Protocol of the Session on December 12, 2000

Wenn Sie den Rechnungshofsbericht gelesen hätten – der nun auch schon etwas älter ist –, wüßten Sie, daß der Vorschlag der Kollegen dort lautete, 100 Millionen DM zu sparen. Dort wurde nämlich die Bevölkerungsentwicklung hochgerechnet, und man könnte sagen, daß das so nicht stimmen kann – dem würde ich auch zustimmen –, da sich doch die Bevölkerungsentwicklung auch wieder ändert und durchaus andere Bedarfe entstehen. Das war aber ein Vorschlag von 100 Millionen DM, mit den Trägern wurden zu Beginn der Legislaturperiode aber 27 Millionen DM vereinbart. Ich empfinde es als eine Frechheit, dieses bei jeder Gelegenheit in einen Zusammenhang zu stellen; das bedeutet Äpfel mit Birnen zu vergleichen und hat mit der Umstellung auf das Nachfragesystem überhaupt nichts zu tun. Sie tragen nicht unbedingt zu einem konstruktiven Dialog bei, wenn Sie Diskussionen immer dann mit Unwichtigkeiten begründen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Jobs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir hier über Jugendhilfe reden, ist es aus unserer Sicht zunächst einmal wichtig, die alltägliche Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen in Hamburg im Blick zu haben. Da sieht es mittlerweile ein bißchen anders aus als das, was wir gerade von Frau Steffen gehört haben.

Wir haben in der letzten Zeit immer mal wieder darüber debattiert, daß die Schere zwischen arm und reich auch bei Minderjährigen inzwischen extrem auseinandergeht. Auch das Argument, daß fast jedes fünfte Kind in der Stadt von Sozialhilfe abhängig ist, haben wir bereits gehört. Was bedeutet das? Es bedeutet massive Einschränkung, Benachteiligung und erlebte Ausgrenzung. Daran hat Rotgrün in den letzten Jahren nichts verbessert. Die Situation ist viel

schlimmer geworden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das die Visionen gewesen sind, die Sie umsetzen wollten. An dieser Stelle haben Sie in der Stadt dramatische Verschlechterungen zu verantworten. Das sollten Sie sich einmal genau überlegen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Der Senat scheut sich auch nicht, Familien, die Sozialhilfe beziehen, für Kitaplätze verstärkt zur Kasse zu bitten und diese Kinder dadurch zunehmend von diesem Angebot auszuschließen. Rotgrün scheint Kindertagesbetreuung nur noch unter dem Aspekt zu sehen, Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Selbst diese Brille hilft nach einem Blick in die ISKA-Studie nicht mehr gegen die Erkenntnis, daß große finanzielle Anstrengungen notwendig sind, um dem tatsächlichen Bedarf an Kindertagesbetreuung in der Stadt nachzukommen.

Wir werden daher weiter dafür kämpfen, daß weder die Kinder aus sozial benachteiligten Familien noch die Interessen von Eltern unter den Tisch fallen. Die Kindertagesbetreuung darf nicht weiterhin als beste Milch- und Geldkuh der Stadt mißbraucht werden, um auf Kosten der Betreuungsqualität für die Kinder immer noch ein paar Millionen DM mehr herausholen zu können.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir wollen, daß einkommensarme Familien keine höheren Beiträge für Kitaplätze bezahlen müssen, daß aus den Kitas nicht, wie von Rotgrün geplant, nochmals 20 Millionen DM herausgepreßt werden, daß es keine Einschränkung bei der Tagespflege und bei Pädagogischen Mittagstischen gibt und daß die Verbände in der Form mit Fachberatung ausgestattet werden, daß sie die Entwicklung einer Kita-Card tatsächlich – wenn sie denn wirklich so heißen soll – begleiten und ihre Träger daran beteiligen können. Erst dann können Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen Umbau des Systems möglich machen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es spricht nichts dagegen, dieses System tatsächlich umzubauen, aber die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, daß es nicht zu Lasten des Systems und vor allem nicht zu Lasten der Kinder und Jugendlichen geht.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Rolf Harlinghausen CDU)

Auch wenn die Zahlen der Sozialhilfeempfänger sinken, nimmt die Einkommensarmut in dieser Stadt zu. Das führt gerade in Familien mit Kindern zu Konflikten und macht teilweise Hilfe von außen notwendig. Als Familie Sozialhilfe zu beziehen bedeutet deshalb auch immer wieder ein hohes Risiko – das haben wir auch immer wieder in den Senatsberichten gehört –, Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen zu müssen.

Statt aber diese Tatsache bei der Gestaltung der Hilfen endlich angemessen zu berücksichtigen, soll diese Summe jetzt noch einmal um 5 Millionen DM gekürzt werden, ohne daß es ein tragfähiges Konzept dafür gibt, wie es ohne Rechtsbeugung klappen soll.

