Protocol of the Session on October 11, 2000

Sie wissen um die Bedeutung der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg. Aus besonderem Anlaß möchte ich Ihnen heute einen Brief des Vorsitzenden der Gesetzgebenden Versammlung von St. Petersburg, Herrn Sergej Tarassow, vom 2. Oktober 2000 verlesen. Der Brief lautet wie folgt:

„An die Präsidentin der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg

Sehr geehrte Frau Stapelfeldt,

ich möchte Ihnen sowohl persönlich als auch im Namen der Gesetzgebenden Versammlung von St. Petersburg zum nationalen Feiertag der Bundesrepublik Deutschland, dem Tag der Deutschen Einheit, recht herzlich gratulieren.

In den zehn Jahren seit der Wiederherstellung des einheitlichen deutschen Staates hat Ihr Land riesengroße Erfolge auf internationaler und nationaler Ebene erreicht, wobei es ein hervorragendes Beispiel für die Notwendigkeit des Baus eines neuen gesamteuropäischen Hauses, der Annäherung der verschiedenen Länder und deren Partnerschaft gegeben hat.

Ich muß auch betonen, daß die gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation in diesem Prozeß eine sehr wichtige Rolle spielt, da sie als eines der überzeugendsten Beispiele der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Hamburg und St.Petersburg gelten kann. Ich bin sicher, daß eine Vertiefung und Weiterentwicklung dieser Kontakte sehr vorteilhaft für die Bürgerinnen und Bürger unserer beiden Städte sein wird.

Ich bitte Sie, den Bürgerschaftsabgeordneten sowie allen Einwohnern der Freien und Hansestadt Hamburg, einer Stadt, zu der die Petersburger immer ein Gefühl tiefster Sympathie gepflegt haben, unsere besten Wünsche zu bestellen.

Hochachtungsvoll Sergej Tarassow“

Damit haben Sie den Brief zur Kenntnis erhalten, und ich möchte Sie noch darauf hinweisen, daß vermutlich noch in diesem Jahr Herr Sergej Tarassow mit einer Delegation der Gesetzgebenden Versammlung bei uns in Hamburg zu Gast sein wird.

Nun zur Tagesordnung. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat wurde die Tagesordnung um die Punkte 43a bis 43e ergänzt. Es handelt sich um Berichte des Haushaltsausschusses. Abweichend von der Empfehlung des Ältestenrats haben sich die Fraktionen auf eine Änderung in der Debattenreihenfolge verständigt. Am Mittwoch werden die Tagesordnungspunkte 56 und 15 gegeneinander ausgetauscht und am Donnerstag die Tagesordnungspunkte 54 und 61.

Wir kommen dann zur

Aktuellen Stunde

Dazu sind drei Themen angemeldet worden, und zwar von der SPD-Fraktion

Hamburger Bundesratsinitiative erfolgreich: Mehr Rechte für Opfer von Verbrechen

von der CDU-Fraktion

Zukunft der Krankenhäuser in Hamburg

sowie von der GAL-Fraktion

Ausgeschöpftes Arzneimittelbudget: Dichtung und Wahrheit

Zunächst rufe ich das von der SPD-Fraktion angemeldete Thema auf. Das Wort hat Herr Klooß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde muß nicht nur Ausstellungsort für Kritik und Anprangerung von Mißständen sein, sie darf auch einmal der Platz für die Erörterung von guten Nachrichten sein, und so ist es bei diesem Punkt.

Der Hamburger Senat hat im September 1999 eine Gesetzesinitiative zur Stärkung der Rechtsposition von Opfern von Straftaten, ein Gesetz zur Stärkung der Verletztenrechte, beim Bundesrat eingebracht.Der Bundesrat ist nunmehr in weiten Teilen dem Antrag Hamburgs gefolgt. Er beschloß, einen entsprechenden Gesetzentwurf beim Bundestag einzubringen, und bestimmte unsere Justizsenatorin zur Beauftragten des Bundesrats für die Beratung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen.

Das Thema „Stärkung der Verletztenrechte“ ist gewiß ein parteiübergreifendes Anliegen.Die Bürgerschaft hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit verschiedenen Aspekten befaßt und auch Beschlüsse gefaßt, zum Beispiel zur Umsetzung der neuen strafprozessualen Möglichkeiten zum Schutz kindlicher Zeugen oder zur Verbesserung des Zeuginnen- und Zeugenschutzes, und hat dafür auch Mittel bereitgestellt.Der Senat hat uns in dieser Wahlperiode mit der Drucksache 16/2422 vom 27. April 1999 über die sogenannte Hamburger Initiative zur Stärkung der Verletztenrechte unterrichtet, und die Bürgerschaft hat dies zustimmend zur Kenntnis genommen. Die seinerzeit genannten drei wesentlichen Zielsetzungen für eine Reformpolitik im Interesse der Verletzten waren erstens Hilfe, Schutz und Betreuung in Krisensituationen, zweitens aktive Teilnahme am Verfahren und drittens Ersatz für immaterielle und materielle Schäden. Diese Zielsetzungen finden sich in dem eingangs erwähnten Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung wieder.Ich komme auf einige Einzelheiten.

Erstens: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das auch Verfassungsrang hat, zwingt zur Verbesserung in der schwierigen Lage, in der sich Zeugen, namentlich wenn sie Opfer sind, befinden.Unter anderem müssen sie nach dem Gesetzentwurf schon bei der Ladung zur Vernehmung auf ihre Rechte hingewiesen werden. Es findet sich folgende wichtige Neuerung.

