Protocol of the Session on September 6, 2000

(Ole von Beust CDU: Aber nicht bei Gewalt!)

auch wenn uns der Preis der Freiheit zuweilen sehr hoch erscheint.

Ich gebe Ihnen recht, daß sich über manches noch diskutieren läßt, was man noch verbessern könnte.Der Ruf nach Gesetzesänderung als Antwort auf Rechtsradikalismus ist zu wenig, das war der wesentliche Punkt, den Sie bisher genannt haben.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Ich komme zu Ihrem dritten Punkt, den ich für viel problematischer halte; dabei unterscheiden wir uns möglicherweise viel weiter, als es offenbar bisher zutage getreten ist.

Seitens der REGENBOGEN-Gruppe wurde hier gesagt – und das weise ich von dieser Stelle zurück –, daß der Faschismus, der Rechtsradikalismus und die Neonazis ihren Ausgang aus der Mitte der Gesellschaft nehmen. Das ist Unsinn. Es gibt in jeder Gesellschaft ein Gewaltpotential, auch in unserer. Es gibt Dumpfheit, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Es gibt jetzt in dieser Situation eine neue Gewalt, aber sie geht nicht von der Mitte der Gesellschaft aus, sondern sie reicht weit in die Gesellschaft hinein, das mag sein, aber nicht umgekehrt.

Es ist nicht so, daß Politiker – auch wenn ich ihre Äußerungen nicht teile –, ob in Hessen oder Bayern, den Rechtsradikalismus erzeugen, sie bedienen vielleicht Ressentiments, und das ist ein schwerer politischer Fehler, der bekämpft werden muß.

(Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Aber wir müssen uns auch – das sage ich ausdrücklich, denn bis hierher sind wir uns einig – mit Ressentiments auseinandersetzen. Die Aufgabe der Politik ist es, Antworten auf die Probleme zu geben, die die Menschen in ihren Ressentiments sehen.

(Beifall bei Andrea Franken GAL)

Es ist eine sehr interessante Frage, ob die richtige Antwort auf Ausländerfeindlichkeit vor Ort, Probleme in der Schule mit Ausländerkindern wegen mangelnder Sprachkenntnisse et cetera lautet: Mehr Deutsch, oder müßte nicht die richtige Antwort lauten:Wir alle in dieser Gesellschaft brauchen eine neue Debatte über die Ausländerintegration, die Zuwanderung und darüber, was wir als Anerkennung von Ausländern wollen. Ist nicht das der Weg der Integration, anstatt einfach zu sagen, zu wenig Deutsch ist eben zu wenig deutsch? Das geht zu leicht, um es mal klar zu sagen, in jene chauvinistische Ecke.

(Ole von Beust CDU: In Chinatown reden sie auch Englisch! Da müssen wir vorsichtig sein. Konzepte zur Lösung ja, aber keine einfachen Konzepte. Darüber hier zu streiten, lohnt sich. Als letzten Satz möchte ich dazu das Zitat eines bekannten Politikers nennen, dessen Geburtstag heute wäre und der Ihnen nahesteht: „Man sollte nie einfach reden, man sollte immer kompli- ziert denken.“ Das war Franz Josef Strauß. (Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Herr Dr. Martin Schmidt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir reden darüber, wie sich Rechtsstaat und Demokratie in der gegenwärtigen Situation verteidigen.Ich gebe zu, daß ich die Verteidigung des Rechtsstaates durch die Umwandlung der Untersuchungshaft in eine Strafhaft für Unsinn halte, Herr von Beust.

Ich bin aber auch der Meinung, daß wir über gesellschaftliche Dinge reden müssen, die in der Verteidigung der Demokratie stattfinden, die aber nicht geeignet sind, die Demokratie zu verteidigen. Ich halte zum Beispiel nichts von Steckbriefen gegen Rechtsradikale, wie sie neuerdings in einigen Zeitungen abgedruckt werden. Steckbriefe von Rechtsradikalen haben denselben Charakter wie Steckbriefe von Kinderschändern in Porthmouth oder denen von Sympathisanten der RAF in den siebziger Jahren; damals waren Heinrich Böll und Jürgen Habermas dran. Es hat in Deutschland schon ein Steckbriefopfer gegeben, Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968. Daher appelliere ich: Schluß mit den Steckbriefen.

