Protocol of the Session on December 10, 2020

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben uns eine wehrhafte Demokratie gestaltet – aus sehr schmerzlichen Erinnerungen. Meiner Ansicht nach sind wir mittlerweile so weit, die Wissensgesellschaft verteidigen zu müssen.

Erinnern wir uns an den Beginn der Corona-Pandemie: Ein Lungenarzt – er hatte nie wissenschaftlich gearbeitet – hat die Zweifel an der Gefährlichkeit des Virus gesät. Inzwischen hat sich aus solchen verzerrten Darstellungen, aus dem Verdruss vieler Menschen über die Einschränkungen in der Pandemie, eine gefährliche Mischung entwickelt.

Bei Demos selbst ernannter Querdenker werden Reichskriegsflaggen geschwenkt,

(Zuruf AfD: Die Homosexuellen-Farben auch!)

Andersdenkende und Journalisten attackiert, die Demokratie infrage gestellt. – Zum Glück habe ich nicht verstanden, was da gerufen wurde.

(Zuruf: Ist auch besser so! – Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

Ich glaube, Sie haben an einigen Stellen nichts verstanden, Herr Kollege Grobe. Aber ich frage Sie einmal ganz direkt und insbesondere den Abg. Scholz: Sie haben sich im November dazugemischt, und zwar ohne Maske. Sie sitzen hier im Ausschuss für Wissenschaft, mit bürgerlichem Deckmantel. Auf der Straße legen Sie diesen ab. Da zersetzen Sie das Vertrauen in die Wissenschaft und das Vertrauen in die Demokratie. Ich frage Sie: Warum sitzen Sie eigentlich in diesem Ausschuss und in diesem Landtag?

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und DIE LINKE – Zurufe AfD)

Aber die Bevölkerung durchschaut Gott sei Dank langsam Ihr Spiel; die Umfragen zeigen es ganz deutlich.

Nehmen wir einmal ein ganz aktuelles Beispiel, die Impfung gegen das Corona-Virus. Hier heißt es für die Politik, für die Gesellschaft, für die Wissenschaft, verantwortlich zu handeln. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, die Notfallzulassung transparent und verständlich darzustellen.

Ja, entscheiden muss jeder und jede selbst. Aber wer durch Propaganda Angst vor einer Impfung verbreitet, wer weglässt, dass die Frage der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen an mehreren Zehntausend Personen getestet worden ist, der gefährdet den Impferfolg und verlängert die Pandemie. Deswegen ist die Frage, wie Sie dazu stehen, eine ganz relevante.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und DIE LINKE)

Jetzt haben Sie, Herr Kollege Lichert, mehrfach die Frage der Haftung angesprochen. Sie haben sozusagen scheibchenweise gesagt, es gehe um die EU. – Nein, auch vonseiten der EU ist die Haftung nicht komplett abgenommen. Ja, es stimmt, bestimmte Risiken der Konzerne werden finanziell abgedeckt werden, nämlich in der Frage der Sicherstellung, dass es früh auf den Markt kommt. Aber was ist denn nicht darunter, Herr Kollege Lichert? Wenn Sie immer wieder diese Informationen weglassen, dann ist das nämlich Halbwissen und Propaganda. Die Haftung gemäß EU-Produkthaftungsvorschriften bleibt bei den Unternehmen. Also sagen Sie doch hier die Wahrheit, und verdrehen Sie sie nicht ständig.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und DIE LINKE)

Deswegen bin ich meiner Fraktion außerordentlich dankbar, dass sie diesen Setzpunkt gebracht hat; denn Angstmacherei, Manipulation und Lügen schwächen unser aller Immunsystem, und das ist die Stärke unserer Demokratie.

(Vereinzelter Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der beste Impfstoff dagegen ist Wissen, gegen die Pandemie und am Ende für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Ich glaube, dass diese Debatte um Corona im Moment eines ganz deutlich zeigt: Die Welt braucht klare Fakten – klare Fakten, aber verständlich erklärt. Die Gesellschaft muss mehr verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass es eben um Versuch und Irrtum geht und dass es bei komplexen Zusammenhängen nicht geht, dass man einfach Vorhersagen trifft, die linear und ganz klar absolut gültig sind.

Weil die Corona-Pandemie so vieles beschleunigt hat, auch die Wissenschaftskommunikation, ist es wichtig, dass wir uns hier einmal darüber unterhalten, welche Potenziale das hat, aber auch, welche Risiken.

