Protocol of the Session on June 21, 2000

Das, was Sie hier eben erzählt haben, darf in einem Parlament nicht ungestraft gesagt werden. Leider werden sich nicht viele Menschen die Mühe machen, Ihre Rede richtig auseinanderzunehmen und nachzusehen, was Sie eigentlich gesagt haben. Frau Rogalski-Beeck hatte darauf hingewiesen, daß wesentlichste Punkte dieses Berichts im Konsens mit allen Kommissionsmitgliedern gefaßt wurden. Ein Ergebnis ist, daß sich die Kommission auch mit Ihrem Einverständnis – Sie haben, soweit ich weiß, nicht dagegen gestimmt – dafür ausgesprochen hat, daß Diversion die geeignete kriminalpolitische Maßnahme in der Behandlung jugendlicher Straftäter ist, daß wir sie verbessern und ausweiten wollen. Wir haben uns darüber hinaus nach zahllosen Anhörungen, die wir in der Kommission auch noch mit zusätzlichen Sachverständigen durchgeführt haben, entschieden, dieser Bürgerschaft zu empfehlen, das Jugendstrafrecht nicht zu verändern. Dazu gehört unter anderem auch das Beispiel, das Sie gerade eben angeführt haben: Anwendung des Jugendstrafrechts für Jungerwachsene. Das wurde im Bericht der Enquete-Kommission nicht als Dissenspunkt aufgeführt. Ich möchte das als ein unlauteres Beispiel in Ihrer Rede anführen. Darüber bin ich persönlich ärgerlich, weil wir letztendlich zwei Jahre intensiv zusammen in dieser Kommission gearbeitet haben. Das Beispiel, das Sie von der offenen Kinder- und Jugendeinrichtung gebracht haben, kann ich nicht beurteilen, weil ich dazu keine näheren Informationen habe.Aber es hat mit Jugendkriminalität nichts zu tun. Wenn sich Jugendliche prügeln und es leider zu schwierigen und traurigen Verletzungen kommt – ich möchte nichts zum Verhalten des pädagogischen Personals sagen, das möglicherweise auch nicht richtig gewesen ist –, dieses als Beispiel im Zusammenhang mit Jugendkriminalität und mit der Einsetzung der Enquete-Kommission anzuführen, ist irreführend und dient der Sache überhaupt nicht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Halten wir insgesamt zum Bericht der Enquete-Kommission folgendes fest: Die CDU ist weg von der Erkenntnis, daß jugendliche Kriminelle eingesperrt gehören. Das war noch vor zwei Jahren eine Hauptforderung, die nirgendwo mehr vertreten wird. Auch wenn das Ihrer Rede nicht zu entnehmen war, kann ich davon ausgehen, daß die CDU einen Lernprozeß durchgemacht hat. Ein ganz großes Ergebnis dieser Enquete-Kommission – vielleicht auch einmal wichtig für die Presse, das entsprechend darzustellen –: Wir haben diese Forderung nach geschlossenen Ein

(Klaus-Peter Hesse CDU)

richtungen für Jugendliche in dieser Bürgerschaft in Gänze nicht mehr. Es gibt zugebenermaßen einen Dissens in der Behandlung von einem geringen Anteil von jugendlichen Intensivtätern. Sie haben in der Darstellung des abweichenden Votums darauf abgehoben. Das konnte in der Tat nur jemand wie ich verstehen, die ich der Enquete-Kommission beigewohnt habe. Ansonsten war auch dieser Beitrag irreführend. Sie wollen eine Einrichtung, die kurzfristig therapeutische Behandlung von Jugendlichen ermöglicht. Das impliziert möglicherweise, daß sie, um auf sie zugehen zu können, für einen kurzen Zeitraum zur Behandlung „festgesetzt“ werden. Die SPD-Fraktion und wir beziehungsweise einige andere Mitglieder der Enquete-Kommission – die Meinung war auch bei den Sachverständigen gespalten – sind der Auffassung, daß wir diese zusätzliche Maßnahme nicht brauchen, weil wir in Hamburg für den Bereich Hilfen zur Erziehung ein sehr differenziertes Maßnahmenangebot haben. Wir haben in diesem Bereich allerdings Mängel festgestellt, und es gibt dringenden Verbesserungsbedarf, beispielsweise indem wir die Betreuungskontinuität verbessern. Wir brauchen Verpflichtungen von Trägern, die diese Maßnahmen durchführen, um die Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen, um die es geht, weiter aufrechtzuerhalten.Wir müssen uns vor allen Dingen maßgeschneiderte – das ist ein zutreffender Fachbegriff – Angebote für Kinder und Jugendliche überlegen und bei ihnen „bei der Stange“ bleiben und uns um sie kümmern, auch wenn sie es nicht wollen.Gerade diese Kinder und Jugendlichen haben im Laufe ihres Lebens – das haben wir in der Enquete-Kommission den Intensivtäter-Studien entnehmen können – ständig Beziehungsabbrüche erlebt.Das hat ihnen diese Entwicklung ermöglicht, und dem muß man beikommen.

