Protocol of the Session on February 3, 2022

Hochverehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu unserem Alltag in Corona-Zeiten zählen mittlerweile auch mancherorts die sogenannten Spaziergänge von Bürgerinnen und Bürgern, die auf diese Weise ihren Protest gegen die Maßnahmen des Staates zur Pandemiebekämpfung zum Ausdruck bringen wollen.

Was bei dieser Debatte zunächst irritiert, ist die sprachlich verharmlosende Verwendung des Begriffs „Spaziergang“. Der Staatsrechtler Johannes Hillje bezeichnet dies als politisch motiviertes Framing. Mit dem Begriff des Spaziergangs solle der Eindruck erweckt werden, dass es sich hierbei noch nicht einmal um einen politischen Protest handle, sondern um eine spontane, friedvolle, eher unpolitische und im Grunde bürgerliche Freizeitaktivität. In der Realität aber habe man es mit Protesten zu tun, die mindestens teilweise auch von populistischen oder von radikal rechten Kräften vereinnahmt seien. Das sei, so Johannes Hillje, eine strategische Selbstverharmlosung. Man wolle sich ein bürgerliches Antlitz geben, um somit in der Mitte der Gesellschaft Anschluss zu finden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte dazu in seinem Gespräch zum Thema Hass und Gewalt in der Pandemie, der Spaziergang habe seine Unschuld verloren. Jedenfalls gelte das, so Steinmeier, für die letzten Monate; denn hier würden Hygieneregeln und Corona-Auflagen bewusst umgangen, Arztpraxen und Impfbusse auf Marktplätzen attackiert, die Wohnhäuser von Politikerinnen und Politikern, insbesondere von Kommunalpolitikern, belagert, Polizeikräfte gezielt verletzt; Fackelträger und Mordandrohungen machten Schlagzeilen.

Deshalb warnt er und warne auch ich davor, Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie zu unterschätzen. Hass und Gewalt in Hessen werden nicht geduldet und deshalb mit allen rechtsstaatlichen und gesellschaftlichen Mitteln angegangen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Auf der anderen Seite gilt: Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut des Grundgesetzes, und die Demokratie braucht die lebendige Debatte. Es darf dabei auch keine Rolle spielen, ob wir oder ob eine Mehrheit in der Gesellschaft die da zum Ausdruck gebrachten Meinungen teilen. Meinungsfreiheit gilt auch für Meinungen, die einen Faktencheck nicht bestehen. Viele Maßnahmen, die von der Bundesregierung oder auch den einzelnen Bundesländern verordnet werden, sind in der Bevölkerung durchaus umstritten. Dass diese Sorgen auch auf die Straße getragen werden, darf nicht überraschen, und wir nehmen dies auch absolut ernst.

Wir sollten auch Impfängste ernst nehmen, auch dann, wenn wir sie nicht teilen. Bei manchen ist die Angst nun einmal größer als die Überzeugungskraft wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wer „spaziert“ oder demonstriert, muss aber wissen, dass staatlich angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen wie das Tragen einer medizinischen Maske oder Abstandsregelungen auch für ihn gelten und einzuhalten sind – Punkt. Da gibt es kein Vertun: Regeln gelten für alle.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Rolf Kahnt (fraktionslos) – Zurufe AfD)

Im Großen und Ganzen sind diese Montagsspaziergänge auch kein Problem. Sie laufen in der Regel geordnet ab, die Regeln werden weitestgehend eingehalten. Es sind ganz überwiegend normale Bürgerinnen und Bürger, die friedlich demonstrieren. Aber täuschen wir uns nicht: Rechtsextremisten und andere Demokratiefeinde versuchen, diese Proteste für sich zu vereinnahmen und zu unterwandern. Querdenker und Corona-Leugner marschieren mit, Anhänger von NPD und des Dritten Weges werben in den Netzwerken für solche Spaziergänge. Wir alle sind deshalb aufgefordert, wachsam zu sein. Der Staat mit seinen Organen ist wachsam. Das Landesamt für Verfassungsschutz und unsere Polizeibehörden wissen um die Gefahren und haben ein wachsames Auge auf das Geschehen.

