Protocol of the Session on March 1, 2000

(Horst Schmidt SPD)

Das Wort erhält Herr Mehlfeldt.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß die SPD-Fraktion einmal die grundsätzlichen Daten und Fakten zum Hamburger Handwerk abfragt. Wer sich im Hamburger Handwerk auskennt, wird beim Lesen auf längst Bekanntes stoßen. Aber es gibt auch einiges Neues. Ich hätte allerdings nicht geglaubt, wie weit sich die Theorie der Behörden von der Realität der Betriebe entfernt hat.

(Farid Müller GAL: Beispiele!)

Dazu später ein paar Beispiele.

Es verwundert sehr, wenn nicht gar das Wort skandalös zu gebrauchen ist, daß die Hamburger Verwaltung über wichtige Daten und Fakten nicht verfügt oder sie uns verschweigt.

Wie wollen Sie gezielte Existenzgründungsförderungen betreiben, wenn Sie freimütig zugeben müssen, über die Eigenkapitalsituation der Handwerksunternehmen schlicht nichts zu wissen? Auch wenn ich um die Schwierigkeiten der Erhebung weiß, wäre dazu eine Studie sinnvoller als zu vielen anderen Dingen, nach denen in dieser Stadt gefragt wird.

Zu den Insolvenzen geben Sie in Ihrer Antwort schlicht an: Dazu liegen keine Erkenntnisse vor.

(Horst Schmidt SPD: Stimmt! – Farid Müller GAL: Aha!)

Das ist die Unwahrheit. Die Handwerkskammer Hamburg hat Ihnen detailliert dargelegt, daß es in Hamburg 50 bis 60 Insolvenzen pro Jahr gibt. Zum Glück ist das etwas weniger als in anderen Branchen. Ich kann mir Ihre Verschwiegenheit deshalb nur so erklären, daß Sie nur ungern zugeben möchten, daß der von Ihnen immer wieder kritisierte Meisterbrief anscheinend eine sehr solide Grundlage für die Führung eines Handwerksbetriebes ist. Natürlich ist jede Insolvenz eine zu viel. Die Folgen für den Inhaber, der im Handwerk in der Regel persönlich haftet, wie auch für die Mitarbeiter sind oft dramatisch. Aber mit einer Qualifikation wie dem Meisterbrief können diese Zahlen im Handwerk zum Glück klein gehalten werden. Das sollten Sie ruhig zur Kenntnis nehmen und auch Ihrer Fraktion zur Kenntnis geben.

Doch nun zu einzelnen Themen aus Ihrer Großen Anfrage, Stichwort Gewerbeflächen. Noch immer vermischen Sie Büroflächen und Gewerbeflächen miteinander. Was Sie unter Gewerbeflächen summieren, sind nicht immer Flächen, auf denen sich ein Klempner oder Tischler ansiedeln kann. Für Handwerk geeignete Flächen sind nach wie vor knapp und nur selten wirklich bezahlbar. Es geht nicht nur um Gewerbeflächen, sondern auch um gewerblich genutzte Flächen. Am Kaemmererufer arbeiten seit Jahrzehnten alteingesessene Bootswerften, die dort auf Wassergrundstücke angewiesen sind. Den Wunsch der Werftinhaber, diese Flächen nun zu kaufen, lehnt die Stadt mit dem Argument ab, dies seien planungsrechtlich Grünflächen. Faktisch bedeutet das, daß diese Handwerker ihr angestammtes Terrain verlassen müssen, da sie die benötigte Investitionssicherheit dort nicht bekommen.

Noch etwas wird bei diesem Thema deutlich. Wie beeindruckend schnell die Hamburger Verwaltung arbeiten kann, wird deutlich, wenn IKEA 18 Hektar Gewerbefläche benötigt und diese auch schnellstens bekommt.

(Bernd Reinert CDU: Ja!)

Versuchen Sie einmal als kleiner Handwerksbetrieb, zur gleichen Zeit die Erweiterung Ihrer Werkstatt nur um den Bruchteil einer Fläche durchzusetzen. Das ist ein sehr viel schwierigeres Unterfangen wegen der Auflagen für Grünflächen, der Stellplätze – oft widersprüchlich – und dazu noch die Zeit, die dabei ins Land geht. Mancher Betrieb ist deswegen abgewandert.

Nach wie vor hat aus meiner Sicht die Hamburger Wirtschaftspolitik kein Auge für die Möglichkeiten und Bedürfnisse des Handwerks. Das Handwerk sollte wenigstens gleich gut behandelt werden wie die Großindustrie.

Zum Stichwort Parksituation. Sie haben recht, die Kammer hat tatsächlich mit der Innenbehörde eine Regelung getroffen, um das Problem der parkenden Handwerkerfahrzeuge zu lösen. Wir hatten aber nicht damit gerechnet, daß die Genehmigungsstellen und Außendienstmitarbeiter nicht in der Lage sind, den ihnen zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum zu nutzen.