Gleichzeitig zahlt die Stadt dem LEB dann aber noch 2 Millionen DM Verlustausgleich für Hilfen zur Erziehung, die nicht geleistet wurden, weil das Angebot des LEB immer noch nicht den Bedarfen der Familien angepaßt ist. Deshalb soll das Angebot so angepaßt werden, daß der LEB

(Sabine Steffen GAL)

von den Jugendämtern bevorzugt für Hilfen angefragt werden muß. Dies hat zur Folge, daß die stadtteilbezogenen und anerkannt guten Träger teilweise bankrott zu gehen drohen. Dieses Behördenhandeln hat aus unserer Sicht mit den Prinzipien der Jugendhilfeplanung, der sparsamen Mitteleinsätze und vor allem mit dem Prinzip der Subsidiarität gar nichts mehr zu tun und darf deshalb so auch nicht weitergehen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ähnlich konzeptionslos wie beim LEB agiert der Senat mit seinen Versuchen, die Angebote der Jugendhilfe umzugestalten. Wir haben vorhin schon ein bißchen darüber gehört. Erst kamen die Kinder- und Familienhilfezentren, dann die flexible familiäre Krisenintervention und jetzt noch die sogenannten Schnittstellenprojekte. Das sind im Grunde alles ganz zauberhafte Ideen, aber es sind eben nur Modelle. Es sind Rosinen im Jugendhilfekuchen der Stadt, die aber die Struktur des Hilfesystems überhaupt nicht verändern, dafür aber viele Leute mit dem Streit um die Rosinen beschäftigen.

Es geht uns darum, diesen Knoten endlich einmal aufzulösen. Wir erwarten daher in einem ersten Schritt 5 Millionen DM für Schnittstellenprojekte, die aber nicht zentral vom Amt für Jugend entwickelt und entschieden werden, sondern vor Ort in den Bezirken, denn erst dann kann die Struktur des Jugendhilfesystems schrittweise verändert werden. Nur so kann nach den Erfahrungen der letzten Jahre der Weg aus dieser „Hilfe-zur-Erziehung-Falle“ und aus der Säulenstruktur der Jugendhilfe nicht nur im Interesse des Haushalts, sondern auch im Interesse der Familien gefunden werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die Bedeutung der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie der Familienförderung wird von allen Fraktionen und vor allem von Rotgrün immer wieder wortgewaltig hochgehalten. Trotzdem hat sich an der desolaten Situation in den Bezirken nicht wirklich etwas verändert. Stellenbewirtschaftung und Stellenstreichungen sorgen nach wie vor für dramatische Angebotsreduzierungen in den kommunalen Einrichtungen. Da werden Sie doch nicht sagen können, daß sich durch diese Vision das System verbessert hat. Wir erleben, daß diese Einrichtungen immer mehr eingeschränkt werden, und daneben gibt es dann auch noch die faktischen Kürzungen bei den Landesjugendplanmitteln. Es gibt weder einen Ausgleich für die Preissteigerungen der letzten Jahre noch einen Ausgleich für die Einrichtungen in den Neubaugebieten. Diese Mittel fließen aus dem nach wie vor gleich großen Topf.

Wir meinen, daß diese Kürzungen und Angebotsreduzierungen so nicht weitergehen dürfen. Deshalb ist es unumgänglich, diese Mittel, auch die des Landesjugendplans, aufzustocken, die Angebote in der Familienförderung auszuweiten, einen wirklichen Entlastungsfonds für bezirkliche Jugendhilfeangebote zu schaffen und natürlich dafür Sorge zu tragen, daß die Einrichtungen in den Neubaugebieten nicht zu Lasten des bestehenden Systems gehen. Damit gibt es dann eine tatsächliche Chance, allen Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt ein Angebot zu machen.

Wenn Sie sich von dieser Selbstverständlichkeit nicht ganz verabschieden wollen, bleibt Ihnen, wie ich meine, gar nichts anderes übrig, als heute unseren Anträgen zuzustimmen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke – Rolf Harlinghausen CDU: Da hat er recht!)

Das Wort bekommt Senatorin Pape.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Jahre 2001 stellt Hamburg über 1 Milliarde DM für Kinder und Jugendliche in dieser Stadt bereit, so Sie denn dem Haushalt zustimmen.

Damit ist der Haushalt 2001 nicht nur materiell ein beachtenswerter Zukunftsbeitrag, sondern er beinhaltet auch einen wesentlichen Reformimpuls zu einer verstärkten Wahrnehmung der Querschnittsaufgabe von Jugendpolitik.

Mit der Verknüpfung der verschiedenen Politikbereiche zu einem System integrierter Kinder- und Familienhilfen, wie zum Beispiel beim Projekt „Kinder hält Leben in Hamburg“. Damit führen wir weitere Verbesserungen der Hilfemöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und Familien in ihren Stadtteilen herbei. Es ist ein beachtlicher Erfolg, daß heute die Kinder, die Jugendlichen und ihre Familien an der Gestaltung der Lebensqualität in ihren Stadtteilen so umfangreich mitwirken wie nie zuvor. Das ist übrigens auch eine dauerhaft wirksame Stärkung der demokratischen Alltagskultur gegen Ausgrenzungsversuche und rechtsextreme Orientierung.

