Protocol of the Session on April 25, 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Spethmann, ich glaube, Sie müssen Herrn Professor Karpen während seiner Abwesenheit nicht unbedingt nachmachen.

(Beifall bei der SPD)

„Was ist los im Strafvollzug?“ war die Große Anfrage der CDU. Im deutschen Strafvollzug sitzen über 50 000 Männer und mehr als 2300 Frauen ein; in Hamburg in dieser Woche circa 2960 Personen, davon ungefähr 150 Frauen – nur, damit man sich das mal ein bißchen verallgemeinert –, Menschen, die sich nicht an die uns allen vertrauten Regeln im Miteinander gehalten haben. Bei meinen Besuchen in der Untersuchungshaftanstalt und auch in der JVA Hahnöfersand habe ich mich an Ort und Stelle selber umgesehen. Im Vollzug wird den Gefangenen nach strenger Prüfung Vollzugslockerung gewährt: als Ausgang, als Freigang oder als Urlaub. Dies dient der Wiedereingliederung nach der Haftentlassung. Es hilft, Kontakte zur Familie aufrechtzuerhalten, persönliche Angelegenheiten zu regeln oder außerhalb von Anstaltsmauern einer Arbeit oder Ausbildung nachzugehen, worüber Sie gerade gesprochen haben, wir müßten das mehr tun. Wir tun es. Sie müssen es nur hören und mitbekommen. Sie wollen es nicht. Ich halte dies für angebracht, denn wer nach der Entlassung auf eine Perspektive blicken kann, hat gute Chancen, nicht wieder straffällig zu werden.

Meine Damen und Herren von der Opposition! Es steht Ihnen frei, mehr Strafen, härtere Strafen, also längere Strafzeiten sowie den massiven Abbau von Vollzugslockerungen zu fordern. Das ist Ihr Konzept. Hessen probiert es so, hat Vollzugslockerungen gestrichen, aber die Zahlen sind nicht besser als die in Hamburg. Von 10146 Gefangenen in Hamburg, die in den Jahren 1998, 1999 und 2000 Lokkerungen, also Urlaub, Ausgang und Freigang erhielten, sind 233 Gefangene entwichen, wobei mit Entweichung auch jede verspätete Rückkehr gezählt wird. Wenn jemand einmal fünf Minuten zu spät kommt, ist er schon entwichen, und dies ist mitgezählt worden. Daß man sich einmal verspäten kann, kommt bei jedem von uns einmal vor. Sie müssen sich nur überlegen, wie oft Sie hier zur Sitzung verspätet kommen.

(Beifall bei der SPD)

Jedenfalls sind das 2,3 Prozent aller Gefangenen, denen Lockerung gewährt wurde. Bei der Opposition und auch bei einigen Medien hört es sich immer so an, als würden die Gefangenen in Santa Fu oder anderswo nach Belieben ein- und auskehren und machen, was sie wollen. Dies ist

nachweislich nicht der Fall. Von den eben erwähnten 233 verspäteten oder entwichenen Gefangenen sind bis heute 42 Gefangene nicht zurückgekehrt. Das ist richtig. Von 10146 Gefangenen also 42. Das sind 0,4 Prozent. Ich kann es auch anders sagen: 99,6 Prozent kehren in die Anstalten zurück. Hier wird also massiv mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt, obwohl die tatsächliche Lage eine ganz andere ist. Ich bin nicht dafür, den 99,6 Prozent der Insassen die Lockerung zu versagen, weil 0,4 Prozent nicht zurückkehren. Das kann nicht die richtige Maßnahme sein. Wir wollen die Leute wieder eingliedern.

(Beifall bei der SPD und bei Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Vielmehr muß es den Anstalten gelingen, die potentiellen nicht Rückkehrwilligen schon vorher herauszufiltern und nicht in die Lockerung gelangen zu lassen. Dies ist keine leichte Arbeit, aber es wird versucht,

(Zuruf von Jörn Frommann CDU)

denn wir wissen alle, daß ein spektakulärer Rückfall eines entwichenen Häftlings genügt, um die Gemüter zu erhitzen. Auch ich trage diese Sorge. Dennoch darf es uns nicht dazu verleiten, einen inhumanen Strafvollzug einzurichten.

