entwicklungsprojekte ist, die ich kenne, und wir machen ja auch hier in Hamburg schöne Stadtentwicklungsprojekte.
Sie müssen sich eine alte, vergleichsweise stolze Stadt in Mittelamerika vorstellen, mit einem Kern aus der spanischen Kolonialzeit und einer bürgerlich revolutionären Tradition, eine Stadt, die früh schon Träger von Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen in Mittelamerika war. Um den Kern der Altstadt herum stehen sehr viele kleine Hütten, die für uns ein Bild absoluter Armut darstellen, in denen sich aber das normale Leben Leóns abspielt. Die Universität, die um 1800 gegründet worden ist und bei der man gegenüber unserer Hamburger Universität eher das Gefühl hat, daß sie eine Patriarchenexistenz verkörpert gegenüber einem jungen Nachkömmling, also den Stolz einer alten Bildungseinrichtung verkörpert, wie auch das Bürgertum dieser Stadt den Stolz eines älteren Bürgertums verkörpert. Das Land Nicaragua, aber auch die Stadt León befinden sich seit einiger Zeit in einer Situation, in der die wirtschaftlichen Möglichkeiten – eigentlich schon seit Anfang der achtziger Jahre – fast weggebrochen sind, weil das weltmarktgängige Produkt Baumwolle, wovon große Teile des Landes gelebt haben, angesichts der Baumwollpreisbewegung und der Überdüngung, die dort stattgefunden hatte, praktisch komplett weg ist. Ein Land, das heute so gut wie gar kein exportfähiges Produkt mehr produziert und praktisch aus der Weltwirtschaft herausgefallen ist. Heute ist Nicaragua in einer Situation, in der sowohl der gesamtstaatliche als auch der städtische Haushalt in der Größenordnung von bis zu 50 Prozent aus ausländischen Hilfsgeldern funktioniert. Ein altes, vergleichsweise stolzes Land, verarmt zudem durch den Bürgerkrieg, der seit den achtziger, neunziger Jahren anhielt. Für uns bedeutet dies eine unmittelbare Hilfsmöglichkeit, die so freudig und so aktiv entgegengenommen wird, daß einem das wirklich zu Herzen gehen kann.
Ich habe im letzten Jahr eine Situation erlebt, wo wir den Leuten offiziell die Häuser übergeben durften, die sie selber gebaut hatten, zwar mit Hamburger Mitteln, aber ohne daß sie vorher wußten, wer nun welches Haus bekommt. Es waren Frauen, Kinder, auch einige Männer, die vorher auf der Müllhalde gearbeitet hatten und dort Brauchbares herausgesammelt hatten und nun nach der Verlosung für dieses oder jenes Haus den Schlüssel überreicht bekamen.Die Frauen mußten nach oben auf die Bühne kommen und den Schlüssel entgegennehmen. Das waren zum Teil junge Frauen, die ziemlich forsch und ohne Probleme nach oben kamen. Es waren aber auch ältere Frauen dabei, die zum ersten Mal in ihrem Leben in der Situation waren, sich vor sehr vielen Leuten hinstellen zu müssen und gleichzeitig die Erfahrung zu machen, jetzt Eigentümerin des Hauses zu werden, an dem sie gearbeitet hatten. Wir Hamburger haben ihnen ein bißchen die Möglichkeit gegeben, diesen Schritt tun zu können.
Entwicklungshilfe so direkt zu erleben, dazu tragen sehr viele Hamburgerinnen und Hamburger hier bei, denn das kann eine Stadtverwaltung nicht machen, nicht die Hamburger, auch nicht die Leóner alleine, sondern das geht nur, weil sehr viele Leute sich da eingemischt haben.