Die Potenziale: Ich hätte bei einer Wette definitiv dagegen gewettet, dass es einmal erreicht wird, dass ein Podcast von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Ranking auf Top 3 aller Charts kommt. Wer sind diese beiden Wissenschaftler? Herr Prof. Drosten und unsere hessische Virologin, Frau Prof. Ciesek.

Auch das Vertrauen ist seit dieser Pandemie Gott sei Dank gestiegen. Warum ist das so? Weil die Menschen spüren, dass die Wissenschaft für sie im Moment wichtig, ja, sogar überlebenswichtig ist. Wissenschaftskommunikation ist auf dem Vormarsch. Das sehen wir bei den Bürgerunis, bei den Science-Slams, ich erlebe es bei meiner „Stunde der Wahrheit“, wenn die Leute danach kommen uns sagen: „Danke schön, das sind echt spannende Formate“, dass wir am Stammtisch direkt in einen Austausch kommen können. Da ist einiges in Bewegung.

Aber wir haben auch deutliche Risiken: Die Erwartung an die Wissenschaft hinsichtlich ihrer Vermittlungsfähigkeit ist enorm gestiegen. Die Arbeit für eine solche Wissenschaftskommunikation – unterhalten Sie sich einmal mit Frau Prof. Ciesek – ist enorm. Noch ist es im Wissenschaftssystem übrigens gar nicht ausgemacht, ob es am Ende ein Profit für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist. Im Gegenteil, es besteht immer die Möglichkeit und das Risiko eines Reputationsverlustes. Hier müssen wir im Wissenschaftsrat gemeinsam nach Lösungen suchen.

Wir haben uns auch kurzfristig entschlossen, im Pandemienetzwerk für die Frage Wissenschaftskommunikation und die vielen Anfragen der Medien zusätzlich zu diesen 4 Millionen € Gelder zur Verfügung zu stellen, damit auch diese Belastung abgemildert werden kann.

Was ich in diesem Haus ganz wichtig finde, ist, dass wir gemeinsam deutlich machen – zumindest vonseiten der demokratischen Parteien –: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Öffentlichkeit ihre Arbeit vertreten, die sich die Mühe machen, so stark in die Öffentlichkeit zu gehen, Opfer von Hass, von Drohungen, ja, sogar von Morddrohungen werden, dann müssen wir uns hinter sie stellen. Dann müssen wir auch ganz klar sagen: Wissenschaft leistet Beratung, die Politik trifft die Entscheidungen; das liegt bei uns. – Insofern wäre es mir sehr wichtig, dass von diesem Haus auch das Signal ausgeht, dass wir hinter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stehen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und DIE LINKE)

Wir schauen gerade alle auf die führenden Virologen in Deutschland, auf die in Hessen, und ich glaube, zumindest ich bin stolz, aber wahrscheinlich sehr viele in diesem Raum, welch hohe besondere Kompetenz unsere medizinführenden Universitäten in Marburg, in Gießen und in Frankfurt haben, sowohl bei der Erforschung des SARSCoV-2-Virus als auch bei der Erkrankung COVID-19. Ich möchte das an dieser Stelle auch ganz persönlich sagen: Danke schön. Danke an Frau Prof. Ciesek, danke an Herrn Prof. Becker und Herrn Prof. Ziebuhr, an die ganzen Teams und an Herrn Prof. Graf als Leiter des Hessischen COVID-Planungsstabs. Ihr Einsatz für unser Land ist außergewöhnlich, und ihr Erfolg ist alles andere als selbstverständlich.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte mich auch bei meinem Kollegen Kai Klose bedanken; denn auch das ist nicht selbstverständlich: Tag für Tag und Nacht für Nacht ist er gerade mit diesen Personen im Daueraustausch. Die Empfehlungen, die wir hier für die Corona-Pandemie haben, müssen tagtäglich in Politik umgesetzt werden, tagtäglich in einer schwierigen Abwägung. Dass wir in Hessen so vorankommen, haben wir maßgeblich genau dieser guten Kommunikation zu verdanken.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Herrn Lorz auch!)

Frau Kollegin Sommer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es interdisziplinär sein muss. Das ist es auch jetzt übrigens schon.

Wir haben durch EFRE-Mittel und weitere Sondermittel durchaus auch andere Bereiche gestärkt. Sie hatten die Aerosolforschung angesprochen. Dazu haben wir vor Kurzem eine Studie auf den Weg gebracht. Das heißt: Das ist nicht nur die Virologie. Richtig ist, das gesamtgesellschaftlich zu sehen.

