Reihe von Maßnahmen, die sehr erfolgreich im Verbund mit einem Netzwerk privater Unternehmen ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Das Projekt TAURIS oder HOLLA, wie Sie es für Hamburg gerne nennen würden, baut eine Art Billiglohnkonkurrenz zu normalen Erwerbsarbeiten auf; auch das wird dort in der Region sehr kritisch gesehen. Dies ist also unseres Erachtens kein Modell, das für Hamburg tragfähig ist, aber wir werden das zusammen diskutieren.

Nun zum zweiten Modell aus Baden-Württemberg, das Sie angesprochen haben, dem Einstiegsgeld für langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfängerinnen. Wir haben verstärkt Anstrengungen unternommen, um über die Sozialdienststellen, aber auch über die Vermittlungsagenturen und die Arbeitsämter paßgenaue Vermittlung in Arbeit anzubieten, und darin sind alle Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen in der Stadt integriert. Aber zu glauben – Frau Koop, das haben Sie auch eben erwähnt –, daß finanzielle Anreize – und das ist dieses Einstiegsfeld – alleine reichen würden,

(Karen Koop CDU: Das ist ein Anreiz! Ich sage doch nicht, daß das alles ist!)

um Arbeit auf dem Erwerbsarbeitsmarkt anzubieten und langfristig zu finden, ist ein Trugschluß, denn genau das passiert in der Regel nicht. Es kommt zu Mitnahmeeffekten, und nachdem die Person in dem Betrieb ausgetestet wurde und das Einstiegsgeld abgelaufen ist, steht sie in der Regel wieder auf der Straße. Auch das können wir nicht wollen, sondern wir wollen eine langfristige Perspektive. Wir brauchen vor allen Dingen Qualifizierung, weil die Qualifizierungsschere immer größer wird, das heißt eine Art von Erwerbstätigkeit, die gleichzeitig qualifiziert und tatsächlich einen Einstieg in den Arbeitsmarkt bietet.

Wir hatten gestern die Diskussion „Armut trotz Arbeit“ und haben gesehen, daß sehr viele Sozialhilfeempfänger und

-empfängerinnen in der Stadt bereits auf ergänzende Sozialhilfe trotz Arbeit angewiesen sind. Wir haben auch gesehen, daß es in der Stadt bereits viel Arbeit zu niedrigen Einstiegslöhnen gibt, mit denen eine Familie und manchmal auch die eigene Existenz nicht gesichert werden können. Wir wissen, daß die Mehrheit dieser Arbeiten von Frauen ausgeführt wird, das heißt, Frauen gehören jetzt schon in unserer Gesellschaft und auch in Hamburg zu den Geringverdienenden. Daher brauchen wir diesen Niedriglohnsektor über das Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose meiner Meinung nach auch nicht, weil wir das im Grunde schon indirekt haben. Es geht darum, ganz gezielt paßgenaue Modelle und Angebote zu entwickeln und vor allen Dingen dafür zu sorgen, daß die Leute qualifiziert werden, einen Einstieg im Arbeitsmarkt finden und die Wirtschaft, die Unternehmen, diese Arbeitsplätze auch anbieten.

Es geht um Perspektiven in vielerlei Hinsicht; in beiden Anträgen sehe ich das nicht. Wir haben eine Reihe von Modellversuchen, und wir werden im Sozialausschuß über die Erfolge oder Mißerfolge sprechen. Meiner Meinung nach gibt es keine Gründe, eines der beiden Modelle in Hamburg einzuführen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Der Abgeordnete Hackbusch bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe nur ganz kurz Zeit und will deswegen nicht auf die allgemeine Debatte eingehen, sondern einen Punkt in Ihrer Rede aufnehmen, der mir sehr wichtig war und den ich auch sehr angenehm fand. Sie haben die Situation Ihres Nachbarn geschildert, der in gewisser Weise keine Perspektive mehr hat, in den Arbeitsmarkt zu kommen, der aber trotzdem eine Tätigkeit wahrnehmen möchte. Eine solche Situation ist bei der hohen Anzahl von Arbeitslosen in dieser Stadt sehr üblich. Das große Problem ist aber, um die Realität einmal zu schildern, daß er diese ruhige Situation, die Sie gegenwärtig bei ihm schildern, gar nicht haben kann. Wenn er beim Arbeitsamt gemeldet ist, wird er innerhalb kürzester Zeit gezwungen, alle möglichen Tätigkeiten wahrzunehmen, die man sich nur denken kann. Der Schutz der Qualifikation ist bei der Arbeitsunterstützung abgeschafft. Herr Schröder hat sich gerade damit brüskiert zu sagen, wir hätten das wunderbar hinbekommen, es gebe gar keine Faulen mehr, wir könnten mit unseren Instrumenten alle innerhalb kürzester Zeit in jede Arbeit bekommen.

