Protocol of the Session on July 9, 2024

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 15. Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Die hinter mir befindlichen Persönlichkeiten für das Kunstwerk „Himmel über Hessen. Licht-gestalten“ sind dieses Mal von Berufsschülerinnen und Berufsschülern der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Schule in Homberg im Rahmen des vom 18. bis 20. Juni 2024 abgehaltenen Seminars „Im Zentrum der Landespolitik“ ausgewählt worden. Diese sind Jacob Grimm, Elisabeth Selbert, Adam Opel, Philipp Heinrich Scheidemann, Anne Frank, Wilhelm Grimm, Landgraf Philipp I.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hinsichtlich der Tagesordnung darf ich auf Folgendes hinweisen. Die Tagesordnung vom 2. Juli 2024 sowie der Nachtrag vom heutigen Tag liegen Ihnen vor.

Wie Sie dem Nachtrag der Tagesordnung zu den Tagesordnungspunkten 30 bis 34 entnehmen können, sind fünf Anträge betreffend eine Aktuellen Stunde eingegangen. Nach § 32 Absatz 6 der Geschäftsordnung beträgt die Aus sprache für jeden zulässigen Antrag auf Abhaltung einer Aktuellen Stunde fünf Minuten je Fraktion. Wie gewohnt, werden die Aktuellen Stunden am Donnerstag ab 9 Uhr abgehalten.

Wir haben im Ältestenrat vereinbart, heute auf die Fragestunde zu verzichten. Die Fragen, die schriftlich beantwortet werden, werden als Anlage zum Protokoll der heutigen Plenarsitzung genommen. Alle anderen Fragen werden in der Fragestunde in der kommenden Plenarwoche im September aufgerufen.

(Die Fragen 54, 72, 77 und die Antworten der Lan- desregierung sind als Anlage beigefügt. Die Fragen 48 bis 51, 56, 58, 60, 62, 66 bis 71 und 73 bis 76 sol- len auf Wunsch der Fragestellerinnen und Fragestel- ler in der nächsten Fragestunde beantwortet werden.)

Dann darf ich Sie noch darauf hinweisen, dass eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der AfD betreffend leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr schaffen – Investitionen in Infrastruktur statt Populismus, Drucks. 21/857. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 35 und kann, wenn niemand widerspricht, zusammen mit Tagesordnungspunkt 16, dem Setzpunkt der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, aufgerufen werden.

Damit kommen wir nun zur Feststellung der Tagesordnung für die 15., 16. und 17. Sitzung mit den eben besprochenen Änderungen und Ergänzungen. Ich frage: Gibt es Einwände? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Tagesordnung so genehmigt.

Nach dem vorliegenden Ablaufplan tagen wir heute voraussichtlich bis ca. 17:50 Uhr.

Ich darf ganz herzlich die Besucherinnen und Besucher der heutigen Plenarsitzung willkommen heißen. Schön, dass Sie da sind.

(Allgemeiner Beifall)

Ich darf Sie zudem noch informieren, dass heute Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Scholl-Schule aus Bensheim den Hessischen Landtag besuchen, um zusammen mit den Schülerpraktikantinnen und Schülerpraktikanten der Kanzlei während des Seminars „Im Zentrum der Landespolitik“ die Gelegenheit zu nutzen – natürlich neben der Teilnahme an unserer Plenarsitzung –, auch Gespräche und Interviews mit Ihnen zu führen. Ich wünsche Ihnen angenehme Gespräche.

Wir kommen zu den Entschuldigungen. Entschuldigt fehlen heute ganztägig die Abgeordneten Johannes Marxen, AfD, Marcus Resch, AfD, Michael Boddenberg, CDU, Dirk Gaw, fraktionslos. Ich darf fragen, ob es weitere Entschuldigungen gibt. – Herr Schon, bitte schön.

Frau Präsidentin, ich muss Herrn Stefan Schneider krankheitsbedingt entschuldigen.

Vielen Dank. Das haben wir notiert. – Es gibt keine weiteren Entschuldigungen. Dann wünschen wir auf diesem Weg allen gute Besserung.

Jetzt kommen wir noch zu schönen Nachrichten. Ich darf nachträglich ganz herzlich dem Abgeordneten Lucas Schmitz der CDU-Fraktion zu einem runden Geburtstag – man sieht es Ihnen an, es sind noch junge Jahre –, zu Ihrem 30. Geburtstag, gratulieren. Wir wünschen Ihnen alles Gute.

