Protocol of the Session on January 26, 2017

Frau Beer, bitte kommen Sie zum Schluss.

Wir müssen uns gemeinsam dafür aufstellen, diese westlichen Werte auf Augenhöhe mit unseren Partnern in den USA weiterzuverbreiten. Das ist klar. Ich persönlich habe meine Sorge, dass das Auswärtige Amt ausgerechnet in so schwierigen Zeiten zur Schiebemasse verkommt. Aber, ich glaube, wir müssen vor allen Dingen die Herzen der Menschen in Europa gewinnen, weil es kein Europa der Bürokraten ist. Europa wird nur eine Zukunft haben, wenn wir es mit den Menschen auf diesem Kontinent gestalten.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Frau Beer. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Waschke das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist derzeit in der Tat in keinem guten Zustand. Wir reden über Flüchtlinge und das Erstarken nationalstaatlicher Interessen. Wir reden über die steigende Bedrohung durch den Terrorismus. Wir reden über den Umgang mit der Türkei und – dieser ist bereits mehrfach angesprochen worden – den Brexit.

Seit letztem Freitag haben wir auf der anderen Seite des Atlantiks den Präsidenten Donald Trump, der in einem Interview der „Bild“-Zeitung ziemlich deutlich gemacht hat, dass er Europas Staatenbund für ein Auslaufmodell hält. Für ihn ist Belgien eine schöne Stadt in Europa; und der außenpolitische Berater der Kanzlerin, Heusgen, sagt, dass „sein Verständnis für gewisse Probleme und Hintergründe in Europa nicht ausgeprägt ist“. Das will heißen: Präsident

Trump hat keine Ahnung von Europa. Er setzt eher darauf, dass Europa auseinanderfällt. Für ihn ist der Brexit nur ein Anfang. In Brüssel wird sogar befürchtet, dass der amerikanische Präsident versuchen wird, Europa weiter zu spalten, in der Umwelt- und Energiepolitik oder in unserem Verhältnis zu Russland.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat sich schon mehrfach auf die Seite Russlands gestellt; auch aus Italien und Österreich hören wir Stimmen, die ein Ende der Sanktionen fordern. Bislang brauchte es für Sanktionen oder deren Verlängerung den einstimmigen Beschluss aller Mitgliedstaaten. Das ist bisher auch immer gelungen, denn wir hatten die Rückendeckung von Amerika. Das wird jetzt sicherlich anders.

Mehr als 60 Jahre haben die USA die europäische Einigung gefördert. Das fing nach dem Krieg mit dem Marshallplan an; die USA haben den Europäischen Binnenmarkt immer unterstützt. Trump aber hat Vorbehalte gegen dieses Bündnis, weil er darin die Verantwortung für die schwächelnde Wirtschaft in den USA sieht. Um dem Präsidenten Donald Trump mit einer Einstellung, wie ich sie gerade beschrieben habe, entgegenzutreten, braucht es in der Tat ein starkes und einiges Europa.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die nächste Herausforderung, der sich Europa wird stellen müssen – das ist schon angesprochen worden –, ist das Erstarken der Rechtspopulisten. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass im März die islamfeindliche Freiheitspartei des Geert Wilders die stärkste Kraft in den Niederlanden werden wird. Im Mai könnte Marine Le Pen, die Frontfrau des Front National, zumindest in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft kommen. Die Umfragen in Deutschland sehen die AfD bei 14 %. Damit ist sicher, dass im September auch die AfD in den Deutschen Bundestag einziehen wird. Und alle haben sie gemeinsam, dass sie Europa ablehnen.

Was wären denn die Alternativen? Ginge es wirklich besser, wenn wir dieses Europa, auch mit seinen Defiziten, nicht hätten? Wären unsere Freiheit und unser Wohlstand dann größer? Wäre der Frieden sicherer? Wäre unser Leben gerechter? – Nein, nichts von alledem ist der Fall. Also gilt, Europa nicht aufzugeben, sondern Europa zu verbessern. Ich glaube, Europa steht heute an einem Wendepunkt. Deswegen bin ich sehr froh – das will ich an dieser Stelle auch sehr deutlich sagen –, dass Sigmar Gabriel vorgestern Martin Schulz, den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, als unseren Bundeskanzlerkandidaten vorgeschlagen hat.