Der Dissens besteht also in einem graduellen Unterschied in der Bewertung. Auch das ist vielleicht wichtig für die Presse. Es geht nicht um einen grundsätzlichen, auch wenn die CDU oder zumindest Herr Hesse das vielleicht schon aus Vorwahlkampfgründen gerne so darstellt. Es ist der Arbeit der Enquete-Kommission in keiner Weise angemessen, das Thema hier so zu behandeln.

Frau Rogalski-Beeck hat in ihrer Rede bereits auf viele Maßnahmen, welche die Enquete-Kommission empfiehlt, hingewiesen. Ein ganz besonderer Teil, der Schwerpunkt der GAL war, ist der Bereich der präventiven Arbeit. Das ist hier schon ausführlich dargestellt worden. Er umfaßt den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch den Bereich der Förderung der Erziehung in der Familie.Hier müssen wir noch zu einem kontinuierlicheren Beratungsangebot für Eltern und Familien kommen und die Rahmenbedingungen des Aufwachsens für die Kinder verbessern.

Ein weiterer Bereich, mit dem wir uns auch befaßt haben und der genau in dieses Feld greift, ist die Verbesserung der jugendpsychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt. Hier haben wir ein großes Manko festgestellt.Wir werden uns dafür einsetzen, daß es Veränderungen geben wird.Das ist die entscheidende Botschaft aus dem Bericht der Enquete-Kommission an die Bürgerschaft. Frau Rogalski-Beeck hatte das ebenfalls schon angesprochen.Wir werden uns dafür einsetzen, daß diese Änderungen gegebenenfalls haushaltswirksam umgesetzt werden müssen. Wir werden sehen, inwieweit das machbar sein wird. Dann bleibt vielleicht noch ein kleiner Rest, über den wir uns noch unterhalten müssen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält Herr Jobs.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich spare mir die Reaktion auf die Rede von Herrn Hesse und nutze lieber die Redezeit, um einen etwas anderen Blick, um damit vielleicht bei Frau Steffen anzuknüpfen, auf den Bericht der Kommission zu werfen.

Stellen Sie sich vor, eine Kommission hätte gut zwei Jahre lang an folgenden Fragen gearbeitet: Wie sieht die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Hamburg aus, und wie kann sie positiv verändert werden? Wo haben sie Platz für eigene Erfahrungen in der Autostadt der Erwachsenen? Welche Folgen hat Armut für Kinder und Jugendliche? Wie kann Schule so verändert werden, daß sie zu einem positiven Lebens- und Lernort für Kinder entwickelt wird, und welche Freizeitmöglichkeiten in einer Großstadt sind für Kids hilfreich? Das sind viele wichtige Themen und offene Fragen dazu, was Kinder und Jugendliche in dieser Stadt brauchen. Aber statt dessen war die beengende Fragestellung der Kommission, was getan werden muß, damit Kinder und Jugendliche nicht kriminell werden, obwohl dies nur ein Problem für einen sehr kleinen und zudem weiter abnehmenden Anteil von Jugendlichen ist.

