Protocol of the Session on April 29, 2015

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Vielleicht ist das Problem die KV!)

und erhielt von der Landesregierung folgende Antwort:

Die Organisation des Bereitschaftsdienstes ist gemäß § 75 Abs. 1 SGB V gesetzliche Aufgabe der KV Rheinland-Pfalz als Selbstverwaltungskörperschaft der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte und zählt zu deren Sicherstellungsauftrag. Bei der Ausgestaltung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes hat der Gesetzgeber [Bund] der KV einen großen Gestaltungsspielraum eingeräumt, den die Landesregierung als Rechtsaufsichtsbehörde respektieren muss. … Bei der Bereitschaftsdienstverordnung handelt es sich daher nicht um eine Rechtsverordnung des Landes, sondern um eine Regelung, die von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung beschlossen wird.

Ich hoffe, dass damit die Verantwortlichkeit einigermaßen beschrieben worden ist.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das wussten wir auch vorher schon, Herr Dr. Bartelt!)

Nein, das wussten Sie eben nicht, das ist ja das Problem.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Es ist aber gut, dass Sie in meinen Kopf reinschauen können! – Glockenzeichen des Präsidenten)

Deshalb unterstützen wir unseren Sozialminister bei seinen sicher nicht einfachen Gesprächen mit der KV. Wir wissen auch, dass in Gesprächen mit der KV die gesamte Bandbreite von Gesprächsführung Anwendung finden kann. Wir hoffen auf gute Lösungen für die Menschen durch harte Verhandlungen und Gespräche, da die qualifizierte Akutversorgung entscheidend ist, um wieder gesund zu werden.

Abschließend bedanke ich mich bei allen, die rund um die Uhr notfallmedizinisch tätig sind. Ich wünsche der Landesregierung bei den Gesprächen viel Erfolg. Wir werden den Druck auf die KV mit unterstützen und sind für eine differenzierte und sachliche Betrachtungsweise. – Bei Ihnen bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Bartelt.

Meine Damen und Herren, ich begrüße auf der Besuchertribüne den Botschafter der Mongolei, Seine Exzellenz Tsolmon Bolor, sowie die Mitglieder seiner Delegation. Exzellenz, seien Sie uns herzlich willkommen im Hessischen Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

In seiner Begleitung begrüße ich unseren früheren Landtagskollegen und Landtagsvizepräsidenten a. D., unseren Freund Dirk Pfeil. Herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Es geht weiter in der Aussprache. Das Wort hat Herr Kollege Dr. Spies, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein überaus verehrter Herr Kollege Bartelt, das hätte ich jetzt wirklich nicht geglaubt. Eine solche Frage wie der ärztliche Bereitschaftsdienst, der die Menschen in diesem Land zu Hunderten, zu Tausenden bewegt hat, gerade angesichts der kapitalen Inkompetenz, die zum Jahreswechsel zutage trat – und Sie verweigern hier, diese Sorgen anzuhören. Ich hätte es wirklich nicht geglaubt, wenn das vorher einer behauptet hätte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zu Ihrer freundliche Erklärung, dass der Landtag nicht damit befasst sei und sich deshalb nicht damit beschäftigen müsse: Angesichts der Vielzahl wie Intensität der Debatten, die wir hier zu dem Thema führen, angesichts des Engagements der Landesregierung in dieser Frage mit Pakten zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung, die uns hier ständig als große Leistungen verkauft werden – und Sie sa