(Beifall bei der SPD)

Martin Schulz kennt sich in Europa sehr gut aus; das wird Europa stärken. Ich bin auch davon überzeugt, dass ein Mensch wie Donald Trump eine klare Sprache und Haltung braucht. Das ist auch etwas, was Martin Schulz auf sich vereint. Ein Abwarten, ein Zögern, nach dem Motto: „Die Kanzlerin hat das Interview der ‚Bild‘-Zeitung von Donald Trump mit Interesse gelesen“, wird, glaube ich, auf der anderen Seite des Atlantiks kein Gehör finden.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist zu tun? Dem „America first“ müssen wir ein selbstbewusstes und solidarisches Europa entgegenhalten, das sich nicht spalten lässt.

Insofern kann die heutige, nicht ganz einfache Situation in Europa auch eine Chance für die Zukunft bedeuten.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Waschke. – Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Frau Hammann zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus allen Redebeiträgen wird klar, dass uns eine große Sorge umtreibt, die Sorge: Was passiert mit Europa?

Was geschieht zurzeit? Man kann erkennen, dass die Rechtspopulisten einen Aufschwung haben. Wir sehen, dass sich die Antieuropäer lautstark zu Wort melden. Die Europagegner wittern Morgenluft. Das treibt uns alle um. Das macht uns wirklich große Sorgen. Es geht jetzt nicht nur darum, zu zeigen, dass Europa wichtig ist, sondern es geht darum, zu zeigen, dass diese Menschen eine ganz andere Herangehensweise haben. Das sind Populisten. Das sind Rassisten. Sie versuchen, ein System, das sich über so viele Jahrzehnte gebildet hat, eine Europäische Union, die uns eine große Wirtschaftskraft verliehen, Frieden, Wohlstand und Menschenrechte und vieles mehr gebracht hat, herunterzuschreiben und herunterzureden. Das macht uns große Sorgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Nachdem sich die Menschen in Großbritannien mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden haben, hat dieses Referendum – das muss man einfach deutlich feststellen – diesen Populisten und Scharfmachern noch einmal neuen Schub verliehen. Sie behaupten, die Europäische Union habe ausgedient. Sie spielen dabei mit den Emotionen der Menschen. Das macht das Ganze so gefährlich. Donald Trump wird mit seiner ebenso unverantwortlichen wie anmaßenden politischen Zielsetzung, die wir jetzt alle gehört haben, mit: „America first“, nun gar zum Helden dieser rechtsgerichteten Fraktion im Europaparlament. Das ist eine Entwicklung, die uns mit Sorge umtreibt; und diese Entwicklung bedauern wir sehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir konnten sehen, dass sich vor wenigen Tagen die selbst erklärten Vorkämpfer, die sogenannten Patrioten Marine Le Pen aus Frankreich, Geert Wilders aus den Niederlanden sowie Frauke Petry, die Bundessprecherin der sogenannten Alternative für Deutschland, in Koblenz getroffen haben, um gegen die Europäische Union und für die Rückkehr zu Nationalstaaten zu polemisieren. Deren populistische und polemische Auseinandersetzung mit der Europäischen Union ist gefährlich; denn sie schüren bei den Menschen Ängste. Sie suggerieren, dass die Lösungen für ihre nationalen Probleme darin liegen könnten, zurück in die europäische Kleinstaaterei zu verfallen.

Dabei bleiben sie bewusst unbestimmt und konzeptionslos. Ihr einziges Programm ist doch eigentlich nur die Klage gegen die vermeintliche Schwerfälligkeit und Bürgerferne

der europäischen Institutionen. Diese Populisten nehmen es in Kauf, dass eine Rückkehr zum Nationalstaat die wirtschaftlichen Vorteile der Union und darüber hinaus die ökologischen und sozialen Chancen ganzer Generationen von Europäern zerstören würde.

Als überzeugte Europäer ist es gerade jetzt unser aller Aufgabe, gemeinsam für die Europäische Union und für unsere europäischen Werte zu streiten. Denn in einer Debatte, in der die nationalen Egoismen schwerer wiegen als das gemeinsame europäische Interesse, besteht doch die Gefahr, dass die europäischen Werte ganz unter die Räder geraten. Ich habe vorhin einige angesprochen. Ich will sie einfach noch einmal betonen, weil sie für uns alle wichtig sind; sie sind universell, und es gilt, sie zu verteidigen.

Dazu gehören die Achtung der Menschenwürde, die demokratischen Strukturen, die individuelle Freiheit jedes Einzelnen, die Wahrung der Menschenrechte, die Gleichheit der Menschen und eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit. Meine Damen und Herren, dies alles gilt es zu verteidigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das Projekt des Friedens, der Freiheit und der Demokratie. Für ihre friedenspolitischen Aktivitäten hat die Europäische Union im Jahr 2012 den Friedensnobelpreis erhalten.

