Protocol of the Session on March 2, 2000

Was für uns viel wichtiger ist – und das hätte ich gerne heute noch vom Senat erfahren –, ist, ob die angekündigten Fortbildungsmaßnahmen bereits angelaufen sind und ob die Qualifizierungen der Revierbeamten in diesen Bereichen – wie im Bericht angekündigt – bereits laufen. Man muß natürlich davon ausgehen, daß der Bürger auch einen Anspruch darauf hat, gerecht und ordentlich behandelt zu werden, damit seine Rechtsansprüche, die er gegen Dritte hat, auch aktenkundig gemacht werden.

Trotz alledem glauben wir, daß man dieses machen muß, so wie es vom Senat vorgeschlagen worden ist.Wir lehnen Ihren Antrag ab, das heißt, wir werden dem Bericht des Innenausschusses zustimmen.– Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Mahr.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Vahldieck, aus Ihren Worten sprach der Geist: Weiter so wie bisher, das haben wir immer so gemacht, neue Gedanken sind nicht erlaubt.

Meine Damen und Herren! Das Thema Verkehrsunfälle ist bei den Regierungsfraktionen und dem Senat

(Heino Vahldieck CDU:... in besten Händen!)

gut aufgehoben. Da können Sie ganz sicher sein.

(Heino Vahldieck CDU: Ihr seid die Hell-Driver!)

Herr Vahldieck, ich habe Ihnen gegenüber den Vorteil, daß ich aus praktischer Erfahrung sprechen kann.

(Heino Vahldieck CDU: Ich habe auch schon mal einen Unfall gehabt!)

Es ist so, daß leider in weiten Teilen der Polizeibeschäftigten die Aufnahme von Verkehrsunfällen etwas ist, was langweilig ist. Da ist Sex and crime besser. Man läuft lieber hinter Einbrechern her, aber es ist in den letzten Jahren zunehmend auch durch Vorgesetzte darauf hingewirkt worden, daß man die Kolleginnen und Kollegen mehr dafür sensibilisiert, dem gerecht zu werden, was Sie auch eingefordert haben, nämlich zu gucken, was eigentlich mit den Folgen von Verkehrsunfällen verbunden ist, und daß es sich durchaus nicht nur lohnt, sondern daß es regelrecht eine Verpflichtung gibt, eine qualitative Arbeit von seiten der Polizeibeamten zu leisten, um auch den Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger in dieser Sache gerecht zu werden.

Daß wir heute darüber diskutieren, liegt daran, daß wir Ihren Antrag auch ganz bewußt an den Innenausschuß überwiesen haben, weil auch wir der Auffassung sind, daß man mit diesem Thema sehr verantwortungsvoll umgehen muß. Wenn man sich einmal anguckt, welche volkswirtschaftlichen Schäden durch Verkehrsunfälle angerichtet werden, kann man schon zusammenzucken.

Im Verkehrsbericht 1998 stand – dort sind nur die Personenschäden ausgewiesen, die nach dem sogenannten Schlüssel der Bundesanstalt für Straßenwesen errechnet werden –, daß jährlich über 220 Millionen DM an Schäden entstehen, durch Rentenfolgen und so weiter, die in dem Zusammenhang auch eine Rolle spielen.

Bei den Verkehrsunfällen geht es also darum, daß die Kolleginnen und Kollegen der Polizei vor Ort erkennen, um welche Problematik es sich handelt.Sie müssen erkennen, ob es sich wirklich um einen Verkehrsunfall oder möglicherweise um einen Betrug handelt, also um einen vorgetäuschten Verkehrsunfall. Dafür gibt es auch genug Beispiele.Sie müssen die Dimension erkennen, welche Folgen sich für die Beteiligten letztlich daraus entwickeln.Das heißt – und da sind wir uns alle einig –, es ist ein hoher Anspruch an die Qualität der Arbeit zu richten. Sie haben das Stichwort Tatortarbeit genannt. Genauso habe ich das früher meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versucht nahezulegen, um den Vergleich zur Kriminalpolizei herauszustellen. Sie müssen Beweissicherung machen, sie müssen auch den Mut haben, gegebenenfalls eine Kreuzung eine Stunde zu sperren, um solche Dinge sicherzustellen. Sie müssen Beweissicherung machen.Sie müssen, was heute leider noch sehr vernachlässigt wird, nicht nur feststellen, daß jemand bei Rot gefahren ist, sondern sie müssen auch mal nachhaken, warum jemand bei Rot gefahren ist. Das kann seine Ursachen ja auch in baulichen Dingen haben,

(Ingo Kleist SPD)

in Phasenabläufen der Ampeln, also nicht nur im Fehlverhalten der Verkehrsteilnehmer.

