Protocol of the Session on October 12, 2016

Lassen Sie mich auf einzelne Regelungen dieses Gesetzentwurfs eingehen. Wir regeln die ganztägig arbeitende Schule neu. Im Hessischen Schulgesetz wird erstmals der Pakt für den Nachmittag aufgenommen – das große Projekt dieser Legislaturperiode, mit dem wir es allen Grundschulen ermöglichen wollen, ein Bildungs- und Betreuungsangebot von 7:30 bis 17 Uhr zu machen. Außerdem wird im Hessischen Schulgesetz erstmals auch die rhythmisierte Ganztagsschule in gebundener und in teilgebundener Form geregelt.

Beides kommt in diesem Entwurf für das Schulgesetz neu heraus; denn die Politik der Koalition ist auch hier: Wir wissen es nicht besser als die Eltern, und wir wissen es nicht besser als die Schulen, sondern wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, sich für den Pakt für den Nachmittag oder die Form der rhythmisierten Ganztagsschule zu entscheiden – ganz so, wie es vor Ort passt und wie es vor Ort gewünscht wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Bei der Inklusion, also dem gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen sowie von Schülerinnen und Schülern ohne Behinderungen, wollen wir, dass kein Elternwunsch auf inklusive Beschulung mehr abschlägig beschieden wird. Dafür nehmen wir in diesem Schulgesetz einige Änderungen vor.

Wir verankern die inklusiven Schulbündnisse. Der Kerngedanke der inklusiven Schulbündnisse ist, dass es bei der inklusiven Beschulung keinen definierten Ressourcenvorbehalt mehr gibt, sondern dass alle sonderpädagogischen Ressourcen, die derzeit im hessischen Schulsystem zur Verfügung stehen, je nachdem eingesetzt werden können, für welchen Förderort sich die Eltern entschieden haben, entweder inklusiv oder an der Förderschule. Auch hier gilt: Wir wissen es nicht besser als die Eltern, aber wir schaffen endlich die Möglichkeit, Inklusion in Hessen besser umzusetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir setzen auf die Schulvielfalt. Dazu gehört auch eine Stärkung der integrierten Gesamtschulen, die künftig die Möglichkeit erhalten, komplett binnendifferenziert zu unterrichten, also auf eine Differenzierung nach Kursen zu verzichten. In anderen Bundesländern wird darüber groß und ideologisch gestritten. In anderen Bundesländern ha

ben diese Schulformen neue, mit großem Trara verkündete Namen, z. B. „Sekundarschule“ oder „Stadtteilschule“. In Hessen setzen wir auf eine Stärkung unserer integrierten Gesamtschulen; denn eine Schulform, die ein längeres gemeinsames Lernen gewährleistet, haben wir schon, und sie wollen wir mit diesen Maßnahmen stärken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Eltern wählen für ihre Kinder nicht mehr die eigenständigen Hauptschulen. Auch hier vollziehen wir mit dem Schulgesetz die schulische Wirklichkeit nach, indem wir sagen: Eigenständige Hauptschulen soll es in Hessen künftig nicht mehr geben.

Auch in weiteren Bereichen, z. B. bei dem Übergang von der Schule in den Beruf, dem Thema „Tragen eines Kopftuchs im Unterricht“ und der Sexualerziehung, nehmen wir eine Reihe von Veränderungen vor. Meine Redezeit lässt es leider nicht zu, dass ich das in allen Details ausbreite; das können wir in der Ausschusssitzung machen.

Aber ich will noch eine oder zwei Anmerkungen zu der Reaktion der Opposition auf die Novelle dieses Schulgesetzes machen. Was wird gesagt? Es war der Vorwurf zu hören, dass im Schulgesetz nichts über die Ressourcen steht. Meine Damen und Herren von der Opposition, das stimmt. So ist das bei einem Gesetz. Ein Gesetz bestimmt die Rahmenbedingungen, und danach legen wir die Ressourcen fest.

