Protocol of the Session on February 3, 2016

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das hat die GEW so nicht gefordert!)

Im Übrigen haben wir – ich glaube, Frau Dr. Sommer hat es angesprochen – einem weiteren Punkt der GEW insofern Rechnung getragen, als wir die Auslösung des Vorwarnmechanismus auf vollziehbare Entscheidungen umgestellt haben. Auch das war schon ein Entgegenkommen.

Der zweite Punkt betrifft die Weiterbildungsberufe im Gesundheitswesen. Das war ein Punkt, mit dem sich Frau Beer besonders befasst hat. Es geht hier insbesondere um Fachärzte und Fachapotheker. Nur bei diesen Weiterbildungsberufen – es besteht im Übrigen Landeskompetenz – vertreten die Kammern die Auffassung, dass es sich nicht um eigenständige Berufe handelt. Das ist allerdings nach dem EU-Rechtsrahmen unbestritten der Fall; denn nur eine entsprechende Weiterbildung berechtigt zur Führung dieser Berufsbezeichnung, und damit handelt es sich nach der Legaldefinition der Richtlinie – um nichts anderes geht es – um eigenständige, reglementierte Berufe.

Frau Beer, im Übrigen ist das jetzt wirklich Gesetzessystematik. Das ist ein gesetzessystematisches Petitum. Mit dem materiellen Wert und dem Inhalt dieses Gesetzentwurfs hat das nicht sonderlich viel zu tun.

Drittens – Stichwort: partieller Berufszugang –: Auch da gilt das, was ich eben zu dem anderen Thema gesagt habe. Die grundsätzliche Möglichkeit ist zwingend in das nationale Recht umzusetzen. Das ist, wie gesagt, richtlinienimmanent. Da gibt es wenig Beurteilungsspielraum. Ob man

es kritisch oder positiv sieht, spielt dabei bedauerlicherweise keine Rolle.

Lassen Sie mich noch auf den Punkt von Frau Dr. Sommer zu sprechen kommen. Sie hat mich um eine Antwort gebeten, und Günther Rudolph hat, nachdem applaudiert worden war, darauf hingewiesen, dass es jetzt darauf ankommt, was ich antworte. Nun ist Günther Rudolph weggegangen. Nichtsdestotrotz will ich Ihnen die Antwort geben.

Frau Dr. Sommer, ich glaube, dass es sich um ein Missverständnis handelt; denn die drei Regierungspräsidien haben sich zu den Themen Dienstleistungsplattform und Einheitlicher Ansprechpartner eingelassen, und diese Anregungen sind in den Gesetzentwurf eingearbeitet worden. Sie sind von uns übernommen worden. Ich glaube daher, es handelt sich um ein Missverständnis.

Ich will aber sehr deutlich sagen, dass wir es uns durchaus nicht leicht gemacht haben. Wenn Sie sich den Gesetzentwurf anschauen – das haben Sie getan –, werden Sie feststellen, dass die Änderungen, die an dem Referentenentwurf vorgenommen worden sind, zahlreich sind. Wir haben nicht nur, wie ich es Ihnen eben dargestellt habe, die in der Anhörung gegebenen Anregungen übernommen, sondern wir haben, soweit es nur irgend möglich war, auch den Diskussionsverlauf mit dem Bund und den anderen Ländern zu den erwähnten Auslegungs- und Zweifelsfragen berücksichtigt. Wir haben ihn verfolgt, konstruktiv begleitet und die Anregungen eingearbeitet.

Lassen Sie mich am Schluss noch etwas zu dem Thema Vertragsverletzungsverfahren sagen. Ich weiß nicht, woher Sie die Erkenntnis nehmen, dass seitens der EU-Kommission schon kein Vertragsverletzungsverfahren auf uns zukommen wird. Ich kann mich auf solch diffuse Einschätzungen, Meinungen und Glaubenssätze hier nicht verlassen; vielmehr kann sich die Landesregierung bei einer solchen Einschätzung einzig allein auf die Aussage der Bundesregierung stützen. Nichts anderes können wir in diesem Fall tun.

Ich will mich jetzt nicht zu der EU-Kommission äußern und dazu, wie sie mit Problemen umgeht oder nicht umgeht. Das steht mir nicht zu. Allerdings hat uns die Bundesregierung mitgeteilt, die Kommission hat angekündigt, dass sie zwei Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Entschuldigen Sie bitte, aber jedes Mitglied der Landesregierung hat hier einen Eid geschworen, die Dinge ordentlich zu machen. Wenn wir es nicht ordentlich machen und die ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, sind Sie doch die Ersten, die mir sagen: Was sind denn das für ein schlamperter Minister und für ein schlampertes Ministerium? Da laufen die Fristen ab, nichts passiert, und wir haben ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Ja, genau! Oder Sie machen es ordentlich! – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Herr Dr. Wilken, wer glaubt, dass die Kommission gegenwärtig andere Sorgen hat, unterschätzt, welche immensen personellen Ressourcen diese europäische Institution hat. Dann will ich Ihnen noch etwas sagen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Herr Stoiber hat doch Bürokratie abgebaut!)

