Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erstens. Ich habe auf die logische Struktur des Arguments „Wer allen etwas verspricht, wird niemandem etwas versprechen“ hingewiesen und gesagt, dass das nicht logisch ist. Und das bleibt auch nicht logisch.
Was historisch auch nicht richtig bleibt, Herr Kollege Wagner, ist Ihre Darstellung des Gangs der Dinge. Die SPD hat bereits auf ihrem Landesparteitag im Februar dieses Jahres einstimmig die vollständige Gebührenbefreiung für alle Kinder beschlossen – unabhängig vom Alter und von der Betreuungszeit, inklusive Ganztag, inklusive U 3, inklusive Hortkinder, inklusive Tagespflege.
Da haben der Minister und die Kollegin Wiesmann noch auf den Bäumen gesessen und von „großartigen“ und fehlgeleiteten Subventionsprogrammen für reiche Eltern gesprochen. Von Ihnen war da auch noch nichts zu sehen.
Dann kamen Sie in heller Panik, nachdem wir das in diesem Landtag im ersten Halbjahr vier- oder fünfmal diskutiert hatten, am 30. August mit einer Sturzgeburt eines Vorschlags, den wir heute diskutiert haben und der schlecht ist.
Ja, natürlich. Was diesen Gesetzentwurf angeht, werden wir das halten, was in diesem Gesetzentwurf steht.
Ich habe gestern schon gesagt: Sie werden den Deckungsvorschlag Länderfinanzausgleich nur dieses eine Mal von uns hören, weil dieses unsere Priorität ist.
Der Rest steht im Gesetzentwurf. Lesen Sie ihn zur Abwechslung einmal. Das werden wir halten. Das ist finanziert. Das ist unsere Priorität. Denn wer tatsächlich in der frühkindlichen Bildung vorankommen will, der muss mit dem Klein-Klein aufhören und endlich einmal einen richtigen, großen, entschiedenen, entschlossenen und mutigen Schritt vorwärts machen. Dafür sind Sie nicht bereit, wir schon.
Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Aussprache beendet.
Wir überweisen zur Vorbereitung der zweiten Lesung den Gesetzentwurf an den zuständigen Fachausschuss. – Allgemeine Zustimmung.
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bildungsungerechtigkeit durch bessere Lernbedingungen abbauen, ganztägig und gebührenfrei – Drucks. 19/5760 –
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Merz hat jetzt aber kein Geld mehr übrig gelassen! – Günter Rudolph (SPD): Ach, wie witzig! – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diesen aktuellen Setzpunkt deshalb gewählt, weil ganz aktuell vor wenigen Tagen die Ergebnisse der jüngsten Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung, kurz IGLU genannt, erschienen ist. Die Leitfrage der Studie war, wie gut deutsche Grundschülerinnen und Grundschüler Texte lesen und verstehen können. Die Ergebnisse sind leider alles andere als zufriedenstellend.
Jeder fünfte Grundschüler verlässt die Grundschule, ohne richtig lesen zu können. 2001 waren es noch 16,9 % der Grundschüler, die starke Leseschwächen aufweisen. Jetzt liegt ihr Anteil bei 18,9 %. Das ist die falsche Richtung, und das muss sich ändern.
Untersucht wurde von IGLU auch der Erfolg des Lernens in Abhängigkeit von der Herkunft der jungen Leute. Diese Abhängigkeit ist in Deutschland leider immer noch besonders hoch. Denn in Familien, in denen es mehr Bücher gibt und die Eltern Berufe mit höherer Qualifikation ausüben, konnten Grundschüler deutlich besser lesen und mit Texten umgehen.
Dieser Leistungsvorsprung von Kindern aus Familien, die mehr als 100 Bücher zu Hause haben, beträgt mehr als ein Lernjahr. Die Kinder, die Eltern haben, die helfen können
Die Studie sagt dazu: „Für keinen Teilnehmer zeigen sich im Vergleich mit Deutschland signifikant größere sozial bedingte Disparitäten in den Leseleistungen.“ Es ist festzustellen, so die Studie, „dass es Deutschland noch nicht gelungen ist, einen allgemeinen Anspruch auf Chancengleichheit im Bildungssystem durch- bzw. umzusetzen“.
Die sozial bedingten Leistungsunterschiede haben seit 2001 sogar noch zugenommen. Das ist die falsche Richtung. Wir brauchen mehr Bildungsgerechtigkeit, nicht weniger. Schulen müssen hier endlich in die Lage versetzt werden, Chancengleichheit zu schaffen.
Wir müssen Schluss machen mit der Schönrednerei auch hier im Hause, mit den Worten „Allzeithoch“ und „historisch“.
Da will ich ausdrücklich auch auf die mündliche Frage vom Dienstag zu sprechen kommen, wo es auch um Sprachkompetenzerwerb ging. Auch da hat man ja hören können, Hessen sei ein Erfolgsmodell, und wir hätten eine Vorreiterrolle. Jetzt muss ich aber einige von Ihnen sehr enttäuschen. In der IGLU-Studie wird ausdrücklich ein Best-Practice-Beispiel genannt, und das ist nicht Hessen.
Das ist die Freie und Hansestadt Hamburg. Das Hamburger Sprachförderkonzept richtet sich auf alle sprachbildenden Maßnahmen aus, die an der Schule organisiert sind. Die Sprachbildung wird als durchgängige Aufgabe des Unterrichts in allen Fächern angesehen. Die individuelle Förderung ist kontinuierlich. Schulen erhalten besondere Ressourcen für die Sprachförderung von Kindern mit einem ausgeprägten Sprachförderbedarf. Jede Hamburger Schule hat zur Umsetzung des Sprachförderkonzepts eine qualifizierte Sprachlernberaterin oder einen Sprachlernberater, die ein schulspezifisches Sprachförderkonzept erstellen und die Umsetzung begleiten, evaluieren und weiterentwickeln.
Nach Einführung des Sprachförderkonzepts in Hamburg wurden beachtliche Schritte gemacht, so die Studie. Sie sagt sogar, laut IQB-Bildungstrend ist Hamburg das einzige Land, in dem sich der Anteil der Kinder, die den Regelstandard erreichen oder übertreffen, von 2011 auf 2016 signifikant erhöht hat. – So geht gute Bildungspolitik.
Auch das beste Leseprogramm nutzt nichts, wenn die Lehrkräfte nicht wissen, wie sie mit ihm arbeiten sollen. Denn was nicht hilft, ist ein Schulsystem, in dem jede hundertste Stelle an Grundschulen überhaupt nicht besetzt ist und 10 % der Stellen, die irgendwie besetzt sind, mit pädagogischen Laien besetzt sind. Damit sind solche Ergebnisse wie bei IGLU auch in Hessen leider keine Überraschung.
Was nicht hilft, ist ein Pakt für den Nachmittag, der nur ein Mehr an Betreuung schafft, aber keine besseren Bedingungen für Bildung, und der am Ende sogar noch bis zu 200 € im Monat kostet.
Was nicht hilft, ist ein quop-Progamm, das nur eine Handvoll Schulen anwendet und das sich ausschließlich auf Dia
gnose konzentriert und den Schulen keinerlei Hilfsmittel gibt, wie sie hier entsprechend auch weiter fördern können.