Protocol of the Session on August 23, 2018

(Beifall)

Danken möchte ich auch dem Vorsitzenden des Ausschusses, dem Kollegen Honka, für seine sehr freundliche, offene und zugewandte Verhandlungsführung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danken möchte ich natürlich auch den wissenschaftlichen Referentinnen und Referenten für ihren unermüdlichen und äußerst wertvollen Einsatz. Ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne die Referentinnen und Referenten, das wissen wir alle, ist eine Arbeit in einem solch komplexen Themenbereich nicht möglich. Dafür herzlichen Dank an alle Mitarbeiter.

(Allgemeiner Beifall)

Dank sagen möchte ich schließlich dem Ausschusssekretariat für die zuverlässige und umsichtige Führung der Geschäfte. Ich habe gesehen, Frau Mengel sitzt auf der Tribüne. Nennen möchte ich auf jeden Fall Frau Schnier. Sie ist mit ihrer Unerschütterlichkeit immer ein Fels in der Brandung des Ausschusses gewesen. Unser Respekt gilt den Stenografen in diesem Ausschusses und der Arbeit, die da geleistet worden ist.

(Allgemeiner Beifall)

Ein besonderer Dank gilt aber den Eltern von Halit Yozgat, Ayse und Ismail Yozgat. Ich zitiere aus dem gemeinsamen Vorwort aller Fraktionen:

Wir bedanken uns bei Ayse und Ismail Yozgat, dass sie dem Ausschuss als Zeugen zur Verfügung gestanden und deutlich gemacht haben, dass es hier nicht um einen Fall geht, sondern menschliche Schicksale dahinter stehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Ende und damit auch wieder zum Anfang. Das war kein Ausschuss wie jeder andere, deshalb darf die Diskussion mit dem heutigen Tag nicht beendet werden. Sie muss weitergehen; denn die Gefahr ist nicht gebannt.

In diesem Sinne stelle ich an den Schluss meiner heutigen Berichterstattung wieder das gemeinsame Vorwort aller Fraktionen:

Die Morde an zehn unserer Mitbürger haben uns alle verändert. Wir sind nachdenklicher geworden, aber auch entschlossener. Wir setzen uns dafür ein, dass für Intoleranz, Rassismus und Gewalt kein Platz in unserer Gesellschaft ist! Eine derartige von Hass geprägte Mordserie darf sich nicht wiederholen!

Das ist Auftrag und Verpflichtung zugleich. – Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Frömmrich, für die Berichterstattung. – Ich eröffne die Aussprache. Die vereinbarte Redezeit beträgt, wie schon gesagt, 20 Minuten. Ich erteile als Erster Frau Faeser für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im November 2011 wurde die Bundesrepublik durch das

Aufdecken der furchtbaren NSU-Morde erschüttert. Zehn Jahre lang konnte eine rechtsterroristische Organisation unbemerkt morden, und das vor den Augen der Sicherheitsbehörden.

Diese Morde haben wir damals, ich erinnere daran, 2011, fraktionsübergreifend als einen Angriff auf unsere freie Gesellschaft gewertet. Sehr viele Menschen in Hessen wollten eine Aufklärung, vor allem aber auch die Familie des ermordeten Opfers Halit Yozgat.

Aus diesem Grund hat die SPD-Fraktion im Jahr 2014, nach Abschluss des ersten Bundestags-Untersuchungsausschusses in Berlin, einen Untersuchungsausschuss in Hessen eingesetzt.

Ich möchte mich zu Beginn bei allen zivilgesellschaftlichen Initiativen, wie z. B. „NSU-Watch“, „Nachgefragt“ aus Kassel und den vielen Journalisten, die den Ausschuss so intensiv über vier Jahre begleitet haben, sehr herzlich bedanken, weil ihre Arbeit sehr wichtig für unsere Ausschussarbeit war.

(Allgemeiner Beifall)

Ich möchte auch positiv erwähnen, Herr Frömmrich, dass es gut und richtig war, dass auf unsere Initiative hin fraktionsübergreifend ein gemeinsames Vorwort zustande kam, in dem sich der Ausschuss bei der Familie Yozgat und bei der Familie Simsek – auch das war ein hessisches Opfer – und den Familien der weiteren Opfer entschuldigt. Sie haben nicht nur das Schlimmste erlebt, was passieren kann. Sie hatten auch bis zur Aufdeckung des NSU eine sehr schwere Zeit.