Was Sie da schildern, ist zwar eine schöne Vorstellung davon, wie es sein könnte. Das kann aber nur jemand sein, der sozial relativ gut abgesichert ist. Leider ist dies für alle anderen in dieser Stadt – da sind sich in einer Großen Koalition, angefangen von der CDU über die SPD bis zu den Grünen, alle einig – nicht mehr möglich.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Wer stimmt der Überweisung der Drucksachen 16/5849 und 16/5853 an den Sozialausschuß zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so geschehen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf, Drucksache 16/5707: Große Anfrage der GAL-Fraktion zum Einfluß rechtsradi

(Heide Simon GAL)

kaler Organisationen auf Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und Studierende in Hamburg.

[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Einfluß rechtsradikaler Organisationen auf Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und Studierende in Hamburg – Drucksache 16/5707 –]

Wer meldet sich zu Wort? – Der Abgeordnete de Lorent hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Warum haben wir die Große Anfrage gestellt, warum haben wir sie zur Debatte angemeldet? Aus unserer Sicht ist es Aufgabe des Parlaments, sich mit Neonazismus in dieser Stadt auseinanderzusetzen, die Neonazis zu beobachten, nach den Ursachen zu forschen und sie wirksam zu bekämpfen. Wir sollten gemeinsam alle Möglichkeiten der präventiven Arbeit nutzen und ausschöpfen, und ich hoffe, daß sich alle Fraktionen in diesem Parlament einig sind, daß den Neonazis in Hamburg keine Plattform und keine Chance gegeben werden sollte.

(Beifall im ganzen Hause)

Des weiteren möchte ich auf Deklamatorisches verzichten, ein wenig in eine differenzierte Betrachtung eingehen und zu Beginn aus meiner Sicht die wesentlichen Erkenntnisse der Beantwortung der Großen Anfrage nennen.

Erstens: Die Gesamtzahl organisierter Neonazis und rechtsextremistischer Skinheads ist in Hamburg gestiegen; das ist beachtenswert. Dies ist vielleicht noch nicht besorgniserregend, da die absolute Zahl relativ gering ist; es ist von 190 Leuten die Rede. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß ich es für notwendig halte, dabei differenzieren zu können. Wir müssen die Führer dieser neonazistischen Organisationen von den organisierten Mitläufern und Mitgliedern und von dem für uns noch gravierenderen, aber relativ großen Potential derer unterscheiden, die durch Neonazis angesprochen werden können. Ich möchte Sie daran erinnern, daß es bei den letzten Bürgerschaftswahlen ein Potential von 8 Prozent gab. Es ist kein Zufall, daß der – wie heißt er noch gleich – Richter Profilneuros auch mit einem Potential von 8 Prozent rechnet. Das sind nicht alles Neonazis, aber er spricht die gleiche Zielgruppe und das gleiche Potential an.

Zweitens: Die Hochburgen – das fand ich interessant – der Szene sind eher im kleinbürgerlichen Milieu, eher in den Randgebieten Hamburgs, während das Potential eher in den Problemstadtteilen liegt. Darüber ließe sich weiter nachdenken, und es lohnte sich, dies weiter zu analysieren.

