Protocol of the Session on June 21, 2000

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Angesichts wachsender Einkommensarmut von Familien mit Kindern und angesichts veränderter Familienstrukturen ist für viele Kinder oft der Hort, die Kita oder der Kindergarten der Ort, wo sie sich austoben, mit anderen Kindern spielen und auch soziales Verhalten lernen können. Leider ist es erschreckend oft auch der Ort, wo sie sich satt essen können.

Aus den veränderten gesellschaftlichen Strukturen ergeben sich auch neue Anforderungen an die Kindertagesbetreuung. Die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags war schon immer ein hoher Anspruch an die Einrichtungen.Doch im Gegensatz zu früher sind heute noch viele weitere Aufgaben dazugekommen. Ein Beispiel ist die Integration von Migrantinnen. Angesichts unterschiedlicher Kulturen, anderer Sprachen und Gewohnheiten müssen neue Konzepte entwickelt werden, die ein Miteinander der Kinder in den Einrichtungen ermöglichen und die – das ist für uns alle wichtig – den Grundstock für ein solidarisches Verhalten der Menschen untereinander legen – nicht nur im Kindesalter.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die neuen Anforderungen müssen entsprechend den aktuellen entwicklungspsychologischen und den aktuellen pädagogischen Erkenntnissen in Konzepte umgesetzt werden. Doch durch die Einsparung in der Kindertagesbetreuung in den letzten Jahren und auch durch die Einführung der Verläßlichen Halbtagsgrundschule steht vielen – besonders den kleinen – Trägern das Wasser schon bis zum Halse. Genug Luft für die Entwicklung neuer pädagogischer Konzepte ist bei den gravierenden Umstrukturierungen, die durch KITA 2000 kommen werden, nicht mehr vorhanden. Doch Kindertagesbetreuung darf keine billige Kinderverwahrung werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Deshalb ist es dringend notwendig, jetzt die pädagogischen Rahmenbedingungen für die Neugestaltung der Kindertagesbetreuung festzulegen.Unser vorliegender Antrag ist der erste Schritt dazu.

Angesichts der zahllosen Untersuchungen und Gutachten, die bereits zu rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen gemacht wurden, ist das ein lange überfälliger Schritt, endlich die pädagogischen Rahmenbedingungen zu klären.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

SPD und GAL haben heute dokumentiert, sie wollen anders verfahren.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Sie lassen erst das Kind in den Brunnen fallen und gucken dann, wie sie es – hoffentlich noch lebend – wieder aus dem Brunnen herausziehen können. Anders ist der vorliegende Antrag zur Begleitforschung nicht zu verstehen.

Ich merke Ihre Unruhe.Ich will Ihnen – angesichts der Hitze soll man heute nicht so stark körperlich arbeiten, vielleicht auch nicht geistig – an einem leicht nachzuvollziehenden Vergleichsbeispiel deutlich machen, was SPD und GAL beantragen.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen sich eine neue Waschmaschine kaufen. Zuerst klären Sie die rechtliche Seite, Sie fragen Ihre Vermieterin.Die sagt, kein Problem, erlaube ich Ihnen. Dann klären Sie die finanzielle Seite. Sie finden eine Maschine, die ihrem Budget entspricht, und Sie kaufen

diese Waschmaschine. Das erste Problem, das Sie haben, taucht zu Hause auf. Passen die Anschlüsse? Sie haben Glück, das geht. Jetzt benutzen Sie munter Ihre Maschine. Die Wäsche wird zwar nicht immer sauber, aber das macht nichts, denn Sie haben sich und der Maschine ja Bewährungszeit gegeben. Es gab zwar kritische Stimmen, zum Beispiel von Expertinnen – in diesem Fall Expertinnen aus der Verbraucher-Zentrale – und Energieberaterinnen, die ihnen sagten, sie sollten sich vor dem Kauf über die Qualitäten informieren. Zum Beispiel: Welchen Energieverbrauch hat die Maschine, und – vor allem – welche Waschleistung hat sie.

(Elisabeth Schilling SPD: Oder Persil benutzen!)

Aber das haben Sie ignoriert, denn Sie wollten Ihre Wahlmöglichkeiten, Ihre Nachfragemacht voll auskosten. Nach wenigen Monaten stellen Sie fest, daß Sie zwar eine preisgünstige neue Maschine erworben haben, Ihre Strom- und Wasserrechnung ist aber in die Höhe geschossen und Ihre Wäsche sieht aus wie aus der Altkleidersammlung. Zähneknirschend beschließen Sie, Ihre Maschine auszutauschen und sich dieses Mal von einer Expertin aus der Praxis beraten zu lassen.

(Lutz Kretschmann SPD: Zur Sache!)

Das war extra einfach, das hätten auch Sie verstehen können, Herr Kretschmann.

An diesem Beispiel können Sie erkennen, wie wichtig es ist, sich vorher Gedanken über die Qualität zu machen, die Sie haben wollen, und nicht nur die rechtliche und finanzielle Seite in den Vordergrund zu stellen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Da Sie die Kinder – im Gegensatz zu Ihrer Wäsche – nicht einfach austauschen können, bitte ich Sie dringend, unserem Antrag zu einem pädagogischen Gutachten zuzustimmen. – Danke.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Herr Böwer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Sudmann, woher kommt es, daß Sie mich im Augenblick mit Ihrer Rede an Erich Ribbeck erinnern? Liegt es daran, daß Sie subjektiv und objektiv durcheinanderbringen? Oder liegt es daran, daß auch Sie glauben, etwas von der Sache zu verstehen?

