Protocol of the Session on February 23, 2017

Es gab vor drei Jahren schon einmal eine Paralleldiskussion um den angeblich massenhaften Sozialleistungsbetrug durch Rumänen und Bulgaren. Monatelang hat sich die Große Koalition damit beschäftigt, die angebliche Zuwanderung in Sozialsysteme bzw. den Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Bürger zu thematisieren und anzuprangern. Aber auch damals drifteten Faktenlage und fremdenfeindliche Inszenierung weit auseinander.

Tatsächlich war der Kindergeldbetrug durch deutsche Beamte das größere Problem. 2009 deckte der Bundesrech

nungshof nämlich 2.400 Fälle mit einem Schaden von 6,5 Millionen € auf. Warum kümmert sich die SPD nicht einmal darum?

(Zurufe von der SPD: Die FDP!)

Entschuldigung. Das tut mir sehr leid. Können Sie mir noch einmal verzeihen?

(Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Das passiert schon einmal, selbst bei den LINKEN!)

Noch etwas: In diesem Antrag kommt eine ordentliche Portion Doppelmoral zum Vorschein. Die FDP regt sich über die Betrügereien armer Schlucker auf. Sie findet aber nichts dabei, wenn Steuerflüchtlinge dem Fiskus Millionen entziehen. Da ist von der FDP nämlich überhaupt nichts zu hören.

(Florian Rentsch (FDP): Doch!)

Da wird keine Aktuelle Stunde beantragt und von der Landesregierung gefordert, endlich Steuerschlupflöcher und Kapitaltransfers ins Ausland zu stoppen.

(Florian Rentsch (FDP): Doch, wir reden darüber)

Wir haben Ihre Rede doch eben gehört.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin, auch wenn Sie gerade so schön in Fahrt sind: Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Ende.

Diese Steuerflüchtlinge kosten ein Vielfaches dessen, was die Flüchtlinge kosten. Der Fiskus verliert dabei jedes Jahr 100 Millionen €. Das ist ein wirklich wichtiges Thema, das hier einmal zur Sprache gebracht werden sollte. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Faulhaber. – Es spricht jetzt Herr Kollege Ernst-Ewald Roth für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich sage es der Vollständigkeit halber schon einmal am Anfang. Ich glaube, ich bin in den letzten neun Jahren hier keiner flüchtlingspolitischen Debatte ausgewichen. Als ich diese Aktuelle Stunde heute gesehen habe, habe ich mich aber gefragt: Um was geht es da? Es gibt keinen Antrag. Dann muss man sich mit der Überschrift zufriedengeben. Aber die spricht Bände: „Regierung Bouffier muss endlich Doppelbezug von öffentlichen Leistungen stoppen“. – Dann kommt der Zusammenhang. Das ist das eigentlich Perfide und Unerträgliche. „Vollständige Registrierung von Flüchtlingen zügig umsetzen und Datenabgleich ermöglichen“ – natürlich brauchen wir das Zweite. Das ist in den Debatten der letzten Monate immer wieder Thema gewesen. Aber den Zusammenhang herzustellen, dass es mas

senhaften Missbrauch – Doppelbezug – gebe, und den mit den Flüchtlingen in Verbindung zu bringen, ist unerträglich.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Die Frage spielte bereits in der letzten Sitzung des Sozialund Integrationspolitischen Ausschusses eine Rolle. Daraufhin gab es eine Antwort des Ministers in Form eines Briefes an alle Fraktionen. Er ist von den Vorrednern schon genannt worden. Der Brief beantwortet für mich die Fragen. Er sagt auch, wo noch Klärungspunkte sind; aber er erwähnt auch, dass die nicht vom Hessischen Landtag zur klären sind.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Rock?

Nein. – Ich will das deshalb sagen. Ich musste von meinem Arbeitskreiskreis – –

(René Rock (FDP): „Massenhaft“! Wo steht hier „massenhaft“?)

Das suggerieren Sie. – Ich musste von meinem Arbeitskreissprecher buchstäblich genötigt werden, zu diesem Punkt zu reden.

(Gerhard Merz (SPD): Na, na, na!)

Ich hätte heute am liebsten keine Wortmeldung abgegeben, weil ich mich an diesem Spiel, das hier passiert, an der Stelle nicht beteiligten wollte. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Roth. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Wintermeyer. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke meinen Vorrednern, dass sie schon einiges klargestellt haben. Herr Rock, Sie haben zeitnah umfänglich Auskunft von Herrn Staatsminister Grüttner erhalten.

