Frau Kollegin Feldmayer, vielen Dank. – Als Nächster hat sich für die Fraktion der Sozialdemokraten Herr Kollege Lotz zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Nachmittag
oder Mittag – erstmals mit einem Setzpunkt viel Raum für das Thema Landwirtschaft. Ich finde, das ist gut.
Herr Lenders, ich finde es auch gut, dass Sie im Prinzip mit Ihrer letzten Aussage als FDP dem Satz widersprechen, der Markt müsse es regeln. Ich habe mich mit Ihrem Antrag befasst. Da kommt wenig von der Milch- oder Schweinefleischkrise vor. In dem Antrag steht kaum etwas von einer Krise. Das haben Sie heute Mittag hier im Plenum gesagt. Das ist richtig.
Ich glaube, wir müssen uns alle einmal darüber unterhalten, wie wir die Probleme der Bauern lösen. Das war aus meiner Sicht der Anfangsfehler der Landesregierung. Noch während der Agrarministerkonferenz in Fulda habe ich mich gefragt, warum so zögerlich vorgegangen wird. Warum hat Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt nicht auf den Tisch gehauen? Warum hat Ministerin Hinz nicht mehr auf Tempo gedrängt oder ein Sofortprogramm für die Milchbauern gefordert?
Der einzige Fortschritt der Konferenz in Fulda war, dass am Rande der üblichen Pressemeldungen erstmals endlich das Wörtchen Milchkrise stand. Es ist nicht so, dass wir hier eine Selbsthilfegruppe für Krisenverweigerer gründen wollen. Die Krise ist da. Also müssen wir sie auch so nennen.
Wenn man sich mit dem Antrag der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN befasst, hat man das Gefühl, dass die CDU und die GRÜNEN den Fehler jetzt wiedergutmachen wollen. Das Wort Krise wird so oft hineingequetscht, wie es nur irgendwie hineinpasst.
Wie auch immer: Wir haben jetzt einen Antrag ohne Krise und einen voller Krisen. Beide stehen nun zufälligerweise einen Tag vor der Konferenz der Agrarminister in Brüssel auf der Tagesordnung. Nichtsdestotrotz kann man ein Problem erst dann lösen, wenn man es benannt hat.
Die Vertreter der Kreisbauernverbände Main-Kinzig, Hochtaunus und der Regionalbauernverband WetterauFrankfurt am Main haben sich vor einigen Tagen getroffen, um über die Milchkrise zu diskutieren. Da hat der neue Präsident des Hessischen Bauernverbandes, Karsten Schmal, etwas Beachtliches gesagt. Er sagte, die Milchviehhalter sollten an einem Strang ziehen, um bei der Politik etwas bewirken zu können. Da haben wir die Schuldigen. Die Politik ist es.
Im Antrag der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN steht, „dass das Problem des Marktungleichgewichts von
weiteren Maßnahmen auf Bundes- und EU-Ebene begleitet werden“ müsse. Es sind also doch der Bund und die Europäische Union.
Bayerns Landwirtschaftsminister Brunner appelliert wegen der Milchkrise an den Handel. Aha, also ist der Handel schuld.
Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt kritisiert die Landwirte und die Molkereien. Die Milchmengen seien ohne Vernunft gesteigert worden. Herr Wiegel, jetzt sind die Landwirte und die Molkereien schuld.
Die grünen Agrarminister, darunter auch Ministerin Hinz, fordern die Bundesregierung auf, sie solle sich bei der Europäischen Union für eine zeitlich befristete Milchmengenbegrenzung einsetzen.
Am Ende des Tages entscheidet sich aber der Verbraucher im Supermarkt für die Milch für 40 Cent. In Russland mischen sie mittlerweile aus Milchmangel Zement in den Käse.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, es ist ganz klar, wer für die Milchkrise eigentlich verantwortlich ist. Was Karsten Schmal sagt, sollte auf uns alle zutreffen. Wir müssen an einem Strang ziehen. Wir können es uns gar nicht leisten, es nicht zu tun.
Die Mitglieder der FDP müssen sich natürlich entscheiden, welchen Schwerpunkt sie eigentlich setzen wollen. Über eine Krise wollen sie anscheinend mit uns nicht reden. Worüber wollen sie es denn? Ich habe den Eindruck, der Grund für das Stellen des Antrags ist der Ökoaktionsplan. Herr Lenders hat ihn auch betont.
