Protocol of the Session on August 22, 2018

Wenn Sie sich rühmen, dass so viele Stellen geschaffen worden seien – es geht ja gar nicht um Lehrer und Köpfe, dazu komme ich noch –: Die „Frankfurter Neue Presse“ hat kürzlich getitelt: „Mehr Schüler brauchen mehr Lehrer“. Wenn Sie ganztägig arbeitende Schulen haben wollen, dann brauchen Sie mehr Lehrer, auch wenn vielleicht die Schülerzahlen sinken.

(Beifall bei der SPD)

In jeder Zeitung können Sie lesen, dass wir einen Lehrermangel haben, besonders an Grund- und Förderschulen. Wir haben ihn aber nicht nur dort. Da wir auch über den Schuljahresbeginn reden: Ich habe hier einen FacebookPost vom 6. August – das war der erste Schultag – eines Gymnasiums im Main-Taunus-Kreis. Darin wird dafür geworben – ich lese es vor –: „Die … [Soundso]-Schule sucht dringend und ab sofort L-3-Studierende ab dem vierten Fachsemester, die in den Klassen 5 bis 9 in den Fächern Kunst, Mathematik und Physik unterrichten möchten.“

(Zurufe von der CDU)

Es geht hier also nicht um Nachmittagsangebote, um Zusatzangebote, sondern um die Grundunterrichtsversorgung, die Sie von der Regierung nicht mit qualifizierten Lehrkräften abdecken können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Zurufe von der CDU)

Kollege Degen, der Kollege Schwarz möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Ich rede jetzt erst einmal weiter.

(Armin Schwarz (CDU): Welche Schule ist das denn?)

Meine Damen und Herren, CDU und GRÜNE missbrauchen ein Instrument, das eigentlich für Ausnahmefälle gedacht ist, um die Unterrichtsversorgung überhaupt noch sicherstellen zu können, indem sie auf Studierende und Laien setzen, die auf Lehrkräftestellen eingesetzt werden.

Es herrscht inzwischen an fast allen Schulformen die gleiche Situation. Eine Gesamtschule in Südhessen musste die ganze erste Woche nach Schulbeginn die Klassenlehrer von 8 bis 12:30 Uhr unterrichten lassen, weil wenige Tage vor Schuljahresbeginn drei Lehrkräfte abgesagt haben, die eigentlich einspringen wollten. Dort unterrichten über zehn Lehrkräfte, die keine studierten Lehrer sind: Grafikdesigner, Kunstpädagogen und andere. All das ist ein Zeichen des Lehrermangels in Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Viel dramatischer ist die Situation an den Grundschulen. Ich kenne eine Grundschule hier im Rhein-Main-Gebiet, an der ein Drittel aller Lehrerstellen mit Studierenden besetzt sind. Herr Kultusminister, Sie können am Ende statistisch vielleicht errechnen, dass eigentlich nur die Zusatzangebote davon betroffen sind, aber das trifft auf einzelne Schulen nicht zu. Dort kann der Anteil ein Drittel ausmachen. Eine der wirklich qualifizierten Kolleginnen an dieser Schule ist außerdem schwanger, und die Schulleitung hat schon jetzt schlaflose Nächte, wie sie zum Januar eine neue Kraft finden soll. Wahrscheinlich wird es auch diesmal auf eine Studierende oder einen Studierenden hinauslaufen.

In Nordhessen ist es genauso. Auch da werden Lehrkräfte ohne Ausbildung – maximal mit bestandenem ersten Staatsexamen, wenn überhaupt – eingesetzt. An Förderschulen ist es ebenso. Ich kenne ein Beispiel aus Nordhessen, dort sind fünf Stellen an einer Förderschule mit Quereinsteigern ohne Lehramtsprüfung besetzt. Das ist besonders dramatisch; denn hier bringt ja auch die Fachlichkeit eines Diplom-Physikers nichts. Man braucht echte Pädagogen, gerade im Bereich der Förderschulen und der Inklusion. Auch hierfür habe ich ein Beispiel parat – es gäbe viele mehr –: Ein Erziehungswissenschaftler, frisch von der Uni, wird an eine Grundschule geschickt, um den Grundschullehrkräften zu erklären, wie Inklusion funktioniert.