Wenn Sie an einem normalen Arbeitstag vom Rathaus über die Schleusenbrücke zum Gänsemarkt gehen, zählen Sie einmal alle Tickets zusammen, die an Lieferwagen hängen, und rechnen Sie sich aus, was der Mittelstand an diesem Tage in das Säckel der Innenbehörde bezahlt, um überhaupt seiner Arbeit nachgehen zu können. Daß die SPDFraktion nur die Zahl der Dauerausnahmegenehmigungen seit 1996, dem Jahr der Vereinbarung mit der Kammer, wissen möchte, ist falsche Rücksichtnahme. Ich vermute, daß diese Zahl in der Zeit davor wesentlich höher war und mit der Vereinbarung gedrosselt werden sollte.

Ich habe mich zum Beispiel vergeblich bemüht, einem Inneneinrichter aus Wandsbek zu einer generellen Ausnahmegenehmigung zu verhelfen, weil er mit schweren, feuchten Gardinen Kunden in der Innenstadt anfahren und diese dann auch gleich aufhängen muß – natürlich die Gardinen.

(Dr. Holger Christier SPD: Nicht die Kunden! Das wäre auch ein Problem!)

Die Behörde sah sich nicht in der Lage, diesem Mann zu helfen. Nein, ihm wurde ernsthaft vorgeschlagen – hören Sie zu –, doch seinen Wagen auszuladen, dann an den Firmenstandort nach Wandsbek zurückzufahren, um zur Montage der Gardinen mit der Bahn wieder anzureisen. Das liegt schriftlich vor.

(Antje Blumenthal CDU: Das ist gewerbefreund- lich!)

Zum Stichwort öffentliche Auftragsvergabe. Die alte Strategie des Senats, daß nur die Behörden öffentliche Aufträge vergeben, der Rest seien private Unternehmen, ist falsch. Auch die unzähligen pseudoprivatisierten und von der Stadt kontrollierten Betriebe sind öffentliche Auftraggeber, sie halten sich aber immer seltener an die Verdingungsordnungen.

(Farid Müller GAL: Aha!)

Die Kammer hat mehr als einmal auf unrechtmäßige Vergaben oder die Nichteinhaltung von Rahmenverträgen hingewiesen. Ob es der Landesbetrieb Krankenhäuser ist, der seine Lebensmittelbeschaffung so ausschreibt, daß für einen mittelständischen Betrieb eine Bewerbung völlig sinnlos wäre, weil Anfangsinvestitionen von mehreren hunderttausend Mark fällig würden, oder ob es die Buchbinderarbeiten sind, die an die Werkstätten im Strafvollzug gehen statt an einen Hamburger Meisterbetrieb, immer öfter fällt

das Handwerk hinten herunter. Oder nehmen wir die Generalübernehmervergabe. Einerseits wird in der Antwort des Senats behauptet, Generalübernehmer würden zur Weitergabe von Aufträgen an mittelständische Unternehmen verpflichtet. Auf meine Kleine Anfrage zu diesem Thema antworten Sie aber völlig unverblümt, daß diese Verpflichtung von Ihnen noch nie ausgesprochen wurde. Das ist der Unterschied zwischen Behördentheorie und der Handwerksrealität.

(Beifall bei der CDU)

Zum Stichwort Aus- und Weiterbildung. Sie kennen die Klagen des Handwerks über den miserablen Bildungsstand der Schulabgänger, die sich in unseren Betrieben bewerben. Immer mehr Lehrstellen gehen an Bewerber aus den Nachbarbundesländern. Wir haben das hier bereits mehrmals diskutiert. Das scheint aber niemanden zu interessieren.

(Wolfgang Baar SPD: Das ist doch nicht wahr!)

Die Fragesteller hielten es noch nicht einmal für nötig, nach Plänen des Senats zu fragen, wie endlich eine solide Schulbildung realisiert werden soll, mit der die jungen Menschen eine Ausbildung bewältigen und bestehen können. Auch andere wichtige Fähigkeiten wie Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer oder die banale Pünktlichkeit fehlen den Jugendlichen heute.

(Erhard Pumm SPD: Einigen Jugendlichen!)

Die Kammern haben dazu nicht nur Forderungen erhoben, sondern auch zahlreiche Vorschläge gemacht. Doch Ihnen ist die Einrichtung von Mädchenspielplätzen ein dringenderes Anliegen.

(Erhard Pumm SPD: So ein Quatsch!)

Das ist für einen Meister, der morgens um 7 Uhr auf seinen Lehrling wartet, einfach nicht mehr nachvollziehbar. Was hier polemisch klingt, ist leider die Realität. Ich werde nicht nachlassen, Sie darauf hinzuweisen, zur Not auch mit Polemik.

(Erhard Pumm SPD: Das ist aus der Gruselkammer der Handwerkskammer!)