Herr Vahldieck, Sie haben in einem Nebensatz etwas gesagt – und da merke ich dann doch, daß Sie nicht so tief in dieser Thematik sind –, leichte Unfälle sind nicht so wichtig, da käme es nur auf eine zivilrechtliche Einigung an.Das ist ein Irrtum, weil uns nur die Gesamtzahl der Unfälle deutlich macht, was auf den Straßen in Hamburg eigentlich stattfindet, was an Verkehrsunfallbrennpunkten stattfindet und was der Senat, was die Behörden – Baubehörde und Innenbehörde – für Maßnahmen ergreifen müssen, damit solche Verkehrsunfallbrennpunkte entschärft werden. Deshalb ist es natürlich notwendig, daß auch sogenannte Bagatellunfälle, die manchmal nur Bruchteile von Sekunden von einem tödlichen Unfall trennen, anders zu sehen sind. Ein Auffahrunfall kann genausogut ein Rotlichtunfall werden, wenn der erste, der angehalten hat, bei Rot gefahren wäre. Insofern ist das doch eher anders zu sehen. Ich plädiere deshalb vehement dafür.Wir haben immer wieder die Debatte gehabt, ob man nicht diese sogenannten Bagatellunfälle in die Hände der Versicherungen geben sollte. Das wäre verheerend.

Herr Vahldieck sagte – das geht auch aus der Drucksache hervor –, von 60 000 Unfällen seien etwa 20 000, die die Zuständigkeit der Unfalldienste begründen. Tatsächlich seien aber nur 7000 aufgenommen worden, das heißt, 13 000 Unfälle haben bereits die Beamten auf den Funkstreifenwagen aufgenommen. Dazu muß ich Ihnen sagen, wenn diese Unfälle aufgenommen werden, ist es häufig so, daß die den Verkehrsunfalldienst rufen. Sie sind dann ja nicht weg, sondern sie sind weiterhin vor Ort, sie sichern die Unfallstelle ab und so weiter. Es ist nicht so, daß sie nicht auch heute bei diesen Unfällen involviert sind.

Meine Vorstellung ist, daß wir aus dieser Not auch eine Tugend machen. Ich denke – und das wird aus der Drucksache auch deutlich und der Senat hat es zugesichert –, daß es doch darum geht, daß es nicht vom Zufall abhängen darf, wenn wir draußen einen Verkehrsunfall haben, ob wir jetzt einen Beamten haben, der gute Arbeit macht, weil er entsprechend fortgebildet ist, oder einen Beamten haben, der weniger gut ist, dann haben wir eben Pech gehabt, dann werden die Beweise nicht so gesichert.Das heißt, das Wissen und die Qualität müssen breit gestreut werden, es muß mehr Fachwissen nach unten gebracht werden. Es wird dann sicherzustellen sein, daß man im Prinzip die Sensibilität für die Bereiche schafft, die ich eben genannt habe, nämlich zu gucken, was Ursache für den Unfall sein kann, wie es dazu gekommen ist, wie hole ich mir als Beamter selber vor Ort Hilfe in einer Situation, in der ich keinen Verkehrsunfalldienst habe.

Es gibt tausend Möglichkeiten, sich die KTU, die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle, vor Ort zu holen, sich eine Skizze machen zu lassen, Tatortarbeit entsprechend sicherstellen zu lassen oder sich über die DEKRA entsprechende Sachverständige heranzuholen. Dafür ist natürlich Voraussetzung, daß die Beamten vor Ort für diese Fragestellung sensibilisiert sind. In die Richtung – das wird mir der Senator sicher bestätigen – wird natürlich auch die Fortbildung gehen müssen, damit das dann letztlich sichergestellt wird. Der Senat hat zugesagt, daß die Fortbildung verbessert wird, breiter gestreut wird, und wird uns ja auch diesen Fortbildungskatalog zur Verfügung stellen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und bei Elisabeth Kiausch, Do- ris Mandel und Ingo Kleist, alle SPD)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Thema? – Herr Senator Wrocklage.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Fragen kurz beantworten.

