Protocol of the Session on March 22, 2017

Da haben wir einen Dissens zu Ihnen, Frau Dr. Sommer: Ich möchte die Krisendienste nicht nur deshalb nicht gesetzlich festschreiben, weil es konnex ist und teuer wird, sondern weil wir die Hauptverantwortlichen, nämlich die Kassenärztliche Vereinigung über die ärztlichen Bereitschaftsdienste und die Krankenkassen – die eigentlich einen großen Gewinn daran haben, wenn die teuerste Versorgung, nämlich die Krankenhausunterbringung, nicht stattfindet –, komplett aus der Verantwortung entließen, wenn wir es als gesetzliche Vorschrift formulieren würden.

(Beifall des Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU))

Danke, Herr Dr. Bartelt, dass Sie das auch so sehen. – Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt.

(Gerhard Merz (SPD): Das ist falsch!)

Das ist Quatsch. Herr Merz ist wieder im Raum, wir begrüßen Sie.

(Gerhard Merz (SPD): Ich war die ganze Zeit hier, und zwar durchgehend, anders als manch anderer!)

Der Punkt ist, dass wir, wenn wir Krisendienste ins Gesetz hineinschreiben, alle Krisendienste finanzieren müssen, und zwar als Landesanteil.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Vielleicht reagieren Sie später noch einmal auf mein Argument, dass wir dann die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen komplett aus der Verantwortung entlassen. Warum eigentlich? Darauf können Sie gar keine Antwort geben. Weil sie zu viel Geld haben, das mag so sein.

(Gerhard Merz (SPD): Wo steht, dass das so ist?)

Weil es konnex wird, wenn Sie es ins Gesetz schreiben. Vielleicht machen Sie noch einmal einen kleinen Nachhilfekurs darüber, was Konnexität betrifft.

(Gerhard Merz (SPD): Davon verstehe ich mehr als Sie!)

Ich kann Sie ohnehin nicht verstehen, ich höre dann immer nur ein lautes Geräusch. Aber was Sie sagen, kann ich nicht hören.

(Gerhard Merz (SPD): Das weiß ich, das ist ja das Problem! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Wir haben die Anhörung durchgeführt und alle dabei gesessen. Wir haben sie so wahrgenommen, dass viele gesagt haben, es gebe 36 Paragrafen, und über 100 Regelungen seien vorgesehen. Dass es dort weitere Verbesserungen gibt, halten wir für einen ganz normalen Vorgang; deswegen haben wir auch zugehört und gesagt, dass die Krisendienste – was Sie Krisendienste nennen, nennen wir die Angebote außerhalb der normalen Geschäfts- und Bürozeiten, weil sich Krisen eben nicht danach richten – von dem Sozialpsychiatrischen Dienst noch einmal explizit ins Auge gefasst werden sollen. Ich persönlich kann mir auch vorstellen, dass wir in einem nächsten Schritt auch über andere Fördermöglichkeiten oder Kooperation über Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung weiter nachdenken. Sie aber jetzt festzuschreiben, wäre viel zu früh – wir würden die Verantwortlichen entlassen.

Zu dem, was wir noch aufgenommen haben. Neben diesem Punkt, dass viele gesagt haben, Studien hätten festgestellt, je früher mit ambulanten Angeboten auf psychisch Kranke eingegangen würde, desto geringer fielen die Zwangsmaßnahmen später aus: Das sehen wir, deswegen wollen wir doch, dass es politische Handlungslinie wird. Das haben wir auch aufgegriffen und explizit noch einmal so formuliert.

Zweitens. Den untergebrachten Personen – auch das war ein Vorwurf – wird es ermöglicht, uneingeschränkt zu Anwälten oder Rechtsbeiständen Kontakt aufzunehmen und auch uneingeschränkt zu ihren behandelnden Ärzten, mit denen sie sich zuvor in Kontakt befunden haben, Kontakt aufzunehmen. Auch das war eine Forderung, die wir mit aufgenommen haben.