Ich will auch noch einen etwas anderen Gedanken zu den Stichwortgebern äußern. Ich bin kein Feind politischer Debatten und auch nicht des Streitens um Worte und Begriffe. Man muß aber vorsichtig sein, das hat Herr Zuckerer eben auch schon gesagt. Ostern 1968 hat der damalige Justizminister Heinemann in seiner berühmten Fernsehansprache das schöne Beispiel genannt:Wer mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigt, zeigt mit einigen Fingern auf sich zurück. Das gilt auch für das Zeigen auf Stichwortgeber.

Dabei wird eine sehr wichtige Differenz vergessen, die notwendig ist. Herr Salchow hat auf eine Umfrage hingewie

(Walter Zuckerer SPD)

sen, die in der letzten Woche bekannt wurde. In dieser Umfrage haben tatsächlich die Hälfte der Bewohner der ExDDR gesagt, daß es zu viele Ausländer gibt. Aber 85 Prozent derselben Leute haben gesagt, daß schärfer gegen die rechtsextreme Gewalt vorgegangen werden müsse. Das heißt, daß sie etwas für uns Lebenswichtiges getan haben; sie haben zwischen ihrer Meinung und der Durchsetzung ihrer Meinung differenziert. Das ist das wichtigste an der Demokratie und dem Rechtsstaat.Man darf nämlich sagen, daß es zu viele Ausländer gibt, das ist eine erlaubte Meinung, aber man darf daraus nicht die Konsequenz ziehen, den nächsten Ausländer zu verprügeln. Das ist nicht erlaubt.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der CDU – Karl-Heinz Ehlers CDU: Sehr richtig!)

Deshalb muß man sehr darauf achten, daß diese Differenz in den Köpfen der Menschen erhalten bleibt, daß dieses Tabu der Gewaltanwendung für alle gilt.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Ja!)

Deswegen bitte ich dieses auch bei der Debatte um Stichwortgeber zu beachten.

(Beifall bei der GAL – Karl-Heinz Ehlers CDU: Rich- tig!)

Der nächste Punkt ist die Frage des Demonstrationsrechts. Das wird nun neuerdings offenbar von zwei Seiten angegriffen.Von der CDU wird gesagt, es müsse eingeschränkt werden, und von der Gruppe REGENBOGEN wird gesagt, es müsse dafür gesorgt werden, daß rechtsradikale Demonstrationen nicht stattfinden, sie behindern, auch wenn sie durch Gesetze und das Verfassungsgericht genehmigt sind.Auch das ist ein Angriff auf die Demonstrationsfreiheit.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Ich zitiere aus dem Beschluß des Verfassungsgerichts, weil das ein sehr wichtiger Satz ist. Das Verfassungsgericht hat den Hamburgern ins Stammbuch geschrieben, daß man mit dem Hinweis auf polizeilichen Notstand wegen drohender Gegengewalt nicht beliebig Demonstrationen verbieten darf, denn – und nun wörtlich –:

„Gewalt von ,links‘ ist keine verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von ,rechts‘.“

Ich bin in der Tat dafür, daß das Demonstrations- und Meinungsfreiheitsrecht auch für Rechtsextreme in vollem Umfang gelten muß, sonst schädigen wir uns selbst. Ich habe oft genug in Demonstrationen für das Demonstrationsrecht gekämpft, und viele von uns haben wahrscheinlich 1985 auf dem Weg nach Brokdorf erfahren, daß das Verfassungsgericht unsere Demonstration genehmigt hat.Dieses ist die Magna Charta der deutschen Meinungsfreiheit bis heute, und das will ich auch nicht durch rechtsradikale Angriffe in der öffentlichen Meinung gefährden lassen. Deswegen kann ich zwar verstehen, wenn der Bürgermeister sagt, daß man den Beschluß des Verfassungsgerichts mit Ärger zur Kenntnis nehmen muß, ich finde aber, daß wir uns das vom Verfassungsgericht durchaus sagen lassen sollten.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der CDU)

Was zu tun ist, ist hier mehrfach gesagt worden. Gewalt kommt nicht automatisch aus einer sozialen Lage, sondern aus einem sozialen Autismus, und der muß behoben werden.

Das wichtigste ist, wie ich finde – was auch schon mehrfach gesagt worden ist und was ich Ihnen ins Gedächtnis rufen möchte –, der Symbolgehalt dessen, was der Bundeskanzler getan hat. Er ist zum Grab des ermordeten Afrikaners gegangen und hat dort einen Kranz niedergelegt. Wir sollten die Opfer, die es in Deutschland gibt, mehr ehren und achten. Es war ein Skandal, daß die Opfer des Lübecker Brandanschlages sehr lange darauf warten mußten, endlich als Gäste in diesem Land leben zu dürfen.