Herr Mahr, ich stimme Ihnen weitgehend zu. Es ist tatsächlich so, daß wir ein Fortbildungskonzept brauchen, das wir erarbeiten. Ich gehe davon aus, daß damit auch die Sensibilität innerhalb der Polizeireviere erhöht wird.

Herr Vahldieck, noch einmal zu Ihnen. Sie haben die statistische Betrachtung, die wir angestellt haben, zunächst einmal kritisiert, um sie dann selber für sich in Anspruch zu nehmen, als Sie gesagt haben, die 27 Beamten werden nun alle auf die Wachen gleichförmig verteilt.Das ist genau so. Da müßten Sie eigentlich sagen, ich nehme das Argument schnell zurück. Im übrigen finde ich es wirklich zuwenig, wenn Sie sagen:

Erstens:Wir wollen mehr Stellen.Zweitens:Wir lehnen jede Stellensparmaßnahme ab. Drittens: Wir wollen mehr Konsolidierung.

Darin erschöpft sich leider die Sicherheitspolitik der CDU, und das ist für eine Opposition zuwenig, die nach unserer Verfassung Alternativen aufweisen soll. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Elke Thomas CDU: Habe ich gestern gemacht!)

Nunmehr liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wer möchte der Ausschußempfehlung zustimmen? – Gegenprobe.– Enthaltungen? – Diese wurde mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21:Antrag der GAL und der SPD über Tagesförderstätten für schwerbehinderte Menschen.

[Antrag der Fraktionen der GAL und der SPD: Tagesförderstätten für schwerbehinderte Menschen – Drucksache 16/3854 –]

Wer meldet sich hierzu zu Wort? – Das Wort erhält Frau Dr. Freudenberg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Grundsätze der hamburgischen Behindertenpolitik sind Normalisierung, Selbstbestimmung, Integration und Regionalisierung.Wir wollen das seit 1994 im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot behinderter Menschen umsetzen und sehen uns hier in der Pflicht. Wie wir das schaffen, zeigt sich besonders daran, wie wir die Lebensbedingungen der am schwersten von einer Behinderung beeinträchtigten Menschen verbessern können.

Für behinderte Menschen, die wegen der Schwere ihrer Behinderung keinen Platz in einer Werkstatt für Behinderte oder in einem Arbeitsprojekt finden, gibt es als teilstationäres Angebot die Tagesförderstätte. Dort erleben die behinderten Menschen eine professionelle Förderung, die ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen entspricht und die das Ziel einer möglichst weitgehenden Selbständigkeit und auch Zufriedenheit hat.

Der Begriff Förderung darf nicht so eng gesehen und falsch verstanden werden. Förderung heißt nicht Training auf ein

(Manfred Mahr GAL)

definiertes Ziel zu, denn nur wenige Nutzerinnen von Tagesförderstätten können nach einiger Zeit der Förderung zum Beispiel in eine WFB wechseln. Die Vorstellung von Förderketten, die in der Pädagogik einmal der letzte Schrei waren, sind antiquiert. Es ist verkehrt, die Tagesförderstätten nur als ein Glied einer solchen Förderkette zu verstehen, die von den Behinderten durchlaufen werden muß und die sie auch dank ordentlicher Pädagogik erfolgreich durchlaufen können und sie immer unabhängiger von sozialen Hilfen machen.

Mit einem solchen Ansatz von Förderung wird man der Mehrheit der behinderten Menschen in Tagesförderstätten nicht gerecht. Die meisten von ihnen sind schwer mehrfachbehindert, sie leiden also unter erheblichen körperlichen und geistigen Behinderungen und oft auch unter Störungen von Sinnesorganen, und sie sind ihr Leben lang von Pflege und intensiver Betreuung abhängig.Viele von ihnen zeigen darüber hinaus schwierige Verhaltensweisen, die den Umgang mit ihnen anstrengend machen, und diese Verhaltensweisen zeigen auch, wie angespannt sie sind und daß sie sich nicht wohl fühlen.

Bei der Förderung dieser Menschen geht es darum, ihnen zu helfen, ihre eigenen Kräfte und Fähigkeiten zu entdecken und damit mehr Handlungsräume und auch mehr Kontrolle und Selbstbestimmung über die eigenen Lebensumstände zu gewinnen. Fortschritte können darin bestehen, daß es den Betroffenen mehr und mehr gelingt, Bedürfnisse so zu äußern, daß sie auch verstanden werden, oder daß sie Menschen und Gegenstände oder auch Musikstücke oder Gerüche wiedererkennen oder daß sich in der Gruppe Rituale entwickeln lassen, die bestimmten Situationen zugeordnet werden können.