(Günter Rudolph (SPD): Absurd!)

An der Schule ist niemand mit einer diagnostischen Ausbildung, niemand mit einer sonderpädagogischen Ausbildung an Bord. Das darf so nicht sein. Das müssen wir zwingend ändern.

(Beifall bei der SPD)

An den beruflichen Schulen ist die Situation ebenfalls katastrophal. Ich habe eine Schule besucht, in der 60 % des Elektrotechnikunterrichts von Studierenden gegeben wird. Der Schulleiter hat eine Klassenleitung übernommen, weil er sagt: Ich kann den Leuten ja nicht noch eine Klassenleitung übertragen. – Das ist der Zustand an den hessischen Schulen zum Schuljahresbeginn.

Das ist das Ergebnis von 19 Jahren CDU-Regierung in Hessen. Wenn die „Tagesschau“ schreibt: „Nur zwei Wochen Crashkurs, dann Lehrer“, dann muss ich dazu sagen: Man könnte fast froh sein, wenn es in Hessen überhaupt einen zweiwöchigen Crashkurs für pädagogische Laien gäbe, die auf solche Stellen gesetzt werden. Aber es gibt nichts, keine Grundqualifikation pädagogischer Laien, die an unseren Schulen unterrichten.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Wagner, kommen wir zu ein paar Zahlen vom Institut der deutschen Wirtschaft. Sie alle meinen wahrscheinlich, das seien SPD-Schulleiter oder GEW-Funktio

näre; Kollege Schwarz ist immer sehr schnell in seinem Urteil.

(Zurufe der Abg. Armin Schwarz (CDU) und Günter Rudolph (SPD))

Die Zahlen stammen vom Institut der deutschen Wirtschaft; denn Zahlen der Gewerkschaft – das ist die fünfte Kolonne aus Sicht der CDU – kann ich nicht nehmen. Was die Pro-Kopf-Ausgaben betrifft: Hessen weist unter allen Bundesländern im öffentlichen Ausgabeverhalten der Bildung die drittniedrigste Priorität zu. Die Relation der Bildungsausgaben pro Teilnehmer zu den Gesamtausgaben ist unterdurchschnittlich.

An den Grundschulen – da, wo das Fundament gelegt wird – kommen im Jahr 2016 auf eine Lehrkraft rechnerisch 16,9 Schülerinnen und Schüler, der Bundesschnitt beträgt 16,3 Schülerinnen und Schüler. In der Sekundarstufe I, ohne die Gymnasien – Herr Schwarz, vielleicht sind Sie immer nur an den Gymnasien –, weist Hessen sogar die schlechteste Lehrer-Schüler-Relation aller Bundesländer auf. Das sagt das Institut der deutschen Wirtschaft.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Kommen wir zu den Wochenstunden und zu Ihrer angeblich so tollen Lehrerversorgung. Der Herr Kultusminister hat mir auf eine Anfrage geantwortet, wie das an den Grundschulen ist: In Hessen kommen die Grundschüler – die Klassen 1 bis 4 zusammengezählt – pro Woche auf 92 Pflichtstunden. In Hamburg sind es übrigens 108 Stunden. Den einfachen Dreisatz habe ich gelernt, auch wenn ich unter Rot-Grün zur Schule gegangen bin.

(Zurufe der Abg. Alexander Bauer, Armin Schwarz (CDU) und Günter Rudolph (SPD))

Wenn ich das hochrechne, stelle ich fest, Hessen hat im Vergleich zu Hamburg in den Grundschulen eine Grundunterrichtsversorgung von 85 %. Wenn ich den Zuschlag von 5 % hinzurechne, komme ich gerade einmal auf 90 %. Da ist deutlich Luft nach oben.