gen uns jetzt, die haben da gar nichts zu sagen, das ist alles nichts wert –, angesichts der Tatsache, dass wir uns in der Enquetekommission „Demografischer Wandel“ über Monate sehr intensiv mit der Frage beschäftigt haben – das ist schon ein paar Tage her –, ist die Aussage, das ginge den Landtag irgendwie nichts an, und deshalb bräuchte man dazu auch niemanden anzuhören, wirklich eine Unempfindlichkeit gegenüber den Sorgen der Menschen, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte, Herr Kollege.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Denn die Frage der ärztlichen Versorgung und insbesondere der Notdienstversorgung, dann, wenn man Angst haben muss, wie und wo man wen erreicht, weil die üblichen Strukturen gerade nicht verfügbar sind, ist etwas, was die Menschen erheblich bewegt – wenn Sie sich ansehen, wie viele Petitionen wir im Hessischen Landtag zu der Frage hatten, wie viele Leserbriefe in den Lokalzeitungen wir gesehen haben, und, und, und.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Diese Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes war falsch. Sie war der falsche Ansatz, und sie ist – das muss einen nicht weiter wundern – im Ansatz gescheitert.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das hätte man vorher wissen können, das hätte auch die Kassenärztliche Vereinigung vorher wissen können, wenn man sich ansieht, wie die Konzentration des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in manchen Regionen auf eine Bereitschaftsdienstzentrale gewirkt hat. In der Wetterau hat man das schon vor längerer Zeit angefangen. Und was war der Effekt? Es gab große Klagen, es gab schwere Erreichbarkeit. Am Wochenende sind 30 km im ländlichen Raum doch eine beachtliche Distanz. Die vermehrte Inanspruchnahme des Rettungsdienstes, der dann für den echten Notfall nicht zur Verfügung steht, der dann längere Anfahrtszeiten hat, und, und, und – all das konnte man im MainKinzig-Kreis, im Wetteraukreis schon vor längerer Zeit beobachten. Deshalb hätte man das von vornherein wissen können.

Meine Damen und Herren, hinzu kommt eine auch technisch unvollständige Antwort. An der Stelle bin ich der Landesregierung für die Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Gremmels und von mir sehr dankbar, was die Frage des Jahreswechsels angeht, auch wenn die Antwort unvollständig ist, weil nämlich die Tatsache, dass diese Nummer 116 117 über Stunden so belegt war, dass man noch nicht einmal in die Warteschleife kam, völlig untergegangen ist. Das ist ja die Krönung. Wenn Sie beschreiben, dass man in manchen Fällen – morgens um vier Uhr vielleicht – mit durchschnittlich 2:37 Minuten Wartezeit durchkam, dann weise ich nur darauf hin, es kommt nicht auf die Durchschnittszeit, sondern auf die Spitzen an. 44 Minuten in einer Warteschleife zu hängen, weil der ärztliche Bereitschaftsdienst nur über diese Nummer zu erreichen ist, ist absolut unzumutbar.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

An der Stelle muss man auch fragen, ob vor diesem Hintergrund die Sicherstellung der Versorgung noch gewährleistet ist. Herr Staatsminister, dass Sie nur die Rechtsaufsicht und nicht die Fachaufsicht haben, wissen wir alle. Ganz ehrlich: Das ist überaus zu bedauern, wie wir in den letzten Jahren immer wieder feststellen konnten. Aber wenn die

Sicherstellung ernsthaft infrage gestellt ist und es stattdessen zum Ausweichen auf den Rettungsdienst kommt, dann muss man die Frage stellen, ob die Sicherstellung überhaupt noch gewährleistet ist – ganz abgesehen von der Frage der Qualität, die auch im Antrag der LINKEN aufgeworfen wird. Selbstverständlich müssen sich alle Ärzte in der Notfallmedizin fortbilden, und selbstverständlich hat jeder, der ein Medizinstudium abgeschlossen hat, das alles einmal gelernt. Aber fragen Sie doch einmal einen Pathologen,

(Günter Rudolph (SPD): Dann ist es meist zu spät!)

fragen Sie einmal Augenärzte, fragen Sie einmal Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, ob sie sich ernsthaft zutrauen, im Bereitschaftsdienst Krankheiten, mit denen man zehn oder 20 Jahre lang nichts zu tun hatte, alleine, ohne eine unmittelbare Rückkoppelungsinstanz, wieder gegenüberzutreten. Das ist allerdings eine Frage der Sicherstellung der Qualität, der man sich wenigstens mit einer gewissen Aufmerksamkeit zuwenden muss, zumal man sich auch nicht damit herausreden kann, der ärztliche Bereitschaftsdienst behandle ja die einfachen Krankheiten, bei den schweren komme der Rettungsdienst. Das mit der Einschätzung, ob es so schlimm ist, dass man den Rettungswagen ruft, oder so harmlos, dass man es mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst versucht, verbundene Risiko dem Patienten zuzumuten, ist nämlich bereits eine Fehlentscheidung. Der Patient kann diese Entscheidung überhaupt nicht treffen.