(Allgemeiner Beifall)

Die Glückwünsche des gesamten Hauses habe ich, wie gewohnt, schon längst überbracht. Insofern noch einmal alles Gute für Sie.

Ich darf Sie jetzt noch darauf hinweisen, dass heute im Anschluss an die Plenarsitzung der Haushaltsausschuss in Sitzungsraum 510 W zusammenkommt. Ab 20 Uhr findet das Treffen Handwerk und Politik, der sogenannte „Rheingauer Dialog“, in der Kelterhalle des Schlosses Reinhartshausen in Eltville-Erbach statt.

Damit sind wir am Ende der amtlichen Mitteilungen angekommen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung

Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur

Demokratie braucht Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur für ein freies, kritisches, lebendiges Miteinander

Die vereinbarte Redezeit beträgt 20 Minuten. Nun hat Herr Staatsminister Gremmels das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Zuschauerrängen! Wir leben in global herausfordernden Zeiten voller Unsicherheiten, voller multi

pler Krisen. Das bereitet vielen von uns Sorge. Aber Sorge und erst recht Angst lösen die realen Probleme nicht. Unsere Demokratie wird aktuell von den verschiedensten Kräften infrage gestellt. Das dürfen wir aber nicht zulassen. Im 75. Jahr des Bestehens unseres Grundgesetzes ist es unsere ureigenste Aufgabe als Demokratinnen und Demokraten, diese Werte zu verteidigen.

(Beifall CDU, SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Freie Demokraten)

Oberstes Ziel bleibt eine freiheitliche, friedliche und gerechte Gesellschaftsordnung. Dafür stehe ich als Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, dafür steht diese Hessische Landesregierung.

Der Blick zurück auf unsere Geschichte und der Blick in andere Länder zeigen klar, wie Demokratien immer wieder und immer weiter ausgehöhlt und entkräftet werden. Ganz besonders haben wir diese Erfahrung im nationalsozialistischen Deutschland gesammelt. Propaganda, brutale Hetze und Ausgrenzung von vermeintlich Andersartigen führten zur Gleichschaltung, zur Totalkontrolle, zum Massenmord an Juden, zu dem, was der Historiker Dan Diner den „Zivilisationsbruch“ nannte.

Ich möchte Ihnen danken, Frau Präsidentin, für die sehr bewegende Gedenkstunde, die wir soeben erleben durften. Die heutige Gedenkstunde anlässlich des 80. Jahrestages vom 20. Juli 1944, als mutige Männer und Frauen den befreienden Umsturz des Nationalsozialismus versuchten, erinnert uns daran, dass nichts entschieden ist, dass es kein Schicksal gibt, dem wir uns ergeben müssen, dass in jedem Moment der Geschichte die Dinge auch anders laufen können – wenn wir es nur wollen und wenn wir dazu bereit sind, unsere Demokratie zu verteidigen und das mitunter mit dem eigenen Leben bezahlen zu müssen.

Dies muss uns mahnen, dies muss im Gedächtnis bleiben angesichts des erheblichen Zulaufs der Menschen zu rechtsextremistischen Parteien. Wir wissen, wo diese Parteien hinwollen. Wir treten diesen Hetzern klar und konsequent entgegen, ganz gleich, ob in den Parlamenten oder auf der Straße.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt Freie Demokraten)

Genauso entschlossen und genauso konsequent treten wir dem Antisemitismus entgegen, der nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 unverhohlener denn je auch bei uns grassiert. Ihm treten wir entgegen, ganz gleich, ob auf den Hochschul- oder auf anderen Demonstrationen. Auch hier heißt es: Haltung zeigen.

Wir werden die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, sich aktiv für unsere Demokratie einzusetzen; und ich war sehr froh, als Anfang dieses Jahres Hunderttausende von Menschen auf den Straßen waren, um für unsere Demokratie zu streiten. Diese Menschen haben die Unterstützung dieser Landesregierung.

(Beifall CDU und SPD)

Die Stärkung der Demokratie und ihrer Resilienz ist eine Aufgabe, die auf vielen Säulen steht. Klar ist aber, dass die Ausbreitung von Populismus und Extremismus eben nicht allein durch einzelne Maßnahmen wie Gesetzesverschärfungen, verbesserte Bildungsangebote oder einzelne Demokratieprojekte bekämpft werden kann. Es ist vielmehr das gesellschaftliche Klima insgesamt, das wir resilienter,

das wir widerstandsfähiger gegen Extremismus und Populismus machen müssen. Es ist die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit, die auch funktionieren muss.