(Beifall bei der SPD – Zurufe des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Zum Thema Ganztagsschule. Auch da sagt der „Bildungsmonitor“ ganz klar: 33,3 % der hessischen Grundschüler lernten im Jahr 2016 an einer offenen oder gebundenen Ganztagsschule. Der Bundesschnitt beträgt 40,8 %. Kollege Rudolph hat mir gerade ein Beispiel zugerufen: Der Schwalm-Eder-Kreis macht beim Pakt für den Nachmittag zwar nicht mit, aber das hat einen Grund; denn auf die Anfrage wollte keine einzige Grundschule am Pakt für den Nachmittag teilnehmen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es! – Armin Schwarz (CDU): Wie kommt das denn?)

Der Pakt für den Nachmittag ist keineswegs ein Erfolgsmodell. Er ist ein Flop, weil er am Ende

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

ein Schulgeld für die Nachmittagsstunden bedeutet und keine echte qualitätsvolle kostenfreie Bildung für den ganzen Tag.

Kollege Degen, Kollege Schwarz versucht es noch einmal.

Kollege Schwarz kann sich gerne für eine Kurzintervention melden. – Auch beim Anteil der Bildungsausländer an den Studierenden – das sagt das Institut der deutschen Wirtschaft – befindet sich Hessen unter dem Durchschnitt der Bundesländer: 9 % im Vergleich zu 9,9 %. Auch hier gibt es einen großen Nachholbedarf im Hinblick auf die Bildungschancen, gerade bei Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Es gibt noch lange keine Chancengleichheit.

Zum Unterrichtsausfall. Auch hierzu ein Beispiel aus einem anderen Land: Rheinland-Pfalz hat 1.300 Stunden der mobilen Vertretungsreserve, Hessen hat gerade einmal 300 Stunden. Der Kultusminister ist nicht einmal bereit, Zahlen zum Unterrichtsausfall zu erheben. Wenn man immer nur sagt, man will nichts wissen, kann man auch nichts dagegen tun.

(Beifall bei der SPD)

Dazu sagen wir: Wir wollen, dass endlich Schluss mit „Kultusminister Ahnungslos“ ist.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Wir wollen endlich eine Bestandsaufnahme des Krankenstandes bei den Lehrerinnen und Lehrern, des Unterrichtsausfalls und des Investitionsbedarfs an den Schulen. Das hat alles nichts mit mehr Bürokratie an Schulen zu tun. Die Daten liegen vor, man muss sie sich nur einmal anschauen.

(Alexander Bauer (CDU): Ich will jetzt Applaus bei der SPD!)

Wir müssen unsere Schulen modernisieren und auch die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte. Wir brauchen endlich Maßnahmen gegen Unterrichtsausfall, für mehr Lehrer, für Gesundheit, gegen Überlastungsanzeigen und vor allem für den qualifizierten Quereinstieg, damit wir endlich wieder Lehrkräfte qualifizieren und nicht nur Laien zu Lehrerinnen und Lehrern machen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen weiterhin den Ganztag. Wir wollen Qualität statt nur Betreuung. Wir wollen kostenfreien ganztägigen Unterricht da, wo er gewollt ist, und kein Schulgeld am Nachmittag.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen die Schulen noch viel stärker an ihrer Schülerschaft orientiert ausstatten, mit einem echten, schulscharfen Sozialindex. Wir wollen individuelle Förderung ermöglichen und Inklusion so gestalten, dass sie als Mehrwert verstanden wird und nicht als Belastung der Schulen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Wir wollen echte Schulsozialarbeit statt 0,5 Stellen pro Schule für sozialpädagogische Fachkräfte. Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch hier gibt es dringend Nachholbedarf.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU) – Gegenruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))