Protocol of the Session on December 9, 2020

(Beifall Freie Demokraten und Erich Heidkamp (AfD))

Bevor ich nun Herrn Dr. Wilken von den LINKEN das Wort erteile, habe ich noch einmal die Bitte an Sie alle, dass Sie den Mund-Nasen-Schutz bitte auch über der Nase tragen. – Vielen Dank dafür.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem normalen Haushaltsjahr hätte ich jetzt mit dem Satz begonnen: Das Beste, was man an dem Haushaltsentwurf feststellen kann, ist, dass er die Situation in der Justiz nicht verschlechtert.

Die Situation ist schwierig genug. Meine Vorrednerinnen haben bereits darauf hingewiesen; ich begnüge mich mit ein paar Schlagworten: überlange Verfahrensdauern, Personalüberlastung, Personalmangel und auch der eine oder andere Skandal, der schon erwähnt worden ist.

Wir sind aber nicht in einem normalen Haushaltsjahr. Deswegen muss ich den zweiten Satz sagen: Das, was auf die Gerichte – bei Arbeitsgerichten, bei Sozialgerichten, auch bei den Verwaltungsgerichten – an zusätzlichen Verfahren wegen Corona zukommt, ist in diesem Haushaltsentwurf nur ungenügend berücksichtigt. Auch das wurde schon erwähnt: Nur ungenügend ist berücksichtigt, dass wir z. B. zusätzliche Wachtmeisterdienststellen brauchen, wenn wir Verfahren außerhalb der Gerichtsgebäude durchführen.

(Beifall DIE LINKE und Gerald Kummer (SPD))

Ich füge einen dritten Satz an, weil mir das mit der Ankündigungsministerin eben so gut gefallen hat. Frau Justizministerin, in dem Zusammenhang stößt es mir schon sehr unangenehm auf, wenn Sie bundesweit damit antreten, jetzt eine Gebühr für sogenannte Vielkläger einführen zu wollen, um z. B. die Sozialgerichtsbarkeit zu entlasten. Das werden wir an anderer Stelle in diesem Hause noch einmal zu diskutieren haben. Aber ich will ganz deutlich sagen: Dass wir da so viele Klagen haben, liegt an den

schlechten Bescheiden, die insbesondere von deutschen Behörden ausgestellt werden. Zum Glück haben wir dann noch die Gerichtsbarkeit, die das korrigiert. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Für die Landesregierung erteile ich der Frau Justizministerin das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Justiz nimmt in der Pandemie eine herausgehobene Rolle ein. Nur eine gut aufgestellte dritte Gewalt, die unabhängig ist – Herr Kummer, darauf komme ich noch zurück –, kann in dem Spannungsfeld zwischen pandemiebedingten staatlichen Maßnahmen und Grundrechtseinschränkungen bei Bürgerinnen und Bürgern ausgleichen. Dafür sind wir gut gerüstet; denn das Justizaufbauprogramm geht auch in der Krise weiter. Im vorliegenden Haushalt gibt es 50 neue Stellen für die Justiz.

Keine Krise hat in den letzten Jahrzehnten zu so weitreichenden Grundrechtseinschränkungen geführt wie diese. Das spüren auch die Bürgerinnen und Bürger. In diesem Kontext spielt die Justiz eine herausgehobene Rolle; denn nur eine unabhängige dritte Gewalt kann in diesem Spannungsfeld einen Ausgleich der Interessen herbeiführen.

Jede Maßnahme des Staates zur Bekämpfung der Pandemie kann von Bürgerinnen und Bürgern beklagt werden – und fast jede wird es auch. Mehr als 150 Verfahren in diesem Kontext waren bisher an den hessischen Verwaltungsgerichten und dem Verwaltungsgerichtshof anhängig, und sie werden von den Gerichten unabhängig entschieden.

Das Justizaufbauprogramm beschränkt sich nicht nur auf den Personalaufbau, vielmehr gibt es 2,4 Millionen € zusätzliche Mittel zum Vollzug, die unter anderem in die Sicherheit der Justizvollzugsanstalten investiert werden. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Bediensteten der Justizvollzugsanstalten ganz herzlich Danke sagen und allen meine Anerkennung aussprechen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine schwierige Tätigkeit. In den Justizvollzugsanstalten wird 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche ein öffentlich kaum wahrnehmbarer, aber umso wichtigerer Dienst für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserem Land erbracht. Die Pandemie hat gerade im Vollzug zu erheblichen Veränderung der Rahmenbedingungen in Haftanstalten geführt. Inhaftierte mussten in Zugangsquarantäne, Besuchszeiten und Arbeitsmöglichkeiten mussten zur Minimierung von Ansteckungsrisiken gestrichen werden, und vieles mehr.