Drittens. Es wird klar beschrieben, in welchem Umfang die Dokumentation an die Fachaufsicht zu erfolgen hat. So ist aus unserer Sicht eine transparente Dokumentation und Evaluation des Gesetzes möglich, weil wir dann nämlich genau wissen, was vor Ort passiert ist, warum es passiert ist, wie lange es passiert ist. Genau das war Ansinnen aller Parteien, im Nachhinein sagen zu können, was eigentlich in den Krankenhäusern Hessens passiert. – Das wollen wir, das ist das dritte Ziel, das wir mit unserem Änderungsantrag verfolgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt noch eine Fülle kleinerer Veränderungen, beispielsweise verbleiben die Kinder und Jugendlichen in der Zuständigkeit des Jugendamtes. Frau Dr. Sommer, Sie haben es angesprochen: Die Zuständigkeit bleibt bei den Jugendämtern, und das ist gut so. Aber zu Ihrer Bemerkung, warum wir es nicht gestrichen haben: Dass im Notfall ein Jugendlicher auch für kurze Zeit in einer Einrichtung für Erwachsene untergebracht werden kann, halte ich gerade mit Blick auf bestimmte Bereiche des ländlichen Raums für eine richtige Entscheidung. Wenn es eine intensive Krise gibt, ermöglicht dieses Gesetz es, dass es zunächst kurzfristig, für einen Tag, überhaupt eine Einrichtung gibt, die

den Betroffenen aufnehmen kann. Dass es langfristig keine Lösung ist, darüber besteht Einigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sehen, wir haben viele präventive Maßnahmen, viele Hilfen geregelt und vieles ermöglicht. Vor allem haben wir aber in dem Punkt – der eigentlich der Auslöser war –, was eigentlich bei Zwangsmaßnahmen passiert, ganz verschiedene Möglichkeiten wie Beschwerdestellen, Patientenfürsprecher, Besuchskommissionen festgelegt. Das ist eine Fülle von Rechten und transparenten Kontrollen, damit, wenn es zu Zwangsmaßnahmen kommt, die Bürgerrechte tatsächlich auch so weit wie möglich gewahrt werden, weil wir wissen, dass es ein Freiheitsentzug ist. Aber genau das atmet dieses Gesetz, das auf vielen Ländergesetzen basiert.

Ein letzter Punkt. Wir haben es lange diskutiert, über zwei Jahre auch im Fachbeirat. Von allen Beteiligten wurde große Zustimmung signalisiert. Das entbindet natürlich nicht davon, dass man bei einer Anhörung noch Einzelinteressen vorgetragen bekommt. Aber es gab mindestens genauso viele im Saal, die den einzelnen vorgetragenen Interessen unter Umständen sogar widersprochen haben – auch das gehört zur Wahrheit dazu. Manchmal wird bei einer Anhörung auch das vorgetragen, was einem nicht passt. Aber zu jedem einzelnen Punkt, den Sie vorgetragen haben, Frau Sommer, gab es auch Leute im Saal, die gesagt haben: Nein, das braucht man eben nicht so zu regeln, das ist nämlich eine Fesselung, und es fehlt uns die Flexibilität.

Jetzt bleibt übrig, dass Sie sagen, hier gebe es unter Umständen zu viel Soll und zu wenig Muss. Ich sage Ihnen: Wenn viele andere Bundesländer mit solchen Regelungen gut gefahren sind, frage ich mich, warum unbedingt alles mit Muss beschrieben wird, wenn es auch mit Soll funktioniert, weil es dann im Zweifel eine Flexibilität gibt, in Notund Krisensituationen davon abzuweichen.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Ein Letztes. Wenn Sie es kritisieren, möchte ich es einmal so sagen: Wir haben im Ausschuss kurz darüber geredet. Ich finde es ein legitimes Vorgehen, wenn man sich an andere Gesetze anlehnt, sie prüft, auf Hessen umwandelt und tatsächlich das Beste heraussaugt. Das haben wir auch in dieses Gesetz hineinformuliert.