Von allen Fraktionen wurde 2011, nach Aufdecken des NSU, in diesem Haus die Aufklärung versprochen. Umso unverständlicher ist es aus unserer Sicht, dass der Ausschuss nur mit den Stimmen der SPD und der LINKEN eingesetzt wurde und dass Hessen bis heute das einzige Bundesland ist, in dem bei einer solch tief greifenden Materie der Ausschuss streitig eingesetzt und auch geführt wurde.

Ich will noch einmal erläutern, warum das so negativ für die Aufklärungsarbeit war. Wir konnten z. B. die Zeugen nicht an einem Stück zu einem Punkt befragen, sondern mussten immer dann, wenn die Zeit abgelaufen war, an andere Fraktionen weitergeben, die dann an einem anderen Punkt die Befragungen fortgesetzt haben.

Wenn es einheitlich läuft, wie im Deutschen Bundestag oder in anderen Bundesländern, dann kann man einen Zeugen am Stück befragen, was zur Aufklärung wesentlich beiträgt. Überall wurde an einem Strang gezogen, nur nicht in Hessen. Das bedauern wir außerordentlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Aber der Ausschuss wurde nicht nur streitig geführt, es kam noch schlimmer. Die Hessische Landesregierung und die Regierungsfraktionen erschwerten die Aufklärungsarbeit, verzögerten sie und bekämpften sie sogar. Erst gegen Ende zeigte man sich kooperationsbereit. Vielleicht könnte das auch an den bevorstehenden Wahlen liegen. Es begann mit einem Streit über veraltete und unzureichende Verfahrensregeln. Es gab Streit über die Geheimschutzregeln, da jede Kleinigkeit in einer Akte, die geheim zu halten war, dazu führte, dass der gesamte Rest der Akte als geheim eingestuft wurde.

All das musste erst mühsam erstritten werden. Wir hatten es mit stark verzögerten Aktenlieferungen zu tun, und letztlich, das ist auch einmalig, können wir bis heute nicht mit Gewissheit sagen, dass wir alle Akten gesehen haben.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

Wir haben zwar zwischendurch eine Vollständigkeitserklärung der Landesregierung erhalten. Da wir aber Nachlieferungen bekommen haben, können wir bis heute nicht sagen, ob wir tatsächlich alle Akten gesehen haben.

Wir hatten es mit unvollständigen Akten und mit zum großen Teil geheim gehaltenen und geschwärzten Akten zu tun.

Es war mit unglaublichen Anstrengungen, das möchte ich noch einmal persönlich sagen, mit unglaublich viel Streit verbunden, um an die notwendigen Informationen zu kommen. Ich habe in 15 Jahren Erfahrung in Untersuchungsausschüssen in diesem Bundesland so etwas noch nicht erlebt. Das bei einem solchen Thema, das ist eigentlich ein Skandal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Also keine gemeinsame Einsetzung, kein gemeinsames Aufklärungsinteresse, keine gemeinsame Arbeit und kein gemeinsamer Abschlussbericht. Leider sind Sie unseren umfangreichen Änderungsvorschlägen zum Abschlussbericht nicht gefolgt. Bei einem echten Interesse an einem gemeinsamen Bericht, das will ich wiederholen, hätte man uns von Anfang an mit in die Erarbeitung eines solchen Berichts einbeziehen müssen.

Wir haben im Untersuchungsausschuss zahlreiche Versäumnisse der Behörden feststellen müssen, auf die ich gleich noch einmal näher eingehen möchte. Aber der eigentliche moralische Skandal ist und bleibt, dass sich der damalige Innenminister und jetzige Ministerpräsident Volker Bouffier bis heute nicht entschuldigt hat und vor allem keinerlei Fehler eingeräumt hat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Überall sonst, ob im Bund, im Land, ob Otto Schily, ob Günther Beckstein aus Bayern, alle haben Fehler eingeräumt, und alle haben sich entschuldigt. Nur Sie, Herr Ministerpräsident, haben das nicht getan. Ich empfinde das als schäbig, vor allem gegenüber der Familie Yozgat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir fordern Sie auf, Herr Ministerpräsident, Ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich für die damaligen Versäumnisse aus dem Jahr 2006 zu entschuldigen. Dazu haben Sie heute die Gelegenheit.

