Protocol of the Session on October 11, 2000

Das ist Hamburger Praxis entgegen den Gesetzen zum Trotz. Das hat mit Opferschutz sehr wohl etwas zu tun. Gegen Heranwachsende das Jugendstrafrecht anzuwenden, wird bundesweit als Rechtsbeugung angesehen.

Auch die Zustände in den Justizvollzugsanstalten sind skandalös. Es wird noch nicht einmal mehr versucht, den Drogenhandel und den Konsum in den Gefängnissen zu unterbinden; das kann ein Opfer nicht verstehen. Strafgefangene werden in Hamburg nicht resozialisiert, sondern lediglich aufbewahrt. Wegsehen und mangelnde Resozialisierung führen dazu, daß viele Straftäter krimineller aus den Gefängnissen entlassen werden, als sie hineingekommen sind; das schadet den Opfern. Die Wachmannschaften in den Justizvollzugsanstalten werden genauso wie Polizei und Justiz kaputtgespart. Das darf nicht sein, das erzeugt auch Opfer.

Die Gerichte sind einer außerordentlichen Abmagerungskur unterzogen worden und können sich der Opfer nicht mehr genügend annehmen. Da nützt es uns nichts, neue Gesetze zu erlassen, wenn wir nicht genau wissen, wie das Personal mit ihnen umgehen soll.

Das gesamte Klima in der Stadt begünstigt die Entstehung von Kriminalität und vielen Opfern. Verschmierte Hausfassaden, zerstörte Mülleimer, Telefonzellen und Wartehäuschen des HVV legen ein beredtes Zeugnis ab über die Politik des Senats.

Opferschutz ist die Kehrseite der Kriminalitätsbekämpfung. Die Menschen merken genau, wenn man versucht, sie einzulullen. Da nützen auch keine Gastspiele in der Bundesrepublik. Der Senat wird an seinen Taten in Hamburg gemessen, und da hat er schlechte Karten, denn wer in Hamburg so deutlich versagt hat wie Sie, der kann in den Augen

(Rolf-Dieter Klooß SPD)

der Menschen auch nicht davon ablenken, daß Sie nur versuchen, sich bundespolitisch zu profilieren.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe versucht aufzuzeigen, daß zum Opferschutz zuallererst eine konsequente Bekämpfung der Kriminalität gehört, und hier sollte Hamburg zunächst vor der eigenen Türe kehren.Ehrlich gesagt, ich glaube kaum, daß dieser Senat dazu noch die Kurve kriegt, aber ich bin zuversichtlich, daß ein CDUgeführter Senat dieses im nächsten Jahr in den Griff bekommen kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Mahr.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit seiner Bundesratsinitiative hat der rotgrüne Senat in Hamburg notwendige Zeichen gesetzt, um den Schutz der Opfer von Straftaten voranzutreiben. Daß dies erst heute passiert und nicht bereits in den vergangenen zehn Jahren erfolgt ist, zeigt, daß Rotgrün nicht nur redet, sondern handelt.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wie häufig ist uns von der CDU vorgeworfen worden, wir würden immer nur das Schicksal der Täter im Blick haben, statt uns um die Opfer zu kümmern. Frau Spethmann, der Gesetzentwurf zeigt, daß man das eine tun kann, ohne das andere lassen zu müssen, und das ist allemal besser als markige Sprüche.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Karl-Heinz Eh- lers CDU: Jetzt weiß ich auch, warum bei der Poli- zei die Kreide fehlt! Die haben Sie gefressen!)

Das Strafrecht war nach bisherigem Verständnis in erster Linie ein Täterstrafrecht, das heißt, die Opfer hatte man weniger im Blick. Es gab zwar in bestimmten Fällen schon lange das Recht zur Nebenklage, ansonsten spielte das Opfer im Strafprozeß aber leider nur eine Randrolle.Mit diesem Gesetzentwurf wird endlich entwürdigenden Szenen vorgebeugt, wie sie sich im Laufe eines Prozesses einstellen können, wenn nicht rechtzeitig reagiert wird. Während bisher das Opfer als Zeuge nicht mehr als ein bloßes Beweismittel war, soll es jetzt dem Angeklagten als Prozeßbeteiligten weitestgehend gleichgestellt werden. Der rotgrüne Senat hat in Hamburg schon mit der Einrichtung von Zeugenbetreuungszimmern deutliche Zeichen gesetzt, daß es ihm mit einer durchgreifenden Verbesserung der Stellung von Opferzeugen ernst ist.

