Protocol of the Session on November 22, 2017

Im Jahre 2012 hat die Fraktion der LINKEN im Bundestag die Einführung einer umfassenden Risikobewertung bei der Einführung neuer Medikamente sowie eines herstellerspezifischen Rücknahmesystems gefordert. Weder gab es eine Mehrheit für diese Forderung, noch hat die Bundesregierung diese Punkte aufgegriffen.

(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Zur Sicherung der Qualität unseres Trinkwassers brauchen wir wirkungsvolle Strategien zur Verminderung von Arzneimittelrückständen in der Umwelt. Macht das der Bund nicht, müssen die Länder es eben vormachen. Diese Strategien dürfen sich nicht allein auf End-of-pipe-Lösungen, wie die Abwasserreinigung mit einer vierten Reinigungsstufe und die Trinkwasseraufbereitung, konzentrieren. Sie müssen entlang des gesamten „Lebenswegs“ von Arzneimitteln greifen. Das beginnt bei der Entwicklung der Medikamente. Hier sollte auf eine bessere Abbaubarkeit der Wirkstoffe geachtet werden.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Es geht weiter über die verantwortungsvolle Verschreibung und Einnahme von Arzneimitteln bis hin zu deren Entsorgung.

Das gilt für Humanmedikamente genauso wie für den Einsatz von Medikamenten in Tierställen. Auch eine Verringerung des Fleischkonsums und erst recht eine Fleischproduktion nach den strengen Regeln der Bioanbauverbände können hier einen guten Beitrag leisten.

(Kurt Wiegel (CDU): Was hat das mit dem Wasser zu tun?)

Den Zusammenhang bekommen Sie nicht hin. Das kann ich mir vorstellen.

Um eine Reinigung von Abwässern mit einer vierten Reinigungsstufe kommen wir – zumindest an den Hotspots der Einleitungen – nicht herum. Ein Großteil der Medikamentenrückstände und ihrer Abbauprodukte gelangt über menschliche Ausscheidungen in das Abwasser und über die Klärwerke in die Flüsse. Die Orte, an denen mindestens 20 % dieser Abwässer anfallen, sind Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.

In einem ersten Schritt sollten alle Klärwerke mit über 90.000 Einwohnergleichwerten mit einer vierten Reinigungsstufe ausgestattet werden. Das betrifft in Hessen ca. 13 Klärwerke. Man kann das auch als Stufenplan angehen, dann braucht man hier nicht mehr andere zu beschimpfen und für ihre Vorstellungen zu tadeln.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos) – Kurt Wiegel (CDU): Das ist doch schon so!)

In einem zweiten Schritt folgen die Anlagen mit einem Einwohnergleichwert zwischen 50.000 und 90.000 Einwohnern. Investitionen in einer Größenordnung von 160

Millionen € seien bis 2020/2021 vorstellbar, teilt die Hessische Landesregierung mit.

Eine vierte Reinigungsstufe für die größten Kläranlagen, die neben den meisten Medikamenten auch Mikroplastik aus dem Abwasser filtern, ist sicher gut angelegtes Geld. Wir sehen hier das Land in der Verantwortung. Es kann nicht sein, dass sich das Land mit dem Hinweis – wie es die Landesregierung bei der Nichtbeantwortung vieler Fragen in der Antwort auf die Großen Anfrage getan hat –, dass für die Trinkwasserbereitstellung und die Abwasserbeseitigung die Kommunen zuständig seien, einfach aus der Verantwortung stiehlt. Selbstverständlich fallen diese Aufgaben in die Zuständigkeit der Kommunen. Es fällt aber in die Zuständigkeit des Landes, die Kommunen bei allen ihren Aufgaben zu unterstützen und dafür Sorge zu tragen, dass die Kommunen genug Geld haben, diese Aufgaben zu erfüllen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Parallel zu den Klärwerken sollten an den Hotspots des Medikamenteneinsatzes die Abwässer entweder dezentral vorbehandelt oder getrennt gesammelt werden. Frau Dorn, dann kann man sich sparen, jedem einzelnen Patienten zu erzählen, wo er denn Pipi machen soll. Man kann einfach sagen: Mit den Abwässern von Krankenhäusern müssen wir gesondert umgehen.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie macht man das „einfach so“?)

Indem man die Abwässer gesondert behandelt, indem man sie eben nicht in die örtliche Kläranlage einleitet.