(Beifall bei Dr. Andrea Hilgers und Petra Brinkmann, beide SPD)

Aber Ihre Anfrage hat auch eine andere Tatsache erbracht, die auch hier Erwähnung finden sollte. Es gab zwei Suizide und weitere 32 Suizidversuche im Jahr 2000. Die Bediensteten müssen sicherlich weiterhin aufmerksam sein, doch Suizide und Versuche scheinen ohne vorherige Anzeigen zu geschehen. Auch hier müssen und werden wir versuchen, diese betrüblichen Ereignisse zu vermeiden, aber man kann nicht hinter jeden Mann oder jede Frau, die in einer Haftanstalt sitzen, jemanden stellen, um so etwas zu verhindern. Das ist nicht möglich.

In den Justizvollzugsanstalten findet Gewalt statt. Das ist unbestritten. So wurde ein den Gefangenen zugänglicher Notruf eingerichtet, über den die Justizsenatorin hier mehrmals berichtet hat. Im Jahr 2000 wurden 102 Übergriffe auf Mitgefangene gezählt. Die Konflikte sollen vor allem in den unterschiedlichen ethnischen Herkünften der Insassen begründet sein. Damit geben wir uns natürlich nicht zufrieden und werden uns ernsthaft Gedanken machen über den weiteren Umgang mit diesen Übergriffen. In einem gemeinsamen Antrag haben wir beschlossen, daß wir die Saalbelegung, über die Sie gesprochen haben, abschaffen wollen. Hier so zu tun, als wollten wir gar nichts tun, ist einfach verkehrt.

(Zuruf von Viviane Spethmann CDU)

Sie machen Panik in der Stadt, und das versuchen Sie auf Kosten der Bürger zu tun, und das ist verkehrt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Die Drogenfunde im Knast haben uns schließlich alle nicht verwundert. Seit langem wissen wir, daß ein völlig drogenfreies Gefängnis Illusion ist, weil dies nur mit unverhältnismäßigen Mitteln herbeizuführen sein würde. Das weiß auch die CDU und hat daher den drogenfreien Knast nur als Utopie dargestellt. Hier und heute etwas anderes zu behaupten und zu fordern, ist daher unredlich und hilft der Sache nicht weiter. Aber Sie sind eben schon im Wahlkampf. Wir machen Politik und Sacharbeit, Sie machen Wahlkampf.

(Viviane Spethmann CDU)

Wie Sie mit den Gefangenen umgehen wollen, ist hinlänglich bekannt: Einzelhaft für alle und Gruppenaktivitäten nur in sehr reduzierter Form. Wir setzen auf: Offenheit innen, Geschlossenheit nach außen. Wir wollen – und das ist der Auftrag des Strafvollzugs –, daß die Gefangenen sinnvoll mit ihrer Haftzeit umgehen, und nicht, daß sie weggesperrt werden.

Die Linie meiner Fraktion bleibt deshalb deutlich an dem bisherigen Vorgehen orientiert. Wir werden die Linie der Senatorin weiterhin unterstützen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Strafvollzugs gehört unser aller Dank, denn sie leisten eine hervorragende Arbeit. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Strafvollzug nützt es aber wenig, wenn hier von einigen CDU-Abgeordneten oder Sicherheitsberatern, wie sie auch genannt werden, Panikmache aufgebaut wird. Herr von Beust – er ist nun leider nicht da – sollte mal den Herrn Kusch in die Wüste schicken. Da gehört er hin. Solch einen Schnacker brauchen wir in Hamburg nicht.

(Beifall bei der SPD)

Die Überschrift Ihrer Anfrage: „Was ist los im Strafvollzug?“, war dazu angetan, zu sagen: Ist ja mächtig was los, alles geht drunter und drüber. Bei genauer Analyse der Situation sehen wir: Der Strafvollzug vollzieht die Strafen. Das ist die Aufgabe, und die wird erfüllt. Das wird auch so bleiben. Die Opposition sitzt auf der Oppositionsbank, der Senat, die SPD-Fraktion, die GAL-Fraktion sitzen auf den Regierungsbänken, und das wird auch so bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Mahr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der CDU liefert uns interessante Zahlen und Auskünfte. Doch lassen Sie mich vorab eine Bemerkung machen. Die CDU fragt: „Was ist los im Hamburger Strafvollzug?“, beginnt aber mit Fragen zur Zivilhaft in Glasmoor, denn Abschiebehaftabteilung in Glasmoor ist mitnichten praktizierter Strafvollzug. Das sollten Sie eigentlich wissen. Dort sitzt niemand ein, weil er eine Strafe verbüßt, sondern nur, weil er sich illegal in Deutschland aufgehalten hat. Daß der Status der Gefangenen nicht unwichtig ist, liegt, denke ich, auf der Hand. So sind für Zivilhaft andere Sicherheitsmaßstäbe anzulegen als für die Strafhaft.