Nein, meine Damen und Herren, richtig ist das Modell, das wir aus dem Lahn-Dill-Kreis kennen, nämlich die Zusammenführung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes mit dem Rettungsdienst, und zwar in einer engen Ankoppelung an die Krankenhäuser. Wir schlagen seit Jahren vor, dieses Modell konsequent zu betreiben. Auch die Landesregierung hat in der Vergangenheit den Gedanken durchaus positiv begleitet, dass die Entscheidung nicht beim Patienten liegt, sondern dass in der Rettungsleitstelle entschieden wird, ob der ärztliche Notdienst reicht, ob der Rettungswagen, der Notarztwagen hinausfahren muss oder ob der Patient selbst zum ärztlichen Bereitschaftsdienst kommen kann. Das ist eine Frage, bei der jemand dem Patienten zur Seite stehen muss, deren Beantwortung nicht dem Patienten überlassen werden darf. Deshalb brauchen wir eine Regionalisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes sowie eine Zusammenführung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes mit dem Rettungsdienst und den Krankenhäusern über eine gemeinsame Leitstelle.

Angesichts der aktuellen Kostenverlagerung aus dem ärztlichen Bereitschaftsdienst in den Rettungsdienst müssen wir auch darüber nachdenken, dass die beiden Budgets miteinander korrespondieren können, weil es natürlich nicht sein darf, dass Kostensteigerungen im Rettungsdienst aus anderen Budgets getragen werden und die KV an der Stelle Einsparungen zulasten anderer Budgets vornimmt. Nein, meine Damen und Herren, wenn wir uns die Regelung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Hessen anschauen, dann wird deutlich, dass die Kassenärztliche Vereinigung insgesamt mehr Unterstützung, mehr Hilfe braucht, auch seitens der Politik.

Das bedeutet, dass politische Verantwortlichkeit wieder klarer wahrgenommen werden muss. Das bedeutet, wir brauchen eine Fachaufsicht der Landesministerien, was die Sicherstellung der Versorgung betrifft, nicht nur eine Rechtsaufsicht. Wir brauchen Regeln, die definieren, was „Sicherstellung“ heißt; solche Regeln gibt es bis heute

nicht. Alles, was wir bisher regeln, bezieht sich auf die Frage, wie wir verhindern, dass es mehr Ärzte als nötig gibt, aber nicht darauf, wie wir sicherstellen, dass es so viele Ärzte wie nötig gibt.

Außerdem brauchen wir eine klare Stärkung der regionalen und kommunalen Zuständigkeiten, weil am Ende die Hausarztversorgung, der ärztliche Notdienst in der Region, in den Kommunen, geregelt werden muss. Wir brauchen schließlich auch die Delegation eines Teils des Budgets an regionale Strukturen.

Der Sachverständigenrat hat zu der Frage, wie man die Versorgung im ärztlichen Bereitschaftsdienst, aber auch im ländlichen Raum insgesamt zukunftsfähig regeln kann, sehr gute Beispiele, sehr gute Empfehlungen gegeben, die interessanterweise mit den Vorschlägen der hessischen Sozialdemokratie in beachtlichem Maße übereinstimmen. Das freut mich, aber ich finde, an der Stelle muss man klar sehen, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die wir zur Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum treffen können, ohne dass sich der ärztliche Bereitschaftsdienst aus der Fläche zurückzieht, wie es jetzt gemacht wurde, was falsch war. Dazu gehört die Verdeutlichung der Attraktivität des Arztberufs auf dem Land gegenüber den Studierenden, wie es in Frankfurt erfolgreich praktiziert wird. Auf einmal wollen sie alle wieder Hausarzt werden, auf einmal wollen sie wieder in den ländlichen Raum, wenn man ihnen Möglichkeiten der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und ärztlichem Beruf im ländlichen Raum zeigt. Das heißt, man muss z. B. auch Landarzt im Angestelltenverhältnis sein können.