(Beifall bei Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Der Beschluß des Bundesrates kann deshalb als ein weiterer wesentlicher Schritt und als öffentliches Signal verstanden werden, daß dem Staat das Schicksal von Opfern nicht nur nicht gleichgültig ist, sondern er an ihrer Seite steht. Mit dem Gesetz wird endlich durch verfahrensrechtliche Regelungen der Schutz traumatisierter Zeugen wirksam sichergestellt, so daß vermieden wird, daß die Zeugen durch die Gerichtsverhandlung ein weiteres Mal in unzumutbarer Form mit dem Täter konfrontiert oder durch entehrende Fragestellungen erneut traumatisiert werden.

Neben der aktiveren Rolle als Verfahrensbeteiligte ist insbesondere zu begrüßen, daß den Opfern von Straftaten jetzt im Wege des Adhäsionsverfahrens bessere Chancen eingeräumt werden, schon im Strafprozeß in gewisser Weise Schadensersatz geltend machen zu können. Ich

habe mich schon immer geärgert, daß Opfer nach einem nervenaufreibenden Strafprozeß ein Zivilverfahren anstrengen mußten, um zu ihrem Geld zu kommen. Es ist bekannt, daß einige Anwaltsvereinigungen diesen Punkt kritisch sehen.Ich persönlich glaube aber, daß die Rechte der Beschuldigten hier nicht in unzumutbarer Weise beschnitten werden und daß deshalb die im übrigen auch prozeßökonomischere Lösung zu begrüßen ist. Gleichwohl sollte bei der Beratung im Deutschen Bundestag darauf geachtet werden, daß die Rechte des Beschuldigten gewahrt bleiben und ein fairer Prozeß sichergestellt ist, denn bis zum Urteil bleibt natürlich die Unschuldsvermutung bestehen.

Es wäre zu wünschen, daß die Beratung im Deutschen Bundestag zügig vorangeht. Mit einer Verabschiedung dieses Gesetzes würde in der Tat Gesetzesgeschichte geschrieben werden, denn die Auswirkungen auf die Praxis des Strafverfahrens würden sich ohne Zweifel bald in positiver Weise bemerkbar machen.

Es ist sicher kein Zufall und ein gutes Zeichen, daß sich just am Tag des Bundesratsbeschlusses die Justizminister der EU-Staaten auf einen Rahmenbeschluß zum Schutz von Opfern im Strafverfahren geeinigt haben. Es bleibt zu hoffen, daß auch dadurch die Stellung der Opfer im Strafverfahren weiter gestärkt wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat jetzt Frau Sudmann.

Guten Tag, meine Damen und Herren!

(Ole von Beust CDU: Guten Tag!)

Die Debatte am heutigen Tage hat zwei Schönheitsfehler: Erstens wird hier immer von einem Gesetz gesprochen; das Gesetz haben wir aber noch nicht.Wir sind erst in dem Stadium, daß der Bundesrat immerhin schon einstimmig zugestimmt hat, aber die Beratung auf Bundestagsebene noch erfolgt.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Das mußte noch mal ge- sagt werden!)

Das ist insofern relevant, als ihr im Prinzip noch über ungelegte Eier sprecht und ich mich frage, ob es kein Vertrauen gibt, daß es im Bundestag mit der rotgrünen Mehrheit auch so verabschiedet wird.

Aber der zweite Schönheitsfehler ist viel relevanter.Wir reden hier über ein wirklich wichtiges Vorhaben, das ich inhaltlich voll unterstützen kann.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Doch!)

Aber wir reden darüber in der Aktuellen Stunde, ohne zu wissen, wie der aktuelle Sachstand im Bundestag sein wird.Und dieser Gesetzentwurf hat es nicht verdient, in der Aktuellen Stunde in nur Fünf-Minuten-Beiträgen verhackstückt zu werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke – Dr. Martin Schmidt GAL: Das ist ja ein tolles Argu- ment!)

Ich finde es schön, daß die GAL sich aufregt. Ich erinnere mich daran, als wir noch eine Bundesregierung aus F.D.P. und CDU hatten,

(Viviane Spethmann CDU)

A C

B D

(Ole von Beust CDU: Gute Zeiten, schlechte Zei- ten!)

wie sehr GAL und SPD immer geschimpft haben, wenn die CDU hier Bundesgesetze diskutiert hat, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen; aber das Gedächtnis ist ja oft sehr kurz.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Da hast du noch mitgeschimpft!)

Das tue ich immer noch. Bei euch tue ich es genauso, ich bleibe konsequent, ich schimpfe weiter, ihr ja nicht.