Herr Mehlfeldt, mit diesem Einmischen hat das eine spezielle Bewandtnis. Wodurch ist denn diese Solidaritätsbereitschaft entstanden? Dadurch, daß in Nicaragua eine Bewegung aus der Bevölkerung die Diktatur gestürzt hat. Überall da, wo sich auf der Welt Bewegungen der Freiheit durchsetzen, erregen sie Sympathien. Dann ist die Bereit
schaft und die Neigung zu solchen Solidaritäten groß. Daß das hier in Deutschland in diesem Fall speziell von der politischen Linken aufgegriffen wurde, hängt natürlich damit zusammen, gegen welchen Gegner sie sich da durchsetzen mußten. Heute hat die Demokratie in Nicaragua den Alltag erreicht.Es hat Regierungswechsel gegeben, es gibt eine ordentliche Konkurrenz zwischen Regierung und Opposition, im Herbst stehen in León Wahlen an. Möglicherweise gibt es auch in León eine neue Zusammensetzung des Stadtrates und einen andersfarbigen Bürgermeister. Das kann man alles nicht wissen. Aber ich finde es nicht richtig, diese Solidaritätsbewegung, die damals hier aufgebrochen ist, im nachhinein wegen auch sozialistischer Motive, die darin lagen, zu diskreditieren oder überhaupt auch nur anzugehen.
Viele DKP-Leute, die sich solidarisch erklärt und daran teilgenommen haben, haben zum Teil an den Erfahrungen in León, zum Beispiel, wenn sie dort teilgenommen haben, dies und das in ihren eigenen Köpfen neu sortieren müssen, weil auch erkennbar wurde, daß bestimmte Projekte gar nicht so zu machen sind, wie sie sich das vorgestellt hatten. Insofern ist daran auch gelernt worden.
Für uns ist wichtig, daß, wenn es tatsächlich irgendwann einmal zu einer Veränderung in der Regierung Leóns kommen sollte, wir daran festhalten, daß dies eine Städtepartnerschaft ist, die durch Solidarität getragen, aber nicht abhängig davon ist, wer hier in Hamburg oder in León jeweils die Regierung stellt, sondern das wollen wir wirklich als solches weitertragen. Es ist auch breit verankert, wenn aus dem öffentlichen Dienst inzwischen 28 000 Menschen gesagt haben, nehmt meine Pfennige hinten weg und gebt sie nach León. Das ist ein Drittel der Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Solch eine breite Solidaritätsbekundung bekämen noch nicht einmal die Kirchen hin, wenn nicht die Kirchensteuer einfach abgezogen würde, sondern man sich dafür erklären müßte. Das ist eine gute und schön getragene Geschichte. Ich finde, das sollte so weitergehen.
Wenn Sie ein touristisches Erlebnis besonderer Art haben wollen, würde ich Sie sehr dazu auffordern, die Möglichkeit wahrzunehmen,
sich Nicaragua, aber ganz speziell auch León, einmal anzuschauen. Sie werden dort auf eine Menge Sympathie für Hamburgerinnen und Hamburger stoßen.
Für mich war es eine ziemlich eindringliche Erfahrung, weil es für mich auch das erste Mal war, daß ich ein Land der „Dritten Welt“ so intensiv erlebt habe, und zwar ein Land, das mir wiederum als ein Land entgegentrat, das in gewisser Weise eine ältere Tradition hat als manche Stadt oder manche Einrichtung in Deutschland und insofern überhaupt keine herablassende Haltung verträgt, sondern ein Umgehen auf gleicher Ebene.
Schließlich darf ich noch sagen, daß mir dort der Ehrenwimpel der Leóner Polizei überreicht worden ist. So etwas hätte ich nie zu erwarten gewagt. – Danke schön.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Die Bürgerschaft sollte Kenntnis nehmen und hat dieses getan.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Drucksache 16/4237: Antrag der Gruppe REGENBOGEN über Verbot von Studiengebühren.