Es ist gut, dass Herr Stoiber Bürokratieabbau betreibt; dann kommt in der Frage endlich einmal etwas voran. Aber auch das ist ein anderes Thema.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. h.c. Jörg- Uwe Hahn (FDP))

Dass ich in dieser Legislaturperiode noch einen Applaus von Jörg-Uwe Hahn bekomme, war die Feststellung schon wert. – Meine Damen und Herren, man muss schon zur Kenntnis nehmen, dass die Berufsanerkennungsrichtlinie in der Tat ein verdammt ernstes Thema ist und dass sie, anders als die Problemkreise, die uns in Deutschland gegenwärtig vordringlich beschäftigen, eine Herzensangelegenheit der EU-Kommission ist.

Deswegen müssen wir sie ernst nehmen, und deswegen müssen wir es auch ernst nehmen, wenn uns mitgeteilt wird, zwei Monate nach Ablauf der Frist werde ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Genau deswegen sind wir in Eile, nicht aus anderen Gründen. – Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir können somit die zweite Lesung beenden.

Ich rufe Sie zur Abstimmung auf. Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen kann, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU, SPD und die GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – LINKE und FDP. Ich stelle fest, dass der Gesetzentwurf mit der Mehrheit des Hauses angenommen worden ist. Er wird damit zum Gesetz erhoben.

(Beifall bei der CDU)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Zukunft der Hauptschule in Hessen – Drucks. 19/2001 zu Drucks. 19/1125 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Frau Abg. Geis, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine Hauptschule oder den Hauptschulzweig einer kooperativen Gesamtschule besuchen, halbiert. In Hessen besuchen gerade einmal 3,7 % der Schülerinnen und Schüler eine Hauptschule oder den entsprechenden Bildungsgang in einer Gesamtschule.

Für die Eltern ist die Hauptschule keine Wahl mehr. Im Schuljahr 2013/2014 wählten nur noch die Eltern von gut 1.200 Schülerinnen und Schülern nach der Grundschule den Bildungsgang Hauptschule für ihre Kinder. Davon waren knapp die Hälfte Kinder mit Migrationshintergrund. Das ist ein auffälliger Befund; denn laut Statistischem Landesamt betrug im Schuljahr 2013/2014 der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in der Gesamtheit der hessischen Schulen rund 26 %.

Mit dem qualifizierenden Hauptschulabschluss haben in demselben Schuljahr gut 6.500 Schüler die Schule verlassen; davon waren 56 % junge Männer. Es kommen weitere 5.800 Schüler dazu, die die Schulen mit einem Hauptschulabschluss verlassen haben.

Bei all diesen Schülern stellt sich die Frage, was mit ihnen im Laufe ihrer Schulkarriere passiert ist, da doch bei den allermeisten davon auszugehen ist, dass sie an der weiterführenden Schule nicht im Bildungsgang Hauptschule gestartet sind. Klar ist auch der Befund, dass in Hessen dreimal so viele Schülerinnen und Schüler vom Bildungsgang Realschule in den Bildungsgang Hauptschule gewechselt sind als vom Bildungsgang Hauptschule in den Bildungsgang Realschule.

Im Schuljahr 2012/2013 haben gemäß dem Integrationsbrief des Ministeriums für Soziales und Integration mit knapp 25 % doppelt so viele Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund die Schule mit dem Hauptschulabschluss verlassen wie solche ohne Migrationshintergrund. Im Übrigen zeigt diese Statistik auch, dass nur halb so viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund die Schule mit dem Abitur verlassen wie diejenigen – 44 % – ohne Migrationshintergrund. Jugendliche mit Migrationshintergrund erzielen insgesamt also nach wie vor schlechtere schulische Ergebnisse als solche ohne.

Warum sprechen wir über diese Zahlen? – Weil in Hessen der Bildungserfolg nach wie vor vom Elternhaus abhängt und oft genug auch noch von dessen Geldbeutel. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben schwierige Ausgangsbedingungen und erleben dadurch häufiger Benachteiligung. Im Rahmen des bundesweiten Vorlesetages habe ich im letzten November in einer 2. Klasse einer Grundschule in Rüsselsheim vorgelesen. Die Schule liegt in einer Wohngegend in der Stadt, in der der höchste Anteil an Familien mit Migrationshintergrund wohnt. In dieser Grundschulklasse waren 24 Schülerinnen und Schüler, zwei davon ohne Migrationshintergrund.

Mit einiger Irritation habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Lehrerin mich regelmäßig beim Vorlesen unterbrochen hat und Begriffe und Worte einzeln erklärt hat. Die nachfolgende Erläuterung der Lehrerin hat gezeigt, dass diese Kinder in der zweiten oder dritten Generation mit Migrationshintergrund sind. Sie wurden von ihren Eltern mit dem Hinweis an der Schule angemeldet, dass sie sehr gut Deutsch sprechen. Die nähere Untersuchung hat ergeben, dass der Wortschatz der Kinder in der deutschen Sprache eingeschränkt ist, die Muttersprache allerdings auch nicht mehr richtig beherrscht wird.

Die richtige Beherrschung einer Sprache ist eine unabdingbare Bedingung für das Gelingen von Bildung. Beispiele wie diese zeigen, dass eine frühe und zielgerichtete Förderung von Anfang an die Chancengleichheit erhöht und zu deutlich besseren Bildungsabschlüssen führt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dafür bedarf es aber einer entsprechenden Ausstattung bereits in den Grundschulen. Eine Verlagerung von Lehrerstellen aus den Grundschulen in die Sekundarstufe I ist da das gänzlich falsche Signal. Für ein Mehr an Mitteln im Primarbereich spricht auch, dass sich damit ein umfassendes und teures Reparatursystem in unseren Hauptschulen vielleicht erledigen könnte.

Für das frühere Programm SchuB, heute mit einigen neuen und anderen Elementen das Programm PuSch sind die Zielgruppe abschlussgefährdete und förderbedürftige Jugendliche. So verbringen diese jungen Menschen ab 14 Jahren beispielsweise drei Tage der Woche in der Hauptschule und zwei Tage in der beruflichen Schule bzw. im Betrieb. Sie erleben intensiveren Praxisbezug und erfahren sozialpädagogische Begleitung.

In dem Schuljahr 2012/2013 befanden sich 1.200 Schülerinnen und Schüler in dem besonderen Angebot von SchuB. Davon konnten gut 80 % einen Abschluss machen.

(Beifall bei der CDU)

Ein Fünftel dieser jungen Menschen hatte aber auch nach intensivster Betreuung im jugendlichen Alter immer noch keinen Bildungserfolg. Vielleicht sind das die jungen Menschen, denen man durch eine intensivere Förderung im Grundschulalter von Anfang an zu einem besseren Bildungserfolg verholfen hätte und denen man eine solche Maßnahme damit hätte ersparen können.

(Beifall bei der SPD)

Im Schuljahr 2012/2013 haben gemäß den Angaben des Kultusministeriums 23 % der Schülerinnen und Schüler unmittelbar nach dem Erreichen des qualifizierenden Hauptschulabschlusses eine Ausbildung im dualen System begonnen. Bei den Schülern mit Hauptschulabschluss waren es gerade noch 18 %. Auch hier stellt sich die Frage: Was ist mit den anderen Schülern passiert? – Ein größerer Teil besucht wahrscheinlich eine weitere qualifizierende Schule im beruflichen System.

(Zuruf von der CDU)

Aber der Rest? – Dieser Rest muss wiederum in staatlichen Maßnahmen auf einen Einstieg in das berufliche Leben vorbereitet werden. Das ist erforderlich, weil Schule – hier in der Regel der Bildungsgang Hauptschule – versagt hat und diese jungen Menschen nicht zum Erfolg führen konnte.

(Zuruf von der CDU: Gehen Sie mal zu einer Haupt- schule!)

Betriebe beklagen sich laut der Ausbildungsumfrage des DIHK 2014 über mangelnde Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber, denen es insbesondere an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit, mathematischen Grundkenntnissen und an Leistungsbereitschaft fehle. Es fehle ebenso Ausbildungs- und Berufsreife.

Im September 2015 hat der Hessische Kultusminister gemeinsam mit der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände weitere 32 Schulen mit dem Gütesiegel Berufs- und Studienorientierung Hessen „OloV“ ausgezeichnet.

(Zuruf von der CDU: Gutes Programm!)

Ja, das meine ich auch. Das ist ein gutes Programm.

Nur sechs dieser ausgezeichneten Schulen waren von der Schulform Hauptschule. Insgesamt sind in Hessen 260 Schulen in „OloV“ zertifiziert. „OloV“ hat bei der beruflichen Orientierung sicherlich gute Grundlagen gelegt, bedarf aber mit dieser Zahl an teilnehmenden Schulen ganz sicher der weiteren Verstärkung. Die Berufsorientierung muss für die Jugendlichen und ihre Eltern transparenter werden. Dem Fach Arbeitslehre kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Alle Maßnahmen der individuellen Förderung können bessere Maßnahmen der Hilfeleistung sein. Schulsozialarbeit bedeutet in diesem Kontext mehr als unterrichtsunterstützende sozialpädagogische Förderung, die im Übrigen auch wieder nur ein Ressourcenproblem an die Schulen verlagert. Sie ist ein wesentliches Element pädagogischer Hilfestellung und muss durch die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen gestärkt werden.

(Beifall bei der SPD)