Der Besuch einer Tagesförderstätte bedeutet auch ein wichtiges Stück Normalität und Integration.Normalität, weil der Tag strukturiert ist und sich das Leben in verschiedenen Bereichen abspielt. Man verläßt morgens die Wohnung und geht zur Arbeit oder in die Tagesförderstätte. Das ist normal. Dieses Weggehen, mit anderen Menschen zusammen sein, woanders sein und dann wieder zurückkehren, bedeutet auch Integration, nämlich nicht nur eine Bezugsgruppe haben, sondern zumindest eine weitere Gruppe. Gerade für schwerbehinderte Menschen ist dieses Zwei-Welten-Prinzip ganz wichtig. Der regelmäßige Wechsel der Umgebung ist eine wichtige Erfahrung, und der Wechsel macht Erfahrungen in gewissem Sinn erst möglich.

In Hamburg gibt es circa 635 Tagesförderplätze. Mehr als die Hälfte dieser Plätze gehören zur Evangelischen Stiftung Alsterdorf, und sie wurden im Zug der Reform der Alsterdorfer Anstalten eingerichtet. In den aufgelockerten hamburgischen Heimen gehören teilstationäre Angebote zum Standard, wodurch diese Heime den Charakter der totalen Institution verloren haben und damit auch ihre bekannten und gefürchteten Hospitalisierungsfolgen.

(Glocke)

Entschuldigen Sie, Frau Abgeordnete. Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit. Danke schön.

Dieses ZweiWelten-Prinzip ist in den Heimen außerhalb Hamburgs nur selten der Fall.

Die anderen Tagesförderplätze werden von behinderten Menschen in Anspruch genommen, die in stadtteilintegrierten Wohngruppen oder in der Familie leben. Der Bedarf an Tagesförderplätzen steigt. Der wichtigste Grund dafür ist wohl, daß immer mehr Familien ihre schwerbehinderten Kinder in der Familie großziehen und nicht ins Heim geben. Diese Entwicklung ist sehr zu begrüßen, denn behinderte Menschen gehören in unsere Mitte und nicht in abgelegene Heime. Als Erwachsene ziehen sie dann oft von zu Hause aus und in eine Wohngruppe um. Auch das ist normal und ein wichtiger Schritt zur Integration. Auch die Wohngruppen arbeiten nach dem Zwei-Milieu-Prinzip, das heißt, die Bewohnerinnen gehen tagsüber zur Werkstatt oder in ein Arbeitsprojekt oder in die Tagesförderstätte.

Der Bedarf an Tagesförderplätzen ist in Hamburg nicht gedeckt.Viele schwerbehinderte Menschen warten auf einen Platz, ohne daß klar ist, wie lang sie noch warten müssen und wann sie einen Platz bekommen. In Einzelfällen führt dies zu unerträglichen familiären Belastungssituationen. Nicht selten geschieht es auch, daß behinderte Menschen wegen des fehlenden Tagesförderplatzes auch keinen Wohngruppenplatz finden können und dann in der Familie bleiben, oft zu Lasten der völlig erschöpften Eltern, die auch darunter leiden, daß sie ihren Kindern nicht mehr gerecht werden.

Der Senat hat bisher keine Bedarfsanalyse für Tagesförderplätze erstellt. Die Träger selbst führen Wartelisten, und auch die Sonderschulen melden, wie viele ihrer Schulabgänger und Schulabgängerinnen voraussichtlich einen Tagesförderplatz brauchen werden. Koordiniert und analysiert werden diese Zahlen von der BAGS bisher nicht. Dabei kann es doch nicht angehen, daß Eltern kurzfristig erfahren, daß ihr Kind kein weiteres Jahr in der Sonderschule bleiben kann wegen Kapazitätsengpässen, und diese Eltern dann nicht wissen, ob ihr Kind dafür dann in die Tagesförderung kann, sondern sie stehen vor dem Nichts. Es gibt wohl in Hamburg keine eigentlich verantwortliche Stelle für die Rehaplanung dieser schwerbehinderten jungen Menschen an der Schwelle zum Erwachsensein.