Sie von der SPD haben selbst § 20 zu Behandlungsmaßnahmen komplett aus dem Berliner Gesetz abgeschrieben, genauso wie Sie in unserem Gesetz einige Paragrafen aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Bayern finden. Wie gesagt, das ist der Vorteil einer späten Gesetzgebung. Aber insofern haben Sie das Rad auch nicht neu erfunden.

(Dr. Daniela Sommer (SPD): Wer hat das denn behauptet?)

Das Gesetz aus Berlin war uns auch nicht unbekannt, das wird Sie jetzt nicht überraschen. Bei dem, was Sie über zwei DIN-A4-Seiten schreiben, haben Sie komplett Copy and Paste gemacht. Herr Merz hat sich im Ausschuss darüber aufgeregt, dass ich ihm das vorgeworfen hätte.

(Gerhard Merz (SPD): Ja! Das war auch eine Unverschämtheit!)

Herr Kollege Bocklet, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Das haben Sie gemacht, Copy and Paste über zwei Seiten aus Berlin. Wir finden, dass Berlin nicht so gut ist, wir finden unseres besser – das ist die Antwort.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Man muss doch wenigstens mal sagen, dass Sie aus Berlin abgeschrieben haben – alles ist gut, Sie haben das Rad nicht neu erfunden.

Wir finden, wir haben ein sehr gutes, solides Gesetz, und wir werden selbstverständlich in den nächsten Jahren immer wieder schauen, ob es Nachsteuerungsbedarf gibt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Meine Damen und Herren, bevor wir in der Debatte weitermachen, begrüße ich auf der Besuchertribüne den Gouverneur der Kroatischen Nationalbank, Herrn Boris Vujcic. Seien Sie uns herzlich willkommen.

(Allgmeiner Beifall)

Jetzt kommt eine Kurzintervention des Kollegen Gerhard Merz. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, es mag sein, dass die SPD das Rad nicht neu erfunden hat – aber Sie haben auch den tiefen Teller nicht erfunden, das möchte ich Ihnen gerade einmal sagen, Herr Kollege Bocklet.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Na ja, wenn er frech wird – hier gibts für nichts Rabatt.

(Beifall bei der SPD)

Punkt zwei. Sie haben sich in der Ausschusssitzung über die Arbeit einer Oppositionsfraktion lustig gemacht, der kein Regierungsapparat beiseitestand, die sich die Mühe gemacht hat, in Zusammenarbeit mit den Fachleuten – die sich über Ihre Presseerklärung mitten aus der Anhörung heraus sehr geärgert haben – einen ausführlichen Änderungsantrag vorzulegen – natürlich auch unter Einbeziehung der Erfahrungen in anderen Bundesländern. Das haben Sie mit Copy and Paste abqualifiziert, und darauf habe ich so reagiert, wie man auf Frechheit reagiert – nämlich hart und scharf.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. Sie haben gesagt, dass die ständigen Krisendienste nach unserer Regel die Kassenärztliche Vereinigung und andere Verantwortliche außen vor lassen würden. Ich lese Ihnen jetzt einmal den einschlägigen Vorschlag vor:

Ständig erreichbare regionale Krisendienste ergänzen das Angebot ambulanter Hilfen. Bei der flächendeckenden Einrichtung und Ausgestaltung … wirken die beteiligten Landkreise und kreisfreien Städte zusammen. Das Nähere regelt die Landesregierung durch Verordnung.

Jetzt kommt der Satz:

Geeignete Personen und Organisationen können bei der Ausgestaltung des Angebots nach Satz 1 einbezogen werden.

Jetzt können wir darüber reden, ob man das „können“ durch ein „sollen“ ersetzen soll. Da würde ich bei nochmaligem Studium und im Lichte dieser Debatte sagen: Ja, da mag „können“ – wie übrigens an vielen anderen Stellen im Gesetz auch – vielleicht zu schwach sein.