Wir sind stolz darauf, Mitglied der Europäischen Union zu sein. Meine Damen und Herren, jeder, der einer bedingungslosen Rückkehr zum europäischen Nationalstaat das Wort redet, muss wissen: Nationalismus in Europa war immer gleichbedeutend mit Krieg in Europa.

Früher haben sich die Menschen Europas auf einem Schlachtfeld bekriegt, heute führen sie – das ist gut so – Debatten in einem Parlament und führen eine demokratische Auseinandersetzung. Deswegen darf es keinen Weg zurück geben in die Nationalstaaterei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben durch das Schengener Abkommen die große Freiheit, ohne Grenzkontrollen durch Europa reisen zu können. Die gemeinsame Währung hat den Binnenmarkt einfacher gestaltet, und das Geldwechseln ist überflüssig geworden. Daher dürfen wir den Populisten dieses Feld nicht überlassen.

Der Kampf gegen den Klimawandel, gegen die globale Armut und für die ökologische und soziale Modernisierung der Wirtschaft, das sind Dinge, die uns wichtig sind und von denen wir glauben, dass diese Herausforderungen nur global zu leisten sind und wir sie innerhalb der Europäischen Union angehen müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Frau Hammann, kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Ende. – Das heißt nicht, dass die Europäische Union so bleiben soll, wie sie ist. Wir haben genü

gend Gründe, zu sagen, die Europäische Union muss sich ändern. Wir müssen die Menschen emotional mitnehmen und ihnen zeigen, wie sich die Europäische Union neu aufstellt, um dieses Vertrauen, das offenbar momentan nicht vorhanden ist, wieder zurückzugewinnen.

Europa hat viel für uns getan. Jetzt heißt es für uns: Wir müssen etwas für Europa tun. Wir müssen für Europa werben. – Wenn ich die jungen Menschen auf der Besuchertribüne sehe, kann ich nur appellieren: Wir müssen alle zusammen für Europa kämpfen und streiten. Das ist eine Errungenschaft, von der wir sagen müssen: Wir sind weitergekommen, Europa hat uns groß gemacht, und wir müssen für Europa da sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ste- phan Grüger (SPD): Ihr seid doch gegen CETA, dann müsst ihr es auch sagen! – Gegenrufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Frau Hammann. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich ihr Vorsitzender Willi van Ooyen zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch von den Vorrednerinnen und Vorrednern ist es schon gesagt worden: Europa steckt in einer existenziellen Krise. Die Wirtschaftskreisläufe sind seit Jahren gestört. Ganz Südeuropa leidet an Verarmung und an hoher Arbeitslosigkeit. Die Europäische Zentralbank reiht eine Notfallmaßnahme an die andere. In der Flüchtlingspolitik wurden die tiefen Gräben zwischen den EU-Staaten nur durch eine inhumane Abschottungsstrategie überbrückt. Zuletzt hat der geplante Ausstieg Großbritanniens die EU erneut schwer erschüttert.

Die Reaktion in Hessen auf den Brexit wandelt sich allmählich in Schadenfreude. Man glaubt, dass wir im harten Kampf für Frankfurt Beute machen können, wie etwa vor 100 Jahren, als es damals hieß: „Jeder Tritt ein Brit“. So kommt es mir ein bisschen vor.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das habe ich nicht verstanden! – Unruhe bei der CDU)

Der Brexit sollte aber für uns eher Anlass sein, die falsche Europapolitik endlich zu beenden. Europa muss neu begründet werden. Es gilt, gemeinsam mit anderen politischen und gesellschaftlichen Organisationen eine neue internationale soziale Plattform für ein zukunftsfähiges Europa zu entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Klaus Peter Möller (CDU))

Stattdessen erstarken vielerorts in Europa Kräfte, die eine nationalistische Politik durchsetzen wollen. Es besteht die Gefahr, dass Europa zurückfällt in Nationalismus und Chauvinismus. Das Brexit-Votum und die Wahl Donald Trumps nutzen die Verantwortlichen in der EU, um die Militarisierung der EU heftig voranzutreiben. Ziel ist eine europäische Verteidigungsunion. Mit dem EU-Rüstungsfonds soll der EU-Haushalt auch für Militärisches genutzt werden. Rüstungsindustrien werden noch stärker durch die

EU gefördert. Die EU baut ihre Militäreinsätze erheblich aus. Das muss verhindert werden.

(Beifall bei der LINKEN)