Ich rufe den Tagesordnungspunkt 52 auf: Drucksache 16/5671: Bericht des Gleichstellungsausschusses zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen.
[Bericht des Gleichstellungsausschusses über die Drucksache 16/3258: Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen (Senatsvorlage) – Drucksache 16/5671 –]
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen, über dessen Herkunft ich Ihnen danach berichten werde:
„Der neue Staat, der an Zahl und Kraft starkes, sittliches, gesundes Volk erstrebt, muß allem widernatürlich ge
schlechtlichen Treiben mit Nachdruck begegnen. Die gleichgeschlechtliche Unzucht zwischen Männern muß er besonders stark bekämpfen, weil sie erfahrungsgemäß die Neigung zu seuchenartiger Ausbreitung hat und einen erheblichen Einfluß auf das ganze Denken und Fühlen der betroffenen Kreise ausübt.“
Das ist ein Kommentar zur Gesetzesverschärfung des Paragraphen 175 von 1935. Über dieses Thema wollen wir heute diskutieren.
Vor circa zwei Jahren haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag an den Senat gestellt, durch eine Bundesratsinitiative diese NS-Urteile zum Paragraphen 175 aufzuheben.
Diese Initiative ist von Hamburg gestartet worden und befindet sich im Bundesrat. Der Bundestag hat sich am 6. Dezember nach langer Beratung den Inhalt dieser Bundesratsinitiative zu eigen gemacht und mit großer Mehrheit beschlossen. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, die Paragraphen 175 und 175a des NS-Unrechtsaufhebungsgesetzes von 1998 entsprechend nachzubessern.
Warum war und ist der Koalition dieser Punkt wichtig? Die Opfer dieser Urteile sind nicht rehabilitiert worden. Sie hatten nach diesem Aufhebungsgesetz von 1998 lediglich die Möglichkeit, bei den Staatsanwaltschaften prüfen zu lassen, ob diese Urteile aufgehoben werden können. Unseres Wissens ist das in der gesamten Bundesrepublik nicht geschehen. Die Opfer haben sich nicht an die Staatsanwaltschaften gewandt und ihren Fall neu aufrollen lassen.
Wir haben das auch nie erwartet und 1998 dafür plädiert, diesen Punkt mit in das Gesetz aufzunehmen. Deshalb haben wir vor circa zwei Jahren die Bundesratsinitiative gestartet, um dieses nachträglich zu ermöglichen.
Wir freuen uns, daß sich der Deutsche Bundestag nicht nur die Aufhebung der Urteile zu eigen gemacht hat, sondern sich darüber hinaus bei den schwulen Männern in diesem Land für die Greuel und das, was damals während des NSRegimes an ihnen begangen wurde, entschuldigt hat. Darüber hinaus hat er die Bundesregierung aufgefordert, für diese Verbrechen ein Konzept zu entwickeln, um eine kollektive Entschädigung auf den Weg zu bringen. Wie wir alle wissen, leben nur noch wenige tatsächliche Opfer in diesem Land. Sie haben in der Regel keine Einzelentschädigung für sich beansprucht. In den ersten Jahren der Bundesrepublik konnten sie das aus den bekannten gesellschaftlichen Gründen kaum, da der Paragraph 175 erst 1969 entschärft wurde. Es war damals sicherlich auch nicht einfach für die Männer, diesen Weg zu gehen. Kurzum: Die Entschädigung hat nicht stattgefunden.
Dadurch, daß der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert hat, nachzubessern, ist es aber immer noch nicht Gesetz. Das steht dem entgegen, was der Ausschuß in seinem Bericht geschrieben hat, daß das Gesetz nämlich beschlossen sei. Das muß ich an dieser Stelle korrigieren, weil es nicht so ist. Es ist lediglich klar geworden, daß es die große Mehrheit des Deutschen Bundestages so will.
Das heißt, wenn die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine Gesetzesänderung vorlegt und es dann beschlossen wird, muß es erneut in den Bundesrat, in dem sich noch die Hamburger Initiative befindet, die bisher – das muß man deutlich sagen – an den Nein-Stimmen der unionsgeführten Länder gescheitert ist.