(Zuruf AfD)

Aber auch die friedlichen Spaziergänger selbst sind aufgefordert, genau hinzuschauen, mit wem man da vielleicht zusammen demonstriert. Wer in seinem Protest ernst genommen werden will, der muss auch dann eine klare Kante zeigen, wenn es zu extremistischen Äußerungen oder zu antisemitischer Hetze kommt. Das erwarten wir von jedem anständigen Demonstranten.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist zwar so, dass diese Montagsspaziergänge derzeit an vielen Orten auftauchen, aber das ist auch ein Teil der Strategie, dass dies sehr dezentral und somit wie ein Massenphänomen aussieht. Aber es ist objektiv gesehen nur ein kleiner Teil der Gesellschaft, der sich hier organisiert.

(Zuruf CDU: So ist es! – Dr. Frank Grobe (AfD): Stimmt nicht!)

Aber diese kleine Minderheit bekommt sehr viel Aufmerksamkeit, auch durch ihre Lautstärke, und deshalb darf man sie im Grunde genommen auch nicht größer machen, als sie letztendlich ist.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Wer redet denn darüber?)

Denn es gibt ohne Zweifel eine große Mehrheit der Vernünftigen, der Menschen, die Verantwortung für andere zeigen. Diese Mehrheit muss allerdings auch politisch erkennbar werden. Sie darf sich nicht zurückziehen. Meine Damen und Herren, deshalb müssen wir zeigen, dass wir auf der Seite derjenigen stehen, die täglich mit ihrer Arbeit in den Kliniken, in den Arztpraxen,

(Robert Lambrou (AfD): Die gehen auch auf die Spaziergänge; gerade die aus dem Gesundheitswesen!)

bei den Impfstellen, bei den Pflegeeinrichtungen, in den Gesundheitsbehörden oder an anderen Stellen dazu beitragen, diese Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen zu überwinden. Auf deren Seite stehen wir, und Sie können sich dem gerne anschließen.

(Robert Lambrou (AfD): Diese Pflegekräfte gehen mit bei den Spaziergängen wegen der Impfpflicht!)

Denn Hass und Proteste bringen uns nicht weiter. Wir wollen diese Pandemie überwinden. Dazu helfen auch ein Stück weit die Maßnahmen, die wir hier beschlossen haben. Die Demonstrationen haben ihr gutes Recht, aber sie müssen auch entsprechend der Gesetzeslage ablaufen. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Spaziergänge verharmlosen das Geschehen. Wer mit Rechten marschiert, steht auf der falschen Seite der Geschichte, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Bauer. – Jetzt spricht der Kollege Stefan Müller, FDP-Fraktion.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident! Vorweg zwei Punkte zur Klarstellung:

Erstens. Die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit sind Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie und werden deswegen von uns als Freien Demokraten hier im Hessischen Landtag immer verteidigt werden.

(Beifall Freie Demokraten)

Demonstrieren kann jeder; das ist sein gutes Grundrecht, und das muss so sein.

Zweitens. Genauso klar ist aber, dass die Versammlungsund die Meinungsfreiheit auch nicht missbraucht werden dürfen. Das ist der Fall, wenn Demos nicht angemeldet werden, und zwar bewusst nicht angemeldet werden, und auch wenn Rechtsextreme oder andere neuere extreme Gruppierungen versuchen, diese Demonstrationen zu nutzen, um Wasser auf ihre Mühlen zu bekommen.

(Unruhe – Glockenzeichen)

Genau das tun Sie, Herr Lambrou, wenn Sie hier Organisatoren von Demos zitieren. Dann versuchen Sie, diese Demonstrationen als Wasser auf Ihre Mühlen der AfD zu nutzen.