Der Ökoaktionsplan heißt aber für die Mitglieder der SPD nicht, eine Rolle rückwärts zu machen. Wir haben als SPD immer gesagt, dass die ökologische und die konventionelle Landwirtschaft nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Es ist jedoch dringend notwendig, die landwirtschaftlichen Betriebe stärker auf eine nachhaltige und klimaschonende Bewirtschaftung auszurichten. Das hat mit Ökoromantik nichts zu tun. Uns geht es um die Art des Wirtschaftens, die Qualität der Produkte, die Verantwortung der Betriebe gegenüber der Region und um Aspekte wie Natur-, Umwelt- und Tierschutz.
Leider widerspricht sich der Antrag der FDP-Fraktion an dieser Stelle selbst. Zum einen wird unter Punkt 7 eine größere gesellschaftliche und politische Anerkennung der Tierschutz- und Umweltstandards heimischer Fleischerzeugnisse gefordert. Das sehe ich im Übrigen auch so. Zum anderen sollen die Anforderungen an Tierschutz und Hygiene beschränkt werden. Das passt irgendwo nicht zusammen.
Meine Damen und Herren, ob großer oder kleiner Bauernhof: Zukunftsorientierte Landwirtschaft muss schonender mit Böden, Flora, Fauna sowie mit Wasser und Luft umgehen. Auch wenn die FDP von Lebensmitteln in nie gekannter Qualität spricht – die Verbraucher haben vielfach das
Vertrauen in die Güte der Lebensmittel verloren. Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung sind diese im Vergleich zu früher jedoch sicherer und qualitativ besser geworden. Das stimmt in der Tat.
Aber genau das macht erfolgreiche Landwirtschaft aus: gesunde, leckere Produkte, die auf umweltfreundliche und artgerechte Weise entstanden sind. Ich habe nie viel von den Begriffen wie Smart Farming oder Landwirtschaft 4.0 gehalten; aber inhaltlich ist das wohl schon ein Punkt. Meine Damen und Herren, hier können wir mit schnellem Internet eine moderne Infrastruktur für den ländlichen Raum, Weiterbildung für die Landwirte, aber auch Hilfe für regionale Wirtschaftskreisläufe schaffen.
Es sollte eine stärkere Förderung der regionalen dezentralen Verarbeitungs- und Vermarktungsbemühungen umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, aber eines muss auch klar sein, weil es am Freitag in Brüssel auch um Forderungen gehen wird: Nicht die Forderungen in die eine oder andere Richtung haben dazu geführt, dass so viele Betriebe aus der Landwirtschaft ausgestiegen sind – es waren und sind die mangelnden betrieblichen Perspektiven für die Landwirte, die sie veranlassen, aus der Produktion auszusteigen. Wir wissen doch heute, dass bundesweit 70 % der Betriebe keinen Hofnachfolger oder keine Hofnachfolgerin haben. Die Töchter und Söhne unserer Landwirte wollen etwas anderes machen. Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie dem nur zum Teil entgegenwirken kann oder will. Wir müssen mit attraktiven Programmen für Junglandwirte auch Neueinsteigern den Weg ebnen.
Meine Damen und Herren, lasst uns nicht immer nur mit dem Finger auf die anderen zeigen. Überlegen wir doch, was wir hier in Hessen tun können.
Im April 2014 habe ich an dieser Stelle gesagt: „Frau Ministerin, wenn Sie das mit dem Ökoaktionsplan durchziehen wollen, haben Sie in weiten Teilen unsere Unterstützung.“ Das habe ich auch in mehreren Veranstaltungen in Ihrer Gegenwart wiederholt.
Leider haben Sie bislang nicht darauf reagiert. Ich wiederhole es gerne heute noch einmal: Wenn es um den Erhalt der hessischen Landwirtschaft geht, sind wir bereit, konstruktiv mit der Landesregierung zusammenzuarbeiten.
Frau Ministerin, es wäre schön, wenn Sie über Ihren Schatten springen könnten und das Gespräch mit uns suchen würden. Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Parteien. – Ich bedanke mich.
Vielen Dank, Herr Kollege Lotz. – Als Nächste hat sich Frau Abg. Schott für die Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, das Thema ist zu groß und zu wichtig für kleinkarierte Parteinickeligkeiten. Sicher kann und muss man als Opposition die Regierung an vielen Stellen kritisieren. Aber selbst wenn diese Regierung an dieser Stelle alles perfekt und richtig machen würde und sie frenetischen Applaus dafür bekäme, könnte sie dieses Problem nicht lösen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Das ist die Grundlage der Debatte. Wenn wir das außer Acht lassen, dann schießen wir am Thema vorbei.