Ich appelliere an die Hamburger CDU, den Widerstand gegen diese Gesetzesänderung aufzugeben und es ihren Bundestagskollegen nachzumachen. Sie haben 55 Jahre nach Kriegsende erkannt, daß Schluß sein muß mit der Weigerung, sich dieser Geschichte zu stellen.
Gerade Hamburg sollte sich dieser Verpflichtung stellen, die für alle gilt, die in diesem Parlament sitzen. Das gilt nicht nur für die Regierungsfraktionen. Hamburg war die Hochburg der Verfolgung. Es wäre ein richtiges Signal, wenn auch die Hamburger Union mit ihren Landesverbänden im Süden spricht, daß die Blockade im Bundesrat ein Ende haben muß.
Die GAL und die SPD werden weiter dafür eintreten, daß der Wille des Deutschen Bundestages in diesem Land bald Wirklichkeit wird. – Vielen Dank.
„Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, daß die Ehre der homosexuellen Oper des NS-Regimes wieder hergestellt werden muß. Der Deutsche Bundestag bedauert, daß die nationalsozialistische Fassung des Paragraphen 175 im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert in Kraft blieb. Er entschuldigt sich für die bis 1969 andauernde strafrechtliche Verfolgung homosexueller Bürger, die durch die drohende Strafverfolgung in ihrer Menschenwürde, in ihrer Entfaltungsmöglichkeit und Lebensqualität empfindlich beeinträchtigt wurden.“
Soweit aus dem Beschluß des Deutschen Bundestages auf Antrag der Regierungsfraktionen – Bundestagsdrucksache 14/2984, Neufassung – vom Dezember 2000.
Zur Situation muß ich leider feststellen, daß die Strafurteile, die gemäß Paragraphen 175 und 175a RStGB in der Zeit von 1939 bis 1945 erfolgten, nicht aufgehoben worden sind. Wir wollen, daß die Urteile als typische NS-Unrechtsurteile gelten, die von einer Justiz gefällt wurden, die sich schon frühzeitig als Machtinstrument der Nationalsozialisten mißbrauchen ließ.
Der Bundestag hat im Dezember die Bundesregierung ersucht, das NS-Aufhebungsgesetz entsprechend zu ergänzen. Solange dies nicht geschehen ist, kann und muß Hamburg natürlich alle Anstrengungen unternehmen, die von diesem Parlament dem Senat in Auftrag gegebene Bundesratsinitiative von 1998 weiter zu betreiben. Als schwuler Abgeordneter bedanke ich mich ausdrücklich für die Hartnäckigkeit der Justizsenatorin in dieser Angelegenheit. Sie hat in Bonn und in Berlin dieses Thema immer wieder im Bundesrat angesprochen. Sie wiederholt dies immer wieder, auch wenn es dort viele nicht mehr hören können.
Die Aufhebung der Urteile soll die Verurteilten rehabilitieren. Im Ergebnis wird es signalisieren, daß es falsch war, so mit homosexuellen Männern umzugehen. Es war menschenverachtend, schwule Männer wegen ihrer gelebten Sexualität zu verfolgen, zu verletzen und umzubringen.
Das Ergebnis kann auch heutigen Nazis signalisieren, daß der deutsche Rechtsstaat alle Bürger schätzt und achtet und keine Ausnahmen duldet.
Die SPD-Fraktion hat sich schon seit vielen Jahren für die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen eingesetzt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Anträge vom Februar 1988 aus der 13. Legislaturperiode und vom April 1995 aus der 15. Legislaturperiode. Diese Bemühungen werden wir weiter fortsetzen und die Justizsenatorin und den Senat darin unterstützen.
Der Bundestag hat sich bei den Lesben und Schwulen für die erlittene Verfolgung entschuldigt. Die Bürgerschaft hat dies ebenfalls getan.