Mir ist wichtig, zu sagen, dass noch vor wenigen Jahren die Virologie gar nicht das Topthema war, im Gegenteil. Warum sind wir eigentlich bei den Standorten in Frankfurt, aber auch in Bonn und in Berlin so schnell auf den Weg gekommen? Wie ist es so schnell gelungen, Laborarbeit an Corona-Viren aufzunehmen? Weil Herr Prof. Drosten an diesen Standorten war, weil man technisch und personell aufgerüstet hatte und man das, obwohl keine Aufmerksamkeit auf diesen Bereichen lag, erhalten und weiter daran geforscht hat.

Warum haben wir in Marburg das BSL-4-Sicherheitslabor? Weil es damals, 1967, den Ausbruch des Marburg-Virus gab. Seitdem wird dort mit hoher wissenschaftlicher Exzellenz an Impfstoffen gegen verschiedenste hoch pathogene Viren gearbeitet.

(Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

Es gab hohe Investitionen von Bund und Land in das Sicherheitslabor. 2018 wurde das LOEWE-Zentrum DRUID gegründet. 19 Millionen € hat das Land in die Hand genommen. Das galt damals den Erregern von Krankheiten, die vor allem in tropischen Ländern auftreten und die sonst oft vernachlässigt werden. Jetzt in der Pandemie können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die dabei gewonnenen Erkenntnisse aufbauen.

Ich nenne ein letztes Beispiel: Biontech und die Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci aus dem benachbarten Universitätsklinikum Mainz hatten eigentlich nicht zum Ziel,

einen Impfstoff gegen Corona, sondern gegen Krebsformen zu entwickeln. Weil die Methodik und die Technik so vergleichbar sind, haben sie und ihr Team es geschafft, kurzfristig eine Impfung gegen diesen Virus hervorzubringen. Das zeigt auch, welche enorme Innovationsfähigkeit in der Universitätsmedizin liegt.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Dorn, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die zwischen den Fraktionen vereinbarte Redezeit abgelaufen ist.

Ich komme gleich zum Schluss. – Eines beweist das: Wissenschaft braucht einen langen Atem.

Die Politik hat die Verantwortung, im Bereich der Forschung überall zu fördern – nicht nur da, wo es Trendthemen gibt –, insbesondere in der Breite der Universitätsmedizin, weil wir nicht wissen, was morgen oder übermorgen die Herausforderungen sind. Deswegen – Frau Kollegin, darauf möchte ich gern eingehen – haben wir auch die Grundfinanzierung der Hochschulen so deutlich gestärkt, weil die Frage der Drittmittelabhängigkeit durchaus sehr relevant ist. Ich bin völlig einig in der Frage der Universitätsmedizin: Hier streiten wir seit Jahren als Land Hessen gemeinsam mit anderen Bundesländern, diese endlich nach vorn zu bringen.

Herr Kollege Büger, ich frage Sie, ob Sie sich vielleicht das LOEWE-Programm noch einmal anschauen wollen, weil Sie der Meinung sind, dass wir nur entsprechend politischen Vorgaben förderten.

(Zurufe Freie Demokraten)

Ich frage Sie, warum Sie dieses Programm so angreifen. Denn das ist unsere Forschungsförderung.

(Zuruf Freie Demokraten: Nein!)

Wenn Sie das selbst entwickelt haben, ist das alles höchst seltsam. Wenn das eine Ministerin der GRÜNEN verantwortet, ist das alles plötzlich ganz falsch.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe Freie Demokraten)

Spitzenforschung wird von unabhängigen Experten und mit zum großen Teil völlig offener Thematik gefördert – genauso wie interdisziplinäre Zusammenarbeit. Was haben wir bei LOEWE neu auf den Weg gebracht? Zum einen haben wir LOEWE-Professuren mit Blick auf die Köpfe eingerichtet. Kollegin Wissler hat gesagt: Bei Forschung muss man immer damit rechnen, dass Forschung scheitert. „Forschungsfreiheit“ heißt, dass wir uns genau das leisten. Bei Forschung sollte nicht von vornherein feststehen, ob es richtig wird oder nicht. Hier haben wir einen neuen Baustein gesetzt. Wenn es keine Gewissheit gibt, ob die Ergebnisse am Ende so kommen, wie man es sich wünscht, gibt es gleichwohl Fördermittel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben den Ansatz für LOEWE noch einmal deutlich erhöht: von 59 Millionen € auf 74 Millionen €. Ansonsten, Herr Kollege Büger, wäre ich wirklich sehr dankbar, wenn Sie Ihre Behauptungen mit Belegen unterfüttern würden;

denn die Zitate, die Sie über mich gebracht haben, sind völlig aus der Luft gegriffen.