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Veränderungen von Markt, Im- und Export sowie der Lebensmittelproduktion in den letzten 100 Jahren dazu geführt haben, dass wir vor politischen Entscheidungen stehen. Wir müssten eigentlich so etwas haben wie den Klimagipfel für unsere Landwirtschaft. Wir bräuchten einen Landwirtschaftsgipfel, um zu überlegen, wie wir weltweit sinnvoll mit der Produktion von Nahrungsmitteln umgehen.
Menschen haben es gern, wenn Lebensmittel aus ihrer Region kommen – es gibt so etwas wie ein Gespür dafür. Das ist sinnvoll: Es gibt kurze Wege, man muss nicht so viel kühlen, frisch halten und transportieren. Man hat weniger CO2-Ausstoß. Das ist nicht immer ökonomisch, weil anderenorts manches in großer Produktion viel preiswerter angeboten wird. Wenn man jetzt darauf schließt, dass wir mehr hin- und hertransportieren müssen, dann führt das zu riesigen Produktionsstätten – wir haben das beim Weizen schon weltweit so. Dann bleibt die Landwirtschaft in den Regionen auf der Strecke.
Wenn die Markt- und Exportorientierung sowie das Laufenlassen der Dinge so weitergehen, werden wir hier über kurz oder lang keine Landwirtschaft mehr haben, weil sie nicht konkurrenzfähig ist.
Wir haben hier eine Landwirtschaft – das ist vorhin schon beschrieben worden – in Hanglagen und mit weniger guten Böden, wo wir insbesondere Milchvieh halten. Das ist doch eine ganz andere Art der Milchproduktion, als wenn ich das auf großen Flächen und in großen Ställen mit einer Technik mache, die sich in der Anschaffung erst ab einer großen Zahl von Tieren lohnt. Ich kann doch nicht riesige Maschinen für einen kleinen Laden anschaffen, um das Ganze wirtschaftlich zu betreiben. Dann verlieren wir hier all diese Landwirte. Genau deswegen müssen wir über die Grenzen dieses Landes hinaus. Dazu können wir diese Landesregierung auffordern: Wir müssen über die Grenzen des Bundes hinaus bis nach Europa.
Ich glaube, wir müssen noch deutlich weiter denken, wie wir Lebensmittel produzieren wollen. Es ist richtig, dass Lebensmittel vor Ort produziert werden. Das ist wichtig für die Versorgung, die kurzen Wege, den CO2-Ausstoß und das ökologische Gleichgewicht. Wir brauchen die Landwirte vor Ort nicht nur zum Produzieren von Lebensmitteln – das ist nur ein Teil. Wir brauchen sie aber auch, weil wir die Landschaft pflegen und weil wir im Sinne von Klimaschutz genau diese Pflege der Landschaft brauchen. Wir brauchen nicht irgendeinen Wildwuchs, der sich dann staatlicherseits in Form von Aufforstung oder Brache oder wie auch immer gestaltet. Das wäre nicht der Weg, auf dem wir vorankommen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir hier und jetzt schauen, wie wir die Landwirte stärken können. Da sind die 5 Millionen € ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich glaube, das
wissen alle hier im Haus: Sie sind besser als nichts, aber sie helfen nicht. Sie retten auf die Dauer nichts und niemanden. Trotzdem muss man sie an dieser Stelle ausgeben.
Es führt uns nicht weiter, uns von Krise zu Krise zu hangeln. Die nächsten Krisen kommen ganz bestimmt. Es gab die Ausrichtung auf den Export, insbesondere bei der Fleischproduktion. Dann hat sich die Welt weitergedreht: Wir haben Embargos und Gegenembargos, die dazu führen, dass das nicht funktioniert.
Es geht nicht nur den Milchbauern, sondern auch den Schweinebauern schlecht, weil sie von vielen Faktoren abhängig sind. Das ist zum einen das Wetter; zum anderen ist es aber auch die großpolitische Wetterlage. Beides führt dazu, dass Ernten schlecht sein können oder dass produziertes Fleisch nicht verkauft werden kann. Das heißt, wir müssen endlich über enge Grenzen hinausdenken. Wir müssen genau die Dinge beachten, die vorhin auch schon erwähnt worden sind. Wir können nicht nur auf Export setzen, wenn wir damit nichts anderes schaffen, als anderswo die landwirtschaftlichen Märkte zu zerstören. Dann schaffen wir wieder Armut, und mit der Armut schaffen wir wieder Wirtschaftsflüchtlinge – und dann haben wir wieder ein anderes Problem.