Deshalb ist es vor allem dem besonnenen und beherzten Einsatz unserer Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten zu verdanken, dass die Maßnahmen in Hessen so geräuschlos umgesetzt werden konnten und gegriffen haben und es nicht zu Szenen kam, wie sie am Anfang der Pandemie in anderen europäischen Ländern, wie z. B. in Italien, zu sehen waren.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bediensteten haben aber nicht nur den schwierigen Rahmenbedingungen getrotzt, sondern sich für die gesamte Justiz engagiert. Da will ich nur daran erinnern, dass die Acrylglastrennscheiben für alle Gerichte und auch viele Exemplare vom Mund-Nasen-Schutz produziert worden sind.

Ich freue mich sehr, dass durch den Haushaltsentwurf Mittel für die Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen der Inhaftierten vorgesehen sind.

Jetzt komme ich zur Digitalisierung. Was hier von Herrn Kummer und von Frau Schardt-Sauer vorgetragen worden ist, hat noch nicht einmal etwas mit den Zahlen zu tun, die im Haushalt stehen, geschweige denn, mit der Zusammenstellung. Das E-Justice-Projekt ist eines der größten Projekte. Über 22 Millionen € werden dort investiert – im Haushalt 2021 auch. Wir sind gut digital aufgestellt. Und noch einmal wird durch diesen Haushaltsplanentwurf die Digitalisierung in der Justiz verbessert.

Das Justizaufbauprogramm mit den Herausforderungen der Pandemie haben Frau Förster-Heldmann und Herr Heinz eben schon erwähnt. Ich will aber zum Stellenprogramm – Frau Förster-Heldmann hat das auch erwähnt – darauf hinweisen, die letzten Jahre zu betrachten. Bereits im Jahr 2020 wurde die Justiz mit 309 zusätzlichen Stellen ausgestattet. Das war der höchste Personalanstieg der vergangenen Jahre. Mit dem Haushaltsplanentwurf der Landesregierung für das kommende Jahr verzeichnet die Justiz seit 2017 – Herr Kummer, gut zuhören – einen Stellenzuwachs von 712 Stellen.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Die Sie vorher abgebaut hatten! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen)

Deswegen will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass in diesen Bereichen – –

(Christian Heinz (CDU): Herr Kummer meldet sich!)

Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

(Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Nein!)

Nein, auch gut.

Danke schön. – Dann will ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Pandemie bei der Justiz jedenfalls nicht dazu geführt hat, dass es einen Lockdown gegeben hat; der Kollege Heinz hat das eben schon gesagt. Alle wichtigen Dienstgeschäfte sind in den Justizvollzugsanstalten, den Staatsanwaltschaften und den Gerichten weiterhin erledigt worden. Deshalb will ich mich nicht nur bei den Justizvollzugsbediensteten, sondern bei allen Bediensteten der hessischen Justiz bedanken. Das betrifft die Richter, die Staatsanwälte, die Rechtspfleger, die Serviceeinheiten, aber natürlich auch alle Wachtmeister, die unter den Bedingungen der Pandemie den Rechtsstaat repräsentiert und ihn aufrechterhalten haben.

Die Personalverstärkungen der letzten Jahre zeigen auch Wirkungen bei den Themen abseits der Pandemie wie der Bekämpfung von Hate Speech. In diesem Jahr haben wir

das weiter intensiviert und insbesondere die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Frankfurt ausgebaut. Unsere Kooperation mit Akteuren der Zivilgesellschaft „Keine Macht dem Hass“ hat in diesem Jahr einjähriges Jubiläum gefeiert und wurde durch neue Akteure wie Hit Radio FFH und die Universität Kassel erweitert.

Über 25.000 Meldungen von Hass und Hetze im Netz wurden von sämtlichen Kooperationspartnern im ersten Jahr an die ZIT übermittelt. Zudem werden wir noch in diesem Jahr zusätzliche digitale Wege eröffnen, auf denen Bürgerinnen und Bürger Hasspostings aus sozialen Netzwerken an die Kooperation melden können.

(Beifall Alexander Bauer (CDU))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie wichtig ein durchdachter Haushalt ist, hat sich in diesem Jahr auch an weiteren Punkten gezeigt. Mit dem Haushalt 2020 wurde der Grundstein für das Amt des hessischen Opferbeauftragten der Landesregierung gelegt. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, wie wichtig diese Funktion in diesem Jahr werden würde. Die schrecklichen Anschläge in Hanau und Volkmarsen haben jedoch verdeutlicht, wie wichtig es ist, den Opfern schwerer Gewalttaten mit Prof. Fünfsinn einen kompetenten und feinfühligen Ansprechpartner an die Seite zu stellen.