Mit diesen Ressourcen können wir uns doch sehen lassen: In den Schwerpunktbereichen dieser Koalition, dem Ganztagsschulausbau, der Inklusion, der Lehrerweisung nach dem Sozialindex und der Deutschförderung für Migranten, haben wir seit Beginn der Legislaturperiode 2.300 Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt. Ja, auch die Ressourcen haben wir geregelt – aber nicht im Schulgesetz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Dann höre ich, es müssten mit diesem Schulgesetz Großreformen verwirklicht werden. Es sei alles nicht ausreichend – höher, schneller, weiter –, und man benötigte ganz andere Maßnahmen. Ich habe nur bisher keinen einzigen konkreten Vorschlag für solche Maßnahmen gehört. Ich bin jetzt sehr gespannt auf die Debatte, nämlich darauf – die Opposition sagt, das alles reiche nicht aus –, wie die Vorschläge der Opposition aussehen.

Vielleicht sagen Sie endlich einmal, was Sie wollen. Dann sagen Sie doch, welche Schulform Sie abschaffen wollen. Dann sagen Sie doch, wie Sie die Inklusion anders umsetzen wollen. Dann haben wir etwas, worüber wir diskutieren und streiten können. Dann sagen Sie doch, welchen grundsätzlich anderen Weg Sie bei dem Thema G 8/G 9 gehen wollen. Dann sagen Sie doch, dass Sie jetzt auch den wenigen Schulen, die noch G 8 anbieten, vorschreiben müssen, zu G 9 zurückzukehren. Dann sagen Sie den Schulen doch, was Sie vorhaben. Meine Damen und Herren, immer nur „höher, schneller, weiter“ zu sagen, ohne einen konkreten Vorschlag zu machen, ist ein bisschen wenig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich weiß, warum die Opposition das nicht macht und es auch in dieser Debatte nicht machen wird: weil sie wissen,

dass, wenn sie ihre Vorschläge aussprechen würden, die Schulen dagegen wären. Unsere Schulen wollen nämlich keine neue Zwangsbeglückung, und sie wollen keine neuen, vermeintlich revolutionären bildungspolitischen Ideen, sondern sie wollen Verlässlichkeit, Perspektiven und eine vernünftige Ausstattung. Genau das setzen wir mit dem Schulgesetz und unserer Bildungspolitik insgesamt um: mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Das Wort hat Frau Kollegin Cárdenas, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf den Entwurf für das neue Schulgesetz haben wir mit Spannung gewartet. Ich will nicht behaupten, wir hätten uns allzu große Hoffnung gemacht, dass es zu – tatsächlich notwendigen – Strukturveränderungen kommt. Herr Lorz, die Erfahrung mit Ihrem Bildungsgipfel hallt noch nach.

Kompromissbereit ist die schwarz-grüne Landesregierung nur, wenn die Kompromisse von ihr selbst ausgearbeitet und vorgeschlagen werden. Nichtsdestotrotz war ich ziemlich enttäuscht, als ich die knapp 100 Änderungen durchgeschaut habe, die Sie uns letzte Woche präsentiert haben. Herr Lorz, ein großer Wurf in Richtung mehr Bildungsgerechtigkeit für die einzelnen Schülerinnen und Schüler sowie ein Schritt hin zu einer wirklich demokratisch verfassten Schule mit mehr Mitbestimmungsrechten auf allen Ebenen ist das sicherlich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Zunächst sieht es so aus, als ob nichts wirklich Neues dabei wäre. Bis auf die redaktionellen Änderungen haben Sie uns auf die meisten Neuerungen schon mehrfach ausführlich vorbereitet, sei es in Ihrer Regierungserklärung oder in einer der Pressekonferenzen in diesem Jahr. Sie wollen die Novellierung vor allem dazu nutzen, um sich selbst wieder einmal zuzujubeln und sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Auch das kennen wir schon.

