Hochschul- und Bildungspolitik ist Ländersache, und in Hamburg ist der SPD-geführte Senat seit Jahrzehnten für diese Politik zuständig. Deswegen können Sie die Verantwortung nicht wegschieben, sondern Sie müssen vor Ihrer eigenen Tür kehren und versuchen, die Probleme, die sie ausmachen, auch zu lösen.
Frau Goetsch, es war ja alles schön, was Sie zu den Computern gesagt haben. Nur, Quantität statt Qualität oder – andersherum gesagt – weniger wäre mehr gewesen. Wenn man Ihren Beitrag hört, hat man das Gefühl, daß wir in Hamburg, was die Ausstattung mit neuen Technologien angeht, auf einer Insel der Glückseligen leben.
Ich frage mich nur, wo diese Insel ist, denn bisher hören wir dazu aus den Schulen mehr Kritik als Euphorie.
Kommen wir zur Schulpolitik zurück. Das Anmeldeverhalten der Eltern fünfter Klassen hat in diesem Schuljahr deutlich gemacht, daß das Schulsystem, wie es zur Zeit in dieser Stadt angeboten wird, offensichtlich nicht mehr der Nachfrage entspricht. Wenn Sie uns einen Griff in die Mottenkiste unterstellen, wie Sie das eben in Ihrer Rede getan haben, kann ich nur entgegnen, daß es ein Griff in die Mottenkiste der sechziger Jahre ist, wenn Sie – wie die REGENBOGEN-Gruppe – die integrierte Gesamtschule wieder hochleben. Die wollen die Eltern in Hamburg nicht mehr, und das zeigt sich in großen Bereichen an den schlechten Anmeldezahlen in dieser Schulform.
Die Gymnasialanmeldungen hingegen sind in den letzten acht Jahren um 23,1 Prozent angestiegen. Im Vergleich dazu sind die Anmeldezahlen für die integrierten Gesamtschulen um 10 Prozent gesunken. Gleichzeitig machen inzwischen in dieser Stadt ein Drittel aller Kinder Abitur. Leider steigt die Anzahl der Kinder ohne Schulabschluß weiter. Er liegt inzwischen bei 12 Prozent. Meine Damen und Herren, das ist eine merkwürdige und nachdenkenswerte Entwicklung.
Offensichtlich haben viele Eltern kein Vertrauen mehr in bestimmte Schulformen, sonst würden sie sich nicht so entscheiden. Vor wenigen Tagen sagte ein Schulleiter in Hamburg: „Die Gymnasien siegen sich zu Tode.“ Ich glaube, an diesem Ausspruch ist etwas dran.
Wir haben dort immer mehr Leistungsheterogenität, und die Schulanforderungen werden immer stärker minimiert. Das hat auch die Lernausgangslagenuntersuchung – LAU – zu den unteren Leistungsbereichen gezeigt. Bald brauchen wir offensichtlich das Gymnasium der Gymnasien, damit wir noch eine vernünftige Hochschulqualifikation hinbekommen.
Auch Ihr Springermodell, das Sie in diesem Zusammenhang vorgeschlagen haben, ist nicht mehr als ein hilfloses Känguruhmodell, weil es nicht die Probleme an unseren Schulen löst. Die Probleme liegen in der Tat im Schulsystem, das in Hamburg endlich wieder auf die Füße gestellt werden muß. Wir brauchen dazu insbesondere eine intensivere Förderung der Haupt- und Realschulen. Hier mangelt es in dieser Stadt. Diese beiden Schulformen führen seit Jahren ein Schattendasein.
Es geht nicht darum, die integrierten Gesamtschulen in Hamburg mit einem Kahlschlag vom Hof zu fegen,
sondern wir müssen sie auffordern, neue Konzeptionen ihrer Arbeit vorzulegen, denn sie haben sehr viel Sachmittel und Personal. Es muß ja bei den Gesamtschulen etwas völlig verkehrt laufen, weil ihnen jetzt die Gymnasien den Rang ablaufen. Die Gesamtschulen sind gefordert, endlich Zahlen und Fakten zu liefern und zu sagen, was sie wollen.
