Protocol of the Session on April 5, 2001

Dann gebe ich das Wort der Abgeordneten Dr. Schaal.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Über Konsequenzen aus den Atomtransporteskandalen haben wir seit 1998 beraten, letztmalig im Oktober 2000. Der vorliegende Ausschußbericht kommt Ihnen sehr gelegen, um Ihre Kampagne weiter fortzusetzen. Nicht ungeschickt ausgenutzt, Kompliment.

Eine der wichtigsten Konsequenzen aus dem Atomtransporteskandal, Herr Jobs, ist die Einleitung des Endes der Atomenergie. Das ist eine historische Leistung gewesen, die diese Bundesregierung im letzten Jahr zustande gebracht hat.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Die Regierung hat in den Konsensvereinbarungen die Weichen für den Ausstieg gestellt. Noch in dieser Legislaturperiode wird eine entsprechende Novelle des Atomgesetzes den Deutschen Bundestag passieren.

Aber schon jetzt kommt die Umsetzung des Ausstiegsprozesses voran. Stade wird vorzeitig abgeschaltet. Es ist ein neues Entsorgungskonzept beschlossen, das auch bereits umgesetzt wird. Mit den kraftwerknahen Zwischenlagern werden künftig Transporte überflüssig. Es sind bereits 18 Zwischenlager beantragt. Aber die Genehmigungsprozesse werden eine ganze Zeit in Anspruch nehmen, denn ein Zwischenlager geht nicht mit einer einfachen Baugenehmigung über den Hocker, sondern es hat ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren zu durchlaufen, in dessen Mittelpunkt die Prüfung der Gewährleistung von Sicherheit für Mensch und Umwelt steht. Darin ist auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingeschlossen. Zuständig für das ganze Verfahren ist das Bundesamt für Strahlenschutz. Ab Mitte Juni 2005 – Herr Jobs, Sie haben es gesagt – wird die Wiederaufarbeitung als Entsorgungsweg endgültig verboten.

Die Bundesregierung hat das Ziel, in Deutschland ein Endlager für alle radioaktiven Abfälle in tiefen geologischen Formationen einzurichten. Erst die rotgrüne Bundesregierung hat sich überhaupt um die Lösung des Endlagerproblems gekümmert. Das ist, wie ich meine, auch eine historische Leistung. Bisher wurde das Problem immer vor sich hergeschoben.

Wo ein solches nationales Endlager eingerichtet wird, klärt der Arbeitskreis Endlager, den die Bundesregierung 1999 eingesetzt hat. Schon im nächsten Jahr sollen die ersten Empfehlungen aus dem Arbeitskreis vorliegen und öffentlich diskutiert werden. Aber die Suche und die Auswahl eines Endlagers ist ein sehr schwieriger gesellschaftlicher Prozeß. Ganz wichtig ist, daß die Standortentscheidung und die ihr zugrunde liegenden Kriterien nachvollziehbar sind. Das war bisher nicht der Fall.

Die Entscheidung für ein nationales Endlager schließt auch mit ein, daß kein Atommüll in andere Staaten verschoben wird, wo möglicherweise ein weniger sicheres Atomkonzept vorliegt. Dieses Entsorgungskonzept schließt weiter ein, daß die über 5000 Tonnen deutschen Atommülls, die sich jetzt in Frankreich und England befinden, in die Bundesrepublik zurückgeholt werden müssen. Dazu werden noch mindestens 120 Castor-Transporte notwendig sein.

(Dr. Roland Salchow CDU: Dann hat Herr Jobs ja noch tüchtig zu tun!)

Die Rücknahme des deutschen Atommülls ist auch ein Teil der Ausstiegsstrategie. Dazu sind wir politisch und völkerrechtlich verpflichtet, das wissen Sie. Das sehen auch zwei Drittel der deutschen Bevölkerung so. Ich bin davon überzeugt, daß die Gewaltaktionen im Zusammenhang mit den Transporten Ende März von der Bevölkerung überhaupt nicht verstanden wurden.

(Dr. Roland Salchow CDU: Nicht akzeptiert wur- den!)