Herr Wagner, aber ich will nicht nur meckern, denn bei genauem Hinsehen ist die eine oder andere Neuerung ganz interessant. Sie wollen keine neuen Hauptschulen genehmigen, sondern den Hauptschulabschluss nur noch in einer anderen Schulform anbieten. Das ist jetzt zwar keine innovative Idee des Kultusministers, sondern Resultat des seit Langem stattfindenden Hauptschulsterbens, trotzdem halten wir diese nun gesetzlich festgeschriebene Regelung für richtig. Warum? – Weil sie die ausufernde Mehrgliedrigkeit, auf die diese Landesregierung entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen ja ungemein stolz ist oder war, also die Vielfalt, die Sie auch heute wieder gelobt haben, ein klein wenig reduziert. Wer weiß, vielleicht ist das Aussterben einer Schulform ja die Geburtsstunde der einen Schule für alle.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, der Grundgedanke, verschiedene Abschlüsse an einer Schule anzubieten und so der sozia

len Selektion im Bildungswesen entgegenzuwirken, ist natürlich richtig. Schauen wir doch einmal, welche Schulform über die Jahre hinweg besonders durch den Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. Sie wissen es vielleicht? – Genau, die Gemeinschaftsschule. Ich kann mir denken, dass besonders der schulpolitische Sprecher der CDU, Herr Schwarz, genau dies nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen in Erwägung ziehen möchte: dass die schwarz-grüne Landesregierung mit ihrer Absage an die Neugründung von Hauptschulen den ersten Schritt auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule oder, wie Herr Irmer und sein Eleve Schwarz immer sagen, zur „Einheitsschule“ getan hat.

(Armin Schwarz (CDU): Keine Einheitsschule; keine Einheitslehrer, das ist die klare Botschaft!)

Herr Schwarz, warten wir doch einmal ab, was die Zukunft bringt und ob wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Veränderungen irgendwann einmal die hessische Bildungspolitik beeinflussen.

(Beifall bei der LINKEN)

Da wir gerade von Trippelschritten reden: Auch die Möglichkeit, nun reine Oberstufengymnasien zu errichten, ist ein Schritt, der getan werden müsste, würde man die eine Schule für alle haben, in der Kinder und Jugendliche von der 1. bis mindestens zur 10. Klasse gemeinsam unterrichtet werden, die dann in die Oberstufengymnasien gehen.

Ebenso ist die umfassende Binnendifferenzierung, wie Sie sie nun in den integrierten Gesamtschulen verankern, eine Forderung, die die Verfechterinnen und Verfechter der Schule für alle in ihren pädagogischen Konzepten aufstellen. Dort lernen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam, aber nicht alle lernen das Gleiche, und nicht alle lernen im gleichen Tempo. Wir brauchen Oberstufenschulen für die Schülerinnen und Schüler, die nach der 10. Klasse noch das Abitur erlangen möchten – ja, auch die brauchen wir, wenn wir die eine Schule für alle haben. Daher: Herr Kultusminister, machen Sie weiter so. Ich würde mir sehr wünschen, Sie würden Ihre Zaghaftigkeit ganz ablegen und diesen Weg auch weiter mutig beschreiten. Herr Wagner, wenn Sie all diese Veränderungen mit dem Elternwillen begründen, ist uns dies auch ganz recht. Ich kann dazu nur sagen: kluge Eltern.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gleich klatsche ich!)

Aber natürlich bleibt noch genug zu kritisieren und scharf zu kritisieren, z. B. dass der Pakt für den Nachmittag durch diesen Entwurf eine weitere Stärkung erfährt und somit den tatsächlichen Ausbau echter Ganztagsschulen von hinten herum aushebelt, auch wenn es formal möglich ist. Die Schulen entscheiden sich, weil sie sich auf den Weg des Pakts für den Nachmittag eingelassen haben, immer weniger für echte Ganztagsschulen. Wie unsere Kleine Anfrage aus dem Sommer ergeben hat, haben Sie außerdem gar keine Ahnung, wie der Pakt an den 122 Schulen, die an ihm teilnehmen, tatsächlich umgesetzt wird. Das bestätigen auch die Berichte vieler Eltern, deren Schulen nun seit den Sommerferien Paktschulen sind und die über katastrophale Zustände berichten. Kooperationen zwischen Schulen und Einrichtungen, die seit Jahren bestanden, sind nun im Chaos miteinander verwebt. Man fühlt sich alleingelassen, Zuständigkeiten sind ungeklärt, und einen verantwortlichen Ansprechpartner beim Schulamt oder im HKM sucht man vergebens.