Der NSU-Untersuchungsausschuss hatte den Auftrag, umfassend die Fehler der Behörden bei der Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat und der NSU-Mordserie aufzuklären. Leider, das hat Herr Frömmrich gesagt, sind viele Fragen unbeantwortet geblieben. Unser Auftrag war auch nicht, das Verbrechen aufzuklären, so wie ein Strafgericht, sondern Versäumnisse der Behörden aufzudecken. Der Untersuchungsausschuss hat sehr viel aufgedeckt, wie ich im Folgenden zeigen werde. Sie werden aber auch gleich merken, dass es schon bei der Einschätzung des Sachverhalts große Unterschiede gibt, weshalb wir auch einen eigenen Bericht vorgelegt haben.

Eine wichtige Erkenntnis des Untersuchungsausschusses ist, dass die rechtsradikale Szene in ihrer Gewaltbereitschaft und Vernetzung unterschätzt wurde.

Der Ausschuss konnte zahlreiche Kontakte der rechten Szene aus Kassel und Umgebung nach NRW – insbesondere nach Dortmund –, Thüringen und Sachsen aufdecken. Bis zur Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss wurde die rechte Szene in Hessen insbesondere von der CDU gerne als Einzelfälle abgetan und eine Vernetzung abgestritten. Hierzu gibt es genügend Protokolle dieses Hauses. Das ist durch den Untersuchungsausschuss eindrucksvoll widerlegt worden, und diese Feststellung wird heute zum Glück nicht mehr bestritten. Das ist eine gute Erkenntnis des Ausschusses.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die fehlende Bereitschaft des Verfassungsschutzes zur Kooperation mit der Polizei damals war sehr hinderlich und ist sicherlich als einer der größten Fehler zu bezeichnen. Leider hat Herr Frömmrich das nicht mehr erwähnt, weil es eine Menge an Konsequenzen auch für Gesetzgebung und Veränderungsprozesse hatte.

Das Besondere an dem furchtbaren Mord an Halit Yozgat, der das letzte Opfer dieser Mordserie in Deutschland war, ist, dass zur Tatzeit am 6. April 2006 ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Andreas Temme, am Tatort war. Es gab nur in Kassel zur Tatzeit Zeugen. Bislang wurde sowohl von Andreas Temme als auch von seinen Vorgesetzten und – Achtung – bis hin zum damaligen Innenminister Volker Bouffier behauptet, es habe keine dienstlichen Bezüge zur Tat gegeben.

Der Untersuchungsausschuss konnte diese Behauptung aber widerlegen: So war Andreas Temme bereits vor dem Mord in Kassel dienstlich mit der Mordserie befasst. Es gab nämlich eine E-Mail der Dienstvorgesetzten, die vor dem Mord im Landesamt für Verfassungsschutz abgefragt hat, ob jemand etwas über die Mordserie wisse. Es gab Gespräche zwischen dem Landesamt und dem BKA, von denen niemand im Innenministerium gewusst haben will, eine E-Mail-Abfrage, die Andreas Temme unterschrieb, an die er sich aber leider nicht erinnern konnte; und niemand kam auf die Idee, das nach dem Mord noch einmal aufzugreifen. – Hier liegen die Versäumnisse bei den Tatsachen, die damals ermittelt wurden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Der Ausschuss hat im Übrigen herausgefunden, dass Temme bereits früher als Ermittler im Landesamt für Verfassungsschutz mit der rechten Szene dienstlich Kontakt hatte. So gab Temme vor dem Untersuchungsausschuss auch an, dass er den Namen Corryna Görtz noch aus der Zeit vor 2000 kannte. Andreas Temme war zur Tatzeit am Tatort und hat sich trotz eines öffentlichen Aufrufs nicht bei der Polizei gemeldet. Erst durch eine Auswertung der Computerprogramme ist man auf ihn gestoßen.

Aus unserer Sicht war die Polizei in Kassel deutlich besser aufgestellt als der Verfassungsschutz. Aber es gab trotzdem zwei Versäumnisse. Trotz der Hinweise wurde in der ganzen Zeit leider nicht im Bereich des Rechtsextremismus ermittelt. Darüber hinaus wurde, als Temme ermittelt wurde, ein Durchsuchungsbeschluss beantragt, und man fuhr zu seiner Wohnung. Als man dort erfuhr, dass der Mann

Verfassungsschützer war, nahm man ihn mit, um mit den Vorgesetzten zu beraten, was mit ihm ist, ließ aber die Frau in der Wohnung, was aus Beweissicherungsgründen mit Sicherheit ein großer Fehler war.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))