Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie sehr herzlich zum letzten Tag unserer Plenarwoche zu einer friedlichen Sitzung. Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind und auch bleiben. Wir wollen hoffen, dass wir die Tagesordnung heute wie vereinbart in vernünftigem Rahmen abarbeiten können. Das liegt immer am Präsidenten.
Wir beginnen mit den Aktuellen Stunden mit einer Redezeit von jeweils fünf Minuten pro Fraktion. Es wurde vereinbart, nach der Aktuellen Stunde die Tagesordnungspunkte 22 – Setzpunkt der Fraktion der FDP – und 33 – Setzpunkt der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gemeinsam mit einer Redezeit von 15 Minuten je Fraktion aufzurufen.
Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Wenig Personal, kaum Landesgeld, schlechte Chancen – rote Laterne für Hessens Landesregierung bei der Kinderbetreuung) – Drucks. 19/3584 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bekanntlich gibt es morgen Ferien. Mit den Ferien gibt es Zeugnisse. Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich vergebe keine Noten. Die Noten für die Landesregierung sind schon vergeben, nämlich in der letzten Woche vom „Mannheimer Morgen“. Mein Lieblingsminister hat eine Drei bekommen. Das wäre jetzt kein Anlass, darauf besonders einzugehen. Es ist jedoch eine modellierte Drei. Deshalb will ich einmal versuchen, diese Note zu interpretieren.
Der „Mannheimer Morgen“ gibt ihm in dem Fach „Flüchtlingspolitik“ eine gute Zwei. Der würde ich mich anschließen; über das Plus könnten wir reden.
Was das mir bisher unbekannte Fach – jedenfalls was die hessische Landespolitik angeht – „Krankenhausfinanzierung“ angeht, steht hier: „Grüttners Rat … wird auch im Bund geschätzt“ – das würde ich einmal als Drei interpretieren.
Dann kommt das Fach „Kinderbetreuung“. Da steht: „Getrübt wird seine Bilanz jedoch vom Unmut der Kindergartenträger über die für sie nachteilige Umstellung des Betreuungsschlüssels.“
Herr Minister, wenn man jetzt einmal feststellt, dass die anderen beiden Fächer eine Zwei plus und eine Drei waren, dann ist das eine Vier minus.
Diese Vier minus hat zur Folge, dass Sie in dem Fach „Kinderbetreuung“ stark versetzungsgefährdet sind. Dieser Vier minus schließt sich offensichtlich auch die Bertelsmann Stiftung in ihrem vor 14 Tagen veröffentlichten Ländervergleich zur Situation der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung an. Hessen kommt nach den Ergebnissen dieser Studie – das bestätigt die Studie von 2012 – auch unter Schwarz-Grün, wie schon zuvor unter Schwarz alleine und unter Schwarz-Gelb, bei der Qualität der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung nicht voran. Hessen kommt jedenfalls nicht so voran, wie es erforderlich gewesen wäre.
Genauer gesagt: Hessen kommt eigentlich gar nicht voran, sondern hält tapfer, insbesondere bei der Betreuung der Ü-3-Kinder – der Drei- bis Sechsjährigen –, die rote Laterne unter den westdeutschen Flächenländern. Dies geschieht zum Leidwesen der Träger, des Personals, vor allem aber der Eltern und Kinder. Ich sage es noch einmal: Deswegen ist die Vier minus an dieser Stelle zwar bedauerlich, aber gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, es gibt Fortschritte. Aber diese Fortschritte sind erstens sehr klein. Zweitens sind sie im Wesentlichen nicht größer als die, die andere Länder auch gemacht haben. Sie beschränken sich auf das Unumgängliche. Es gibt also Fortschritte, aber sie bleiben ganz deutlich hinter den Notwendigkeiten zurück. Man muss jetzt schon konstatieren – wir gehen auf die Evaluation des KiföG zu –, dass auch unter den Vorzeichen des KiföG die dringend notwendige Verbesserung der Qualität nicht vorankommt. Das lässt sich vor allen Dingen – das haben wir hier immer wieder diskutiert – an der Fachkraft-Kind-Relation ablesen, die nach allgemeiner Einschätzung eine sehr wesentliche, wenn nicht die wesentliche Variable im Zusammenhang mit Qualität ist.
Was sind die Fakten? Die Bertelsmann Stiftung stellt fest, dass in Hessen eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft durchschnittlich für 3,8 Krippenkinder oder für 9,8 Kindergartenkinder zuständig ist. Damit ist der Personalschlüssel in Hessen zum 1. März 2015 für beide Altersgruppen ungünstiger als der westdeutsche Durchschnitt. Dort liegt er bei 1 : 3,6 bzw. 1 : 8,6. In Hessen ist der Personalschlüssel im Kindergarten der ungünstigste unter allen westdeutschen Bundesländern. Das ist der Punkt.