(Florian Rentsch (FDP): Das wollen wir auch einmal loben, weil das sonst nicht der Fall ist!)

Auch wir haben uns gefragt: Was soll das? – Ihre Unterstellung, der Doppelbezug von öffentlichen Leistungen müsse endlich gestoppt werden, suggeriert, dass es einen solchen Doppelbezug in Hessen gibt. Das suggeriert außerdem, wir würden nichts dagegen tun. Beides weise ich ausdrücklich zurück.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. Herr Rock kann ja gern noch einmal ans Rednerpult gehen.

(Florian Rentsch (FDP): Nein! Kann er nicht!)

Ich liefere mir gern noch eine weitere Auseinandersetzung mit ihm.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, es ist meiner Meinung nach klar, dass es Ihnen nicht um Fakten und Lösungsansätze geht, sondern wohl auch um das Aufgreifen populistischer Stimmungsmuster. Die Lautstärke von Herrn Rock zeigt, dass wir ins Schwarze getroffen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, bevor ich hier seitens der Landesregierung die Fakten klarstelle, nutze ich als Flüchtlingskoordinator der Hessischen Landesregierung gern die Gelegenheit, meinen Kollegen, Herrn Sozialminister Grüttner und Herrn Innenminister Beuth, zu danken,

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass sie sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ressorts wirklich Gutes geleistet haben bei der Erstaufnahme und der Unterbringung der Flüchtlinge, bei der Registrierung, bei der Sicherheit sowie bei Start- und Integrationshilfen. Das, was geleistet wurde, ist herausragend. Hessen hat die Herausforderungen der Flüchtlingskrise tatkräftig gemeistert. Das Land ist handlungsfähig. Meine Damen und Herren, das gilt es hier auch einmal im Hessischen Landtag zu würdigen und nicht in Abrede zu stellen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe noch die kleine Hoffnung, dass der FDP-Antrag zur Aktuellen Stunde eher aus Unkenntnis resultiert als aus einer populistischen Absicht. Das beste Rezept gegen beides sind glasklare Fakten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fakt 1: Seit Inbetriebnahme des Ankunftszentrums in Gießen Ende Mail 2016 werden alle neu in Hessen ankommenden Asylsuchenden schon im Rahmen der Erstaufnahme erkennungsdienstlich behandelt und registriert, und zwar mit vollständigen biometrischen Daten. Das heißt, eine Doppelregistrierung ist in Hessen seitdem nicht möglich. Die Daten sind im Ausländerzentralregister hinterlegt. Auch diejenigen, die in der großen Fluchtbewegung 2015 und Anfang 2016 zu uns gekommen sind, wurden im Rahmen des EASY-Gap-Abbaus des vergangenen Jahres registriert und biometrisch erfasst.

Bei den unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden sind die Altfälle ebenfalls erkennungsdienstlich behandelt. Bei den neu ankommenden unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden soll die erkennungsdienstliche Erfassung zeitnah im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme erfolgen. Sozial- und Innenministerium erarbeiten derzeit eine Handlungsempfehlung, um im Dialog mit den zuständigen Kommunen die Abläufe noch weiter zu verbessern.

Fakt ist, meine Damen und Herren: Hessen ist hier gut aufgestellt und weiter als viele andere Bundesländer.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Rock, wenn Sie heute die vollständige Registrierung in Hessen fordern und gleichzeitig damit den Eindruck erwecken, es gäbe große Lücken, dann ist dies schlichtweg Unfug und eine böswillige Verdrehung der Tatsachen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fakt 2: Im Rahmen des EASY-Gap-Abbaus sind bei der Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung der rund 95.000 aufgenommenen Flüchtlinge in Hessen lediglich 54 Doppelidentitäten für die Jahre 2015 und 2016 festgestellt worden. Meine Damen und Herren, wir reden über ein halbes Promille an Fällen, die durch gewissenhafte Prüfung und Registrierung der Behörden aufgedeckt wurden. Sie suggerieren hier aber in populistischer Weise einen massenhaften Missbrauch von Identitäten. Das entspricht nicht den Tatsachen und ist politisch nicht verantwortlich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))