Frau Goetsch, ich finde es gut, was Sie eben gesagt haben. Ich glaube, wir müssen zum alten SEPL zurückkehren. Wir brauchen in dieser Stadt eine vernünftige Schulentwicklungsplanung. Es geht nicht mehr weiter, daß die Behörde vor sich her plant, immer nach den Anmeldezahlen luschert und dann sagt, vielleicht werden doch noch ein paar Schüler mehr nachgemeldet und wir bekommen das noch an dem Standort geflickt. Statt sich über sechsjährige Grundschulen Gedanken zu machen, sollten wir lieber überlegen, wie das Hamburger Schulsystem reformiert werden kann, damit es endlich wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten ist deutlich geworden, daß die Opposition in Hamburg wichtige konzeptionelle Teile sozialdemokratischer Schulpolitik übernommen und unterstützt hat, sei es die Ganztagsschule oder auch die Verläßliche Halbtagsgrundschule. Und sie hat auch anerkannt, weil die Zahlen eine sehr deutliche Sprache sprechen, daß Hamburg für die Schulbildung der Kinder und Jugendlichen wesentlich mehr ausgibt als jedes andere Bundesland. Das ist unbestritten.
Was verbleibt eigentlich in der schulpolitischen Debatte? Es verbleibt im Kern eine Debatte um Qualität von Schule. In diesem Sinne ist für heute eine für die SPD schon lange wichtige Debatte angemeldet worden. Dafür brauchen wir die Opposition nicht. Die Debatte muß aber mit Augenmaß geführt werden und darf politisch nicht instrumentalisiert werden.
(Dr. Roland Salchow CDU: Sind das jetzt Kopf- noten? – Ole von Beust CDU: Besser mäßig als mit- telmäßig!)
aber in üblichen Debatten machen Sie immer den Versuch, die Qualität des Hamburger Schulwesens herunterzure
den. Deshalb sage ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit, daß die Hamburger Schulabgänger in ihrem jeweiligen Leistungsspektrum nicht mehr und nicht weniger können als andere in anderen Bundesländern. Hamburger Schülerinnen und Schüler sind nicht schlechter als andere.
Sie haben das heute in Ihrem Beitrag nicht gesagt, aber ich will das trotzdem wiederholen. Es gibt nicht eine einzige auf Hamburg bezogene Untersuchung, die das belegen könnte. Erst das Projekt PISA wird möglicherweise erste Vergleiche zulassen.
Weil Sie so wenig über Qualität geredet haben, möchte ich zum Thema Qualität von Schule ein bißchen mehr sagen. Zur sozialdemokratischen Schulpolitik gehört ganz selbstverständlich, daß wir sehr genau hinschauen, an welchen Stellen wir Schule und Unterricht besser machen können und müssen. Ich möchte dafür drei Beispiele nennen.
Wir haben in der Grundschule eine sehr, sehr wichtige Reform auf den Weg gebracht, denn die Grundschule stellt wichtige Weichen für die weitere Laufbahn der Kinder. Die inhaltliche Entwicklung der Verläßlichen Halbtagsgrundschule ist nicht abgeschlossen. Sie wird sich qualitativ weiterentwickeln müssen. Aber die Entscheidung, mehr Zeit und andere Unterrichtsstrukturen zuzulassen, war und ist völlig richtig. Das hat in einem sehr hohen Maße mit Qualität von Schule zu tun.
Ich nenne noch einen zweiten Punkt, damit wir wissen, worüber wir reden. Wenn die Schulforschung feststellt, daß es von der erwarteten Schülerleistung her positive und negative Abweichungen gibt, dann muß herausgearbeitet werden, was Methodik und Lehrerleistung damit zu tun haben, um Lernprozesse bei den Schülerinnen und Schülern qualitativ zu gestalten.