Warum ist das so? Dieser zentrale Befund der BertelmannStudie wird noch gravierender, wenn man bedenkt, dass sie zu Recht darauf hinweist, dass die Schlüssel in der Realität in der Regel noch schlechter sind als das, was man errechnet hat. Das ist aus mehreren Gründen so. Ich will auf die Gründe hinweisen, weil sie in der hessischen Debatte eine bedeutende Rolle gespielt haben.
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Mindeststandards, die nach dem KiföG gesetzt werden, a priori ungenügend sind. Zumindest wir haben in der Debatte immer wieder darauf hingewiesen.
Zweitens haben wir darauf hingewiesen, dass es in der Realität teilweise zu Verschlechterungen kommt. Das bestätigen im Übrigen auch die Rückmeldungen, die wir jetzt schon von vielen Trägern und Einrichtungen bekommen – dies schon einmal im Vorgriff auf die anstehende Gesamtevaluation KiföG.
Drittens. Die tatsächliche Arbeit am Kind ist ungenügend. Deswegen ist es auch nach wie vor unbefriedigend, dass die Leitungszeiten in Hessen ungenügend geregelt sind. Wir haben – auch das ist ein Befund der Studie – eine Situation, dass ein erheblicher Teil der Einrichtungen nicht über Leitungszeiten im nennenswerten Umfang oder über gar keine Leitungszeiten verfügt.
Schließlich und endlich – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – ist der Personalschlüssel bei langen Betreuungszeiten in aller Regel schlechter. Hier rächt es sich, dass die Landesregierung bei der Umstellung auf das KiföG zu dem System der Betreuungsmittelwerte gegriffen hat. Das führt dazu, dass sich die Träger in aller Regel am unteren Rand der Betreuungsmittelwerte orientieren. Herr Minister, bei den langen Betreuungszeiten, die weit überwiegend von den Eltern gewählt werden, haben Sie darüber hinaus zwar einen neuen Betreuungsmittelwert eingeführt, diesen aber nicht mit Geld unterlegt. Dadurch entsteht hier eine Lücke bei den Trägern,
Damit sind wir bei dem entscheidenden Thema der Finanzierung. – Herr Präsident, das ist mein letzter Satz. – Nach wie vor ist das System der Kinderbetreuung in Hessen, was das Land angeht, extrem unterfinanziert; das ist die entscheidende Stellschraube für die Landespolitik. Hier wäre dringend etwas zu ändern, wenn Sie von Ihrer Vier wieder herunterkommen wollen.
Vielen Dank, Herr Kollege Merz. Ich bedanke mich für Ihre kurze 72-sekündige Bemerkung zum Abschluss. – Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Wiesmann, CDU-Fraktion.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In düsteren Farben und Zahlen malt die SPD heute wieder einmal ein Bild vom Zustand der Kinderbetreuung in Hessen:
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns Merzens Schauermärchen zur Seite legen und stattdessen einen Blick ins wahre Leben tun.
„Wenig Personal“, sagen Sie. – Hessen bildet mehr Fachkräfte aus als je zuvor und als die anderen. Befanden sich vor zwölf Jahren noch 4.084 Studierende in der Fachschulausbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin, sind es im laufenden Schuljahr mehr als doppelt so viele: 8.413. Mit 8 % hat Hessen eine fast doppelt so hohe Ausbildungsquote – Anteil des Personals in Ausbildung – wie die Länder im Schnitt, der lediglich 4,4 % beträgt.
„Kaum Landesgeld“, sagen Sie. – Was soll diese Klage? Als ob eine Förderung dann besonders wertvoll wäre, wenn sie sich der Finanzminister vom eigenen Mund abgespart hätte. Fakt ist: Es fließen ständig steigende Mittel aus dem Landeshaushalt wie auch aus den Kommunalhaushalten in die Kinderbetreuung. 70 Millionen € im Jahr 1999, 100 Millionen € im Jahr 2006, 460 Millionen € in diesem Jahr – das ist doch entscheidend: was bei den Trägern draußen ankommt.
Sie sagen: „schlechte Chancen“ für die Eltern. – Die Rechtsansprüche Ü 3 und U 3 werden hessenweit erfüllt. Familie und Beruf sind heute deutlich besser vereinbar als früher. Für die Kinder haben sich die Betreuungsrelationen, dank unserer Vorgaben, weiter verbessert, und auch andere Qualitätsparameter zeigen große Fortschritte.
Lieber Herr Merz, es ist Ihre Aufgabe, auf Defizite hinzuweisen. Aber es ist nicht Ihre Aufgabe und auch nicht Ihr Niveau, ein Zerrbild zu zeichnen und wesentliche Aspekte der Thematik auszublenden.
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))
Was sagen die Fakten wirklich? Ausgehend von einer Betreuungsrelation im Kindergarten von 1 : 25 im Jahr 2000 – das waren Ihre Zahlen, da hatten Sie die Verantwortung dafür –
ja, Ihre Partei, entschuldigen Sie –, ist der heutige Wert von 1 : 9,8 eine hoch beachtliche Verbesserung.