An dieser Stelle sollten die Hersteller und In-VerkehrBringer von Arzneimitteln in die finanzielle Verantwortung für die Entfernung der problematischen Reste ihrer Wertschöpfungskette genommen werden. Wenn sich die in Hessen gut vertretene Pharmaindustrie an den Kosten für die Reinigung von Krankenhausabwässern beteiligen würde, wäre das eines der wenigen PPP-Projekte, das sich für die Allgemeinheit lohnen würde.

Drittens muss das Land in der Landwirtschaft die Tierhaltung fördern, die deutlich weniger Antibiotika einsetzt, was in letzter Konsequenz eine Abkehr von der Massentierhaltung bedeutet.

Viertens gehören der verantwortungsvolle Umgang mit Medikamenten und die richtige Entsorgung von Altmedikamenten genauso wie die Grundzüge einer gesunden Ernährung und einer nachhaltigen klimaschonenden Lebensweise als Themen in den Schulunterricht.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Klimaschutzplan hat dieses Thema doch aufgenommen!)

Gehen wir diese Schritte, werden die Arzneimittelrückstände in unseren Gewässern zumindest nicht massiv ansteigen. Verschwinden werden sie nicht. Das Thema Wasser und Wasserversorgung wird uns in den kommenden Jahren noch sehr häufig beschäftigen. Ich finde es daher unverständlich bis unverschämt und dem Gegenstand überhaupt nicht angemessen, dass und wie die Hessische Landesregierung einen großen Teil der Fragen der SPD-Fraktion nicht beantwortet. Wir haben das Problem, dass in den Ballungszentren – allen voran in Frankfurt am Main – der Wasserverbrauch steigt. Wir haben das Problem, dass z. B.

Städte wie Darmstadt oder Frankfurt ihren Durst schon lange nicht mehr aus Ressourcen von eigenen Gemeindeflächen stillen können, und wir haben das Problem, dass die Versorgung des Rhein-Main-Gebietes aus dem Hessischen Ried oder aus dem Vogelsberg immer größere ökologische Schäden mit hohen Folgekosten verursacht.

Der Klimawandel mit geringeren Niederschlägen und die wachsenden Ballungsräume verlangen nach neuen nachhaltigen Konzepten der Wasserver- und -entsorgung. Hier ist das Wort „nachhaltig“ ernst zu nehmen. Es ist gut, die Kommunen bei der Erarbeitung neuer Konzepte zu unterstützen.

Diese Unterstützung und die Finanzierung von Pilotanlagen reichen aber nicht aus. Zur Sicherung unserer Wasserversorgung brauchen wir für die Wasserinfrastruktur ein in die Zukunft weisendes Investitionsprogramm. Das gibt es aber nicht. Dem Schwarze-Null-Fanclub möchte ich an dieser Stelle sagen: Unterlassene Investitionen in die Zukunft sind nichts anderes als Schulden mit Zinseszins.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wollen Sie nicht auf dem Trockenen sitzen, werden die kommenden Generationen teuer für das bezahlen, was wir jetzt unterlassen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat Frau Abg. Wiebke Knell, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Trinkwasser ist das Lebensmittel Nummer eins. Die Sicherung der Verfügbarkeit und die nachhaltige Förderung von Trinkwasser sind daher entscheidende Zukunftsfragen. Deshalb ist es gut, dass wir hier im Parlament auch über das Thema Trinkwasser sprechen. Ob wir dazu angesichts der Fragestellungen in der Großen Anfrage alle zu Experten auf Ingenieurniveau werden müssen, wage ich zu bezweifeln.

In Deutschland leben wir, was die Wasserversorgung angeht, in einem gesegneten Land. Wir haben ausreichend Wasser, und wir haben weder qualitativ noch quantitativ ein Problem mit der Wasserversorgung. Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon einmal vier Wochen lang nicht geduscht hat. Ich habe viel Zeit in Indien, Kenia und Tansania verbracht – es gibt nichts Besseres, als nach vier Wochen wieder unter einer Dusche zu stehen, dabei den Mund aufmachen und Wasser trinken zu können. Wir können also sehr dankbar sein. Deswegen verstehe ich die Aufregung nicht.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn wir im Gegensatz zu vielen anderen Menschen der Welt genügend Wasser zum Trinken haben, so muss uns der prekäre Waldzustand im Hessischen Ried, der Wasserpegel des Edersees oder die Erholung von Werra und Weser ein Zeichen und Warnung zugleich sein,

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

dass der Wasserverbrauch auch bei uns aufs Engste mit Artenvielfalt, Naturschutz und wirtschaftlicher Entwicklung verknüpft ist.