Herr Kultusminister, wir werden unsere Kleine Anfrage nun in Form einer Großen Anfrage erneut einbringen, damit Sie auch genug Zeit haben, sich ein Bild über die tatsächlichen Situationen an den 122 Schulen zu verschaffen; und dann wird an dieser Stelle wieder darüber debattiert, wenn auch nicht durch mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Als letzten Punkt möchte ich die Inklusion ansprechen. Sonderpädagoginnen und -pädagogen können nun in vollem Umfang an allgemeinbildenden Schulen eingesetzt werden und so ein verlässlicher Teil des Kollegiums werden, was in der Tat eine große Verbesserung darstellt. Allerdings drückt der Ressourcenvorbehalt auch dieser Novellierung noch immer den Stempel auf, wo durch ein Umdenken, quasi ein Vom-Kopf-auf-die-Füße-Stellen, nicht gelingen kann. Ich sehe auch Gefahren, z. B. wenn es um Ihre viel gefeierten inklusiven Schulbündnisse geht. Erst einmal ist es natürlich sinnvoll, wenn sich die regionalen Entscheidungsträger zusammensetzen, um nach dem bestmöglichen Förderweg für jedes Kind zu suchen. Das sollte aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit und längst verankerte Praxis sein – so viele Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Befürchtung geht aber dahin, dass diese regionalen Schulbündnisse dazu genutzt werden könnten, sich die Verantwortung für die Inklusion zu teilen. Ich vertrete die Sicht von Inklusion, dass Inklusion in jeder Einheit, auch der kleinsten, also in jeder einzelnen Klasse, verwirklicht werden muss. Politik hat aufgrund ihrer Gestaltungsverantwortung – auch diese haben wir noch immer, auch wenn Sie gern den Eltern die entsprechende Verantwortung zuschreiben möchten – dafür zu sorgen, dass auch in der kleinsten Einheit keinerlei Aussortieren stattfindet. Wie wir wissen, sind Beeinträchtigungen jeglicher Couleur regional, bis in die Wohnviertel hinein, relativ gleich verteilt, sodass sich die aufnehmenden Bildungseinrichtungen, also dort, wo die Kinder wohnen, verantwortlich zeigen müssen. Dies verbietet sogenannte Schwerpunktschulen, also Konzentrationen bestimmter Beeinträchtigungsformen in bestimmten Schulen.

Herr Kultusminister, wenn Sie mir hier und heute versichern, dass die regionalen inklusiven Schulbündnisse genau so nicht arbeiten sollen, dann würde mich das freuen. Aber dann bräuchte es auch ein aktives Gegensteuern von Ihrer Seite; denn so ein Aufteilen von Verantwortung, so ein Nutzen vorhandener Kompetenzen, ist erst einmal verständlich, aber jede Konzentration in der einen Schule und damit das Nichtvorhandensein bestimmter Beeinträchtigungsformen in anderen Schulen würden dem Gedanken der Inklusion klar widersprechen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Das Wort hat Abg. Christoph Degen, SPD-Fraktion.

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Jetzt ist höchste Konzentration angesagt!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wenn sich Herr Kollege Wagner mit seiner Forderung „Regierungsfraktionen fragen – die Opposition antwortet“ wünscht, vom eigenen Stillstand abzulenken, muss ich Sie enttäuschen. Herr Wagner, jetzt reden wir erst einmal über Ihren Gesetzentwurf und über nichts anderes.

(Beifall bei der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gern!)

Bemerkenswert ist schon, dass es hier über ein Jahr nach dem Scheitern des Bildungsgipfels, wo viele Menschen viel Herzblut reingesteckt haben und unheimlich viele Ideen, so auch von uns, formuliert wurden, zu keinen substanziellen Änderungen kommt.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt keine Anzeichen des Fortschritts, keinen Schritt zu mehr Übersichtlichkeit, und die Zersplitterung des Schulwesens wird durch die Verankerung von G 8 und G 9 in der Parallelität sogar noch im Schulgesetz verankert. Das ist kein Beitrag zu mehr Chancengleichheit, auch wenn Sie dies anders sehen, Herr Kollege Wagner.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn Ihr Vorschlag?)