[Antrag der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: Verbot von Studiengebühren – Unterstützung des Krefelder Aufrufs – Drucksache 16/4237 –]
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 7. Juni ist bundesweit der Aktionstag gegen Studiengebühren mit Großdemonstrationen in Berlin, Köln und Stuttgart. Ein bundesweites Bündnis von Hochschullehrerinnen und -lehrern, Schülerinnen und Schülern, insbesondere grünen und sozialdemokratischen Studierendenvertretungen, zahlreichen ASten und Gewerkschaften hat zu diesem Anlaß als Grundlage den sogenannten Krefelder Aufruf erarbeitet, der von über 100 000 Menschen und Organisationen unterzeichnet wurde und im wesentlichen in Punkt 1 unseres Antrages wiedergegeben ist.
Die Diskussion um die Einführung von Studiengebühren geht derzeit sowohl bundesweit als auch in Hamburg in die entscheidende Phase. Am Montag hat Wissenschaftssenatorin Sager in einer Pressemitteilung angekündigt, im neuen Hochschulgesetz würde die Erhebung von Studiengebühren für das Erststudium untersagt werden. Weiteres sei aber abhängig von einer überregionalen Lösung. Morgen tagt die Kultusministerkonferenz, die sich vielleicht schon auf das Studienkontenmodell von Wissenschaftsminister Zöllner aus Rheinland-Pfalz einigen wird, das bekanntermaßen auch von Frau Sager unterstützt wird. Das sogenannte Zöllner-Modell sieht vor, daß nur noch eine festgelegte Anzahl von Lehrveranstaltungen, etwas mehr als das Pflichtprogramm, kostenfrei besucht werden kann. Für jede weitere Veranstaltung heißt es dann, daß Gebühren gezahlt werden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns in der Tat an einem Wendepunkt in der Hochschulpolitik, und Sie alle sollen heute dazu Position beziehen.
An der Schwelle zur vielbeschworenen Wissens- und Informationsgesellschaft und just zu einem Zeitpunkt, wo lebenslanges Lernen in aller Munde ist, sind wir dabei, den Zugang zu Bildung zu erschweren. Zur gegenwärtig drohenden Einführung von Studiengebühren möchte ich kurz zu vier Punkten Stellung nehmen:zum rechtlichen, zum sozialen, zum wissenschafts- und gesellschaftspolitischen und zu einem Aspekt, den ich als etwas bezeichnen würde wie das Vertrauen in die politische Klasse.
Erstens zum rechtlichen Aspekt:Die Wiedereinführung von Studiengebühren, in welcher Form auch immer, widerspricht dem 1973 ratifizierten internationalen völkerrechtlich gültigen Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in dem sich die Bundesregierung zur Einführung der Unentgeltlichkeit der Hochschulausbildung verpflichtet hat. Alles, was derzeit in der Diskussion ist, würde die gegenwärtig bestehende Gebührenfreiheit beseitigen und wäre demnach vertragswidrig.
Zweitens der soziale Aspekt: Es gab einmal Zeiten, da war für SPD und Grüne Chancengleichheit ein wichtiges bildungspolitisches Fundament.Heute sieht das leider anders aus. Nur noch 12 Prozent der Studierenden in Hamburg erhalten BAföG. Von 100 Kindern aus eher wohlhabenden Familien machen 84 Abitur, 72 besuchen später die Universität, und von 100 Kindern aus einkommensschwachen Familien machen 30 Abitur und gerade einmal sieben finden den Weg zur Universität. Das ist die Realität, und die rotgrüne Bilanz kann in dieser Hinsicht nicht trostloser aussehen. Die BAföG-Strukturreform ist gescheitert, und nun sind Sie auch noch auf dem besten Weg, durch Gebühren die Bedingungen der Ungleichheit zu verschärfen.
Die Einführung von Studiengebühren, egal in welcher Verpackung und zu welchem Zeitpunkt, ist ein Abbau von Chancengleichheit, und das wissen Sie genauso wie ich.