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Starker Beitrag! und Bei- fall)

Sie sagen, im Rahmen mit KITA 2000 ginge es nur um Gutachten im Zusammenhang mit Finanzierungssystemen oder Machbarkeitsstudien. Wenn Sie im Film wären, Frau Sudmann, wüßten Sie bereits seit langem, daß über die Frage der pädagogischen Integration von Kindern in Kindertagesstätten ein Gutachten in Auftrag gegeben worden ist, dessen Ergebnisse im Juli/August vorliegen. Das ist eine sehr viel schwerwiegendere Frage, die zu beantworten ist – deswegen auch ein Gutachten –, als Ihre Fragen, die Sie in Ihrem Antrag gestellt haben und auf einem Proseminarlevel sind.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie stellen Fragen, zu denen Sie schon selber Antworten geben, und zeigen damit eigentlich, daß das alles in Frage gestellt worden ist.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

(Anja Hajduk GAL: Das ist ja Geldverschwendung!)

Die Geldverschwendung sollen die Haushälter machen. Ich versuche jetzt, nur über die Jugendhilfe Fragen zu stellen.

Sie sagen zum Beispiel, für Kinder sei es wichtig, ein hohes Maß an Gruppenkontinuität zu haben und verläßlich dieselben Erzieherinnen anzutreffen. Das ist zwischen den Trägern und all den Leuten, die in der Politik in dieser Frage diskutieren und verhandeln, gang und gäbe. Das ist gar nicht strittig.Sie stellen das aber so hin.Dafür brauchen wir kein Gutachten.

Sie sagen ferner, man muß gewährleisten, daß Kinder nicht nur abgeholt werden und sich nicht nur an dem Tagesablauf der Erwachsenen zu orientieren haben. Auch das ist richtig.Wenn ich Sie in Ihrer Pressekonferenz gestern oder vorgestern richtig verstanden habe, haben Sie die Behauptung aufgestellt, SPD und GAL würden für den Abschied von pädagogischen Kernzeiten plädieren. Das ist falsch.Wider besseres Wissen behaupten Sie so etwas.Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter und behaupten, bei KITA 2000 ständen ein Drittel aller Kindertagesplätze auf dem Spiel. Das ist Hesse pur, der in einer öffentlichen Ausschußsitzung sagte, alle Träger von Jugendwohnungen würden eine blöde Arbeit machen. Da unterscheiden Sie sich an dieser Stelle nicht mehr von ihm.

Sehr viel fataler finde ich, daß Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf versus Kindeswohl ausspielen. Das ist eine Bemerkung durch die Hintertür über sogenannte Rabenmütter. Sie behaupten schlichtweg, daß in erster Linie berufstätige Mütter – wir reden ja in erster Linie von ihnen und wenigen berufstätigen Vätern – das von Ihnen propagierte billige Verfahren von Verwahren in Anspruch nehmen würden, denn sie hätten nur ihre Interessen im Kopf und nicht mehr das Kindeswohl.

Jetzt kommen wir zu Ihrer Waschmaschine. Der Unterschied zu Ihrem Antrag, ein Proseminargutachten in Auftrag zu geben, besteht darin, daß SPD und GAL fordern, eine Evaluation zu einem Bereich vorzunehmen, den es so in der Bundesrepublik Deutschland nicht gibt. Die Umstellung eines bisher angebotsorientierten Systems auf ein nachfrageorientiertes System im Bereich der Kindertagesbetreuung ist in der Bundesrepublik einmalig. Da nützt uns auch kein Gutachten. Es gibt in dieser Frage keine Expertise.

(Beifall bei Sonja Deuter GAL)

Im Gegenteil. Wenn die CDU-Bürgerschaftsfraktion aus Bremen darum bittet, sich hier an Ort und Stelle darüber zu informieren, weiß sie, warum.Wir betreten an dieser Stelle sozusagen Neuland.

(Sonja Deuter GAL: Hat sie auch schon!)

Wenn jemals Evaluierung richtig war, dann ist sie es an dieser Stelle. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und werden unserem Zusatzantrag zustimmen. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Frau Pawlowski.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Böwer, ich möchte nicht Frau Sudmann in Schutz nehmen,

(Manfred Mahr GAL: Das ist immer gefährlich!)

aber es ist interessant, daß Sie einen Zusatzantrag über Begleitforschung gestellt haben. Wir werden ihn annehmen, weil es um die mögliche Auswirkung des Systems geht. Er ist inhaltlich nicht abzulehnen. Darum haben Sie auch ein bißchen Probleme damit, was auf uns zukommt und was passiert. Wir werden morgen eine ausführliche Debatte darüber haben. Darum will ich es jetzt auch nicht so lang machen.

(Sonja Deuter GAL: Darauf gehe ich gleich ein!)

Den Antrag der REGENBOGEN-Gruppe lehnen wir ab, weil es Aufgabe der Behörde, der bezirklichen Jugendämter und der Experten ist, sich damit zu beschäftigen.

Der Senat hat den Auftrag, mit den Trägern und Eltern ein neues Finanzierungssystem zu entwickeln. Ein weiteres Gutachten würde unnötig Geld kosten und die Verantwortung vor allem auf Dritte abwälzen.

Herr Böwer sagt, daß er mit Eltern und Trägern Gespräche führt. Das ist richtig, wir haben einige Veranstaltungen zusammen gemacht. Nur, wir wissen auch alle, daß Schwierigkeiten und Ängste existieren,

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Die muß man aber auch nicht schüren!)

die man nicht wegdiskutieren sollte. Da muß ich Frau Sudmann in vielen Bereichen recht geben.