Protocol of the Session on August 23, 2018

Wir haben einen Antrag, den wir an den Wirtschaftsausschuss überweisen. Was machen wir mit dem anderen?

(Zurufe)

Der soll abgestimmt werden. – Dann lasse ich abstimmen über den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Landesregierung hat Kurs auf Innovationen gesetzt, Drucks. 19/6701. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der CDU und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion DIE LINKE, die Fraktion der FDP sowie die Abg. Öztürk. Enthaltungen? – Die Fraktion der SPD. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Meine Damen und Herren, eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Marokko, Tunesien und Algerien sowie Georgien sind keine sicheren Herkunftsstaaten, Drucks. 19/6709. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Der Dringliche Antrag wird Tagesordnungspunkt 81. Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion.

(Jürgen Lenders (FDP): Wir wollten noch über unseren Antrag abstimmen lassen! – Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie sind zu schnell, Herr Präsident!)

Ich habe es gehört. Herr Lenders, ich führe den Vorgang trotzdem zu Ende. – Die Redezeit für den jetzt neu eingegangenen Tagesordnungspunkt 81 beträgt fünf Minuten je Fraktion. Dieser ist auf die Tagesordnung genommen worden.

Ich komme zurück und entschuldige mich für meine Geschwindigkeit. Ich rufe Tagesordnungspunkt 50 zur Abstimmung auf, Antrag der Fraktion der FDP betreffend nächste Stufe Hessen: Gründung einer Agentur für radikale Innovationen und digitale Freiheitszonen, Drucks. 19/6671. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktion der CDU, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Fraktion DIE LINKE sowie die Abg. Öztürk. Wer enthält sich? – Das ist die SPD-Fraktion. Damit hat dieser Antrag keine Mehrheit gefunden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 57 auf:

Bericht des Untersuchungsausschusses 19/2 und Abweichender Bericht der Mitglieder der Fraktion der SPD zu dem Bericht des Untersuchungsausschusses 19/2 und Abweichender Bericht des Mitglieds der Fraktion DIE LINKE zu dem Bericht des Untersuchungsausschusses 19/2 und Abweichender Bericht des Mitglieds der Fraktion der FDP zu dem Bericht des Untersuchungsausschusses 19/2 – Drucks. 19/6611 zu Drucks. 19/445 –

Als Erstem erteile ich dem Berichterstatter des Untersuchungsausschusses, Abg. Jürgen Frömmrich, das Wort.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Eine Stunde!)

Die vereinbarte Redezeit beträgt 20 Minuten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lege Ihnen heute im Auftrag des Untersuchungsausschusses 19/2 als Berichterstatter den Abschlussbericht vor. Er wurde am 15. Juni 2018 vom Ausschuss beschlossen. Die Teile Eins und Zwei des Berichts wurden mit den Stimmen der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der LINKEN beschlossen. Teil Drei des Berichts wurde mit den Stimmen der CDU und der GRÜNEN beschlossen gegen die Stimmen der SPD und der LINKEN bei Enthaltung der FDP. Vorgelegt werden außerdem Abweichende Berichte der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon oft gesagt worden, ich sage es noch einmal: Das ist kein Ausschuss wie jeder andere. Es gibt wenige Ereignisse in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die unsere Gesellschaft so nachhaltig erschüttert haben wie diese schrecklichen Morde an unseren Mitbürgern. Das zeigt der Strafprozess vor dem OLG in München, der in den Medien als „Jahrhundertprozess“ bezeichnet wurde. Das zeigt aber auch folgende Zahl: Es gab und gibt im Bund und in den Ländern nicht weniger als 13 Untersuchungsausschüsse zum NSU-Komplex. Wenn ich Ihnen also heute den Abschlussbericht vorlege, ist klar: Wir werden morgen nicht zur Tagesordnung übergehen – im Gegenteil.

Rechtsextremismus und Rassismus, Wut, Hass und Verachtung auf alles, was anders ist, bleiben eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Ihr zu begegnen verlangt unsere Wachsamkeit und unsere Entschlossenheit. Ich glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause einig.

(Allgemeiner Beifall)

Deshalb ist das gemeinsame Vorwort aller Fraktionen des Hessischen Landtags, das wir dem Ausschussbericht vorangestellt haben, gleichzeitig eine Verpflichtung. Ich zitiere:

Wir bedauern, dass es den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder, einschließlich der hessischen Sicherheitsbehörden, nicht gelungen ist, die abscheulichen Taten der Rechtsterroristen zu verhindern. Wir entschuldigen uns für das Misstrauen und die Verdächtigungen, die die Angehörigen der Mordopfer erleiden mussten.

Mit einem der letzten Morde dieser schrecklichen rassistischen Mordserie hat sich der hessische Untersuchungsausschuss auseinandergesetzt, mit dem Mord an Halit Yozgat. Am 6. April 2006 wurde Halit Yozgat von widerwärtigen Rassisten und kaltblütigen Terroristen in seinem eigenen Internetcafé in Kassel erschossen. Wir sprechen Familie Yozgat, insbesondere den Eltern von Halit Yozgat, unser tiefes Mitgefühl aus.