Aber kommen wir zu den Zahlen. Ich komme zu leichten Abweichungen zu dem, was Herr Kretschmann gesagt hat, aber von der Aussage her treffen wir uns im Prinzip.

In vier Jahren wurde insgesamt 147 000 Gefangenen 131mal Urlaub, Ausgang und Freigang gewährt. Frau Spethmann sprach es an, 139mal erfolgte ein Mißbrauch, indem Gefangene nicht oder verspätet zurückkehrten. Das entspricht nach meiner Rechnung einer Quote von 0,6 Prozent. Beziehen wir diese Zahl nicht auf die Maßnahmen, sondern auf alle Gefangenen, denen Lockerung gewährt wurde – das sind 13 253 –, ergibt sich eine Versagerquote von 7 Prozent. Das macht – anders ausgedrückt – eine Zahl von 93 Prozent aller Gefangenen, denen Lockerungen gewährt worden sind und die ohne Beanstandungen zurückgekehrt sind.

Ich gehe davon aus, daß auch die CDU der Auffassung ist – auch nach dieser Rede noch, weil wir auch schon andere

Reden von Frau Spethmann gehört haben –, daß Lockerungen im Hinblick auf die Resozialisierung der Gefangenen unverzichtbar sind.

Das vorgelegte Zahlenmaterial zeigt, daß Hamburg die Lockerungsvoraussetzung sorgfältig prüft. Gleichwohl wünschte ich mir in manchen Fällen – und da sind wir sicher gegensätzlicher Meinung, Frau Spethmann – noch mehr Großzügigkeit, um den Erfolg der Vorbereitung für das Leben in Freiheit nach der Entlassung besser abzusichern. Die Förderung einer frühzeitigen Beschäftigung der Täter, die verurteilt worden sind, würde zudem die Aussicht auf einen Erfolg der strafvollzuglichen Behandlung erhöhen. Daran mangelt es meines Erachtens noch, und daran muß man arbeiten.

Besonders bedrückend sind immer wieder Meldungen über Suizide im Strafvollzug. Hierbei sticht natürlicherweise – Insider wissen das – die Untersuchungshaftanstalt besonders hervor. Häufig das erste Mal und unvorbereitet mit einer Haftsituation konfrontiert, kommt es zu Kurzschlußhandlungen, die manchmal dann sogar im vollendeten Suizid enden. So erfolgten 57 Prozent der vollendeten Suizide – soweit man das bei solchen Zahlen in Prozenten ausdrücken kann, das waren vier Fälle – in der Untersuchungshaftanstalt und 37 Prozent aller registrierten Freitodversuche ebenfalls in der Untersuchungshaftanstalt. Das ist schon bedenklich. Trotzdem müssen diese Fälle natürlich in ein Verhältnis zum tatsächlichen Gefangenendurchlauf von vier Jahren gesehen werden. Bei 31000 Gefangenen konnte in 97 Fällen vom Personal die Vollendung eines Suizids verhindert werden. In nur sieben Fällen kam jede Hilfe zu spät.

Aus diesen Zahlen, denke ich mir, kann man den Schluß ziehen, daß insbesondere die Untersuchungshaftanstalt mit dieser besonderen Haftsituation besonders qualifiziertes, sensibilisiertes und belastbares Personal braucht. Vielleicht ließe sich im Hinblick auf diese besonderen Bedingungen der Haft noch einiges verbessern.

Meine Damen und Herren! Daß das Personal der Haftanstalten sehr rege ist, zeigt die Sicherstellung von Drogen und Waffen beziehungsweise zu Waffen umgearbeiteter Gegenstände. Es ist aber auch klar: Wer einen Strafvollzug will, der nicht die Atmosphäre eines Dampfkessels entwickelt, wird zwar – und das wurde eben angesprochen – für Sicherheit nach außen, aber für mehr Freiheit nach innen eintreten müssen. Deshalb wird es im Einzelfall auch immer wieder gelingen, Gegenstände einzuschmuggeln. Das wird so sein. Die Eskalation von Gewalt wird sich nicht nur, aber vor allem dann in Haftanstalten entfalten, wenn Aussichts- und Perspektivlosigkeit den Alltag bestimmen. Hier sind Arbeits-, Ausbildungs- und Beschäftigungsangebote das beste Heilmittel und die beste Antwort. Hier zeichnen sich vorsichtige Verbesserungen ab, die wir in der nächsten Wahlperiode auf jeden Fall noch ausgeweitet wissen wollen.