(Beifall bei Dr. Andrea Hilgers SPD)

Schließlich bestätigen auch die Empfehlungen des Berichts der Enquete-Kommission „Jugendkriminalität“ unser Ziel einer Förderung der Kultur des Aufwachsens, wie sie Wesensmerkmal hamburgischer Jugendpolitik ist. Dieser Anspruch findet sich auch in den einzelnen Leistungsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe dieser Stadt wieder.

Meine Damen und Herren, wir gewährleisten eine hohe Versorgung in der Kindertagesbetreuung; Frau RogalskiBeeck wies schon darauf hin. Wir halten damit im Vergleich zu anderen westdeutschen Großstädten ein überdurchschnittlich hohes Angebot zur Verfügung.

Mit der Einführung des neuen Beitragssystems haben wir in der Beitragszahlung aufkommensneutral mehr Gerechtigkeit hergestellt. Aufkommensneutral heißt allerdings, daß man auf der einen Seite eine Gruppe entlastet und auf der anderen Seite eine Gruppe, der man glaubt, etwas mehr zumuten zu können, belastet. Das ist das Prinzip einer aufkommensneutralen Umschichtung. Die Eltern tragen jetzt entsprechend ihrem Einkommen und der Dauer, für die sie ihr Kind betreuen lassen möchten, zur Deckung bei, und zwar im Schnitt zu 14 Prozent. 86 Prozent der Kosten der Kinderbetreuung in dieser Stadt trägt die Stadt und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Kürzlich habe ich im Fernsehen jemanden sagen hören, wir plünderten die Eltern aus. Die Fakten sind: 86 Prozent finanziert die Stadt.

(Zuruf von Rolf Harlinghausen CDU)

An Ihrem Beispiel, Herr Harlinghausen, das Sie genannt haben, kann etwas nicht stimmen. Ich biete Ihnen und allen anderen, die sich in den letzten Wochen und Monaten an uns gewandt haben, an, dieses Beispiel aufzudröseln, und ich bin ganz sicher, daß wir des Irrtums Teufelchen aus Ihrem Beispiel austreiben können.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Zuruf von Rolf Harlinghausen CDU)

Herr Harlinghausen, ich sage es noch einmal, wir haben alle Fälle, die an uns herangetragen wurden, lückenlos auf

(Lutz Jobs REGENBOGEN – für eine neue Linke)

A C

B D

klären können und immer herausgefunden, worin der Fehler lag. Deswegen bin ich sicher, daß wir auch bei diesem Beispiel den Fehler herausfinden.

Zum Beginn des Kindergartenjahres im Sommer 2003 soll die Kita-Card eingeführt werden. Eltern sollen die Möglichkeit bekommen, ihr Kind in einer Kindertagesstätte ihrer Wahl betreuen zu lassen. Durch die verbesserte Abstimmung von Angebot und Nachfrage können die zur Verfügung stehenden Mittel – wir haben es bereits gesagt, es sind knapp 600 Millionen DM – effizienter zum Nutzen der Hamburger Familien eingesetzt werden. Das ist eine unserer Zielsetzungen.

Zur Vorbereitung des Umstellungsprozesses werden bereits im Jahre 2001 Fortbildungsmaßnahmen der Träger, die Ausstattung der Kindertagesstätten mit EDV-Anlagen und eine verstärkte Fachberatung für die Verbände durchgeführt werden können. Das Amt für Jugend wird hierfür Mittel zur Verfügung stellen.

Im Bereich der Jugendhilfe dürfen wir nicht den Fehler machen, die Hilfesysteme wie Hilfen zur Erziehung und offene Kinder- und Jugendarbeit gegeneinander auszuspielen. Es gibt nämlich keine seriöse empirische Grundlage, um die Effektivität der einzelnen Hilfesysteme gegeneinander abzugrenzen, so daß man definitiv erklären könnte, welche Hilfe besser wirkt.

Weil die Jugendhilfe in ihrer Gesamtheit als eine Kombination von infrastruktureller Hilfe und einzelfallbezogenen Hilfeleistungen angelegt ist, müssen sich die Säulen des Leistungssystems der Jugendhilfe in einer gemeinsamen Verantwortung sehen.

Meine Damen und Herren, es wurde hier einiges über den Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung gesagt, das ich an dieser Stelle so nicht stehenlassen möchte. Ich muß aber auch meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, wie wenig Sie von den Informationen zur Kenntnis nehmen, Herr Harlinghausen, die wir Ihnen in epischer Breite auf Ihre vielen fachkundigen Nachfragen, die Sie im Ausschuß gestellt haben, dargelegt haben und die Sie jetzt alle nicht mehr zu interessieren scheinen, und in welcher Art und Weise Sie nach wie vor von einer Freiheit Gebrauch machen, die man eigentlich nur dem Romancier zugesteht, daß er nämlich nicht dicht an der Wahrheit bleiben muß.

(Rolf Harlinghausen CDU: Und was Wahrheit ist, bestimmt die SPD?)

Ich halte sehr viel davon, daß wir diese Debatte nicht in der Kürze führen, wie sie hier nur möglich ist, sondern ausführlich im Ausschuß, denn sie ist tatsächlich von einiger Bedeutung.