(Allgemeiner Beifall)

Ich komme zum Abschlussbericht selbst. Er ist knapp 750 Seiten lang geworden. Hierzu kommen 450 Seiten abweichende Voten der Kollegen von der SPD-Fraktion, der Fraktion DIE LINKE und der FDP-Fraktion. Hier und heute kann ich natürlich nur einige Stichpunkte aufgreifen. Ich beginne mit der Statistik.

Dem Ausschuss lagen 1.852 Akten vor. Es gab 67 Sitzungen des Untersuchungsausschusses und zusätzlich 16 Sitzungen der Obleute. Der Ausschuss hat 102 Zeugen und Sachverständige – einige von ihnen mehrfach – vernommen. Die Zahlen belegen das, was ich am Anfang gesagt habe: Das ist kein Ausschuss wie jeder andere. Keinem anderen hessischen Untersuchungsausschuss lagen mehr Akten vor. Keiner hatte eine größere Anzahl von Sitzungen. Keiner hat mehr Zeugen vernommen. Keiner hat länger gedauert.

Der Auftrag an den Untersuchungsausschuss war, umfassend aufzuklären, welche Fehler bei der Aufklärung der NSU-Morde in Hessen im Rahmen der Ermittlungsarbeiten und des Zusammenwirkens der Sicherheitsbehörden begangen wurden. Hierzu möchte ich drei Punkte besonders herausstellen: erstens das allgemeine Versagen der Sicherheitsbehörden, zweitens die Rolle von Andreas Temme, drittens die Sperrerklärung durch den damaligen Innenminister.

Zu Punkt 1. Das vom Untersuchungsausschuss des Bundes und denen anderer Bundesländer festgestellte Versagen der Sicherheitsbehörden trifft natürlich auch auf Hessen zu. In unserem Bericht heißt es dazu wörtlich:

Im Fall des NSU-Trios sind die Sicherheitsbehörden ihrer Verantwortung für den Schutz des Lebens unserer Bürger nicht gerecht geworden. Denn sie haben aus den vorhandenen Informationen nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder wussten, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe untergetaucht waren. Die Sicherheitsbehörden wussten, dass sie Rechtsextremisten waren. Die Sicherheitsbehörden wussten, dass sie gewalttätig waren. Die Sicherheitsbehörden haben diese Informationen aber falsch bewertet. Dieser Irrtum hat zehn Menschen das Leben gekostet. Und eine weit größere Zahl an Menschen hat für immer ihren Frieden verloren.

Wie ist es zu dieser Fehleinschätzung gekommen? Wie ist dies zu erklären? – Ein Mitarbeiter des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz hat es so ausgedrückt:

Denn wären es … nicht Rechtsextremisten gewesen, die untergetaucht waren, sondern Linksextremisten, so hätten „sofort die Alarmglocken geschrillt“. Wegen dieses Denkens in linksextremistischen Mustern sei der intellektuelle Brückenschlag zum Rechtsextremismus leider nicht vorgenommen worden.

Die Zeugin Rieband, seinerzeit Mitarbeiterin des Bundesamtes für Verfassungsschutz und spätere Abteilungsleiterin im Hessischen Landesamt und Stellvertreterin des Präsidenten, bemerkte zu diesem Denken in linksextremistischen Mustern bündig:

Das ist zweifellos falsch, aber es ist so gewesen.

Dem kann der Untersuchungsausschuss nur hinzufügen: Das darf auf keinen Fall wieder passieren.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich komme zu Punkt 2, der Rolle des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme.

Erstens. Die Staatsanwaltschaft Kassel, der Generalbundesanwalt, das Bundeskriminalamt und das OLG München gehen nicht davon aus, dass Temme an der Mordserie be

teiligt war. Der Ausschuss hat keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass diese Einschätzungen unrichtig wären. Auch der Deutsche Bundestag hat das so gesehen. Ich zitiere aus den gemeinsamen Bewertungen des Abschlussberichts des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages:

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hat sich der kurz nach der Tat entstandene Verdacht der Beteiligung an der „Ceska“-Mordserie gegen den Mitarbeiter des LfV Hessen, Andreas Temme, nicht bestätigt.

Weiter heißt es dort:

Der Umstand, dass sich der Mitarbeiter des LfV Hessen Temme, der sich nach dem Ermittlungsergebnis der Polizei zum Tatzeitpunkt in dem Internetcafé befand, danach als Einziger nicht selbst als Zeuge gemeldet hatte, weckte den Verdacht, er könne an der Tat und an der ganzen Tatserie beteiligt sein. Diese Vermutung konnte aber schnell durch Ermittlungen zu einigen Alibis ausgeräumt werden, für die das LfV Hessen umfassende dienstliche Unterlagen zur Verfügung stellte.