Wenn REGENBOGEN jetzt erklärt, es gehe bei der Demonstration gar nicht darum, die Rücktransporte des Atommülls aus Frankreich nach Deutschland zu bekämpfen, dann halte ich das schlichtweg für unglaubwürdig. Für die Polizisten, die diesen Transport durchsetzen mußten, war der Einsatz alles andere als ein Spaziergang. Für die Besonnenheit, die die Einsatzkräfte unter den Bedingungen vor Ort gezeigt haben, sollten wir Ihnen danken.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Besonnenes Verhalten auf seiten der Atomkraftgegner konnte ich leider durchgängig nicht erkennen, auch wenn die Mehrheit der Demonstranten sich friedlich verhalten hat. Aber Scherbengerichte, wie sie überall vorgekommen sind – vor kurzem auch in Kopenhagen –, gehören meines Erachtens nicht dazu. Auch Menschen in Beton an Schienen zu fesseln hat nichts mehr mit Demonstrationsfreiheit zu tun.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Dr. Roland Sal- chow CDU: Sehr richtig!)

Bei solchen Aktionen stehen Leben und Gesundheit von Menschen auf dem Spiel. Das geht nicht, Demonstranten müssen das unterbinden. Ich meine, auch in diesem Zusammenhang gilt: Wer nichts tut, macht mit!

Wenn bei den noch anstehenden Atomtransporten ähnliche Spektakel zu erwarten sind wie Ende März, halte ich das auf die Dauer für unzumutbar. Ich gehe so weit zu sagen: Die Atomwirtschaft muß dafür sorgen, daß die Zahl

(Lutz Jobs REGENBOGEN – für eine neue Linke)

der Transporte verringert wird. Es kann nicht sein, daß wir zweimal im Jahr ein solches Theater durchmachen müssen. Das kann man niemandem, auch nicht der Bevölkerung vor Ort, zumuten. Das heißt, die Atomindustrie muß ihre Transportkapazitäten ausweiten. Es kann doch wohl nicht sein, daß man an eine Lokomotive nur sechs Waggons hängt, auch wenn es Spezialbehälter sind. Und wenn diese Spezialbehälter nicht vorhanden sind, dann muß die Industrie eben welche anschaffen, auch wenn das viel Geld kostet.

(Dr. Roland Salchow CDU: Das wird Herrn Jobs nicht gefallen!)

Es geht nicht, daß die Atomwirtschaft dem Steuerzahler immer wieder die Lasten dieser Energieform aufbürdet, sie muß hier selber etwas tun.

Wir haben uns in dem Ersuchen vor knapp drei Jahren auch um die Gesundheitsgefährdung für die Begleitpersonen der Transporte gekümmert und gesorgt. Die Gesundheitsgefahren durch radioaktive Strahlung bei den Transporten wurde inzwischen für die Bevölkerung, für die Polizisten und auch für die Demonstranten ausgeschlossen. Das haben Expertisen ergeben, die von verschiedenen Instanzen vorgelegt wurden. Das alles steht in der Antwort auf unser Ersuchen. Die Strahlenbelastung, die im Abstand von fünf bis 20 Metern von den Transporten zu messen ist, beträgt ein Hundertstel des zulässigen Grenzwertes. Soviel nimmt man auf, wenn man mit dem Flugzeug beispielsweise von Berlin nach Teneriffa fliegt.

Die Sicherheitsdefizite, die 1998 aufgedeckt wurden, sind ausgeräumt. Die heutigen Transporte erfüllen laut Öko-Institut Darmstadt und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit die Auflagen, die damals im Zehn-PunktePlan der früheren Umweltministerin Merkel festgelegt wurden.

Ich habe auch den Eindruck, daß jetzt viel mehr Transparenz bei den Transporten herrscht. Das ist ein Verdienst des jetzigen Berliner Umweltministers. Er hat mit der Geheimniskrämerei um die Transporte Schluß gemacht.

Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, daß ein verantwortungsvoller Weg im Umgang mit den Lasten der Atomenergie eingeschlagen wurde.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Das finden wir auch!)

Dieser Weg, der jetzt beschritten wurde, ist Teil des Atomkonsenses, und der Weg muß weitergegangen werden. Man kann dagegen demonstrieren, aber Gewaltaktionen und Anschläge sind keine friedlichen Demonstrationen, und sie müssen strafrechtlich verfolgt werden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Dr. Roland Salchow CDU: Sehr richtig!)

Von den Demonstranten, die den bereits eingeleiteten Ausstiegsprozeß ablehnen, höre ich nicht, welches die Alternative zum beschlossenen Atomkonsens ist. Wie und mit wem wollen sie denn eine schnellere Beendigung der Atomenergie durchsetzen? Herr Jobs, wenn man sich auf die Schienen setzt, steht man auch irgendwann wieder auf, und man muß sagen, was man dann tut. Das vermisse ich bei den Demonstranten.