(Beifall CDU und SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, daher habe ich mich entschlossen, die Bekämpfung des Extremismus mit den Mitteln der Wissenschaft in den Fokus meiner Arbeit zu stellen. Die Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stellt eine große Herausforderung dar. Es braucht neben gut vernetzten Sicherheitsbehörden und funktionierenden Medien auch Grundlagenwissen, auch anwendungsorientierte Expertise. Wir müssen verstehen, wohin sich unsere Gesellschaft bewegt, welche Strukturen sich aktuell ausbilden. Nur wenn wir das verstehen, können wir gezielt gegensteuern. Nur dann können wir gezielt fördern.

Kultur und Wissenschaft sind dafür von entscheidender Bedeutung. Kultur und Wissenschaft sind Kernelemente der Demokratie. Kultur und Wissenschaft sind keine Extras. Kultur und Wissenschaft sind kein Luxus. Kultur und Wissenschaft sind kein Nice-to-have. Sie sind vielmehr existenzielle Grundlage, auf der freiheitliches, gerechtes, solidarisches und zukunftsoffenes Denken und Handeln erst entstehen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist es, was Kultur und Wissenschaft sind.

(Beifall CDU, SPD und Dr. Stefan Naas (Freie De- mokraten))

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ – so haben es die Mütter und Väter des Grundgesetzes unter dem Eindruck des NS-Unrechtsregimes in Art. 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes verankert. Im Juli vor 40 Jahren wurde das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst eigenständig, und seither haben sich seine Ministerinnen und Minister, ganz egal, welcher Partei sie angehörten, als Hüter der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit verstanden.

Ich weiß mich hier in gemeinsamer Verantwortung mit all meinen Vorgängerinnen und Vorgängern wie Christine Hohmann-Dennhardt von der SPD, wie Ruth Wagner von der FDP, wie Angela Dorn von den GRÜNEN und, nicht zuletzt, wie Boris Rhein von der CDU. Sie alle haben die gleiche Aufgabe gehabt, Wissenschafts- und Kulturfreiheit zu schützen.

(Beifall CDU und SPD)

Wissenschaft findet statt auf der Grundlage von Erkenntnisinteressen, nicht auf der Grundlage politischer Einstellungen. Wir müssen uns vor der romantischen Überlegung hüten, dass Wissenschaft an sich gut sei. In der Demokratie ist Wissenschaft ein Akt der Aufklärung und erlaubt dem Einzelnen wie der Gesellschaft, neue Wege einzuschlagen. Dies führt zu einer Dynamisierung der Gesellschaft und kann dazu beitragen, schwierige Situationen zu meistern. Neue Erkenntnisse im Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin spielen hier eine besondere Rolle – denken Sie nur an die Zeit der Corona-Pandemie.

Damit Wissenschaft und Hochschulen neue Wege gehen können, müssen sie hinreichend ausgestattet sein, auch finanziell. Sie müssen vor einer reinen Zweckrationalität und vor einer reinen Vermarktbarkeit geschützt werden.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und vor Kürzungen!)

Das macht übrigens eine der Stärken des deutschen Forschungsstandorts aus. Einsichten der Sozial- und Geisteswissenschaften erlauben es uns, überhaupt erst zu verstehen, wohin wir uns geschichtlich entwickeln, worin gesellschaftliche Dynamiken, Konflikte und Lösungen bestehen, auf die wir nur kommen, weil wir dazu intensiv geforscht haben.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und warum kürzen Sie da?)

Die hessische Wissenschaftslandschaft beweist ein enormes Innovationspotenzial. Sie konnte 2024 drei von zehn Leibniz-Preisen nach Hessen holen. Die Lehrstühle der ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhalten dadurch zusätzliche Forschungsmittel in Höhe von 2,5 Millionen Euro. In der ersten Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder aus dem Februar 2024 wurden von bundesweit 143 Skizzen nur 41 zur Antragstellung aufgefordert. Unter diesen 41 waren allein fünf hessische Vorhaben. Zusammen mit zwei bestehenden Exzellenzclustern wird Hessen damit an insgesamt sieben Vollanträgen beteiligt sein. Das ist ein großer Erfolg auch meiner Vorgängerin. Das zeigt, wie wichtig der Forschungsstandort Hessen ist.