Ein letzter Punkt: In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird die Hälfte aller Lehrerinnen und Lehrer ausgewechselt. Damit bekommt die Lehrerbildung eine neue qualitative Chance, die wir nutzen müssen. Um diese Aspekte, meine Damen und Herren, wird es in Zukunft gehen. Mit der bundesweit einmaligen Schulforschung in Hamburg – LAU Klasse 5, LAU Klasse 7 –, mit der VHGS, mit den Vergleichsarbeiten, mit der Stärkung der Kernfächer und mit der kommenden Reform in der Lehrerbildung ist in Hamburg qualitativ Beachtliches geleistet worden. Das wird auch niemand herunterreden können. Wenn Sie meinen – so habe ich Sie verstanden und beziehe mich auch auf Ihre Presseerklärung –, mit der Schließung von Gesamtschulen, mit Ihrem Konzept, so früh wie möglich aussortieren und wieder einsortieren, mit zwölf statt 13 Jahren zum Abitur – darüber kann man unter anderen Gesichtspunkten durchaus reden –, mit einem einwöchigen Probeunterricht oder mit weiteren Notenschwellen werden sich der Unterricht und die Lernleistungen qualitativ besser gestalten lassen, dann sind das nur vordergründig Lösungen. In Wahrheit ist Ihnen die Debatte um die Qualität von Schule schon lange davongelaufen.
Noch einige Anmerkungen zur Anmelderunde. Ich muß hier nicht das Schulgesetz wiedergeben. Dort ist im Grunde alles geregelt. Aber ein Punkt ist mir hier noch wichtig. Wenn 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler erfolgreich das Gymnasium ohne Gymnasialempfehlung besuchen,
wenn am Ende der Klassenstufe 6 der Lernstand von 11,9 Prozent der Gymnasialschüler unterhalb der erwarte
ten Mindestleistung liegt, im HR-Bereich 13,6 Prozent der Schüler mit ihrem Lernstand aber im typisch gymnasialen Bereich liegen, dann muß die Frage der schulischen Übergänge sehr eingehend untersucht werden. Dazu gehört auch der Aspekt, daß es Kinder von übereifrigen Eltern gibt, die eine klar erkennbar falsche Schulform wählen. Aber Schnellschüsse sind hier in keiner Weise angebracht, denn an dieser Stelle werden Chancen verbaut oder auch Chancen eröffnet. Ich komme zum Schluß.
Ja, dann mache ich an dieser Stelle Schluß und melde mich gegebenenfalls später noch einmal zu Wort.
Es ist wirklich bedauerlich, daß bildungspolitische Debatten immer zu Veranstaltungen werden, in denen Glaubensbekenntnisse abgegeben werden und praktisch keine Schublade verklemmt genug ist, als daß sie nicht aufgezogen wird. Ich habe Verständnis, Herr Salchow hat heute seine Jungfernrede als neuer wissenschaftspolitischer Sprecher gehalten. Ich fand sie nicht überzeugend. Ihre Beispiele hatten keine Stringenz. Die Magnetschwebebahn, die Sie hier beispielsweise anführen, kann man nicht als Beleg dafür nehmen, daß unsere Schüler, Studierenden und Ingenieure nicht in der Lage sind, technologisch interessante Dinge zu fabrizieren. Der Transrapid ist daran gescheitert, daß er ökonomisch nicht sinnvoll einsetzbar war. Aber er ist hier gebaut; dazu brauchten wir keine Wissenschaftler und Techniker aus den USA oder aus Asien.
Ich will auf die Frage, wie unser Hochschulsystem ist, gar nicht eingehen. Wir haben viele Debatten darüber geführt. Ich habe schon einmal gesagt, daß man in der Bundesrepublik auf Hamburg guckt, weil hier interessante Sachen gemacht werden. Das Prinzip der Ziel- und Leistungsvereinbarung möchte ich hier nur als Stichwort nennen. Die Autonomie der Hochschulen und Schulen und ihre Profilbildung, die es möglich machen, eigene Profile und Hochqualifiziertes zu leisten, will ich nur kurz erwähnen.
Was heißt es eigentlich, wenn es in bestimmten Bereichen eine Situation gibt, die es erforderlich macht, Leute aus den USA, aus Indien oder Japan zu holen? Ist das ein Beleg dafür, daß das Bildungssystem in diesen Ländern besser ist? Diese Frage muß man stellen, denn damit wird ein Zusammenhang hergestellt; aber man muß sie absolut verneinen.
Wir tun gut daran, für unsere Schülerinnen, Schüler und Studierenden eine breite Qualifikation zu ermöglichen, gerade sozial Schwache und Leistungsstarke besonders zu fördern, aber nicht eine Gruppe zu vernachlässigen.