Zweitens. Wir haben keinen konkreten Anhaltspunkt dafür gefunden, dass Temme oder ein anderer Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz im Vorhinein von den Morden gewusst hat. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass irgendeine andere hessische Behörde vorher etwas wusste. Das hatte vor uns auch der Bundestag schon festgestellt. Ich darf an dieser Stelle noch einmal aus dem Bericht des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zitieren:

Als Ergebnis der am 24. Juli 2013 abgeschlossenen Arbeit des Ausschusses ist festzuhalten, dass sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass irgendeine Behörde an den Straftaten, die der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nunmehr zur Last gelegt werden, in irgendeiner Art und Weise beteiligt war, diese unterstützte oder billigte.

Darüber hinaus haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass vor dem 4. November 2011 irgendeine Behörde Kenntnis gehabt hätte von der Verantwortung des NSU für die ihm nunmehr zur Last gelegten Taten.

Das schreibt der Deutsche Bundestag, und das deckt sich mit den Ergebnissen unseres Untersuchungsausschusses.

Drittens. Wir können nicht sicher sagen, ob Temme noch in dem Internetcafé war, als die Schüsse fielen, oder ob er das Internetcafé zu diesem Zeitpunkt schon verlassen hatte. Beides erscheint möglich. Das haben auch die Ermittlungsbehörden damals so gesehen. Der ermittelnde Staatsanwalt, Dr. Wied, hat gegenüber dem Ausschuss als Zeuge gesagt:

Ob er zur Tatzeit am Tatort war, kann ich nicht hundertprozentig sagen. Das ist gut möglich. Er könnte aber auch draußen gewesen sein.

Wir können also nicht mit Bestimmtheit sagen, wie es am Tattag genau war. Eine definitive Aussage lässt die Faktenlage einfach nicht zu. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir sagen nicht, dass es so oder so gewesen sei, sondern wir sagen: Wir können nicht ausschließen, dass beide Varianten denkbar sind. – Das ist unbefriedigend. Viele Ausschussmitglieder hatten und haben Vermutungen, wie

es gewesen sein könnte. Für den Abschlussbericht ist aber entscheidend, was der Ausschuss beweisen konnte und was nicht.

Ich komme zu Punkt 3, zur Sperrerklärung durch den damaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Der Vorwurf war, dass Bouffier die Ermittlungen dadurch behindert habe, dass er den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erteilung der Aussagegenehmigung für die von Temme geführten Zeugen abgelehnt habe. Dazu haben wir Folgendes festgestellt – ich zitiere aus dem Abschlussbericht –:

Bouffier hatte als damaliger Innenminister die Entscheidungsbefugnis über den von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag auf Erteilung der Aussagegenehmigungen. Aus seiner Sicht konnte die Staatsanwaltschaft nicht ausreichend begründen, was sie sich von einer förmlichen Vernehmung der von Temme geführten Quellen versprach. Er hatte eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Quellenschutz und dem Erkenntnisinteresse der Ermittlungsbehörden zu treffen. Dabei wurde weder von der Staatsanwaltschaft noch vom die Entscheidung vorbereitenden Innenministerium eine Differenzierung zwischen den Quellen vorgenommen. Hierin sieht der Ausschuss einen Fehler. Wäre eine Differenzierung vorgenommen worden, wäre es wahrscheinlich zu einer Aussagegenehmigung für die rechte Quelle gekommen. Wie die Befragungen dieser Quelle durch den Ausschuss ergeben haben, hätte dies die Polizei in ihren Ermittlungen jedoch nicht weitergebracht …

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja, klar, wenn man es vorher schon weiß!)

Ich komme zum Schluss. Dazu gehört das Atmosphärische im Untersuchungsausschuss. Es ist davon gesprochen worden, dass im Ausschuss zu viel gestritten worden sei. Es war von parteipolitischem Gezänk die Rede sowie von Gräben zwischen Regierung und Opposition. Dazu sage ich Folgendes: Ja, das hat es gegeben, vor allem zu Beginn war dies so. Ich möchte hierzu auch selbstkritisch anmerken, dass wir manches in der Tat atmosphärisch hätten besser machen können. Umso mehr freue ich mich darüber, dass alle Fraktionen zum Ende der Ausschussarbeit konstruktiv und kollegial zusammengearbeitet haben. Alle Fraktionen haben den von mir im März vorgelegten Entwurf durchgesehen und Verbesserungsvorschläge gemacht. Diese Vorschläge haben wir gemeinsam diskutiert; in Teilen wurden sie auch in den Bericht übernommen. Sie sind damit Bestandteil des hier vorliegenden Abschlussberichts.

Auf der Zielgeraden haben wir es sogar geschafft, eine von allen Fraktionen gemeinsam getragene Präambel zu verabschieden – sozusagen einen interfraktionellen Grundkonsens. Das ist zwar weniger, als ich mir zuletzt gewünscht hatte. Es ist aber mehr, als ich zwischenzeitlich erwartet hatte. Deshalb freue ich mich darüber sehr. Für dieses Entgegenkommen, für dieses Aufeinander-Zugehen, für das kollegiale Miteinander, gerade in den letzten Monaten, danke ich den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses – vor allem den Obleuten aller Fraktionen, die zuletzt sehr intensiv und sehr konstruktiv zusammengearbeitet haben. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall)