Protocol of the Session on May 28, 2015

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, wenn Sie das für nötig halten, muss es schon ziemlich eng sein.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Großer Gott, überschätzen Sie sich nicht! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Das kommt aus berufenem Munde!)

Herr Ministerpräsident, ich kann verstehen, dass Sie sich eben beklagt haben, wie man von Ihnen verlangen könne, klüger zu sein als andere. Dass Ihnen das ein Problem macht, kann ich nachvollziehen, Herr Ministerpräsident.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Dann erklären Sie uns hier, dass Sie das Problem von Anfang an kennen, und Sie weisen uns darauf hin, dass Ihr Vorgänger tatsächlich den einen Standort abbauen und mit dem anderen zusammenführen wollte. Das war eine falsche Absicht, da stimme ich Ihnen zu. Das hätte Roland Koch von vornherein lassen sollen, statt in der Presserklärung zu der „Operation düstere Zukunft“ die Fusion beider Klinika – mit dem gezielten Abbau des Klinikums Gießen – zu verkünden. Herr Ministerpräsident, da bin ich völlig bei Ihnen.

Eines muss man sehen: dass die Fusion – jedenfalls so, wie Sie sie durchgeführt haben – nur bedingt erfolgreich war. Man muss sich dazu einmal anschauen, was die Geschäftsleitung des Klinikums über die Überschneidung der beiden Standorte, die Kooperation und den Patientenaustausch sagt. Das stammt gar nicht von mir. Die Geschäftsleitung selbst sagt, dass die Aufhebung der Abgrenzung genau an dieser Stelle nicht adäquat gelungen sei.

Herr Ministerpräsident, völlig unzutreffend ist aber, dass Sie sagen, die Rechtsform sei an dieser Stelle unerheblich. Jetzt komme ich auf eine kurze Bemerkung zurück, die Sie eben gemacht haben. Ich habe mit Interesse gehört, wie Sie um Geld für die Universitätsklinika gekämpft haben. Die richtige Lösung zur Verbesserung der Finanzierung der Universitätsklinika ist der Systemzuschlag. Den hat Staatsminister Grüttner auf dem parlamentarischen Abend der beiden Universitäten explizit ausgeschlossen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja! Genau!)

Es wäre doch sehr spannend, wenn Sie uns gelegentlich erklärten, ob die im Antrag der Koalitionsfraktionen genannte dritte Säule für die Universitätsklinika adäquat finanziert wird – in welcher Form auch immer. Herr Ministerpräsident, in jedem Fall setzt aber eine zusätzliche Finanzierung voraus, dass adäquate Personalstandards vorhanden sind, damit das Geld, wie bei der gesamten Krankenhausreform, genau dahin fließt, wohin es gehört, nämlich zum Personal.

(Beifall bei der SPD)

Der entscheidende Unterschied zwischen dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg und allen anderen Universitätsklinika ist aber, dass Sie nicht einmal eine einzige Jahrestranche HEUREKA für das Universitätsklinikum hergeben wollten, sondern sich dieses Geld über die Arbeit der Beschäftigten holen. Nichts anderes bedeutet nämlich die Privatisierung: Die Beschäftigten liefern das Geld für die Investitionen ab, die Sie hätten tätigen müssen und die das Land, wie man an HEUREKA sieht, gut hätte vornehmen können. Darüber werden also die Investitionen finanziert. Herr Ministerpräsident, genau das ist der Unterschied zwischen Privatisierung und Nichtprivatisierung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Herr Ministerpräsident, das ist nicht meine Zahl. Da Sie vorhin ein solches Loblied auf die Krankenhausprivatisierung angestimmt und eine quasi euphorische Begeisterung darüber zum Ausdruck gebracht haben, sage ich Ihnen: Das Rheinisch-Westfälische Institut bestätigt uns – dieses Institut ist beim besten Willen nicht sozialismusverdächtig –, dass privatisierte Krankenhäuser einen geringeren Personalschlüssel haben.

Eine von dem verehrten Mitglied Ihrer Landesregierung Herrn Staatsminister Grüttner in Auftrag gegebene und finanzierte Untersuchung des Landes Hessen weist nach, dass eine geringere Personalausstattung von Krankenhäusern im Vergleich zum internationalen Standard laut einer breiten Übersicht über die gesamte Literatur zu dem Thema eine Gefährdung für Patienten bedeutet. Herr Ministerpräsident, genau an dieser Stelle besteht ein Zusammenhang, den man zumindest sehen und akzeptieren müsste, statt sich an dieser Stelle in eine solche Euphorie hineinzusteigern, ohne eine klare Gegenregulation, wie es die Personalmindeststandards sind, die Sie gerade so abgelehnt haben, auch nur ins Auge zu fassen. Das ist verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Jetzt komme ich zu Ihrer Lobhudelei, was den Letter of Intent betrifft. Es trifft zu – das gestehe ich Ihnen zu –, die Partikeltherapie wird kommen, nicht wegen, sondern trotz der Landesregierung, aber immerhin. Das soll uns recht sein.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Herr Ministerpräsident, das von Ihnen zugesagte Moratorium beim Stellenabbau gab es nicht. Die von Ihnen zugesagte Stärkung des Einflusses des Landes hat nicht stattgefunden. Die Regelung zu den Rückkehrern ist, wie man feststellt, wenn man sie sich im Detail anschaut, ordentlich diskutierbar. Einige Baumaßnahmen sind verwirklicht worden, anderen sehen wir jedenfalls mit großer freudiger Erwartung entgegen.

Aber, Herr Ministerpräsident, abgesehen davon, dass Sie den LoI nicht erfüllt haben, gibt es eine ganze Reihe anderer Probleme. Auch das Engagement der Landesregierung für die eigenen Interessen in Forschung und Lehre ist mehr als unzureichend. Wenn wir uns anschauen, was der Landesrechnungshof darüber schreibt, wie außerordentlich „intelligent“ – nämlich unterirdisch schlecht – die Anlage des Kaufpreises von 100 Millionen € in der Von-BehringRöntgen-Stiftung war, muss man sagen: Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass diese Privatisierung nicht nur falsch war, ist und bleibt, sondern auch noch so dilettantisch vollzogen wurde, das sie ihresgleichen sucht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich hätte mir all das gern erspart. Ich wäre völlig damit zufrieden gewesen, heute kurz darauf einzugehen und Ihnen zu erläutern, dass Sie nicht verstanden haben – ich weiß, Sie möchten nicht klüger sein als andere –, warum die Zahlen, die Sie zitieren, eine Beleidigung für die Beschäftigten sind, denen einfach die Antworten des Arbeitgebers weitergegeben werden, statt dass man sich für ihre Sorgen und Nöten interessiert. Das hat Frau Wissler schon zu Recht gefordert.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Das ist eine Frechheit, so etwas zu behaupten!)

Aber, Herr Ministerpräsident, es ist nicht nur so, dass die Beschäftigten, die Sie verkauft haben, Sie nicht interessieren, sondern Sie transportieren auch Zahlen, von denen man bei wohlwollender Betrachtung sagen kann, dass sie ausgesprochen schöngerechnet sind.

(Beifall bei der SPD)

Was passiert denn, wenn ein Mitarbeiter aus Krankheitsgründen, z. B. wegen Überlastung, ausfällt? Dann wird er in dieser Zeit durch einen anderen ersetzt. Der macht Überstunden, und auf einmal zählt der Beschäftigte doppelt; denn der eine hat bezahlte Arbeitszeit, in der er krank ist, und der andere hat Überstunden, die bezahlt werden. Auf einmal sind da zwei Beschäftigte.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Genau das ist nämlich das Konzept der Vollstellenrechnungen, mit denen Ihnen dieser Personalabbau dargestellt wird.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Entschuldigen Sie, Herr Spies. – Herr Bouffier, ich möchte Sie und die anderen, die auf der Regierungsbank sitzen, bitten, den Redner nicht anzusprechen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Minister- präsident Volker Bouffier: Okay! – Holger Bellino (CDU): Er spricht ihn doch ständig an! Was soll er denn machen? – Unruhe)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich leite diese Sitzung nach den Regeln, die wir uns selbst gegeben haben. Herr Bellino, wenn Sie Kritik daran haben, äußern Sie diese im Ältestenrat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen gern, was ich machen würde. Da Sie Gesellschafter sind und daher selbstverständlich Zugriff auf die Unternehmensdaten haben, sollten Sie selbst einmal genauer nachschauen oder genauer nachschauen lassen. Es wäre Ihre Pflicht, sich an dieser Stelle im Detail davon zu überzeugen, wie die Zahlen, die Sie so gern bejubeln möchten, eigentlich zustande kommen.

(Beifall bei der SPD)

Dann würden Sie wissen, dass der rechnerische Personalzuwachs – VK-Stellen – etwas anderes ist als die tatsächliche Personalentwicklung. Herr Ministerpräsident, Sie wären mit diesem Argument deutlich vorsichtiger umgegangen, wenn es Ihnen die Mühe wert gewesen wäre, sich ein bisschen klüger zu machen.

Es kommt hinzu: Über die Zahl der Personen zu reden ist eine Sache. Zu schauen, was die machen, ist eine andere Sache. Nur die Zahlen des Unternehmens zugrunde gelegt – ich will das gar nicht rechnerisch korrigieren; es wäre Ihre Sache, in die Details zu gehen –, haben wir eine Arbeitslaststeigerung um mindestens 8 %. Die – behauptete – Personalsteigerung um 8 % steht nämlich, worauf Frau Wissler verwiesen hat, einer Steigerung der Fallzahlen um 16 % gegenüber: aufgrund von zusätzlichen Abteilungen, der Ausweitung von Tätigkeiten und der Behandlung von Patienten in Bereichen, die es vorher nicht gab.

Herr Ministerpräsident, wenn man sich das anschaut, nämlich 8 % mehr Personal bei 16 % mehr Arbeit, stellt man fest, es ist falsch, dass Sie hier behaupten, es gebe keine Arbeitsverdichtung. Das ist eine ganz einfache Rechenübung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb: Jenseits der Frage, was man von der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg hält, und jenseits der Frage, an welchen Stellen der zehnjährigen Geschichte die Landesregierungen – erst die CDU allein, dann alle anderen – ihrer Verantwortung nicht adäquat gerecht geworden sind, muss man feststellen, dass die Liste der Punkte sehr lang ist, an denen man sich für Patienten, für Forschung und Lehre und für beide Standorte mit sehr viel mehr Engagement hätte einsetzen können.

Völlig unabhängig davon bleibt, dass Sie sich nicht die Mühe machen, die Verunsicherung der Beschäftigten und ihre berechtigte Klage über Überlast einmal so genau anzuschauen, um wenigstens zu verstehen, woher die Klage kommt, dass Sie sich kein eigenes Bild machen und sich mit Ihrer Antwort nur auf die Antworten der Geschäftsleitung beschränken. Das ist des Hessischen Ministerpräsidenten unwürdig und verdient allerdings eine Entschuldigung.

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): So eine Unverschämtheit! Eine reine Wahlkampfrede ist das! Pures Schauspiel!)

Danke, Herr Dr. Spies. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Herr May zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Vorredner, Herr Dr. Spies, liebe Vorrednerin, Frau Wissler, ich finde, man wird der Sache aber auch nicht gerecht, wenn man Leuten Worte in den Mund legt, die sie nicht gesagt haben, und dies, obwohl es so einfach nachvollziehbar wäre. Sie, Herr Dr. Spies, haben Ihre Rede gerade damit aufgehört, dass der Ministerpräsident gesagt hätte, es gebe keine Arbeitsverdichtung. Dabei hat der Ministerpräsident aus seinem Brief an den Betriebsrat vorgetragen; er hat genau die Passage vorgetragen, in der er die Arbeitsverdichtung anspricht. Ich zitiere dies noch einmal:

Sie sprechen in Ihrem Brief von einer zunehmenden Arbeitsverdichtung – ein Umstand, den ich sehr ernst nehme.

Wie können Sie sich denn hierhin stellen und einfach das Gegenteil behaupten? – Ich werde Ihnen sagen, warum das so ist. Es geht Ihnen nämlich nicht darum, die Sorgen und Probleme der Beschäftigten, die Sie artikuliert haben, ernst zu nehmen, sondern es geht Ihnen nur darum, SchwarzWeiß-Malerei zu betreiben und einzelne Personen zu beschimpfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Horst Klee (CDU): Reine Show! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Weil es leere Worte sind, keine Taten!)

Was die Fragen angeht, ob es seinerzeit möglich gewesen wäre, die Universitätskliniken Gießen und Marburg zu retten, „Privatisierung ja oder nein?“, haben wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Tat eine andere Auffassung gehabt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, „gehabt“!)

Auf diesen Sachverhalt stellen Sie noch immer, zehn Jahre danach, ab. Ich denke, der Ministerpräsident hat noch einmal sehr deutlich gemacht – auch in seinem Brief an den Betriebsrat –, wie auch wir mit dem heute vorgelegten Antrag, dass die Welt doch ein bisschen komplizierter ist, als Sie das hier gerne darstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)