Weiterhin ist durch den pandemiebedingten Lockdown ein weiteres Problemthema zutage getreten: Es mehrten sich die Berichte über häusliche Gewalt. Die Justiz hatte schon mit dem Haushalt für 2020 und ebenfalls zu einem Zeitpunkt, als das nicht absehbar war, die Angebote für Opfer, aber auch für Täter häuslicher Gewalt stark erweitert. Mit zusätzlichen Mitteln und Stellen wurde das Marburger Modell auf fast alle hessischen Landgerichtsbezirke ausgeweitet. Kern dieses Erfolgsmodells sind Optimierung und Beschleunigung der Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten in Fällen häuslicher Gewalt. Denn nur bis kurze Zeit nach der Tat haben diese Behörden die Möglichkeit, zielgerichtet einzugreifen, Aussagen einzuholen und Beratungsgespräche einzuleiten.

Schließlich hat der Lockdown auch gezeigt, wie wichtig es ist, den Menschen alternative Angebote zur Kommunikation mit Gerichten und Behörden zu ermöglichen. Deshalb will ich erwähnen, dass wir mit dem Digitalen Service Point in der hessischen Justiz seit 2018 eine Möglichkeit zur schnellen und unkomplizierten Kontaktaufnahme per Telefon und E-Mail haben. So werden z. B. allgemeinfachliche Auskünfte zu justizspezifischen Themen wie Betreuungs-, Nachbarschafts- und Vereinsrecht erteilt – ohne Ansteckungsrisiko.

(Beifall Christian Heinz (CDU) und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Jetzt will ich noch Folgendes erwähnen: Herr Kummer, Sie haben immer wieder davon geredet, dass ich in Verfahren eingreifen und die Aufklärung persönlich vorantreiben möge. Deshalb will ich es noch einmal deutlich sagen: Wir befinden uns hier in einem Rechtsstaat

(Beifall CDU)

und nicht in einem Staat, in dem die Ministerin persönlich in Verfahren eingreift. Ich sage es Ihnen zum wiederholten Mal: In diesem Ausschuss können Sie alles fragen. Sie bekommen auch auf alle Fragen eine Antwort – aber dann von den unabhängigen und zuständigen Stellen und nicht von einer Ministerin, von der Sie verlangen, dass sie in

konkrete Verfahren eingreift. Das ist in totalitären Staaten so – nicht in einem Rechtsstaat wie Hessen. Deswegen weise ich das in aller Schärfe zurück.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf Gerald Kummer (SPD))

Den zweiten Punkt, den ich anmerken will, hat Herr Wissenbach gesagt: Bei uns seien Prüfungen verschoben worden. – Nein, mitnichten. Bei uns ist keine einzige Prüfung verschoben worden. Wir sind das einzige Bundesland gewesen, das vom Beginn der Pandemie an bis heute alle Prüfungen im ersten und zweiten Staatsexamen durchgeführt hat. Das hat uns viel Lob und Anerkennung der zu Prüfenden eingebracht. Ich will erwähnen: Der Ausstieg war für den einen oder anderen leichter, wenn er sich nicht wohlfühlte oder nicht wusste, wie er in Pandemiezeiten zum Prüfungsort kommt. Verschoben haben wir keine einzige Prüfung.

Zum Dritten, Frau Schardt Sauer: Wir haben – das steht auch in den Haushaltsberatungen an – in der Fläche investiert. Alle Staatsanwaltschaften und viele Amtsgerichte haben zusätzliche Stellen bekommen.

(Marion Schardt-Sauer (Freie Demokraten) unterhält sich mit Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten).)

Aber wenn Sie nicht zuhören, Frau Schardt-Sauer, brauchen wir den Justizhaushalt nicht zu besprechen;

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn dann sind Sie so ignorant, dass mit Ihnen jedenfalls keine Debatte möglich ist.

Noch etwas, Frau Schardt-Sauer – das können Sie dann im Protokoll nachlesen –: Die Zahl der Videokonferenzanlagen betrug zum 1. März 16. Wir haben in der Zeit, obwohl es Engpässe und Lieferschwierigkeiten gab

(Zuruf Marion Schardt-Sauer (Freie Demokraten))

hören Sie gut zu –, auf 35 Videokonferenzanlagen erhöht, in jedem Landgerichtsbezirk, sodass auch die Amtsgerichte damit ordentlich arbeiten können.