Auch die Frage der Einträge ins Trinkwasser muss dauerhaft untersucht und immer neu bewertet werden. Klar ist aber auch, dass die Messmethoden immer genauer werden und dass deswegen auch minimale Rückstände nachgewiesen werden können. Alarmismus und Panikmache sind deswegen nicht der richtige Weg. Stattdessen brauchen wir ein adäquates Monitoring und immer weitere Forschungen in diesen Bereichen. Es gilt, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Die Landesregierung hat mit der Förderung einer vierten Reinigungsstufe in Bickenbach begonnen und ein Pilotvorhaben eingerichtet. Das ist unserer Meinung nach auch der richtige Weg.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen in diesem Bereich zusätzliche Erfahrungen sammeln, damit wir zukünftig wissen, wo und wie wir arbeiten müssen, damit wir bestimmte Einträge in unsere Gewässer vermeiden. Daher müssen neben den bisherigen Pilotverfahren auch noch weitere Forschungsvorhaben vorgenommen werden.

Bei der Beantwortung der mündlichen Frage meines Kollegen Dr. Blechschmidt im August-Plenum hatte die Ministerin deutlich gemacht, dass Fördermittel für weitere Maßnahmen gegen multiresistente Keime zur Verfügung stehen. Das ist ebenfalls ein richtiger Ansatz. Langfristig werden wir wohl kaum um eine zusätzliche Reinigungsstufe herumkommen, da der demografische Wandel und die fortschreitende Medizin zu weiteren Einträgen führen werden, die an der Quelle eben nur schwer bis gar nicht zu vermeiden sein werden.

Ich halte abschließend fest: Unsere Trinkwasserversorgung ist sicher. Wir können uns auf das Wasser aus dem Wasserhahn verlassen. Dafür können wir sehr dankbar sein. Das ist für die Menschen wichtig. Diese Tatsache endbindet uns dennoch nicht von der Pflicht, auch in Zukunft immer besser zu werden. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Staatsministerin Priska Hinz. Bitte sehr, Priska.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal bin ich etwas verblüfft, dass mir die SPD, in diesem Falle Frau Löber, vorwirft, dass die Kompetenz- und Verantwortungsverteilung im Lande Hessen so ist, wie sie ist. Natürlich sind die Kommunen und die Abwasser- und Zweckverbände für die Trinkwasser- und Abwasserleitungen sowie für die Kläranlagen zuständig. Das ist so. Natürlich haben wir Förderprogramme zur Unterstützung der Kommunen, gerade was den Bau von Kläranlagen angeht. Aber die Kommunen tragen den Hauptteil, und das legen diese natürlich auf die Verbraucherinnen und Verbraucher

um. Das ist völlig normal. Frau Löber, dass Sie das erst heute festgestellt haben, mir aber vorwerfen, ist, wie ich finde, ein merkwürdiger Vorgang.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will im Wesentlichen zu drei Punkten etwas sagen. Ich komme gern erst einmal, weil es den Hauptteil der Reden eingenommen hat, auf das Thema der Spurenstoffe zu sprechen. – Ja, es ist richtig, dass wir aufgrund der Tatsache, dass die Analytik weit voranschreitet, tatsächlich immer mehr Spurenstoffe entdecken können. Wir haben im Wasser sehr viele unterschiedliche Spurenstoffe, die möglichst minimiert werden müssen; und eine Möglichkeit besteht in der Entwicklung bzw. Einrichtung von vierten Reinigungsstufen.

Man muss aber wissen, dass die vierten Reinigungsstufen nur ein Teil der Problemlösungen sind. 60 % der Spurenstoffe können durch vierte Reinigungsstufen überhaupt nicht erfasst werden. Wir machen auch Pilotprojekte, um zu schauen, wie das in den einzelnen Bereichen wirkt, gerade dort, wo wir im Grundwasser hohe Belastungen haben, und wie man vierte Reinigungsstufen weiterentwickeln kann. Da wir alle mit diesem Thema relativ neu umgehen – die Spurenstoffstrategie in Hessen ist immerhin im Jahre 2014 begonnen worden; im Bund ist sie im letzten Jahr begonnen worden –, haben wir tatsächlich noch vieles zu lernen. Ich halte es für richtig, dass wir Pilotanlagen einführen, um auch Forschungsergebnisse mit einzubinden und zu überlegen: Wie machen wir dort weiter?

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Löber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir haben Ihnen auf drei Seiten geantwortet, was wir in Sachen Spurenstoffstrategie machen. Ich weiß nicht, ob Sie das nicht zur Kenntnis nehmen. Sie können auch gern zu den Veranstaltungen kommen, die wir dazu machen. Sie sind gern gesehene Gäste.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Noch eine Einladung!)