Für die Änderung des NS-Aufhebungsgesetzes wird meine Fraktion sich weiterhin leidenschaftlich einsetzen. Ich bitte die CDU-Fraktion, dies weiterhin mit uns gemeinsam zu tun, bis das Gesetz endlich so ist, daß die Lesben und Schwulen in diesem Land sagen können: Jetzt ist es endlich okay, wir sind so weit, wir können so leben und werden als Menschen wahrgenommen und sind rehabilitiert worden. Das ist eine Aufgabe, die uns Parlamentariern zusteht, die wir uns alle zu eigen machen sollten. Ich bitte Sie und Ihre Kollegen im Bund, daß Sie sich dementsprechend dafür einsetzen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Was die Rolle der Union angeht, sage ich gleich noch einige Sätze. Was insbesondere unser Verhalten hier und auf Bundesebene angeht, brauchen wir uns die Schuhe nicht anzuziehen, die Sie uns anziehen wollen.
Der Deutsche Bundestag hat am 6. Dezember des vergangenen Jahres einstimmig einen Antrag zur Rehabilitierung der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschlossen. Es wird in dem einstimmigen Beschluß jede Form von Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegen Lesben und Schwule verurteilt:
„Der Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, daß die Ehre der homosexuellen Opfer des NS-Regimes wiederhergestellt werden muß. Der Deutsche Bundestag bedauert, daß die nationalsozialistische Fassung des Paragraphen 175 im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert in Kraft blieb.“
„zu prüfen, ob mit dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile zur Aufhebung in der Strafrechtspflege eine gesetzliche Rehabilitierung der Opfer der Paragraphen 175 und 175a Nummer 4 RStGB aus der Zeit zwischen 1935 bis 1945 sowie ein der Unrechtserfahrung Homosexueller angemessenes Verfahren sichergestellt sind oder ob die Vorlage eines ergänzenden Gesetzes notwendig ist“.
Ich möchte noch einiges zur Diskussion sagen, die im Vorfeld dieses Beschlusses stattgefunden hat, und auch dazu, was die Zukunft betrifft.
Es fanden in den letzten Jahren in der Gesellschaft und damit auch in den Parlamenten keine einfachen Diskussionen
über dieses Thema statt. Das haben wir bei der Debatte im Juni 1999 in diesem Haus erleben können. Wenn wir uns vor diesem Hintergrund die jetzt erfolgte Beschlußfassung von Berlin anschauen, dann stelle ich fest, daß die in Zeiten der bundesweiten Opposition von SPD und Grünen geforderten Nichtigkeitserklärungen aller Urteile in diesem Fall nicht durchgehalten wurde.
Im Ergebnis ist dieser Anspruch von Ihnen auf einen Prüfungsantrag zusammengeschrumpft, den wir Christdemokraten – damit wir uns nicht mißverstehen – im Bundestag unterstützt haben. Ich will damit eigentlich nur ausdrücken, daß die Gesetzesinitiative des Senats nicht lediglich an der Union gescheitert ist, sondern insbesondere hat das sozialdemokratisch geführte Bundesjustizministerium massive Bedenken gegen eine Ergänzung des NS-Aufhebungsgesetz formuliert. Wir sind gespannt, wann und vor allem was die Bundesjustizministerin in dem von allen Parteien geforderten Gesetzesentwurf dem Bundestag vorlegen wird. Ausgangspunkt der Hamburger Diskussion war die genannte Gesetzesinitiative des Senats.
Wir sind uns heute einig, daß die Verschärfung des Paragraphen 175 RStGB im Jahre 1935 eindeutig nationalsozialistisches Gedankengut als Grundlage hatte. Es war wahrlich kein Ruhmesblatt der bundesdeutschen Rechtsgeschichte, daß der verschärfte Paragraph 175 erst 1969 in einem ersten Schritt reformiert und dann 1994 gänzlich abgeschafft wurde.
Aus heutiger Sicht ist es nicht verständlich und vor allen Dingen jungen Menschen nicht erklärbar. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957 mag aus heutiger Sicht falsch sein. Es stellt sich die Frage, warum sich unser oberstes Gericht nicht selbst korrigiert hat. Ich möchte aber davor warnen, es sich zu einfach zu machen und – wenn Sie so wollen – unsere Vorgänger zu verurteilen, die juristisch und parlamentarisch hätten viel eher etwas verändern müssen.