Die Forderung der CDU nach mehr Personal haben wir heute schon in der Aktuellen Stunde vernommen. Da war es die Polizei, hier sind es die Strafvollzugsbediensteten. Hier wie dort gelten die gleichen Argumente: Geld drucken könnten wir vielleicht, aber dürfen wir nicht. Deshalb sind es vor allem innerorganisatorische Maßnahmen materieller und personeller Art, die Engpässe überwinden helfen müssen. Möglicherweise wäre in bestimmten Anstalten an ein Rotationsmodell zu denken – vielleicht findet das sogar statt und kann die Senatorin etwas dazu sagen –, um nicht wenige Beamte für mehrere Jahre mit besonders

(Lutz Kretschmann SPD)

schwierigen Situationen in Haftanstalten zu konfrontieren. Dieses Rotationsmodell käme dann nicht nur den Beamten zugute, sondern letztlich auch den betroffenen Gefangenen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Dann gebe ich das Wort der Abgeordneten Sudmann.

Um mal in der einfachen Sprache zu sprechen, die die CDU auch immer gerne benutzt, um zu versuchen, sehr differenzierte Themen ganz einfach zu machen. Ihre Parole heißt: Wegsperren, abschieben, wenn irgendwie möglich, egal, ob die Leute hier aufgewachsen sind, und härter durchgreifen.

Herr Mahr und auch Herr Kretschmann haben Ihnen schon an einigen Punkten deutlich gemacht, wie lächerlich das ist, was das härter Durchgreifen angeht. Ich kann mir vorstellen, daß bei Ihnen der Gedanke der Resozialisierung nicht unbedingt die größte Rolle spielt.

(Viviane Spethmann CDU: Sie haben nicht zu- gehört!)

Sie haben ja vorhin noch unterschieden zwischen guten und bösen Gefangenen.

Da wir heute unsere Redezeit sehr knapp bemessen haben, werde ich nicht generell über den Knast sprechen. Aber zwei Dinge möchte ich in Richtung des Senats ansprechen, die mir wirklich als bedenklich aufgefallen sind. Das ist der Anstieg bei den Suiziden. Es ist nicht nur die Untersuchungshaftanstalt. Wenn man sich das Jahr 2000 anguckt, ist das eine Steigerung von fast 50 Prozent bei den Suizidversuchen. Das, denke ich, macht uns sehr nachdenklich. Die CDU, die mit ihrer Anfrage versucht darzustellen, daß das an dem mangelnden Personal liegt, wird das wohl nicht ernsthaft behaupten. Da wird es andere Ursachen geben, und da muß angesetzt werden.

Was die Drogen im Knast angeht, Frau Spethmann, ist es wunderbar, wenn Sie sagen, es sollen keine Drogen in den Knast kommen. Dadurch wird kein einziger Drogenabhängiger clean, und Sie werden damit auch niemanden dazu bringen, auf Drogen zu verzichten. Die Abhängigkeit muß runtergehen. Da würde ich Ihnen sofort recht geben. Wir werden auch im Knast wie außerhalb des Knastes weiter dafür kämpfen müssen, daß es eine Legalisierung von weichen Drogen gibt, aber vor allen Dingen auch eine staatlich kontrollierte Abgabe von harten Drogen. Dann werden wir vielleicht auch im Knast eine etwas entspanntere Situation haben.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort bekommt Senatorin Peschel-Gutzeit.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr damit einverstanden, daß die CDU das Thema Strafvollzug in einer Großen Anfrage thematisiert, denn auch dies ist ein Bereich, mit dem Hamburg sich wahrhaftig sehen lassen kann. Bedauerlich ist natürlich, daß die CDU erneut nicht nach den Leistungen fragt, die vom Strafvollzug und auch für den Strafvollzug erbracht werden. Die CDU richtet ihren Fokus – und darüber wundern wir uns nicht – allein auf be

stimmte besondere Vorkommnisse, die übrigens auch in der Presseberichterstattung stets eine herausgehobene Rolle spielen.