Protocol of the Session on September 11, 2018

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich will diese Fragen nicht nur stellen, sondern ich will auch versuchen, Antworten zu geben. Wir haben allen Grund dazu, mit Mut und Zuversicht an die Herausforderungen in unserem Land zu gehen. Wir leben in einer Phase, wie wir sie meiner Erinnerung nach schon lange nicht mehr in unserem Land hatten – wenn wir sie überhaupt je hatten –: in einer Phase des jahrelangen wirtschaftlichen Aufschwungs, der vielen Menschen eine Perspektive gebracht hat, der viele Menschen in Arbeit gebracht und dazu geführt hat, dass die Arbeitslosigkeit in unserem Bundesland Hessen so niedrig wie seit 37 Jahren nicht mehr ist, und auch dazu – was am Arbeitsmarkt nicht immer der Fall ist –, dass die Langzeitarbeitslosen neue Perspektiven bekommen haben. Wir haben damit also auch einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt geleistet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Bei allem parteipolitischen Streit über den richtigen Weg und bei der ganzen Debatte darüber, was richtig oder nicht richtig gemacht wurde, sollten wir die Dimensionen nicht aus dem Blick verlieren. Wir leben nicht in einem der schlechtesten Länder auf diesem Planeten, sondern wir leben in einem der besten Länder auf diesem Planeten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Für die, die drinnen sind, geht es!)

Frau Kollegin Wissler, wir haben alle Möglichkeiten, gerade weil wir wirtschaftlich stark sind und gerade weil wir eine positive Entwicklung bei den Steuereinnahmen haben, die Probleme und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu lösen und uns um die Menschen zu kümmern, die von diesem Aufschwung bislang nicht profitiert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Ich sage es ja! Für die, die drinnen sind, ist es gut!)

Mut und Zuversicht, nicht das Herbeireden oder das Suhlen in Problemen, sind aus unserer Sicht derzeit die Aufgabe von Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Bei allen Debatten über den richtigen Weg bleibt es doch richtig, dass wir massiv in Bildung investiert haben, dass wir massiv in die Infrastruktur investiert haben und dass wir massiv in den sozialen Zusammenhalt unseres Landes investiert haben.

(Nancy Faeser (SPD): Eben nicht! Das ist ja das Problem!)

Es bleibt auch zutreffend, dass wir viele Herausforderungen unseres Landes schon bewältigt haben. Daraus können und müssen wir die Kraft schöpfen, auch die Probleme zu lösen, die noch vor uns liegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wenn ich sage, wir leben in einem der besten Länder auf diesem Planeten und nicht in einem der schlechtesten Länder auf diesem Planeten, heißt das nicht, die Augen vor dem zu verschließen, was noch nicht gut läuft. Ganz im Gegenteil, wir müssen sehr genau hinschauen. Das heißt auch nicht, zufrieden zu sein mit dem, was schon erreicht ist. Die Welt wandelt sich. Es stellen sich immer neue Herausforderungen, auf die wir immer neue Antworten geben müssen.

Aber wir sollten die Kraft haben, an diese Aufgaben zu gehen. Wir sollten die Kraft haben, die Probleme zu lösen. Wir haben diese Kraft auch. Aber wir sollten denen klar entgegentreten, die Probleme nicht lösen wollen, sondern die sie brauchen, um ihre politische Existenzberechtigung darzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben allen Grund, für unsere freie, offene und vielfältige Gesellschaft einzutreten. Wir leben nicht mehr im gesellschaftlichen Muff der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts, und das ist auch gut so, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Jede und jeder soll in unserem Land so leben und lieben können, wie er oder sie das will. Das ist der Grundkonsens unseres Grundgesetzes. Wer sich an die Regeln des Grundgesetzes hält, kann und soll sein Leben frei entfalten und frei leben können.