Ich komme zum Fazit. Hamburg fehlt nach wie vor eine konsequente, moderne und entschlossene Handwerkspolitik, eine Politik, die nicht an der Behördenstube aufhört, sondern sich wirklich zum Ziel setzt, dem Mittelstand und dem Handwerk draußen vor Ort vernünftige Bedingungen zu schaffen. Solange sich ein Optiker einen monatelangen Papierkrieg mit verschiedensten Behörden liefern muß, um ein Hinweisschild für einen kostenlosen Sehtest vor seinem Laden genehmigt zu bekommen, und dann doch scheitert, solange der zuständige Senator auf unsere entsprechende Nachfrage noch nicht einmal antwortet, solange sich der im einspurigen Stau befindliche Glasermeister mit Tempo 30 durch die Stresemannstraße quält, so lange kann niemand in Hamburg ernsthaft behaupten, Handwerk und Mittelstand würden nach Kräften gefördert.

(Beifall bei der CDU)

Die Realität ist eine andere. Ich werde Ihnen immer wieder gern aus unserer umfangreichen Praxislage berichten, denn das erwartet das Handwerk an dieser Stelle von mir. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Müller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Bürgerschaft erwartet von Ihnen, Herr Mehlfeldt, daß Sie nicht nur als zweiter Handwerkspräsident für die Kammer sprechen, sondern als verantwortungsvoller Politiker der Opposition, wobei ein wenig mehr dazu gehört, als nur die Bedürfnisse des Handwerks zu artikulieren. Es gehört auch dazu, sie in Einklang mit dem Rest der Gesellschaft zu bringen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Antje Blumenthal CDU: Das sagen Sie Herrn Schmidt auch mal!)

Sie können gern eine Frage stellen, Herr Mehlfeldt.

Bei der Großen Anfrage ist deutlich geworden, daß das Handwerk an dem Gründerboom der Stadt nur sehr bedingt teilnimmt. Nach den Zahlen, die uns hier im Parlament dargelegt wurden, sind es in 1999 25 Betriebe weniger. Das ist wahrlich kein Aushängeschild für den Boom, den wir in anderen Bereichen der Wirtschaft in unserer Stadt verzeichnen können. Es irritiert mich besonders, daß 22 Prozent der Handwerksbetriebe nach zwei Jahren scheitern. Dazu sind die bisherigen Erklärungsversuche und auch die Antworten des Senats eher dürftig. Ich meine, daß sich die Handwerkskammer auch einmal damit auseinandersetzen sollte, wie die Zahlen zu erklären sind, wenn doch die Meisterprüfung Gründer angeblich so fit machen soll. Ich habe da so meine Zweifel. Man muß auch berücksichtigen, wo andere Gründe liegen: Eigenkapitalausstattung oder Gründer-Know-how et cetera. Das sind auch Fragen, die aus meiner Sicht ungenügend beantwortet wurden.

Daß der Senat lügt, Herr Mehlfeldt, ist ein sehr heftiger Vorwurf. Ich sehe keinen Grund, warum uns der Senat keine Informationen vorlegen sollte, wenn er welche hätte.

Ein zweiter Bereich schließt sich unmittelbar an die Frage der Gründungen von neuen Betrieben an, die Frage der Betriebsübernahmen. Auch da gibt es offensichtlich einige Probleme. 29 Prozent der Betriebsinhaber sind älter als 50 Jahre, das sind ungefähr 3800 Betriebe. Stellt man diesen die 111 Betriebsübernahmen gegenüber, die im letzten Jahr stattgefunden haben, kann man sich ungefähr ausrechnen, welcher Herausforderung wir uns in Zukunft hier in Hamburg gegenübersehen; das heißt, es reicht alles noch nicht. Wir müssen die Gespräche mit der Handwerkskammer noch intensivieren, um festzustellen, wie die Bemühungen, die schon unternommen wurden, noch verstärkt werden können, um die genannten Zahlen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Darüber würde ich gern ein bißchen mehr hören.

Im übrigen, Herr Mehlfeldt, zum wiederholten Mal, meine Bemerkung zum Meisterbrief. Wir wollen ihn nicht abschaffen, aber bei diesen Zahlen muß man darüber nachdenken, wie man es Gesellen erleichtern kann, Betriebe zu übernehmen und sie fortzuführen. Angesichts dieser Situation finde ich es richtig, daß die Bundesregierung darüber nachdenkt, daß man den Meisterbrief im Zeitraum von zehn Jahren nebenbei nachholen kann.

(Horst Schmidt SPD: Das ist vom Tisch!)

Wenn ein Betrieb Pleite macht, nützt es doch niemandem, weder dem Arbeitnehmer, dem Betrieb noch den Kunden, deshalb sollte nicht ideologisch an solchen Dingen festgehalten, sondern über Veränderungen nachgedacht werden. Aus meiner Sicht ist das ein Weg, das Problem zu mildern, genauso – darin unterstütze ich meinen Kollegen von der SPD – wie die Ausnahmegenehmigung zu lockern. Hier ist

(Jürgen Mehlfeldt CDU)