„Kann die körperliche Untersuchung einer Frau das Schamgefühl verletzen, so wird sie einer Frau, einem Arzt oder einer Ärztin übertragen; dem Wunsch der Frau nach Untersuchung durch eine Frau oder Ärztin soll entsprochen werden.Auf Verlangen der zu untersuchenden Frau soll eine andere Frau oder ein Angehöriger zugelassen werden. Hierauf ist die zu untersuchende Frau hinzuweisen.“

Oder folgendes:

„Wird der Verletzte als Zeuge vernommen, so ist, wenn er dies beantragt, einer Person seines Vertrauens die Anwesenheit zu gestatten, es sei denn, die Anwesenheit könnte den Untersuchungszweck gefährden.“

Zweitens: Das Opfer hat nach geltendem Recht noch zu sehr die Rolle eines Beweismittels. Ihm sollen nun mehr Rechte gegeben werden, um aktiv im Verfahren mitzuwirken. Die Hauptmöglichkeit besteht schon nach geltendem Recht in der Nebenklägerschaft. Sie steht dem Verletzten zum Beispiel bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit oder bei versuchter Tötung zur Verfügung. Nunmehr wird das Gericht im Unterschied zum alten Recht verpflichtet, den zur Nebenklage Berechtigten auf seine Möglichkeit hinzuweisen, und er bekommt auch ein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung. Wünschenswert wäre es aus hamburgischer Sicht gewesen, dem Verletzten auch ohne Mitwirkung eines Anwalts ein Akteneinsichtsrecht zuzuerkennen.

(Beifall bei Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Dies konnte leider nicht durchgesetzt werden.

Drittens: Es besteht unzweifelhaft ein Bedarf, daß Geschädigte schon im Strafverfahren und mit dessen Hilfe vermögensrechtliche Ansprüche geltend machen, und zwar neben der Möglichkeit, daß ein Gericht im Wege einer Auflage zum Beispiel zur Schadenswiedergutmachung und zur Vermeidung von Freiheitsstrafe Auflagen macht. Die Strafprozeßordnung bietet dafür das sogenannte Adhäsionsverfahren an, das sich jedoch in der Praxis nicht bewährt hat und kaum genutzt wird.

(Glocke)

Sie müssen zum Schluß kommen, Herr Abgeordneter.

(Rolf-Dieter Klooß: Ich wurde einmal unterbro- chen.)

Die Zeit habe ich schon einberechnet.

Im Adhäsionsverfahren sind wichtige Verbesserungen der Stellung des Berechtigten vorgesehen, die wir später vertiefen können.

Ich fasse zusammen: Die SPD begrüßt den Gesetzentwurf...

(Glocke)

Sie müssen zum Schluß kommen.

...dankt dem Senat für die Initiative und wünscht weiterhin Erfolg im Gesetzgebungsverfahren. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Bevor ich der Abgeordneten Frau Spethmann das Wort gebe: Die Unterbrechung vorhin hatte ich einbezogen, und wenn ich Sie abklingele, dann ist die Zeit wirklich schon vollständig ausgefüllt. Deswegen möchte ich nicht mehrfach darauf hinweisen.

Frau Spethmann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Stärkung des Opferschutzes ist in der Tat ein Fortschritt für die Opfer von Kriminalität, auch wenn sich der Senat nicht in jedem Punkt

im Bundesrat durchsetzen konnte.Wesentliche Punkte des Entwurfs entstammen der Programmatik der CDU. So wurde insbesondere die Opferentschädigung, die erheblich verbessert werden muß, bisher immer noch nicht geregelt. Aber da der Senat bekanntermaßen etwas länger braucht, besteht noch Hoffnung, daß wir mit diesem Thema zu Rande kommen.

Zu bemerken ist allerdings, daß die Selbstbeweihräucherung, die wir jetzt erleben, einen sehr wichtigen Aspekt außer acht läßt. Die wichtigsten Maßnahmen im Bereich der Opferhilfe dienen dazu zu verhindern, daß Menschen überhaupt zu Opfern werden. Ich spreche hier von der Kriminalitätsbekämpfung. In Hamburg besteht ein immenser Nachholbedarf. Die Ignoranz des Senats führt zu steigender Kriminalität, besonders im Gewaltbereich, und zu einer Verunsicherung der Bevölkerung. Die Aktionen auf Bundesebene sind für die Menschen vor Ort reiner Zynismus, denn entweder werden in Hamburg die nötigen Gesetze gar nicht erlassen oder bestehende Vorschriften nicht konsequent angewandt, denn der beste Opferschutz soll Leben schützen und den Tod verhindern. Und da stelle ich einfach die Frage: Wäre Volkan nicht gestorben, wenn bestehende Gesetze durchgesetzt worden wären? Bei konsequenter Rechtsanwendung wären viele Unschuldige gar nicht erst zu Opfern geworden, denn ein toter Volkan weniger ist besser als hundert Nebenkläger, die wir jetzt haben.

(Beifall bei der CDU)

In der Bekämpfung der Jugendkriminalität, die sehr viele Opfer erzeugt, regiert der Geist der 68er.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Was soll das denn heißen?)

Das ist Hamburger Praxis entgegen den Gesetzen zum Trotz. Das hat mit Opferschutz sehr wohl etwas zu tun. Gegen Heranwachsende das Jugendstrafrecht anzuwenden, wird bundesweit als Rechtsbeugung angesehen.