Die Kommission beschäftigte sich dann über die Hälfte ihres Berichts damit, wie mit straffällig gewordenen Jugendlichen in Hamburg umgegangen wird und in Zukunft umgegangen werden soll.In der anderen Hälfte beschäftigt sie sich mit dem Bereich der Angebote der Jugendhilfe, dabei aber vor allem mit der Frage, ob es für die wenigen besonders gefährdeten Jugendlichen das Angebot einer sogenannten verbindlichen – das heißt geschlossenen – Unterbringung geben soll. Das ist angesichts der Gesamtsituation von Kindern und Jugendlichen in der Stadt doch etwas dünn.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das großartige Schlagwort des 10.Jugendberichts von der „Kultur des Aufwachsens“ verdient gerade nur zehn Seiten und muß dazu herhalten, all die wichtigen Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen zu benennen, in denen eigentlich Unterstützung beziehungsweise eine Veränderung der Rahmenbedingungen notwendig wäre, um beispielsweise in der Familie, in der Schule und in der Ausbildung ihre Lebenssituation zu verbessern.

Zum Thema Jugendhilfe wird im Bericht aber auch betont, daß sie natürlich nicht nur dazu da ist, Kriminalität vorzubeugen, sondern den eigenständigen Auftrag hat, junge Menschen zu fördern und zu unterstützen. Da finden sich durchaus positive, wenn auch nicht ganz neue Erkenntnisse der Kommission zur Veränderung der Jugendhilfe in Hamburg. Die Stärkung der offenen Kinder- und Jugendarbeit und der niedrigschwellige Zugang für Familien zur Beratung und Unterstützung sollen dabei Handlungsmaxime sein. Das ist auch gut so. Nur, es muß bezweifelt werden, ob diese Vorstellungen auch den Weg in die Realität dieser Stadt finden, denn die Haushaltskonsolidierung bedeutet immer noch viel zu oft eine Angebotsreduzierung in diesen wichtigen Bereichen.

Ein besonderes Beispiel ist natürlich die Situation der offenen Kinder- und Jugendarbeit in den Bezirksämtern. Dort wird die Haushaltskonsolidierung dazu benutzt, Angebote zu streichen. Das ist nicht im Sinne des Berichts, das ist kontraproduktiv, und das muß beendet werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ob die Ergebnisse der Enquete-Kommission die Kinder und Jugendlichen davor verschont, im nächsten Wahl

(Sabine Steffen GAL)

kampf wieder jenseits aller Sachkenntnis als Sicherheitsrisiko diskreditiert zu werden, muß bezweifelt werden, wenn man die Äußerung von Herrn Hesse in der letzten Sitzung oder in der Öffentlichkeit verfolgt.

Fazit: Es ist ausgesprochen schade, daß so viel Zeit, Kraft und Geld dafür verwandt wurde, vorhandenes Wissen in gewichtige Kommissionstexte zu packen, um reaktionären Kritikern vermeintlich besser Paroli bieten zu können. Die wichtigen Fragen nach der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt wurden nicht gestellt und dementsprechend nicht beantwortet. Das ist sehr bedauerlich.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort erhält Frau Dr. Hilgers.

Herr Hesse, man muß zu Ihnen noch ein paar Worte sagen. Sie haben sich beklagt, es sei in der Kommission nicht immer friedlich zugegangen. Das kann es auch gar nicht.Wir haben zu verschiedenen Punkten unterschiedliche Meinungen. Streit gehört dazu. Die Frage, daß wir den Mut haben, dieses Thema überhaupt anzumelden, verstehe ich nicht. Auf unsere Initiative ist die Enquete-Kommission eingerichtet worden. Nun gibt es das Ergebnis. Es gehört kein Mut dazu, das anzumelden.

(Uwe Grund SPD: Das ist wohl wahr!)

Der Vorsitzende, bedauern Sie, habe sich aufgerieben, und einige Mitglieder seien mit wehenden Fahnen zu Ihnen übergelaufen. Das sind unabhängige Menschen. Was beklagen Sie sich?

(Dr. Stefan Schulz CDU: Wir freuen uns!)

Dann greifen Sie das Thema „ideologisierte Politik“ wieder auf. Diesen Popanz hat Herr Ahrbeck auch aufgebaut. Mir kommt das immer vor wie die Debatte „Haltet den Dieb“, denn der eigentliche Ideologe spricht hier von Ideologie.Sie haben nicht wahrgenommen, daß es in der Hamburger Jugendhilfelandschaft Veränderungen gibt. Sie bauen einen Mythos auf, um sich davon abzugrenzen. Sie waren selber noch nie in den neuen Jugendwohnungen zur Vermeidung der Untersuchungshaft, behaupten aber nach wie vor, wie es darin vorgeht. Gehen Sie hin und informieren sich einmal.

Sie sagen, es wird hier ein Offenbarungseid vorgelegt. Das ist nicht wahr. Sehr vieles wird positiv bewertet, sehr vieles wird als fortführenswert dargestellt, und sehr vieles ist durchaus einstimmig – auch mit Ihrer Stimme – positiv gewertet worden. Da finde ich das Wort Offenbarungseid ein bißchen zu hoch gegriffen.

Sie haben auch wieder das alte Argument gebracht, es sei nichts passiert, man hätte sofort loslegen können. Das hat sich durch Praxis entkräftet, Herr Hesse. Sehen Sie sich zum Beispiel den Justizbereich an, was dort in den letzten zwei Jahren an Veränderungen und an Verbesserungen passiert ist, das ist eine ganze Latte. Dieses Argument, Kommission wird eingesetzt und nichts mehr passiert, gilt nicht.

(Beifall bei Karin Rogalski-Beeck SPD)

Um nur einige Punkte zu nennen: Steigerung der persönlichen Ermahnungsgespräche, erhebliche Verkürzung der Verfahrensdauer und erhebliche Ausweitung Täter/OpferAusgleich.

In einem Punkt muß ich Sie korrigieren. Sie reden immer davon, es hätte bei der Einsetzung dieser Enquete-Kommission Schwierigkeiten zwischen den Koalitionspartnern gegeben. Wir waren damals noch gar nicht Koalitionspartner.Wir haben nämlich zuerst als SPD – wie im Wahlkampf versprochen – sofort die Initiative ergriffen, und als wir Koalition waren, ist auch etwas Gemeinsames daraus geworden.

(Anja Hajduk GAL: Was Gutes, um das noch mal zu sagen!)

Wir haben jetzt natürlich noch einen Arbeitsauftrag, der zu erledigen ist. Frau Steffen und Frau Rogalski-Beeck haben davon gesprochen. Wir werden ihn aufnehmen und in den angesprochenen Ausschüssen zu einem positiven Ergebnis bringen. Um den uns in seiner Differenziertheit vorliegenden Bericht werden uns andere Bundesländer beneiden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor.

Wer stimmt den Überweisungen des Berichts 16/4000 an den Jugend- und Sportausschuß sowie an den Gesundheitsausschuß zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das war einstimmig.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44: Antrag der Gruppe REGENBOGEN zum neuen System der Kindertagesbetreuung.

[Antrag der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: Pädagogisches Gutachten zum neuen System der Kindertagesbetreuung in Hamburg – Drucksache 16/4238 –]

Hierzu ist Ihnen als Drucksache 4396 ein gemeinsamer Antrag der SPD- und der GAL-Fraktion zugegangen.

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GAL: Begleitforschung zur Einführung der „Kita-Card“ – Drucksache 16/4396 –]

Von wem wird das Wort erwünscht? – Das Wort erhält Frau Sudmann.

Guten Tag, meine Damen und Herren! Die Kindertagesbetreuung in Hamburg bekommt einen neuen Namen: KITA 2000. Darunter verbirgt sich ein neues Gesicht. Während zwei wesentliche Gesichtszüge, nämlich das finanzielle und das rechtliche Profil der Reform, von den rotgrünen Gesichtschirurginnen intensiv bearbeitet werden, wurde das Wesentliche bisher außer acht gelassen.Wie kann dieses Gesicht eine Ausstrahlung bekommen, auf Kinder vertrauensvoll und zuverlässig wirken? Um das zu klären, ist es notwendig, sich die Situation der Kinder in Hamburg anzusehen.

Was brauchen die Kinder? Was bekommen sie von zu Hause mit, und was müssen sich die Kinder woanders holen? Bleiben diese Fragen unbeantwortet, dann wird auch KITA 2000 leb- und gesichtslos bleiben wie ein Kopf mit knöchernen Konturen, aber ohne Mund, Nase und Augen. Das darf nicht passieren.

(Beifall bei der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke)

(Lutz Jobs REGENBOGEN – für eine neue Linke)

A C