Dritter Punkt, der interessant ist: Die DVU und die Republikaner haben offensichtlich kaum jugendliche Anhänger in dieser Stadt, die NPD hat dagegen ihre Strategie verändert und stärker auf Kooperation mit Skinheads und den etwas beweglicheren Neonazis gesetzt. Wir sehen, daß sich hier zum Teil sehr schnellebige Veränderungen zeigen.

Viertens: Positiv ist, daß der Einfluß der Neonazis im Sportbereich abgenommen hat, auch wenn es zuweilen immer noch gruselige Gesänge und Plakate gibt. Der Kollege Jobs hatte im Volksparkstadion seine Erstbegegnung und hat gerade gestern erzählt, was ihn da so manchmal überrascht, wenn er das hört und sieht. Dieser Rückgang des Einflusses unter Sportfans ist sicherlich zurückzuführen auf den Erfolg der Fanprojekte, insbesondere der engagierten Arbeit in den HSV-Projekten, die gute und wichtige

Arbeit leisten. In acht Jahren hat sich der Anteil von 350 Jugendlichen und jungerwachsenen Hooligans auf eine Größenordnung von 40 bis 50 reduziert. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, daß die Leute älter geworden sind und Dinge greifen, die mit Älterwerden zu tun haben. Aber ich führe es in erster Linie darauf zurück, daß hier eine engagierte soziale Arbeit fruchtet, und das ist gut so. Vielleicht ist es ja auch so, daß Rassismus und Ausländerfeindlichkeit schwerer fallen, wenn die Garanten für den Torerfolg der eigenen Mannschaft Yeboah, Mahdavikia, Kovac und Barbarez heißen und alles andere als blauäugig und blond sind.

Fünftens: Wichtig ist, sich die Merkmale neonazistischer Kameradschaften ein bißchen genauer anzugucken. Ich fand es in der Antwort interessant, daß hier von der Ausprägung einer neuen Jugendsubkultur gesprochen wird. Es gibt nicht nur die uns bekannten und für uns unangenehmen äußeren Formen, Rituale und Symbole wie Glatze, Springerstiefel, Tätowierungen und ähnliches, sondern wichtig ist, wie diese Kameradschaften, wie die Skinheads arbeiten. Die sogenannten identitätsstiftenden Merkmale orientieren sich auf Erlebnis- und spaßorientierte Freizeitangebote. Es gibt immer einen ungeheuer hohen Alkoholkonsum, und es gibt ein vages, zum Teil sehr festes rechtsextremistisches Weltbild, das sich immer in Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Haß auf alles Fremde und politische Gegner manifestiert.

Immer wichtiger dabei wird offensichtlich, was auch andere Jugendliche anspricht, die Skin-Musik, die Kombination aggressiver ausländerfeindlicher Texte und Alkohol. Und wenn Sie sich angucken, daß es in Deutschland 134 Bands gibt und 100 von denen auf Konzerte gehen, dann sehen Sie, welche große und auch ökonomische Bedeutung das hat, weil dadurch viele Aktivitäten ökonomisch gespeist werden, da das ein wichtiger Markt ist.

Ich persönlich finde es durchaus bemerkenswert, daß eine der mittlerweile bekanntesten Rockgruppen in Deutschland – oder wie man sie nennen will –, die „Böhsen Onkelz“, aus dieser Szene entstanden ist. Es gibt da eine Entwicklung und Verbreitung, über die man nachdenken und die man genau beobachten muß.

Meine Damen und Herren! Bei aller Hirnlosigkeit der Ideologie, die durch exzessiven Alkoholgenuß bekanntlich gesteigert wird, gibt es aber durchaus ein strategisch intelligentes Führungspersonal; das darf man nicht übersehen. Gucken Sie sich das Kapitel an, was über Einsatz von Internet bei Neonazis handelt oder die Nutzung moderner Kommunikationsmittel. Lassen Sie uns das nicht unterschätzen, wir dürfen nicht die glatzköpfigen Blödlinge und Dumpfbacken vor Augen haben, sondern wir müssen wissen, daß dahinter Leute stecken, die strategisch intelligent und gefährlich handeln.