Diese Freiheiten mussten erstritten werden. Der Geist unseres Grundgesetzes war nicht immer die Realität in unserem Land. Viele haben sich in den vergangenen Jahrzehnten eingesetzt, um diese freie, liberale und tolerante Gesellschaft tatsächlich zu verwirklichen. Meine Damen und Herren, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir noch einmal eine Debatte darüber führen, ob das richtig war, dass jeder sein Leben nach seiner Fasson leben kann, wenn er sich an die Regeln hält. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es wieder Kräfte gibt, die anderen vorschreiben wollen, was das richtige Leben ist, was die richtige sexuelle Orientierung ist.

Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir, wenn wir über Herausforderungen und Probleme in unserem Land reden, nicht über die Probleme und Herausforderungen reden, sondern so tun, als lägen die Probleme und Herausforderungen an der Hautfarbe oder an der Herkunft von Menschen. Deswegen haben wir allen Grund, aufzustehen und zu sagen: So wollen wir über die Themen in unserem Land nicht reden. Wir wollen auf der Grundlage der freien und offenen Gesellschaft reden, aber wir wollen nicht zurück in Zeiten, die wir in unserem Land eigentlich schon sehr lange überwunden haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir lassen nicht zu, dass einzelne Gruppen in unserem Land ausgegrenzt oder zu Sündenböcken erklärt werden. Das lassen wir nicht zu. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass wir nicht zu einer solchen Gesellschaft werden.

Wir haben allen Grund, unseren Rechtsstaat und unsere demokratischen Institutionen zu verteidigen. Ja, Demokratie

kann manchmal furchtbar anstrengend sein. Wir alle, die wir hier sitzen, wissen das. Die Bürgerinnen und Bürger wissen das. Ja, man muss sich mit Menschen auseinandersetzen, die andere Meinungen haben. Aber genau das ist das Wesen der Demokratie, dass wir einander zuhören, dass wir Respekt vor der Position des anderen haben, dass wir versuchen zusammenzufinden.

Das dauert dann manchmal länger. Aber uns ist noch keine bessere Staatsform eingefallen, die tatsächlich gewährleistet, dass sich alle einbringen können, dass sich alle beteiligen können und nicht einige wenige ohne Legitimation über andere entscheiden. Diese Staatsform haben wir, diese Staatsform sollten wir verteidigen, und wir sollten sie feiern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Diejenigen, die unsere demokratischen Institutionen und unsere Demokratie verächtlich machen, wollen nicht mehr Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen keine Bürgerbeteiligung. Sie wollen unsere Demokratie nicht weiterentwickeln. Nein, diejenigen, die unsere Demokratie verächtlich machen, wollen, dass sie sagen, wo es langgeht. Sie wollen anderen ihren Willen aufdrücken können. Sie wollen nicht diskutieren, sie wollen bestimmen. Deshalb sollten wir dem entgegentreten und für unsere freiheitliche Demokratie eintreten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Hier gilt es, klare Grenzen zu ziehen, auch Grenzen im Umgang miteinander und in der Form, wie wir die politische Debatte führen.

Man kann, aus meiner Sicht muss man auch manchmal, anderer Ansicht als die Bundeskanzlerin sein.

(Michael Boddenberg (CDU): Na, na!)

Doch, aus grüner Sicht finde ich, dass das manchmal sein muss. – Es gibt aber überhaupt keinen Grund, der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland eine „Herrschaft des Unrechts“ zu unterstellen, wenn man politisch anderer Meinung ist. So eine politische Kultur sollten wir nicht einziehen lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Man kann sich fragen, warum rechtsstaatliche Verfahren manchmal so kompliziert und manchmal so zeitaufwendig sind. Das kann man sich fragen. Was wir aber nicht machen dürfen, so wie wir es teilweise in Nordrhein-Westfalen erlebt haben, ist, unseren Rechtsstaat durch ein Rechtsempfinden zu ersetzen. Das Rechtsempfinden, das empfundene Recht, das ist der Weg in die Willkür. Die Willkür sollten wir nicht einführen. Wo die Willkür in rechtsstaatlichen Fragen hinführt, das zeigen uns gerade andere Staaten auf diesem Planeten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir haben allen Grund, uns auf der Grundlage von Argumenten und Wissen miteinander auszutauschen – auf der Grundlage von Argumenten und von Wissen. Meine Da

men und Herren, was soll sonst eigentlich die Grundlage für eine gesellschaftliche Debatte, für den Dialog zwischen Menschen sein, wenn es nicht Wissen und Argumente sind?