(Beifall bei der GAL, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Hackbusch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin froh darüber, daß von vielen Vorrednern bereits gesagt worden ist, daß es nicht entscheidend darum geht, daß es Schläger gibt, die brutal vorgehen, und das zum Teil auch die neue Qualität darstellt – das haben wir seit Jahren beobachtet und kritisiert –, sondern daß es dafür auch eine breite mentale Unterstützung gibt. Diese mentale Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft ist stärker als in den Jahren zuvor.Deshalb ist die breite Unterstützung auch ein wichtiges Thema, das wir zu diskutieren haben.

Froh bin ich darüber, daß wir gemeinsam festgestellt haben, daß es keine sozialen Begründungen für Rechtsradikalismus in irgendeiner Form geben darf.Es gibt keine Entschuldigung, wenn beispielsweise irgend jemand entlassen wurde oder in schlechten Verhältnissen lebt, dafür einen Ausländer zu verprügeln oder rechtsextrem aufzutreten. Daß wir darin einig sind, freut mich.

Wir stehen aber vor einer großen Diskussion, und als Begründung für den Rechtsradikalismus wird angeführt, daß es hier so viele Ausländer gibt. Die Frage an die CDU ist deshalb wichtig und von zentraler Bedeutung, ob sie es rechtfertigt, daß jemand eine rechtsradikale Auffassung hat, weil es in dieser Gesellschaft so viele Ausländer gibt? Darauf muß von der CDU ein deutliches Nein folgen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ich verlange ein deutliches Bekenntnis, daß es in diesem Zusammenhang keine Entschuldigung dafür gibt, auch nicht für die Denkweise oder die mentale Unterstützung.

Man muß sich auch einmal überlegen, warum das völlig absurd ist. Die Umfrage, die Herr Professor Salchow uns dargestellt hat, zeigt es doch sehr deutlich. In einem östlichen Bundesland, in dem ich gerade im Urlaub war und in dem relativ wenige Ausländer leben, ist der Anteil derer, die sagen, daß es zu viele Ausländer in der Region gebe, mit über 50 Prozent sehr groß.Das ist völlig absurd, und die Erfahrung mit den Ausländern ist keine Begründung, daß man gegen sie ist und meint, sie müßten verschwinden.Daher ist es die Aufgabe aller Demokraten, dagegen aufzutreten und diese Begründung als absurd zurückzuweisen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das betrifft aber auch die SPD. Sie hat diese Begründung häufig genug in der Diskussion um Wilhelmsburg genannt. Sind die vielen Ausländer eine Begründung für Ausländerfeindlichkeit? Nein, das sind sie nicht. Es gibt auch keine Begründung für die Worte von Herrn Schily: Das Boot sei voll. Das ist auch eine mentale Unterstützung für diejeni

(Dr. Martin Schmidt GAL)

gen, die sagen, die Politiker sabbeln nur darüber und sie selbst werden dafür sorgen, daß es nicht mehr so viele Ausländer gibt.Das darf nicht mental unterstützt werden und ist von jedem, der in diesem Land Politik macht, entscheidend zu lernen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Was eine mentale Unterstützung des Rechtsradikalismus ist, muß für uns wichtiger Diskussionspunkt sein. Die andere Sache betrifft die Demonstration.Ich war sehr entsetzt darüber, daß gerade die Grünen, die ich sonst bei solchen Demonstrationen erlebt habe, bei der Demonstration gegen die Neonazis nicht anwesend waren. Es waren viele aus diesem Hause nicht dabei und haben nicht daran mitgearbeitet – außer Herrn Pumm, das möchte ich ausdrücklich hervorheben –, damit eine solche Demonstration zustande kommt.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das stimmt doch nicht!)

Die Frage lautet, darf man überhaupt Demonstrationen gegen Neonazismus organisieren oder nicht.Ich habe mir eingehend angehört – das durfte ich ausnahmsweise einmal –, was die Neonazis genau gesagt haben. Das war keine Sache von Meinungsäußerung – das merkt man auch ganz deutlich in der Art und Weise, wie etwas vorgetragen wird; Herr von Beust und ich haben es gemeinsam gehört –, sondern um eine Vorbereitung dafür, daß die Ausländer aus unserem Land verschwinden.Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß es nicht um das Vortragen irgendeiner Meinung ging, sondern etwas zu organisieren. Daß das Faschismus und ein Verbrechen ist und keine Meinung, sieht man an diesen Reden. Deswegen müssen wir dagegen auftreten und deutlich sagen, daß dazu Empörung notwendig ist. Es geht darum, alle zu unterstützen, die das ausdrücken, und das ist richtig so. – Danke.