Sechstens: Interessant finde ich auch – und da haben wir in Hamburg gerade Erfahrungen gemacht – die Strategie des Aktionismus, die ständigen öffentlichen Provokationen, die einige Wochen hier in Hamburg sehr erfolgreich gewesen sind und auch uns zum Teil mit vorgeführt haben. Das Ziel und die Erfolgskriterien sind ganz einfach. Es geht darum, öffentliche Aufregung zu erwecken. Es geht ihnen darum, daß insbesondere ihre Neonaziführer in Wort und Bild erwähnt werden. Und ich glaube, daß es ein bißchen zu lange gedauert hat, bis Journalisten und Redaktionen gemerkt haben, daß sie dem Vorschub leisten, indem sie von kleinen Veranstaltungen groß berichten und immer ein großes Bild von Worch und Wulf bringen. Das ist das Ziel,

(Renate Vogel SPD )

das diese neonazistischen Gruppen haben. Sie wollen ihre Führer in Wort und Bild haben. Und wenn man dem nachkommt, macht man einen Fehler. Und das haben zum Glück die Redaktionen zum Teil gemerkt. Ich habe mit Journalisten gesprochen, und sie haben es reduziert. Und das hat unter anderem zum Ergebnis gehabt, daß diese Veranstaltungen geringer geworden sind. Aber ein Faktor dabei war natürlich auch, daß sich dagegen auch vor Ort Widerstand gezeigt hat.

Meine Damen und Herren! Das ist ein Kapitel, über das wir lange diskutieren können. Meiner Meinung nach muß man differenziert auf solche Aktivitäten reagieren. Das ist sicherlich umstritten und möglicherweise auch interfraktionell umstritten. Ich finde es richtig, öffentlich, möglichst durch Menschen, die vor Ort leben, also denjenigen, die heimgesucht werden von Neonazis, zu zeigen, wir wollen euch hier nicht. Aber ich finde es genauso richtig, mit ein bißchen mehr Gelassenheit auf solche Aktivitäten zu reagieren. Man müßte ein bißchen länger darüber diskutieren, wie die Mischung herzustellen ist.

Lassen Sie mich im zweiten und letzten Teil darauf eingehen, was man eigentlich tun kann. Darüber steht einiges in der Antwort. Ich finde, einiges Gutes. Es gibt eine Menge an präventiven Maßnahmen und konkreten Gegenmaßnahmen gegen Neonazis, insbesondere präventiver Maßnahmen im Jugendbereich. Wir haben immer wieder die Diskussion, welche Funktion Schule, Erziehung und die politische Bildung dabei übernehmen kann. Ich möchte darauf hinweisen und Ihnen an einem persönlichen Beispiel erläutern, daß es meine Erfahrung ist, sehr differenziert heranzugehen und manchmal auch betrübt zu sein, wie wenig Erfolg man dabei hat. Auch hier muß man zwischen dem harten Kern, auch mit seinen Strategien, den Mitläufern und dem ansprechbaren Potential unterscheiden. Ich bin der Meinung, daß in dieser wichtigen Frage der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus die Schule, auch die Hamburger Schule, in den fünfziger und sechziger Jahren total versagt hat. Es gab keine Aufarbeitung, keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der deutschen Geschichte. Das ist ein wichtiger Grund für die antiautoritäre Schüler- und Studentenbewegung gewesen, die sich gerade darüber aufgeregt hat, daß es keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gegeben hat.

Aber, meine Damen und Herren, daraus ist auch ein kleines Problem entstanden: Man kann der Lehrerschaft heute nicht vorwerfen, daß sie nicht bemüht ist, sich mit dem Nationalsozialismus und der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Ich glaube, daß Lehrer, die in dieser Zeit ausgebildet worden sind, sich ganz intensiv damit beschäftigen, und viele Beispiele aus den Schulen belegen das auch. Es wird guter Unterricht gemacht. Es wird sogar soviel Unterricht gemacht, daß Schüler das manchmal gar nicht mehr hören mögen. Es gibt aber ein Problem, das mir persönlich auch erst später klar geworden ist, nämlich das Problem, daß es aus meiner Sicht nicht ausreicht, verabsolutiert und überbetont zu glauben, daß nur die inhaltliche Auseinandersetzung mit Neofaschismus und neonazistischen Ideologien Jugendliche dagegen immun machen.