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich bin ein bisschen erschrocken, als ich die Bilder vom Bürgerdialog des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer gesehen habe. Ich möchte keine Debatte über die Fehler der sächsischen CDU im Umgang mit Rechtsextremen führen, aber ich bin erschrocken, als ich die Bilder gesehen habe. Dort hat ein Ministerpräsident darum gekämpft, dass die elementaren Grundlagen des menschlichen Miteinanders, des Miteinander-Redens und des Sich-Verständigens auf Argumente und Fakten infrage gestellt waren.

Spätestens in solchen Momenten sollte uns klar werden, dass es auch das zu verteidigen gilt und dass wir auch dafür eintreten sollten, dass es nicht um Stimmungen geht, dass es nicht um ausgedachte Fakten geht, dass es nicht um Fake News geht, sondern dass wir immer wieder einfordern, dass es für Argumente Belege geben muss, dass es für Behauptungen Erkenntnisse geben muss, dass wir uns auf der Grundlage von nachprüfbaren Fakten bewegen und nicht auf der Grundlage von Meinungen und Stimmungen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wenn sich jeder nur auf seine Meinung verlässt, wenn jeder glaubt, nur er sei im Recht, dann ist in unserer Gesellschaft keine Verständigung mehr möglich. Wie soll das funktionieren, wenn sich Menschen treffen, von denen alle für sich sagen: „Nur ich habe recht“? – Meine Damen und Herren, so kann und so darf es nicht funktionieren.

Wir reden hier nicht mehr und nicht weniger als über die Errungenschaften der Aufklärung. Vor der Aufklärung hatten wir die Herrschaft des Glaubens, manchmal die Herrschaft des Aberglaubens. Mit der Aufklärung haben wir uns vor vielen Hundert Jahren dafür entschieden, dass es um Argumente gehen soll, dass es um die Herrschaft des Rechts gehen soll, dass es um wissenschaftliche Erkenntnisse und um überprüfbare Fakten gehen soll. Wir sollten diesen zivilisatorischen Fortschritt nicht infrage stellen lassen. Wir sollten nicht ins Mittelalter des demokratischen Austauschs zurückfallen, sondern wir sollten verteidigen, dass es um Argumente und Fakten und um den Respekt für die Position des anderen geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben allen Grund, klare Grenzen zwischen Demokraten und Rechtsextremen zu ziehen. Wir können und müssen von Parteien verlangen, dass sie eine Grenze zwischen sich und Rechtsextremen ziehen.

Wenn ich mir die vergangenen Wochen und Monate anschaue, dann frage ich mich: Was ist eigentlich so schwer daran? Was ist so schwer daran, den Ort, an dem ein Mensch getötet wurde, nicht für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Was ist so schwer daran, nicht gemeinsam mit Leuten zu demonstrieren, die den Arm zum Hitlergruß erhoben haben? Was ist so schwer daran, menschen- und demokratieverachtende Sprüche gar nicht erst zu twittern oder zu posten, statt sich nachher peinlich damit zu entschuldigen, man sei „auf der Maus ausgerutscht“? Und, meine Damen und Herren, was ist so schwer daran, sich von Nazis in der eigenen Partei zu distanzieren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU, bei Abgeordneten der SPD und der FDP sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wer noch nicht einmal die Kraft hat, dies zu tun, der ist alles – aber mit Sicherheit keine Alternative für die Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)