(Robert Lambrou (AfD): Nein, ich versuche ihnen eine Stimme im Parlament zu geben!)

Das ist das, was ich Ihnen vorhalte. Sie wollen diese Gesellschaft spalten, und Sie wollen an dieses System heran.

(Robert Lambrou (AfD): Nein!)

Das ist die perfide Strategie der AfD. Dagegen werden wir hier im Hessischen Landtag genauso eintreten.

(Beifall Freie Demokraten, CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SPD – Robert Lambrou (AfD): Ich versuche das schon seit über drei Jahren!)

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle einmal einen ganz herzlichen Dank an die hessische Polizei aussprechen, die es nämlich in den letzten Wochen geschafft hat, diese schwierige Situation mit nicht angemeldeten Spaziergängen, zum Teil auch angemeldeten Demonstrationen zu bewältigen, ohne dass es zu größeren Ausschreitungen und Problemen gekommen ist.

(Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

An der Stelle einen ganz herzlichen Dank an die hessische Polizei, die mit vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Einsatz ist.

(Beifall Freie Demokraten, CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SPD und Robert Lambrou (AfD))

Ich glaube, wir sollten uns intensiv mit der Frage beschäftigen – und das hat der eine oder andere Vorredner erfreulicherweise auch getan –, warum es zu diesen Demonstrationen kommt.

(Zuruf AfD: Genau!)

Natürlich ist nach zwei Jahren der Einschränkungen von Freiheiten im Rahmen der Corona-Pandemie

(Robert Lambrou (AfD): Deutschland ist darin Weltmeister!)

eine Unzufriedenheit an vielen Stellen vorhanden. Natürlich wurden viele Maßnahmen nicht ausreichend erklärt, natürlich wurden auch zum Teil sinnlose Maßnahmen beschlossen. Gegen solche Dinge muss und darf man auch in diesem Land demonstrieren und auf die Straße gehen.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Danke schön!)

Es gibt keine guten und schlechten Demonstrationen; es gibt Demonstrationen. Und man muss und kann in diesem Landtag zu jeder Demonstration seine Meinung sagen. Demonstrieren ist ein Grundrecht. Aber ich muss deswegen noch lange nicht hier im Hessischen Landtag die Meinung derjenigen teilen, die dort unterwegs sind. Das ist genauso klar, meine Damen und Herren.

(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frank Grobe (AfD): Wir beschweren uns doch gar nicht!)

Ja, doch, ich habe schon das Gefühl, dass gerade Sie von der AfD das machen. Sie kritisieren die „Fridays for Future“-Demonstrationen hier genauso. Hier sagen Sie aber, die linke Seite darf die Demonstrationen nicht kritisieren, die von der AfD und von anderen angemeldet werden.

(Zurufe AfD: Nein! – Robert Lambrou (AfD): Das war ein Vergleich der Doppelmoral! Natürlich ist „Fridays for Future“ auch legitim!)

Doch. – Es darf hier jede Meinung diskutiert werden. Wir sind hier das Parlament, wir sind hier das Haus der Demokratie. Hier gibt es sogar das Recht und die Pflicht, solche Fragen, die die Gesellschaft im Moment bewegen, zu diskutieren. Deswegen finde ich die Debatte, die wir heute Morgen hier führen, durchaus in weiten Teilen sehr sachlich, auch von den LINKEN kamen sehr sachliche Äußerungen. An vielen Stellen kann ich mich dem sogar anschließen, was Sie gesagt haben, Frau Kula. Trotzdem ist es unsere Aufgabe, diese Freiheit zu verteidigen und entsprechend deutlich zu machen, dass jeder demonstrieren kann. – Wenn ich Ihre Zwischenrufe höre, wie „Unsere Grundrechte werden eingeschränkt“, dann frage ich mich: Ja, wo denn?

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)