Drittens zum wissenschafts- und gesellschaftspolitischen Aspekt:Beim derzeit diskutierten Studienkontenmodell von Herrn Zöllner steuern Sie vor allem das Verhalten der Studierenden. Studierende müssen sich fragen, ob sie sich den Besuch einer Lehrveranstaltung leisten können. Sie werden nur noch das belegen, was zum Pflichtprogramm für ihren Studienabschluß wichtig ist und dazugehört. Heraus kommt dann eine Einheitsfachausbildung. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich.Bildung – das ist eigentlich das Zentrale – ist in einer Demokratie mehr als die Ausbildung für den Arbeitsmarkt.Wenn wir Demokratie ernst meinen, dann müssen wir Bildungsmöglichkeiten ausbauen und den Zugang zu Bildung erleichtern, Neugier fördern, statt sie zu reglementieren.
Selbst in Ihrer eigenen Standortlogik ist der Effekt kontraproduktiv, den das Zöllner-Modell mit sich bringen würde, denn heraus kommen ja gerade keine flexiblen risikobereiten Absolventen, die kreativ sind und während ihres Studiums ein eigenes Spezialprofil erwerben konnten.
Viertens möchte ich noch ein paar Sätze zur Glaubwürdigkeit von Politik sagen. Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, Sie haben Studierenden zwei Dinge versprochen: das Verbot von Studiengebühren ohne Einschränkung und eine Strukturreform des BAföG.Sie wurden dafür gewählt, und jetzt sind Sie dabei, beide Versprechen zu brechen, wundern sich aber im gleichen Atemzug über die Politikverdrossenheit bei jungen Leuten.Wenn Sie meinen, Studiengebühren seien sowieso nicht mehr zu verhindern und sollten deswegen möglichst in einer milden Art und Weise eingeführt werden, frage ich mich, welchen Zwängen Sie sich denn unterworfen fühlen.
SPD und Grüne machen in dieser Stadt und in diesem Land Politik, und wenn sie ein mangelndes Rückgrat haben, sind sie, ehrlich gesagt, für diesen Job schlichtweg nicht geeignet.
Wir haben heute noch einmal die Chance – das ist wirklich eine Chance –, den Jugendlichen und Studierenden zu zeigen, daß wir es ernst meinten und unsere Überzeugung nicht am Wahlabend schlicht vergessen haben. Die Unterstützung des Krefelder Aufrufs und damit die Unterstützung unseres Antrags ist ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit.
Stimmen Sie also heute für ein generelles Verbot von Studiengebühren und pfeifen den Senat zurück, möglicherweise schon morgen einem Zöllner-Modell zuzustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Koppke! Wenn es nach Ihnen ginge, müßte die Koalition sofort Studiengebühren einführen, am besten 10 000 DM pro Semester, und Sie hätten endlich jenes Thema, wonach Sie so vergeblich in dieser Stadt suchen. Aber diesen Gefallen wird Ihnen niemand in der Stadt erweisen, noch nicht einmal die CDU.
An Ihren Anträgen kann man sehen, wie unerfreulich das Leben im 0,5-Prozent-Raum ist, bleibt also nur die Frage, ob es auch ein Leben nach dem Komma gibt.Zufällig ist gerade an der Universität bei den Studierenden Wahlkampf, und siehe da, dem REGENBOGEN fällt es auf. Seit neun Monaten gibt es schon einen Krefelder Aufruf, aber jetzt fällt er Ihnen erst auf.
Sie wollen das Label REGENBOGEN an der Uni bekanntmachen. Erstens will die SPD-Fraktion nach wie vor keine Gebühren für grundständige Studiengänge;siehe auch den Bürgerschaftsantrag 16/2671 – ich zitiere –:
„Studiengebühren sind für grundständige Präsenzstudiengänge und Studiengänge, bei denen der Masterdem Bachelor-Abschluß folgt (Konsekutiv-Modell), an staatlichen Hochschulen auszuschließen.“
Wir haben den Senat gebeten, das im neuen Hamburgischen Hochschulgesetz mit einzubauen. Wenn ich die Presseerklärung von Frau Sager vom Montag dieser Woche richtig verstanden habe, soll das auch bei der Hochschulgesetzesnovelle berücksichtigt werden.