Ich befürchte, daß die anhaltenden Blockaden nicht nur die Transporte, sondern auch den Ausstieg verzögern könnten. X-mal quer und andere Blockierer sind xxl-mal unglaubwürdig; denn Sie haben es gesagt, Herr Jobs, es geht

Ihnen nicht um die Castoren, sondern Sie wollen gegen die Regierung vorgehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Heike Sudmann REGENBO- GEN – für eine neue Linke: Gegen was?)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Engels.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jobs, wenn ich Ihre eben gehaltene Rede noch einmal vor meinem geistigen Auge vorüberziehen lasse, erkenne ich, daß Ihre Uneinsichtigkeit unglaublich verblüffend ist. Die Sichtweise, aus der Sie die Demonstration beschreiben, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun.

(Horst Schmidt SPD: So ist es!)

Herr Jobs, Sie müssen zur Kenntnis nehmen – da nützt auch Ihr Gepfeife im Dunklen nichts –, daß die fanatischen – ich sage ausdrücklich fanatischen – Atomgegner im Wendland eine schwere Niederlage erlitten haben. Gott sei Dank ist das so.

Diese schwere Niederlage bezieht sich nicht nur auf die Sachziele – darüber unterhalte ich mich gleich noch mit Ihnen –, sondern auch auf Ihren moralischen Anspruch. Die Atomkraftgegner haben mangels Vorschlägen – Frau Schaal hat damit völlig recht – von geeigneten und sinnvollen Alternativen viel an moralischem Ansehen verspielt; insbesondere natürlich auch durch die Gewaltakte.

(Beifall bei der CDU)

Daß dieser Spuk so plötzlich zu Ende war – dabei ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, das sage ich hier ganz offen – verdanken wir ausschließlich – Frau Schaal hat es bereits gesagt, aber ich möchte es noch einmal ausdrücklich betonen – dem besonnenen, vernünftigen und verantwortungsbewußten Verhalten der Polizei im Wendland; ich betone dabei ausschließlich.

(Beifall bei der CDU)

Sie sprachen dabei von hinterhältig. Das war es nicht. Es war der sehr klugen Taktik zu verdanken, mit der die Polizei dort vorgegangen ist. Gott sei Dank war diese Taktik auch in der Sache so gewählt.

Im Ausschuß wurde unter anderem auch eine interessante Frage der SPD-Abgeordneten diskutiert. Ich fand die Frage, warum von den 70 Transporten auch welche durch Hamburg geführt werden, nicht so gelungen. Im übrigen muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie das schon vor einigen Monaten im Haushaltsplan hätten nachlesen können. Die Frage war, wann die Transporte stattfinden und welchen Weg sie nehmen. Ich danke Herrn Senator Porschke, daß er darauf aufmerksam gemacht hat, daß diese Daten aus Gründen der Sicherheit sowohl für die Bevölkerung, und im übrigen möglicherweise auch für Polizisten, nicht bekanntgegeben werden können.

Meine ernsthafte Frage dazu ist allerdings, inwieweit solche Transporte publik und vorher medienmäßig derartig bekannt werden, daß es zu solchen Verzögerungen – von immerhin einem Tag, das ist ihnen gelungen – überhaupt kommen konnte. Meine Anregung wäre, in der Taktik noch sinnvoller vorzugehen, und zwar aus sachlichen Gründen und nicht um irgendwelche Leute hereinzulegen.

Noch einmal, Herr Jobs: Die hochradioaktiven Abfälle, die in den Glaskokillen, dann in den Stahlbehältern und dann

(Dr. Monika Schaal SPD)

in den Castoren von Frankreich oder demnächst auch von England nach Deutschland gefahren werden, stammen aus Deutschland. Diese radioaktiven Abfälle existieren nun einmal. Über die Verantwortung, warum sie existieren, können wir uns gern unterhalten, aber sie sind existent. Sowohl Sie wie auch die Demonstranten oder die dortigen Organisationen müssen eine Antwort darauf finden, wohin diese radioaktiven Abfälle sollen. In letzter Konsequenz haben die Leute dagegen demonstriert, daß sie von Frankreich nach Deutschland kommen.

(Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke: Nein, Quatsch!)

Doch, ich sage in letzter Konsequenz, frei nach dem Motto: Deutscher Müll den Franzosen, den Engländern.