Ich glaube, daß eine wesentliche Dimension vernachlässigt wird, und zwar die pädagogische und psychologische Ebene. Ich halte es für wichtig, daß schon in Kindertagesheimen und Grundschulen eine Kultur des friedlichen Miteinanders entwickelt wird, daß früh begonnen wird, gegen Ausgrenzung und Verächtlichmachung zu erziehen, daß

erzogen wird, Andersartigkeit zu akzeptieren, daß dafür Regeln und Normen entwickelt werden und daß das mindestens genauso wichtig ist, wie mit älteren Schülern politische Erziehung, Geschichte und Politik zu betreiben. Es ist genauso wichtig, auch die psychologischen und pädagogischen Grundlagen dafür zu legen, daß solche Kinder und Jugendlichen von neonazistischen Verführern gar nicht angesprochen werden können.

In der Großen Anfrage sind wichtige erfolgreiche Ansätze genannt. Ich halte sehr viel davon, daß die Schulbehörde Schüler als Streitschlichter ausbildet. Ich halte sehr viel von allen Aktivitäten, die mit Gewaltprävention zu tun haben.

Meine Damen und Herren von der CDU! Wenn wir uns über Pädagogik und das, was in der Schule passiert, unterhalten, sollten wir uns ein bißchen differenzierter zur Frage äußern: Leistung oder soziales Lernen? Das ist eine unsinnige Alternative. Beides muß geleistet werden. Soziales Lernen ist außerordentlich notwendig, weil Familien auf diesem Gebiet häufig versagen.

Zum Schluß noch ein persönliches Beispiel: Viele von Ihnen wissen wahrscheinlich nicht, daß ich in der Frage, über die ich im Moment rede, eine wichtige persönliche Erfahrung gemacht habe. Ich bin Ende der siebziger Jahre in einer Realschule Lehrer von Thomas Wulf, einem der beiden neonazistischen Führer, gewesen.

(Zuruf)

Moment, bevor es dumme und blöde Zwischenbemerkungen gibt.

Ich habe ihn in Geschichte, Politik und in Mathematik und Sport unterrichtet. Nach meiner damaligen Erfahrung war er ein interessierter Schüler, der insbesondere im Politikunterricht sehr intensiv zugehört hat. Aber er hat sich immer der inhaltlichen Auseinandersetzung verweigert. Es gab für mich als Lehrer überhaupt keine Möglichkeit, mit ihm in eine inhaltliche Auseinandersetzung zu kommen. Er hat im Unterricht zugehört, aber sich im weiteren Verlauf, wenn es um politische und historische Fragen ging, überhaupt nicht beteiligt. Es war damals schon von ihm – einem Jugendlichen von fünfzehn Jahren – bekannt, daß er ein außerschulisches Umfeld hatte, in dem er sich an Wehrsportaktivitäten beteiligte und anders sozialisiert wurde als in der Schule. Das hat mir gezeigt, es gibt auch für Lehrer Grenzen, bestimmte Leute zu erreichen. Ähnliche Erfahrungen haben die Kollegen an der Jahnschule gemacht, als der Führer der Jungen Nationaldemokraten – ich glaube, der hieß Zabel – dort Abitur gemacht hat. Der war auch nicht erreichbar, er hat vor der Schule Flugblätter verteilt, auf NPD-Kongressen geredet, sich aber in der Schule nicht der Auseinandersetzung gestellt. Das meine ich damit, wenn wir differenzieren müssen. Wichtig ist es natürlich, die Mitläufer anzusprechen, mit denen politische und historische Erziehung zu machen, aber die Neonazi-Führer und die Leute, die anders eingebunden sind, erreichen wir leider auf diesem Wege nicht.