Das bedeutet eine stärkere Mitverantwortlichkeit der öffentlichen Hand bei medizinischen Versorgungszentren – kooperativ mit niedergelassenen Ärzten oder im Eigentum einer Kommune. Wir brauchen regionale Gesundheitskonferenzen, die wirklich regional sind, statt sechs Konferenzen für ganz Hessen. Die Gesundheitskonferenzen müssen originäre Kompetenzen haben, damit sie auch etwas gestalten können. Außerdem muss der eine oder andere ärztliche Funktionär aufhören, immer laut zu klagen, wie furchtbar schlecht das Leben der niedergelassenen Ärzte sei. Dann haben die Studierenden auch mehr Lust, diese Funktion zu übernehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Damit kommen wir weiter. Die bisherige Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes hat dagegen nicht weitergeführt. Eine Anhörung ist allemal richtig, eine detaillierte Prüfung auch. Dass Sie sich dem verweigern, ist uns völlig unverständlich. Wir sehen den Ausschussberatungen mit Interesse entgegen. Wir werden die Initiative der Fraktion DIE LINKE an dieser Stelle entschieden unterstützen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Vielen Dank, Kollege Dr. Spies. – Nächster Redner ist Herr Kollege Bocklet, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schott, lieber Herr Dr. Spies, in der Tat haben

wir es zunächst einmal mit der Frage zu tun: Was ist in den letzten Jahren, spätestens seit dem 1. Januar 2014, eigentlich passiert? Dazu gilt es festzustellen, dass die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten, wie man sie auch nennt, durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst Gegenstand des Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ist. In diesem Rahmen regelt die KVH den ärztlichen Bereitschaftsdienst eigenverantwortlich.

(Zuruf von der LINKEN: Das soll sie tun, sie tut es aber nicht!)

Ich finde, man muss trotz alledem feststellen: Ohne in eine Zuständigkeitshuberei zu verfallen, ist festzustellen, dass der Erregungszustand bei der Opposition im Verhältnis zu dem Gemütszustand derer, an die man die Kritik richtet, sehr hoch ist. Daher sollten Sie in dem Fall ein bisschen herunterkommen.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Zuständig für das ganze Verfahren ist die Kassenärztliche Vereinigung. Wir reden jetzt darüber, ob sie sich bei dem, was sie da gemacht hat, wie sie sich neu strukturiert hat, klug verhalten hat. Herr Kollege Spies, Frau Schott, nach all dem, was wir aus der Presse, aus den Protesten wissen, muss man sagen: Die Reform, die die KVH gemacht hat, ist wohl alles andere als glücklich gelaufen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ach so!)

Das muss man einmal feststellen. Man muss feststellen, dass man flächendeckend eine neue Struktur über Hessen gezogen und dabei offensichtlich den regionalen Begebenheiten, der zum Teil sehr guten regionalen Selbstorganisation von Ärzten, die sich freiwillig darum gekümmert haben, wie der hausärztliche Bereitschaftsdienst optimiert werden konnte, wenig Beachtung geschenkt hat. Wenn darüber hinweggewalzt wurde, wie es im Rheingau-Taunus-Kreis und im Lahn-Dill-Kreis der Fall war, dann ist eine Kritik an der Kassenärztlichen Vereinigung allem Anschein nach sehr berechtigt. Daher muss man in Richtung der KV sagen: Kommt zur Besinnung, ihr seid nicht unfehlbar, ihr müsst euch der Kritik stellen und im Zweifel eure Entscheidung auch revidieren, ihr müsst euch anpassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)