Aber kommen wir zum Gesetz selbst. Der wichtigste Punkt im Gesetz ist – der ist unbedingt zu unterstützen –, daß die Opfer von Straftaten nicht ein zweites Mal Opfer werden, und bisher ist die Praxis so, daß dies leider oft geschehen ist. Von daher ist für mich die Formulierung im Gesetzesentwurf ein bißchen zu schwach. Sie sagt, man solle auf das Schamgefühl von Frauen Rücksicht nehmen.Ich finde, es darf nicht „soll“ heißen, sondern muß eindeutig „es muß Rücksicht genommen werden“ heißen, und die Frauen müssen eindeutige Rechte haben, sich gegen bestimmte Fragen verwahren zu können.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es ist sehr gut beschrieben, wenn wir jetzt davon reden, daß Verfahrensgerechtigkeit auch für Opfer geschaffen werden soll und daß Opfer nicht mehr den Status haben dürfen, als Beweismittel behandelt zu werden; insofern haben Sie unsere Unterstützung. Nur der Zeitpunkt, dies hier zu diskutieren, ist – wie sagte Herr Klooß – ein reines Aufdie-Schulter-Klopfen, reden wir einmal über etwas Gutes. Aber das Gute findet nicht hier statt, sondern wird letztendlich in Bonn verabschiedet.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Frau Senatorin Dr. Peschel-Gutzeit.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetzesvorhaben, das im Bundesrat erfolgreich war – und nur darum geht es –, habe ich Ihnen vor ziemlich genau 16 Monaten an dieser Stelle als Hamburger Initiative zur Stärkung der Verletztenrechte vorgestellt. Ziel dieser Initiative war es, ein aus vielen Elementen bestehendes ganzheitliches Konzept umzusetzen, in dem die Rolle der Verletzten nach einer Straftat grundsätzlich neu definiert wird. Es ging und geht darum, Verletzte nicht nur als passive Opfer zu sehen, die beschützt und betreut werden müssen, sondern diesen Menschen mehr Rechte als Prozeßbeteiligte einzuräumen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen legitimerweise zu verfechten, dies alles aus der Überzeugung heraus, daß sie mehr sind als nur Zeugen, als Beweismittel, die technokratisch zur Wahrheitsfindung herangezogen werden.

Der von uns im Rahmen der Hamburger Initiative erarbeitete und jetzt im Bundesrat nach sehr gründlichen Beratungen beschlossene Gesetzentwurf sichert die Grundlage für dieses ganzheitliche Konzept.Ich freue mich, daß es gelungen ist, im Bundesrat ein einstimmiges Votum aller 16 Bundesländer für die Einbringung dieses Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag zu erreichen. Dieses bei solchen grundlegenden Reformvorhaben eher seltene Ergebnis läßt erwarten, daß das Gesetz auch noch die anstehenden Hürden im Bundestag, die natürlich jetzt gemeistert werden müssen, mit Bravour wird nehmen können und, vor

allem, daß dort möglicherweise sogar die Opposition wird zustimmen können.

Es ist bereits kurz skizziert worden, worum es geht, um drei Dinge: Persönlichkeitsrechtsstärkung aller Verletzten, erleichterter Weg zum Schadensersatz und schließlich und endlich eine Möglichkeit für Verletzte, im Verfahren selbst aktiv werden zu können.

Ich möchte mit dem letzten Punkt beginnen. Wir wissen, daß es bislang für Verletzte sehr schwierig ist, im Strafverfahren selbst aktiv zu werden. Wir haben versucht zu erkunden, nicht nur, warum es so schwierig ist, sondern welche Auswirkungen es hat. Befragungen von Opferzeugen zeigen, daß mehr als die Hälfte der Zeugen die Auswirkungen eines Prozesses auf ihr eigenes Befinden im nachhinein als negativ bewerten.Verbrechensopfer leiden noch Monate nach der Tat unter einer Schwächung ihres Selbstwertgefühls. Sie nehmen sich in der Prozeßsituation als schwach und unsicher wahr, beklagen ihre passive Rolle als Zeuge, und vor allem vermissen sie die Möglichkeit, ihre persönliche Betroffenheit und ihre eigenen Empfindungen in das Verfahren einzubringen.

Das wichtigste prozessuale Instrument, als Verletzte aktiv am Prozeß teilnehmen zu können, ist die Nebenklage. Die Nebenklage kannte die Prozeßordnung von Anfang an. Sie führte aber über viele Jahrzehnte ein Schattendasein. Man ging früher davon aus, die Nebenklage solle dem Verletzten ermöglichen, seinen eigenen Vergeltungswünschen Ausdruck zu verleihen. Erst seit wenigen Jahren setzt sich die Auffassung durch, daß die Nebenklage dazu dient, den Verletzten als Subjekt des Verfahrens in den Stand zu versetzen, selbst aktiv am Verfahren teilzunehmen, darauf einzuwirken, sich zum Beispiel gegen Schuldzuweisungen und Herabwürdigungen zu wehren, sowie Opfern Gerechtigkeit zu gewährleisten. Wer je an einem Strafverfahren teilgenommen und erlebt hat, wie die Verteidigung, was ihre Aufgabe ist, Opferzeugen sozusagen auseinandernimmt, der kann sofort verstehen, wie herabgewürdigt sich ein solcher Opferzeuge oder eine -zeugin fühlen muß.